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Irren ist menschlich - Künstliches Licht wird gesund- Irgendwann …

24.04.2024
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Heute ist mir ein historisch wertvolles Dokument in die Hände gefallen, das für viele von uns den Alltag im Arbeitsleben mitbestimmt. Es wurde von zwei Herren geschrieben, die ich einst gut kannte. Sie berufen sich auf einen anderen Herrn, den ich auch mal kennenlernen durfte. Dessen Titel nimmt in der Publikation eine ganze Zeile ein: Herr Prof. Dr. phil. Dr. med. Dr. med. h. c. Herbert Schober. Einst ein Name wie Donnerhall! Da muss man vor Ehrfurcht erstarren, zumal die anderen Herren, die als Autor genannt werden, auch nicht über viel kürzere Titel verfügten, Herr Prof. Dr. rer. nat. Erwin Hartmann und Herr Prof. Dr. med. Wolf Müller-Limmroth. Echte Pandits ihrer Zunft. Bei so viel Kompetenz muss man deren Schrift als so eine Art Bibel betrachten. Da steckt Wahrheit drin!.
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Das Dokument stammt vom Juni 1981 und baut auf einem einem Gutachten von Schober von 1971 auf. Wer Schober war? Die Koryphäe was Sehen und Physiologie angeht. Bereits 1950 hatte er sich zu Worte gemeldet. Sein Artikel in Lichttechnik hieß "Die angeblichen Sehstörungen bei Beleuchtung durch Entladungslampen". Übrigens, die angeblichen Störungen gibt es heute 75 Jahre später noch. Bei mir steht er mit dem folgenden Satz im Gedächtnis: „Erst die Einführung der Leuchtstofflampen hat es ermöglicht, zwei alte Wünsche der Technik zu erfüllen, nämlich die Arbeit in fensterlosen und genau klimatisierten Räumen auf der einen Seite und die von der Tageszeit unabhängige kontinuierliche Maschinenarbeit auf der anderen Seite.“ Wenn das so allein da stünde, hätte ich nichts dagegen. Ist ja nur ein Statement, auch wenn nicht ganz so unparteiisch. Das Wörtchen genau vor "klimatisierten Räumen" hätte ich gerne erklärt bekommen. Prof. Schober hat wohl nie in einem klimatisierten Raum gesessen.

Auf dem Kongress, wo diese Worte von 1961 wiederholt wurden, gab es aber noch ein Statement: „Menschen in fensterlosen Fabrikationsräumen haben - sofern diese in arbeitshygienischer Sicht optimal gestaltet sind - keine gesundheitsschädigenden Einflüsse zu befürchten.“ Das war die 6. Arbeitstagung der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und dokumentiert, dass die deutschen Arbeitsmediziner dem Tageslicht keine hygienische Bedeutung beimaßen. Diese Tagung lief zum Thema "Der fensterlose Arbeitsraum". Könnte auch "Eine Welt ohne Sonne" heißen.
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Schobers Gutachten von 1961 wurde 1971 aufgefrischt und besagte, dass alle Behauptungen zu gesundheitlichen Wirkungen vom Leuchtstofflampenlicht irgendwie falsch seien. Leider liegt mir das Urdokument nicht vor. Aber darauf kommt es nicht an, weil weitere zwei hochdekorierte Herren im Jahre 1981 seine Ausführungen wieder aufnahmen. Das Jahr 1971 war übrigens nicht so eine Zahl wie jede andere. In dem Jahr veranstaltete die LiTG eine Sondertagung "Auge-Licht-Arbeit" in Karlsruhe, bei dem es um fensterlose Arbeitsräume ging. Auf dieser Tagung ging der spätere Vorsitzende des Normenausschusses Beleuchtung, H.-J. Hentschel, sogar noch weiter als andere: „Hohe Ansprüche an die Beleuchtung, wie sie in der künstlichen Beleuchtung gestellt werden, können nicht befriedigt werden.“ Ergo: Die Menschen haben es besser, wenn man das Tageslicht aussperrt und ihre Arbeitsräume nur noch künstlich beleuchtet. Hentschel wusste im Übrigen nicht, dass sinngemäß dasselbe in einem Buch von Luckiesh und Pacini im Jahre 1926 gestanden hatte. Und der im Bild an der Seite dozierende Prof. C. T. Larson bereits 1965 diese Weisheit wissenschaftlich ermittelt zu haben glaubte.

Dummerweise bauen Menschen Fenster nicht wegen der Beleuchtung in ihre Behausungen ein. Diese dienen vornehmlich der Belüftung. Während man ohne Licht leben kann, auch wenn nicht allzu fröhlich, ist ein Leben ohne Luft nur in der Tiefsee möglich, wo riesige Würmer an schwarzen Schloten vom Schwefel leben. Naturverbunden, aber nicht ganz menschenwürdig. Aber die Lösung war längst da. Die künstliche Klimatisierung war zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfunden worden. In den USA war man bereits in den 1930ern dabei, unterirdische Städte zu entwerfen. Aber ein gewisser Georg Rössler vom Institut für Lichttechnik in Berlin war der Meinung, Menschen bräuchten eine Kommunikation mit ihrer Umwelt. Dem widersprach ein gewisser Weber, Autor von "Praktische Erfahrungen bei fensterlosen Arbeitsräumen", und stellte die glanzvolle Zukunft so dar: "… richtige Dosierung folgender Reize: Eine Luftbewegung durch die Klimaanlage, akustische Reize durch die Maschinen, stärkere optische Gestaltung durch die Farbgestaltung sowie letztlich durch die Tätigkeit am Arbeitsplatz selbst." Was braucht der Mensch noch? Rösslers Idee (mehr dazu hier) kam 1975 in die Arbeitsstättenverordnung und ist im Jahr 2024 immer noch dort. Vom Herrn Weber mit dem Ideenreichtum ohnegleichen fehlt bis auf die zitierte jede Spur.  .

Eine Luftbewegung durch die Klimaanlage, um ein Frühlingslüftchen ins Büro zu holen? Mindestens zwei Generationen von deutschen Büromenschen, die das besondere Los gezogen hatten, in einem Großraumbüro zu arbeiten, würden dem Herrn Weber nichts Gutes wünschen. Er dürfte sich in einem Großraumbüro auch nicht als Autor dieser Weisheiten outen, ohne sich Sorgen um seine Sicherheit zu machen. Aber Hentschel und ähnlich Denkende kamen ungeschoren davon, weil sie nur in Fachkreisen auftraten. Ihr wichtigstes Problem bildeten ein Prof. Hollwich und dessen Anhänger. Dieser behauptete, Leuchtstofflampenlicht erzeuge Stress und stünde im Verdacht, die Stoffwechselprozesse im Körper zu stören. Sie hätten ein falsches Spektrum. Seine diesbezüglichen Arbeiten füllen eine lange Liste.

In den Jahren ist auch irgendwie der Verdacht entstanden, Leuchtstofflampen könnten Krebs erzeugen. Da musste die Lichttechnische Gesellschaft dagegen halten. Das ganze Gutachten von Hartmann und Müller-Limmroth von 1981 kann kostenlos im Internet abgerufen werden. Ich will nur einige Passagen anführen und kommentieren. Hollwich wird da nicht etwa als ein irregeleiteter Ahnungloser hingestellt, sondern so: "Hollwich hat, und das ist zweifellos verdienstvoll, immer wieder darauf hingewiesen, daß Licht, das vom Auge aufgenommen wird, nicht nur der visuellen Information dient, sondern auch indirekt über den Hypothalamus und die Hypophyse das vegetative Nervensystem und das Endokrinum beeinflussen kann. Damit steht heute zweifellos fest, daß Licht eine stimulierende Wirkung besitzt."

Über 40 Jahre später verändert die hier subsumierte Erkenntnis von Hollwich die Lichtwelt. Allzuweit kann er also nicht daneben gelegen haben. Dennoch wird mit großen Aufwand erläutert, warum seine Vorstellung vom falschen Spektrum grundsätzlich falsch sei: "Das Farbensehen des Menschen basiert also darauf, daß der Lichtreiz, wie immer er auch spektral zusammengesetzt sein mag, von den drei Zapfenpigmenten entsprechend ihren Absorptionskurven absorbiert wird und daraus drei entsprechende Rezeptorsignale resultieren. Aus den Rezeptorsignalen kann nicht mehr eindeutig auf die spektrale Zusammensetzung der erregenden Strahlen zurückgeschlossen werden. Es ist seit langem bekannt, daß das Auge nicht in der Lage ist, die spektrale Zusammensetzung des Lichtes zu erkennen."
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Wie dumm, dass etwa zwei Jahrzehnte später die Chronobiologie nachweist, dass das menschliche Auge so gut mit dem Spektrum umgehen kann, dass alle lichttechnischen Größen eine vom Spektrum der Beleuchtung abhängige Variante bekommen haben. "Bei gleicher Hellempfindung und Lichtfarbe ist es daher nicht vorstellbar, daß biologische Funktionen unmittelbar von der spektralen Zusammensetzung des Lichtes abhängig sind." hieß es 1981 in dem Gutachten. Das Unvorstellbare ist wahr. Kann das wahr sein?

Es geht noch weiter: "Ein Zusammenhang biologischer Funktionen mit der spektralen Zusammensetzung des Lichtes ist aber bei gleicher Hellempfindung und Lichtfarbe nach heutigen Erkenntnissen nicht gegeben." Aber ja, doch! Manche Aussage lässt sich später doch als ziemlich dummes Geschwätz vorführen. So z.B. dieses Statement: "Nachdem es heute wohl kaum noch einen Wissenschaftler gibt, der im Ernst behauptet, daß durch Licht über das Auge, den Hypothalamus und die Hypophyse Krebs entsteht, bleibt aber immer noch die Frage nach der „Streßwirkung durch Licht” zu klären." Erstens gibt es nicht nur einige Wissenschaftler, die das Licht in der Nacht (light at night bzw. LAN) als ernsthafte Forschung betreiben, weil es bis heute nicht aufgeklärte Wirkungen des Lichts gibt, die die Entstehung mehrerer Krebsarten begünstigen. LAN = light at night hat sich zu einem Dauerthema in der Medizin entwickelt. Allerdings zu keinem erfreulichen. Es gibt einen Wirkungspfad, der realistisch erscheint: Licht in der Nacht ist mit einer Unterdrückung des Melatonin im Blut verbunden. Da Melatonin u.a. als Jäger von Krebszellen gilt, bedeutet weniger Melatonin im Blut länger am Tag freie Fahrt für Krebserreger.  Bei bestimmten Berufen ist die WHO davon überzeugt, dass Nacht- und Schichtarbeit Krebs fördert. Und als ein möglicher Faktor gilt Licht. (mehr z.B. hier)
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Lassen wir die großen Krankmacher und reden wir vom Stress. Hartmann und Müller Limmroth haben dazu etwas geschrieben, was heute ebenso bedeutsam ist wie damals. Die Herren wollten eigentlich einen Persilschein für das künstliche Licht ausstellen und fingen die Sache mit dem Stress so an: "Leider ist es heute Mode geworden, bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit von Streß zu sprechen …" Sie schreiben weiterhin, dass man Stress am Arbeitsplatz nicht einem einzelnen Faktor anlasten kann. Auch heute würde niemand etwas anderes behaupten als damals: "Infolgedessen ist bei der Bewertung irgendeines Umweltfaktors am Arbeitsplatz immer die Gesamtheit aller Stressoren zu berücksichtigen. Das sind physische Stressoren wie Lärm, Klima, Beleuchtung, Geruch, Arbeitsposition usw., psychomentale Stressoren wie nervliche Beanspruchung, Aufmerksamkeitsanforderungen, Wachsamkeitsprobleme, Schichtarbeit usw. sowie soziale Stressoren …" Wie wahr! Was hat aber die Lichttechnik von dieser von ihr selbst veröffentlichten Weisheit gemacht?

Es gibt einen einzigen Faktor, den man bei der Beleuchtungstechnik in dieser Hinsicht systematisch berücksichtigt hat: Blendung. (Den zweiten Faktor nenne ich weiter unten). Die Art und Weise, wie dies geschehen ist, ist zum junge Hunde kriegen. In zwei Laboren von Lichtherstellern (GE und Philips) hat man 1947 bzw. 1960 Versuche gemacht. In deren Folge wurden zwei Verfahren zur Blendungsbewertung (Luckiesh und Guth bei GE, Söllner bei Philips) aufgestellt. Schlappe 50 Jahre später wurde daraus - auf dem Papier - ein drittes Verfahren errechnet. Das nennt sich UGR wie unified glare rating. Jede Leuchte, die man kaufen kann, erhält zwei Werte, einen für Blick in Querrichtung, einen für 90º gedrehten. Im Lampenkatalog stehen die Werte dreistellig, z.B. UGR l = 16.2, UGR q = 16.3 (l = längs, q = quer). Die Verfahren erlauben aber nicht einmal eine einstellige Angabe, weil keines der drei Verfahren validiert werden konnte.

Nicht nur das. Validieren heißt, dass ein angegebener Wert eine nachweisbare Bedeutung hat. Dafür muss das Verfahren reliabel sein, d.h. für eine bestimmte Lichtsituation muss es immer den gleichen Wert ergeben. Dazu heißt es, die Versuche seien nicht wiederholbar. Aber auch die Ergebnisse, die Angaben zu Leuchten, sind kaum wiederholbar, denn es heißt:"Ein einzelner UGR-Datenblattwert ist nur dann eine Eigenschaft der Leuchte, wenn diese sich in dessen speziellem Standardraum mit definierten Eigenschaften befindet. In der Praxis kann der UGR-Wert wesentlich anders aussehen, er dient lediglich als eine Art grobe Orientierung für den Planer." (aus ZVEI Positionspapier - UGR-Verfahren Anwendung und Grenzen - Unified Glare Rating", Oktober 2021). In diesem Positionspapier werden insgesamt 12 Grenzen der UGR-Verfahrens aufgezeigt, die von den Grenzen der Basis (UGR-Formel) bis Grenzen durch Alterung der Anlage reichen. Fragt sich, wozu sich das Verfahren überhaupt eignet. Der ZVEI meint genau dazu: "Der einzelne UGR-Datenblattwert für den überschlägigen Leuchtenvergleich". Und das nach 110 Jahren Forschung zu Blendung. Alao mea culpa. Wir haben unser Bestes gegeben. War aber nicht gut genug.

Immerhin besteht Hoffnung, denn die LiTG hat sich nach 111 Jahren umbenannt in "Deutsche Gesellschaft für LichtTechnik und LichtGestaltung". Es kann also nicht mehr sehr lange dauern, bis man von Blendungsvermeidung zu einer menschengerechten Gestaltung kommt. Das Ziel ist bereits ausgemacht: "Beleuchtung dient der Schönheit und Gesundheit", so nach DIN 5035 Innenraumbeleuchtung mit künstlichem Licht von 1935. Die Umsetzung folgt auf dem Fuß!

Dass die Verfahren von Luckiesh und Guth sowie Söllner nicht reliabel waren, wussten die Leute, die das UGR-Verfahren ausgearbeitet haben. Und Versuche, UGR zu validieren, sind fehlgeschlagen. Kein Wunder, denn alle Versuche waren ohne irgendwelche zusätzliche Belastung durchgeführt worden. Nach Hartmann und Müller-Limmroth hätten sie daher nie zu einem validen Ergebnis führen können: "… bei der Bewertung irgendeines Umweltfaktors am Arbeitsplatz immer die Gesamtheit aller Stressoren zu berücksichtigen." Da den beiden Herren aber die Situation bekannt war, hätten sie durchaus den Umstand nennen müssen. So etwa könnte es lauten "Trotz der bereits von Thomas Edison erkannten herausragenden Bedeutung der Blendung wurden bislang keine adäquaten Studien angestellt, um die Beleuchtung von Arbeitsstätten stressfrei zu gestalten." Stress durch einen systematischen Mangel an der Beleuchtung war durchaus gegeben. Und dies war direkt mit der Leuchtstofflampe verbunden, weil alle Versuche mit der Blendung einer geräuschlosen Einführung dieser Lampe dienten.
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Es gab mindestens einen weiteren Stressfaktor, das war Flimmern. Der Effekt war bereits bei der Einführung der Leuchtstofflampe bekannt. Man argumentierte aber, dass das menschliche Auge das Flimmern nicht sehen könne, weil dies mit hinreichend hoher Frequenz geschah (100 Hz und Europa, 120 Hz in den USA). Tatsächlich kann das ruhende menschliche Auge Schwankungen mit dieser Frequenz nicht auflösen. Warum beschwerten sich aber so viele Menschen? Erstens, weil das menschliche Auge bei der Arbeit nicht ruht. Und zweitens die Ermittlung der FVF (Flimmerverschmelzungfrequenz) fehlerhaft war. Diese wurde mit kleinen Lichtquellen im Zentrum des Auges ermittelt. Beleuchtungsanlagen erstrecken sich aber über den ganzen Himmel von Arbeitsräumen. Der Faktor Flimmern wurde so lange geleugnet, bis es eine richtige Lösung gab: Elektronisches Vorschaltgerät. Dass die Beschwerden einen realen Hintergrund hatten, wurde in einem EU-Projekt experimentell nachgewiesen (Wilkins, A.J.; Nimmo-Smith, I.; Slater, A.I.; Bedocs, L.: Fluorescent lighting, headaches and eyestrain, Lighting Research and Technology, 1989, S. 11-18). In einem Bürohaus verschwanden die Hälfte der Kopfschmerzen durch flimmerfreies Licht.

Übrigens, Flimmern ist wieder zurück, als flicker. In Brüssel ringt die Lobby der Lichttechnik mit der EU-Kommission darum, wie hoch LEDs flimmern dürfen. Dabei war es bereits vor der Einführung der LED als Beleuchtung bekannt, wie man sie flimmerfrei betreibt. Wer keine persönliche Begegnung mit Flimmern hatte, möge zu einer belebten Straße in einer deutschen Stadt gehen oder zu einem Bahnhof. Dort flimmern die Fahrradlichter, wenn einer langsam fährt oder schiebt. Gestern kamen mir bei Sonnenschein Dutzende Fahrräder einer Öko-Gruppe an einem Berg entgegen. Die Lahmen flimmerten, die Schnellen machten eine Weiterfahrt unmöglich. Sie blendeten schlimmer als die viel beschimpften SUVs. Langsam wird mir klar, warum die "Fachleute" der EU, die die neue Richtlinie bearbeiten, nicht vom Fach sind, aber mindestens einer aus der Walachei.

Wie man sieht, hatten unsere Väter gar keinen Grund, sich über das Licht der Leuchtstofflampe zu beschweren. Die Pandits von damals, Schober, Hartmann und Müller-Limmroth, haben sich echt Gedanken darüber gemacht. Sie sagten abschließend: "Es gilt auch heute noch die alte Feststellung [von 1961], daß Sehstörungen bei Leuchtstofflampenlicht auf nicht einwandfrei korrigierte Refraktionsanomalien, auf unzweckmäßige Installation der Beleuchtungsanlage oder auf Sehanforderungen zurückzuführen sind, denen der betreffende Mitarbeiter auch bei einwandfreier Korrektur nicht gerecht werden kann." Wir müssen nur noch auf eine zweckmäßige Installation der Beleuchtunganlage warten! Ansonsten eine andere Brille kaufen oder die Arbeit wechseln.

Alternativ kann man darauf warten, dass die Wissenschaft der Technik hilft, das Phänomen Blendung zu verstehen und ihre Produkte danach zu bauen. Es besteht berechtigte Hoffnung darauf, wie der Beitrag von Prof. Völker, TU Berlin, zum 100, Jubiläum der Deutschen Gesellschaft für Lichttechnik (LichtGestaltung fehlte noch für weitere 11 Jahre) zeigt. Er führt aus: "Der vorliegende Beitrag zeigt, dass es möglich scheint, die vorhandenen Blendungsbewertungsmodelle auf ein Modell zurückzuführen. Zurzeit fehlen noch einige Einflussgrößen, welche aber bereits in Kürze vorliegen dürften. Diese müssen anschließend für alle Anwendungsfälle (Innen-, Außen-, Kfz-, Sportstättenbeleuchtung, etc.) validiert werden.“ Die Entwicklung eines Blendungsmodells würde nach Meinung von Völker gar noch mehrere Dissertationen erfordern. Will sagen, wir wissen nicht, was Blendung ist. Welche dieser Dissertationen heute nach 10 Jahren entstanden sind, steht nicht in der Literatur. Man wird aber hoffen dürfen.

Im Jahre 2021 veröffentlichte eine erlauchte Medizinergruppe, die erste Garde der internationalen Forschenden zu nichtvisuellen Wirkungen der Beleuchtung, ein Memorandum, das zu diesem Schluss kommt: "Ocular light exposure has important influences on human health and well-being through modulation of circadian rhythms and sleep, as well as neuroendocrine and cognitive functions. Current patterns of light exposure do not optimally engage these actions for many individuals, but advances in our understanding of the underpinning mechanisms and emerging lighting technologies now present opportunities to adjust lighting to promote optimal physical and mental health and performance." (In Klartext : Die Lichtexposition des Auges hat einen wichtigen Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden des Menschen, indem sie den zirkadianen Rhythmus und den Schlaf sowie die neuroendokrinen und kognitiven Funktionen moduliert. Die derzeitigen Lichtexpositionsmuster wirken sich bei vielen Menschen nicht optimal auf diese Funktionen aus. Fortschritte im Verständnis der zugrundeliegenden Mechanismen und neue Beleuchtungstechnologien bieten nun jedoch die Möglichkeit, die Beleuchtung so anzupassen, dass eine optimale körperliche und geistige Gesundheit und Leistungsfähigkeit gefördert wird." Vorerst gelten die Empfehlungen nur, wenn die Sonne scheint. Zwischen 19:00 Uhr und 06:00 morgens darf man nur wenig Licht machen. Für die Arbeitnehmer, die nachts arbeiten und alle Leute, die auf ihrem Handy rumfummeln, wird man sich was überlegen. Echt! Versprochen.

Es besteht also Hoffnung!

 

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Wann wird das Licht im Büro endlich gesund?

29.03-2024
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Irgendwie habe ich im Laufe der Jahre Zweifel daran bekommen, dass das Licht im Büro gesund wird. Denn schon im Jahre 2021 hatte eine Gruppe aus Pundits, das sind die Weisen, früher alte weiße Männer mit grauen Bärten, heute auch jüngere Damen, befunden, man müsste die Menschen zwischen 07:00 Uhr und 19:00 mit einer starken Vertikalbeleuchtung bescheinen. Naturgemäß müsste das Licht blau-angereichert sein. Diese müsste zudem 250 lx mel-EDI ergeben. Etwa gleichzeitig erschien das Werk von Experten, weniger bärtig und mit einer geringeren Beteiligung an Frauen, die Norm EN 12464-1, die mir erklärte, dass die Vertikalbeleuchtungsstärke in allen Richtungen fegen muss (gestern erklärt hier), auf dass es im Büro hell wird. Die Formel will ich niemandem verheimlichen, sie ist nicht geheim, auch wenn nicht für jedermann zugänglich.Ich meine mental.

Um der Verwirrung keinen Schaden beizufügen, will ich nicht erklären, dass der Index "v" hier nicht visuell bedeutet, sondern vertikal. Der Index amb kommt von ambient wie Ambiente. Der kleine Strich auf dem E bedeutet, man müsse das Licht auf jeder Wand für sich mitteln, dann mit dem Mittelwert an der Decke zusammenzählen, um alles nochmals zu mitteln. Nur das Licht an der Decke hat keine Bezeichnung, denn sie ist keine Horizontalbeleuchtungsstärke, aber auch nicht vertikal. Sie läuft einfach gegen die Wand, pardon, Decke. Ihre Messung gefilmt schlägt jede Slapsticknummer um Längen.

Diese 6 Werte könnte man der Planung der Beleuchtungsanlage entnehmen, so sie jemand versteht. Um auf 250 melEDi zu kommen, muss man das Tageslicht dazu addieren. Leider sagt mir keiner, an welchem Tag des Jahres und zu welcher Tageszeit. Nehmen wir an, das sei am 06.06. um die Mittagszeit. Wie viel Lux vertikal empfangen die Insassen dieses Büros?

Sie sehen niemanden? Die sind alle da und arbeiten. Nur nicht empfangsbereit für gesundes Licht. Das Bild unten zeigt, wenn sie dazu bereit sind. Dumm nur, dass sie aber alle falsch stehen. Dann drehen wir die Cubicle-Farm einfach um. Alle gucken dann zum Fenster hinaus. Was mit der Arbeit ist? Das ist nebensächlich, die macht man im Homeoffice.

Gnadenlos global
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09-03-2024

Einer nicht vermeidbaren Verschwörungstheorie zufolge hat alles, was um uns herum länger Bestand hat, eine wissenschaftliche Basis beziehungsweise einen Erfahrungshintergrund. So sind die Tasten auf einer Computertastatur angeblich nicht zufällig so komisch verteilt, dass die wichtigsten Buchstaben wie A oder E mit dem falschen Finger (A mit dem linken kleinen Finger) bedient werden. Vielmehr sei die Verteilung auf die Sprache zurückzuführen. Wäre dem so und hätte ein Linguist die Buchstaben über die Tastatur verteilt, hätte er das E (17,40% aller Buchstaben in deutschen Texten) bestimmt nicht dorthin gepackt, wo man es heute findet,  und das zweithäufigste Zeichen (N 9,78%) ganz woanders. In Wahrheit hat die Verteilung der Buchstaben auf einer deutschen Tastatur nur wenig mit der deutschen Sprache zu tun. War es vielleicht der Erfahrungshintergrund? Auch nicht.

Bei dem Sachgebiet Licht und Beleuchtung wollte die wissenschaftliche Basis die CIE, die internationale Vereinigung der Gesellschaften für Lichttechnik, besorgen. Den Erfahrungshintergrund sollten die örtlichen, besser gesagt nationalen, Gesellschaften in die Praxis bringen, weil diese die nationalen Traditionen und Besonderheiten viel besser kennen. So hatte die IEC, International Electrical Commission, es vor über einem Jahrhundert vorgesehen. Und die IEC ist seit ihrer Gründung die mächtigste Standardisierungsorganisation der Welt, heute mächtiger als gestern.
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Mein letzter Beitrag für den Februar hieß noch "100 Jahre V(λ)-Kurve - Das Jahrhundert des messbaren Lichtes" und handelte davon, wie die Lichttechnik die Kurve kriegte, die einen weltweiten Handel mit Licht ermöglichte. Man konnte also Licht messen. Wie einen Sack Reis, der in China genauso viel wiegt wie in Lampukistan, einem Bundesstaat von Fantasien. Gibt es einen Grund dafür, dass der Reis in New York anders wiegt als in Singapur? Garantiert nicht. So war die V(λ)-Kurve konsequent und normierte diverse Vorstellungen zu Licht, die überall gelten. In April feiern wir ihren hundersten Geburtstag.

Dumm nur, dass der Sack Reis nichts von seinem Wert einbüßt, wenn man das Wichtigste an seinem Gewicht weglässt, die Richtung. Diese ist zwar an jedem Ort der Erde diametral unterschiedlich, da sie zum Erdmittelpunkt zeigt, aber der Unterschied ist irrelevant. Wir merken nichts davon, wenn ein Sack Reis in Berlin genau in die entgegengesetzte Richtung fällt als auf Rarotonga. Galaktisch gesehen ist das wahr. Aber das ist uns egal. Bei uns zeigt die Schwerkraft in die Richtung der Füße, egal wo wir stehen. Licht aber gehorcht nicht der Schwerkraft und geht seine Richtung. Auch wenn die meisten, die Licht ohne Richtung planen, das nicht mehr wahrhaben wollen.

Die Denke der Standardisierung half äußerst erfolgreich, Maße und Maßsysteme über den gleichen Kamm zu striegeln. Das Ergebnis, das Internationale SI-System, gilt global. Ich meine, fast global. Denn drei wichtige Staaten haben es nicht übernommen: Myanmar, Liberia und die USA. Bei Licht war man indes nicht der gleichen Meinung. Misst man quasi-globale Einheiten wie die Lichtstärke, so benutzt man eine SI-Einheit, die Candela. Regelt man Dinge, die in San Francisco genauso gesehen werden können oder gar müssen wie in Posemuckel, sorgte die Hüterin der V(λ)-Kurve, die CIE, mit Regeln für Jedermann dafür, dass alle wissen, wovon sie reden. Sie hatte mit ihrem Wörterbuch der Lichttechnik, gepflegt seit 1938, sogar für die gleiche Wortwahl zum gleichen Sachverhalt gesorgt. Es gab dieses in vier Hauptsprachen. Vorbei seit 1987, als die letzte Version erschienen ist: Da war die CIE noch eine Tochter von IEC. Seit 2011 kennt die CIE nur die englische Version von jedem Begriff. Echt global ist immer noch electropedia, das viel größere Wörterbuch der Elektriker, das jeden Begriff in 14 Sprachen auflistet.

Vollkommen lokal waren aber die Normen für die Beleuchtung von Arbeitsstätten. Bei uns hießen die DIN 5035, weil die erste davon im Jahre 1935 erschienen war. In anderen Ländern arbeitete man andere Regeln aus. Sehr konsequent - denn trotz weltweiter Verständigung sehen die Arbeitsstätten in verscheidenen Ländern zuweilen recht unterschiedlich aus, wie die Arbeit selbst. Einheit in Vielfalt!
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Die Einigkeit bzw. Einheitlichkeit bekam einen Knacks in 1989, als die deutsche Lichttechnik meinte, eine internationale Norm zu Beleuchtung müsste verhindert werden. Diese - seit 1999 sogar deutsche Norm DIN EN ISO 9241-6 - ist zwar keine Beleuchtungsnorm. Das war aber egal. Es stand da etwas zur Beleuchtung drin. Und das darf nicht sein. Ergo? Man tut sein Bestes. Es wurden drei Vorhaben parallel aufgeschient: DIN 5035-7 (deutsch), EN 12464 (europäisch) und ISO 8995 (international).  Die Idee war, irgendeines wird schon klappen. Die Hoffnung trog nicht und tragischerweise wurden alle drei Realität.

So saß man in der Tinte, denn die drei Werke waren, obwohl von fast gleichen Leuten verfasst, unterschiedlich. Uns gelang es, die DIN 5035-7 abzuschießen, weil zwei deutsche Normen mit widersprüchlichen Aussagen - DIN 5035-7 und DIN EN 12464 - keine Möglichkeit sind, sondern eine Unmöglichkeit. So blieb die europäische Norm übrig, obwohl das Gebiet, auf dem sie gilt, im Indischen Ozean anfängt (20° 52‘ 44.04 S, Insel Reunion) und am Nordkap noch nicht aufhört (Norwegen gehört zu CEN). Norwegen selbst hört nämlich in Spitzbergen auf (78° 11′ N). Im Osten fängt das Geltungsgebiet im Kaukasus an (43° 4′ O, die Türkei ist Mitglied im CEN) und hört im Westen in Französisch Guayana auf (52° 19‘ 48 W). ISO 8995 galt überall und nirgendwo. Niemand hat sie angewendet. Und das global!

Was hat dieses riesige Gebiet mit Licht zu tun? Nichts, wenn man die Augen verschließt und ausschließlich über künstliches Licht sinniert. Auch wenn es niemand glauben will, die Ausgabe von EN 12464 für Außen sollte nachts gelten. Als ich den Ausschuss fragte, wo denn nachts wäre und vor allem wann, wurde es peinlich. In Cayenne dauert der Tag fast immer etwa 12 h. Hingegen bleibt die Sonne im Isfjord in der Polarnacht vom 26. Oktober bis 15. Februar vollständig unter dem Horizont. Es ist also Nacht (siehe WIE LANGE DAUERT DIE NACHT?). Was ist mit der Version von EN 12464, die in Arbeitsstätten gilt? Die sagt im Geltungsbreich "Die Beleuchtung kann durch Tageslicht, künstliche Beleuchtung oder eine Kombination aus beidem erfolgen." Ich würde gerne den Lichtplaner sehen, der diese Freiheit im Geltungsgebiet der Norm realisiert (20° 52‘ 44.04 S bis 78° 11′ N und 43° 4′ O bis 52° 19‘ 48 W)
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Was das bedeutet, hat eine Lichtplanerin aus einem extrem langen Land (Chile, Paulina Villalobos) dargestellt. Das Land, in dem sie Beleuchtung plant, beginnt in den Tropen und endet kurz vor der Antarktis. Das obige Bild von ihr zeigt, welchen höchsten Winkel die Sonne einnehmen kann (maximales Azimut). Der niedrigste ist naturgemäß waagrecht - wenn die Sonne gerade untergeht. Zwischen diesen Winkeln liegt der Lichteinfall durch das Tageslicht. Das elektrische Licht ist berechenbar. Es kommt fast immer von oben.

Wie rechnet man nun diese beiden Teile einer Beleuchtung aus, um die Beleuchtungsstärke nach EN 12464 zu bestimmen? Dazu bitte dieses symbolische Bild genauer ansehen.

Kann man das überhaupt? Kaum wenn man an die zu beabsichtigenden Wirkungen denkt. Soll die Beleuchtung senkrecht orientierte Objekte beleuchten (z.B. Gesichter, Wände, Stellwände), wird das Tageslicht immer bedeutsamer sein. Will man eine Akte auf dem Tisch beleuchten, überwiegt zum größten Teil des Tages eine ordentlich geplante elektrische Beleuchtung. Wie man auch rechnet, das Ergebnis trägt die Handschrift eines legendären weiblichen Wesens aus den Schweizer Alpen, des sprichwörtlichen Milchmädchens.

Wer das nicht glaubt, kann sich einen Büroraum im Athen und in Helsinki angucken, über die vier Jahreszeiten fotografieren und das Ergebnis vergleichen. Auch wenn alle Fotos bei Tage gemacht werden, unterscheiden sich die Bilder buchstäblich wie Tag und Nacht. Und das liegt garantiert nicht an der Kamera. Den Unterschied macht die Außenwelt. Und diese ist noch viel unterschiedlicher als Athen bis Helsinki.
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Der Tageslichtquotient ist das Verhältnis der Horizontalbeleuchtungsstärke im Meßpunkt und im Freien. Weiß die Natur, dass man Licht horizontal messen muss?

Was spielt die Horizontalbeleuchtungsstärke für eine Rolle beim Sehen ?

Die Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Beleuchtungsstärke unter Berücksichtigung des Tageslichts sind schon in Deutschland immens (Ausdehnung ca. 800 km in der Nord-Süd-Richtung), in den Grenzen des Geltungsgebiets der Norm ziemlich unmöglich. Wie soll man einen Arbeitsraum in der Arktis mit einem auf dem Äquator vergleichen? Und das ist bei der Aufstellung einer globalen Beleuchtungsnorm erst die halbe Miete. Denn mittlerweile haben Mediziner herausgefunden, dass die so bestimmte Beleuchtung die Gesundheit der Menschen gefährdet: "Der Lichteinfall ins Auge übt wichtige Einflüsse auf die menschliche Gesundheit und das Wohlbefinden aus, indem er die Tagesrhythmen [der Hormone] und den Schlaf, ebenso wie kognitive und neuroendokrine Funktionen verändert. Vorhandene Beleuchtungen genügen diesbezüglichen Anforderungen nicht." (Original hier)
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Demnach sollte in der gesamten Wachzeit zwischen 06:00 Uhr und 19:00 Uhr die Beleuchtungsstärke am Auge über 250* lx liegen. Wenn sich der Körper auf den Schlaf vorbereiten soll, also zwischen 19:00 Uhr und 22:00 Uhr, darf sie nicht mehr als 10 lx betragen. Die ganze Nacht muss es dann dunkel sein.

Die Sache mit der Nacht hatte ich oben erklärt. Was noch fehlt ist die Saison. Diesem Regime können Menschen, die am Äquator leben, schon folgen, so sie abends weder arbeiten wollen noch irgendeine soziale Aktivität entfalten. Bereits nördlich des Mittelmeers, also in der Türkei und in Griechenland bis Spanien, wird es schwer. Denn am Abend um 19:00 Uhr herum finden dort die intensivsten sozialen Aktivitäten im Freien statt (italienisch Piazza). Außerdem kommt der Tag vor 06:00 Uhr morgens und ist um 19:00 abends immer noch da. Es sei denn, es ist Winter. Die Mittel- und Nordeuropäer werden die Sache noch skeptischer Sehen. In Deutschland (Hamburg) geht die Sonne um 04:50 Uhr auf, und der Tag dauert 17,05 Stunden (Sommersonnenwende). So geht die Sonne erst 21:53 Uhr unter. Der chronobiologisch korrekte Tag steht also nur auf dem Papier.

*) Die geforderte Beleuchtungsstärke ist in sog. Tageslichtäquivalenten und beträgt ein Vielfaches der visuellen Lux. Wie man visuelle Lux in melanopische umrechnet, wird hier erklärt.
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Wenn das nur alles wäre! Will man den Forderungen der Medizin folgen, bedeutet das den Abschied von der Basis aller Beleuchtungsnormen, die mehr oder weniger auf der Horizontalbeleuchtungsstärke beruht haben. Die Wirkung dieser ist exakt Null: Wenn Licht von der Decke nach unten geht, dringt es nicht ins Auge ein und kann daher keine "melanopische" Wirkung auslösen. Wer eine melanopische Wirkung auslösen will, schickt das Licht einfach waagrecht. So einfach ist das allerdings nicht, wenn die Leuchten an der Decke sitzen.  Also brauchen wir einen Richtungswechsel.

Leider stehen zwei Dinge dem im Wege: Lichtquellen in der Sehrichtung bedeuten auch Blendung. Und man will nichts von der "Lichtqualität" zurücknehmen, die man allerdings vergessen hatte zu definieren. (hier oder da) So etwa 90 Jahre lang. Und dem waagrecht fliegenden Licht - aka Vertikalbeleuchtungsstärke - stehen in Arbeitsstätten insbesondere zwei physikalische Objekte im Wege: die Akustikpaneele und die Bildschirme. Die ersteren sind Notbehelfe, weil Menschen bei der Arbeit auch Lärm erzeugen, aber ihre Ruhe brauchen. Und die Bildschirme mögen ganz und gar nicht, dass sie beleuchtet werden. Sie erzeugen ihr Licht selbst. Kommt Fremdlicht von der Beleuchtung darauf, verlieren sie Kontrast oder Farbe, meistens beide.

Wer in Sachen Licht und Beleuchtung neue Regeln einführen will, kämpft gegen vier mächtige Gegner, die leider keine Windmühlen sind, sondern physikalische bzw, physiologische Realitäten.
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Derzeit sitzen viele weise Köpfe daran, auch diese in eine globale Norm zu pressen. Die heißt ISO/CIE 8995 und soll global gelten und Folgendes erreichen:

  • Neues Wissen über die gesundheitliche Wirkung des Lichts einarbeiten.
  • Altes Wissen, die nachweislich zu einer Gefährdung der Gesundheit geführt haben soll, beibehalten.
  • Tagsüber die Beleuchtung um ein Vielfaches erhöhen.
  • Nachts den Menschen das Arbeiten ermöglichen, obwohl das Licht dann ihre Gesundheit gefährdet.

Die Sache hat allerdings gleich fünf fundamentale Schönheitsfehler

  • Der vorgegebene Tag existiert in unseren Breitengraden bestenfalls paar Mal im Frühling und im Herbst
  • Ein erheblicher Teil der Arbeitskräfte leistet Nacht- und Schichtarbeit, ein noch größerer Teil verbringt den Abend vor dem Fernseher, im Theater, bei Freunden oder in Lokalen.
  • In Deutschland bereiten sich allenfalls Kleinkinder ab 19:00 Uhr auf den Schlaf vor.
  • Die Bildschirme, die man gerne abends benutzt (Fernseher, Computer, Tablets), produzieren fast genauso viel Licht wie die Beleuchtung am Tage.
  • Man muss die vorhandene Beleuchtung tagsüber um ein Mehrfaches erhöhen.

Vor einer Standardisierung der Beleuchtung über Länder- und Kulturgrenzen hinweg hatte ein guter Freund, der ehemalige Präsident der LiTG, Prof. Gall gewarnt. Nicht etwa leise, sondern vor der größten Versammlung von Fachleuten in Europa. Er kannte sich nicht nur auf dem Fachgebiet sehr gut aus, sondern auch in der gesamten Geschichte des Fachs. So hat er mit Zitaten von früheren Kollegen wie Lax, 1928, Arndt, 1938, Köhler 1952, Hentschel, 1975, Kramer 1998, belegt, warum es Sinn macht. am Althergebrachten zu bleiben, was gar nicht alt klingt. Normen und Richtlinien zur Lichttechnik zu internationalisieren macht Sinn, dasselbe mit Regeln zu Beleuchtung zu betreiben, ist eher Wahnsinn. Als feiner Mensch hat Gall dies nicht so brutal ausgedrückt, aber ziemlich deutlich gesagt. Deswegen hänge ich sein Papier aus dem Jahr 2003 an: “Chancen und Risiken internationaler Vereinheitlichung von Beleuchtungsnormen”. Aufruf hier.

Würde Gall leben, würde er vermutlich sagen : "Leute, bitte…"

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Hurra - Wir sind seit heute so weit wie  1975 - Freie Sicht für freie Bürger
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15.12.2022

Heute bekam ich die Meldung, dass die ASR A3.4 Beleuchtung endlich der Arbeitsstättenverordnung angepaßt wird. Es wird drin stehen, dass
"(1) Der Arbeitgeber darf als Arbeitsräume nur solche Räume betreiben, die möglichst ausreichend Tageslicht erhalten und die eine Sichtverbindung nach außen haben."

Das ist zwar schon seit 2016 Gesetz, aber jemand blockierte die Berücksichtigung des Gesetzes in den Technischen Regeln für den Arbeitsschutz. Wer könnte das gewesen sein? Wer die üblichen Verdächtigen im Sinn  hat, liegt goldrichtig. Die Vorschrift war bereits 1975 in die ArbStättV eingeführt worden. Und sah so aus:

Unter Beleuchtung führte der Staat als erstes die Verbindung zum hellen Tag an! Und setzte weltweit Maßstäbe für den Bau von Arbeitsstätten!

Im Jahr 2004 hatten zwei mittlerweile ausrangierte Politiker - Wolfgang Clement von der SPD und Ede Stoiber von der CSU - übereingekommen, dass dies zu viel des Guten war. Sie haben damals auch diesen Punkt "dereguliert". Will sagen, alles aus dem Gesetz entfernt, was den Arbeitgeber zu Maßnahmen zwingen könnte. So auch die Sichtverbindung. Stattdessen stand dort, "die Arbeitsplätze müssen möglichst ausreichend Tageslicht erhalten …

Die Sichtverbindung wurde wohl als Reminiszenz nur noch in die Überschrift eingetragen. Es könnte auch sein, dass ein Beamter der Ministern auf die Sprünge helfen wollte. Wie dem auch sei, deutsche Arbeitsräume mussten nicht mehr eine Ausblick nach außen erlauben. Wozu auch? Wer arbeitet, hat keine Zeit, die er zum Fenster hinaus werfen darf. Diese Formulierung ist rechtlich unbestimmt und in sich widersprüchlich. Es wird einerseits „müssen“ als Pflicht und andererseits „möglichst ausreichend“ als unverbindliche Empfehlung in der Praxis ausgelegt. Was denn Nu? Was ist, wenn man nicht kann, was man muss? 

Indes nicht nur die deutschen Arbeitnehmer sondern auch die Arbeitsschützer waren anderer Meinung als die beiden Politiker, denn die Rechtsprechung hatte präzise ausgesagt, wozu denn diese Vorschrift dient: "In Verbindung mit einer ungehinderten Sichtverbindung nach außen wirkt sich das Tageslicht positiv auf die physische Gesundheit (zum Beispiel Hormonhaushalt) sowie auf die psychische Gesundheit (zum Beispiel Motivation, Arbeitszufriedenheit und Leistungsfähigkeit) der Beschäftigten bei der Arbeit aus." und "Natürliches Licht am Arbeitsplatz und die Sichtverbindung ins Freie sind unter dem Gesichtspunkt der zunehmenden psychischen Belastungen, zum Beispiel zur Vermeidung von „Klausureffekten“, für Beschäftigte in Arbeits- und Aufenthaltsräumen notwendig. Zu diesem Ergebnis kommt auch das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil zum Thema Sichtverbindung nach außen aus dem Jahr 1997." So der Bundesarbeitsminister in der Begründung der Änderung der ArbStättV.

Diese Änderung hatte ganze zwei Jahre auf sich warten lassen, weil der Arbeitgeberpräsident im Jahr 2014 die vom Gesetzgeber verabschiedeten Fassung der ArbStättV hat vom Bundeskanzleramt kassieren lassen. Der meinte, Toiletten wären auch Sanitätsräume und die bräuchten keine Sichtverbindung nach außen. Sonst hätten die da Draußen eine Sichtverbindung nach drinnen. Und das ist wahrlich unerwünscht, wg. Datenschutz und so. Dass die Vorschrift schon 1975 bestand und bis 2014 keine einzige Betriebstoilette eine klare Sichtverbindung von außen nach innen hatte … geschenkt.

Der Änderung der ASR A3.4 sollte ein ähnliches Schicksal noch bevorstehen. Die Arbeitgeber haben das fertige Papier einfach für ungültig erklärt. Dass ihre Vertreter dem zugestimmt hatten … Dann eben weg mit den Vertretern! Nach etwa drei Jahren geschah ein Wunder. Ansonsten wäre es lustig geworden, wenn ein Arbeitnehmer geklagt hätte. Denn unabhängig von der juristischen Lage hätte sich jeder Richter z.B. an das einschlägige Urteil vom Bundesverwaltungsgericht gehalten.

ISO/TR 21783 HCL neu aufgelegt, auch gut aufgelegt?
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29.09.2022

Dieser Tage erschien ein bemerkenswertes Werk. Es ist ein ISO-Dokument, das die biologischen Wirkungen von Licht auf den Menschen dokumentieren wollte. Nun darf man nicht mehr biologische Wirkungen sagen, weil auch das Sehen ein biologischer Vorgang ist. Und was für einer! Das Gehirn verbraucht die Hälfte seiner Energie für visuelle Prozesse. Der Lichttechnik ist aber nicht genug, sich allein damit zu beschäftigen. Man wollte auch die nicht-visuellen Wirkungen normen. Das ist sogar dringend nötig, denn gutes Sehen fördert nicht immer die Gesundheit. Abendliches Licht kann sogar Krebs verursachen, so man den Forschenden glaubt. Diese Theorie ist so neu nicht. Bereits in den 1960ern behauptete jemand, Licht erzeuge Krebs. Die LiTG konterte mit medizinischen Gutachten, die das Gegenteil behaupteten. So wurde die Sache erst einmal Glaubenssache. Seit etwa 20 Jahren weiß man es etwas besser. Die Lichtanwendung, und nicht Licht, kann zur Krebsentstehung beitragen, würde man heute behaupten. Denn man weiß seit 2002, wie Licht Lebensrhythmen beeinflussen kann. Und dass eine falsche Beeinflussung negative Folgen zeitigen kann. Bis zur Krebsentstehung.

Man kann das Wissen auch positiv anwenden und nach Wegen suchen, wie man Licht und Beleuchtung so gestalten kann, dass davon positive Wirkungen herrühren. Die früheren Bemühungen dazu hatte ich vor einger Zeit kommentiert (hier) Jetzt ist ein ISO-Dokument fertig, ein Technical Report. Das ist ein normatives Dokument, das die Fachwelt über ein bestimmtes Thema informiert, ohne dabei Empfehlungen auszusprechen. Das Papier heißt "ISO/TR 21783 Light and lighting — Integrative lighting — Non-visual effects". Das "integrative" Licht ist nicht etwa eine ganzheitliche Betrachtung aller Wirkungen von Licht, sondern es handelt sich um eine Beleuchtung, bei der man neben den visuellen Wirkungen die nicht-visuellen mitbetrachtet, die dann zusammen Vorteile physiologischer und/oder psychologischer Art für den Menschen ergeben. In Deutschland versteht man unter integrativ, eher integriert, eine Lichtplanung, die künstliches und natürliches Licht gemeinsam berücksichtigt, wie sie in der Arbeitswelt auch auftreten.

So etwas wie integratives Licht kennt man schon länger. Z.B. wirken sich manche Farben positiv auf die Psyche aus. Wenn man dies bei der Planung berücksichtigt und auch auf die messbaren Effekte achtet, hätte man schon eine integrative Beleuchtung. Das ist aber nicht gemeint, sondern die Wirkung des Lichts, das in das Auge eindringt und den Tagesverlauf der Hormonausschüttung beeinflusst. ISO/TR 21783 gibt bislang bekannte Erkenntnisse wieder und belegt diese mit Literatur. Womit sollte man sonst neue Erkenntnisse belegen?

Leider, leider ist es verdammt schwer, physiologische Erkenntnisse in der Arbeitswelt zu ermitteln. Etwa die Körperkerntemperatur während der Arbeit messen. Wer will schon bei der Arbeit mit einem Rektalthermometer herum laufen? So musste man auf Studien ausweichen, die mit der Arbeitswelt relativ wenig zu schaffen haben, so z.B. auf Studien aus der Schlafforschung. Man könnte zwar als Lästermaul meinen, die Anwendbarkeit auf Büroarbeit wäre schon gegeben. Das kann ich mir nicht leisten. Allerdings habe ich mich nicht schlecht gewundert, wie die Erkenntnisse zusammen gekommen sind:

  1. Man werte 212 Studien aus und schreibt einen Entwurf der Norm auf deren Basis.
  2. Der Entwurf wird sehr positiv aufgenommen.
  3. Man findet die Erkenntnisse gut, aber die Studien weniger. So verschwinden 183 Studien (-86%) von 212.
  4. Da die restlichen 29 Studien für eine weltbewegende Neuheit zu wenig sind, nimmt man 34 neue, belässt es aber bei den Erkenntnissen, die sind ja gut!
  5. Da jetzt Erkenntnisse und Studien nicht mehr so gut  zusammen passen, beseitigt man die Beziehungen. Es gibt eine Liste von Erkenntnissen und eine LIteraturliste.

Der geneigte Leser kann sich nun damit amüsieren, woher welche Erkenntnis stammt. Da dies auch dem gewieftesten Leser nicht gelingen wird, habe ich eine Analyse selbst gemacht. Hier eine Auflistung der Quellen nach Thema:

  • Therapie: 3 Objekte, davon eines Delirium
  • Krebsrisiko: 3 Objekte
  • Demenz: 4 Objekte
  • Lernerfolg: 3 Objekte
  • Hormonforschung: 2 Objekte
  • Gemütszustände: 6 Objekte
  • Schlaf und Schläfrigkeit: 21 Objekte (von insgesamt 63)
  • Gesundheit: 10 Objekte (im Titel oder Publikationsorgan)

Alle diese Publikationen haben zuweilen Signifikantes dieser oder jener Art ergeben. Was sagen sie aber zur Beleuchtung von Arbeitsplätzen aus? Keine dieser Studien wurde übrigens von Lichttechnikern erstellt. Ich weiß nicht so richtig. Aber manches Statement in dem Dokument lässt aufhorchen: "Integrative lighting could increase academic performance and concentration. There is some evidence from animal models, but limited evidence in human populations …" (etwa "Integrative Beleuchtung kann Konzentration und akademischen Lernerfolg fördern. Es gibt dazu bestimmte Evidenzen aus Tiermodellen, aber nur begrenzt Aussagefähiges aus Humanpopulationen"). Ich schätze, das ist wahr, denn mir ist kein Tiermodell bekannt, das eine akademische Leistung, welche auch immer, erklären hilft.

Die Autoren scheinen ihre eigenen Statements mit Vorsicht zu genießen, Denn sie warnen eindringlich davor, dass Hinz und Kunz eine integrative Beleuchtung planen könnte: Die hier gestellten Bedingungen entsprechen in der Medizin etwa der Apothekenpflicht. Schlimmer noch: Apotheker gibt es an jeder Ecke, Spezialisten für medizinische Wirkungen von Beleuchtung, die sie planen könnten, müssen hingegen noch geboren werden. Sollte es davon doch welche geben, müsste jeder Betrieb echte Spezialisten einstellen, um eine solche Beleuchtung zu betreiben. Und alle Beteiligten müssten unglaublich einfache Dinge berücksichtigen bei ihrem Tun:

  • Benutzereigenschaften (z.B. Altersverteilung, Sehfähigkeit, Gesundheitszustand)
  • Tätigkeitsprofil (vorwiegend stehend, vorwiegend sitzend oder in nur einer Position)
  • Kontrollierbare oder Nicht-kontrollierbare Benutzerpopulation

Was macht eigentlich die Expertentruppe mit diesbezüglichem Wissen, wenn sie es denn bekäme? Sie muss sie beachten, um Folgendes zu bewerten:

  • vorhersehbare Gesundheitsbedingungen, die zu erwarten sind;
  • generalisierte Schlafrhythmen (es ist zu erwarten, dass Teenager andere Schlafgewohnheiten haben als ältere Insassen);
  • die Menge des Lichts am Auge, die benötigt wird, um eine circadiane Aktivierung zu erzeugen, was sich von Person zu Person unterscheidet.

Generalisierte Schlafrhythmen bewerten? Die Lichtmenge am Auge bewerten, die die circadiane Aktivierung zu erzeugen? Diese Aufgabe werden Lichtplaner einem mit Handkuss abnehmen. Solches Wissen nehmen sie mit der Muttermilch auf. Von dem Lichtdesigner wird etwa eine ähnliche Fähigkeit erwartet wie von Clark Kent beim Heben von Lokomotiven samt Brücke, die einstürzen will. Z.B. muss dieser Folgendes können:

  • Es können Konflikte eintreten durch unterschiedliche Bedürfnisse (z.B. durch unterschiedliche Benutzer des gleichen Ortes). Der Designer muss das Problem lösen, ohne die Qualität der Beleuchtung zu beeinträchtigen.

Können vor Lachen. Niemand hat sich bislang die Mühe gemacht, die schützenswerte Qualität der Beleuchtung zu beschreiben. Die Experten sind offenbar lieber auf anderen Gebieten unterwegs, wo sie nicht viel beitragen können.