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Wunderbare Nachrichten für die überlebenden Insekten

14.06.2024
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Heute las ich im Berliner Tagesspiegel eine wunderbare Nachricht, die alle Insekten freuen wird, so sie noch leben. Sie berichtet, ein Forschungsteam vom Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) habe zusammen mit dem Berliner Leuchtenproduzenten Selux auf die jeweilige Straße abgestimmte LED-Lampen entwickelt. Diese seien aus der Distanz praktisch unsichtbar und würden keine Insekten mehr anlocken. Sehr erfreulich.

Beim Lesen der Meldung habe ich an die Methode gedacht, mit der die Forscher festgestellt haben, dass keine insekten angelockt werden. Sie haben die angelockten Insekten gezählt und praktisch keine gefunden. Könnte auch daran liegen, dass kein Insekt mehr vorhanden war, der den Verlockungen des Lichts folgen könnte. Wollen wir das Beste hoffen.

Meine früheren Erfahrungen zeigten deutlich, was für ein Massaker das Licht in der Nacht anrichtet. Dieses Bild hatte ich in einem Hafen in Griechenland gemacht. Heute kann man es wohl nicht mehr machen, der Hafen ist praktisch frei von Fluginsekten. Auch die Lampen von meinem verein am Wannsee in Berlin sind praktisch frei von Insektenleichen. Früher flog nachts immer eine Wolek um die herum.

Entdeckt hatte ich die Sache etwa 2014, als meine Windschutzscheibe nach einer langen Fahrt insektenfrei war. Früher standen an jeder Autobahnraststätte Batterien mit Eimern und Kratzern für die Windschutzscheibe, die alle 200 km gereinigt werden musste. Die Motorhaube konnte nicht gekratzt werden, daher wurde sie zu Hause mit einem Spezialreiniger von ihrem Dasein als Insektenfriedhof befreit.

Heute scheint das Problem dahinten in der fernen Türkei angekommen zu sein. Diese Karikatur stammt aus einer türkischen Facebook-Seite. Sie ist lustig gezeichnet, ist aber nicht lustig. Bis ich dieses Bild sah, dachte ich, das Problem bestehe nur in Deutschland, wo nach einer Studie, eigenständig erarbeitet von Mr. FDP Himself, dem Vorsitzenden Christian L., schnelleres Fahren auf der Autobahn keineswegs zu einem Mehrverbrauch an Treibstoff führe. Er hatte festgestellt, dass sein Porsche 911 SC bei 200 km/h viel weniger verbraucht als ein Volvo FH16 bei nur 100 km/h. Aber dort in der Türkei fahren eher Volvo Trucks denn Porsche, und die Zahl der Autos ist viel geringer.
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Von dem heute veröffentlichten Projekt hatte ich  bereits am 18. September 2019 berichtet (hier). Auch damals hieß es: "Die übriggebliebenen Insekten von Deutschland können sich freuen: …" Aus aktuellem Anlass noch einmal der Bericht von damals:


Was mögen die zukünftig noch zu installierende Lampen gegen die Lichter bringen, die sinnlos den Himmel anstrahlen? Die Bilder rechts sind schon 10 Jahre alt und zeigen, was eigentlich nicht sein darf. Sie hängen an der Brücke über dem Bosporus, die einst so beleuchtet wurde, dass die Schifffahrt ohne Blendung fahren konnte. Dem Volk hatte die Regierung vor dem Bau versprochen, die natürliche Schönheit des Bosporus würde erhalten bleiben. Und dann das!

Ich bin gespannt, wann die etwa 9.000.000 Straßenlaternen in Deutschland, die sich jede Nacht den Mast in den Bauch stehen, um ein paar Fußgängern heimzuleuchten, aus einiger Entfernung nicht mehr zu sehen sein. Allerdings werden gerade diese nicht allzu glücklich, denn die Funktion der Straßenbeleuchtung ist eigentlich irrelevant gegenüber der Signalwirkung der Leuchten. Und diese entfällt. Da wäre es vielleicht besser, eine noch ältere Idee aufzugreifen (hier). Sie stammt aus dem alten Rom. Wenn jemand nachts seine Geliebte aufsuchen wollte, bestellte er den Laternarius. Dieser führte ein Lichtlein. Damit konnte man sicher zum Ziel gelangen. Die moderne Version davon funktioniert elektronisch. Die Straßenlaternen leuchten dann, wenn einer ihr Leuchten benötigt.

An sich sehr praktisch: Die Laternen warten zwar immer noch am Straßenrand, aber nicht in voller Pracht. Ein Bewegungsmelder sorgt dafür, dass Licht wird, wenn einer kommt. Fiat lux. Bekanntlich reagieren diese Dinger auf Körperwärme, sodass Dracula immer noch seine Nacht unentdeckt genießen kann. Wer reglos herumsteht, wie ein Ofen, wird auch nicht registriert, z.B. Clochards, die auf einer Parkbank schlafen. Liebespärchen auch nicht, sofern sie sich nicht regen. Ob der moderne Laternarius das Licht proportional zur Regung steuert, steht nicht in der Zeitung. Finstere Gestalten, die auf nächtliche Jagd gehen, müssen sich cool anziehen, wollen sie nicht entdeckt und angeleuchtet werden. Polaranoraks würden z.B. helfen.

Nur den Insekten ist garantiert gedient. Bis sie nämlich auf die Idee kommen, dass es sich bei der Laterne um eine standhafte Version des Mondes  handelt, ist der Spuk längst vorbei, ich meine der Lichterschein.

Unser Chefblogger versteht Dr. Boss

29.04.2024
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Nach langen Bemühungen ist es denkbar gelungen, den erfolgreichsten Gründer eines Start-ups der Lichtszene für ein Interview zu gewinnen. Wir lassen dem Interview einen Dank vorausgehen, weil Dr. Boss, der Geschäftsführer trotz dringender Aktivitäten Zeit für uns gefunden hat, aber gleich weg musste. Das Interview führte unser Chefblogger Anton von Wegen.

AvW:     Herr Dr. Boss, können Sie unseren Lesern kurz erklären, warum Sie sich für den Namen MärLux für Ihr Unternehmen entschieden haben? In der Branche erzählt man, dass dies ein Kürzel für Märchenhaft Schöne Beleuchtung sei.

Boss:     Ja, gerne doch. Wie Sie wissen, steht Lux für Licht, Helligkeit und Tagesanbruch. Deswegen enden alle relevanten Namen in der Branche mit Lux, wie z.B. MonoLux oder DiaLux. Zudem wird unsere alleinige Grundgröße auch mit Lux bezeichnet. Unser Name steht für Aufbruch des elektrischen Tages.

AvW:     Und Mär?

Boss:     Denken Sie an Märchen?

AvW:     Gut! Aber wir wollen uns nicht mit Namen aufhalten. Sie haben es ja eilig. Warum?

Boss:     Uns droht eine Klage des Mitbewerbs wegen unlauteren Wettbewerbs und eine Geldbuße von einer halben Million Euro.

AvW:     Oh, es tut mir Leid, das zu hören. Ich dachte, in der Branche ginge es mit lauteren Mitteln zu.

Boss:   Das dachten wir auch. Ist aber leider nicht der Fall. Ein Mitbewerber meint, unser Hauptziel, eine Allgemeinbeleuchtung anzubieten, sei gelogen. So etwas könne es nicht geben.

AvW:     Dann brauchen Sie sich doch keine Sorgen zu machen. So etwas war doch bei uns Jahrzehnte lang Standard.

Boss:     Leider nur theoretisch. Man hat es nur so erzählt, Allgemeinbeleuchtung sei das richtige Konzept. Das glaubt nur die Gewerbeaufsicht. Dass man gar kein Konzept hatte, hat man nicht erzählt. Da hat aber Prof. Bodmann aus Karlsruhe nachgewiesen, dass es die gar nicht geben kann, außer mit reiner Indirektbeleuchtung oder Leuchtdecken.

AvW:     Wie kommt Prof. Bodmann dazu, so etwas zu behaupten?

Boss:     Er hat auf seine alten Tage die Beleuchtungsnormen, die er mitgeschrieben hatte, wieder vorgeholt und gelesen. Da muss ihm plötzlich die Erleuchtung gekommen sein.

AvW:     Dann  machen Sie doch eben auf Indirektbeleuchtung. Sieht doch schön aus. Oder?

Boss:     Schön unwirtschaftlich! Und stört die Wahrnehmung. Deswegen haben wir eine Plagiatsklage am Hals.

AvW:     Wie das?

Boss:     In einer Werbebroschüre von uns hatten wir behauptet, dies mit Untersuchungen festgestellt zu haben.

AvW:     Und? Klingt ja plausibel.

Boss:     Schon. Aber der Mitbewerber behauptet, das hätte sein Urgroßvater schon festgestellt. Wir hätten die Idee nur geklaut. Er hat vor Gericht ein Buch aus den 1920ern vorgelegt. Tatsächlich ist die Vorstellung, dass die Indirektbeleuchtung schattenarm und unwirtschaftlich sei, so alt wie die V(λ)-Kurve. Das sieht nicht gut aus für uns. Zudem hatten wir behauptet, die Raumwahrnehmung sei eben zu diffus.

AvW:     (googelt) Oh, es steht auch im Baunetz Wissen. Da sind Sie fein raus. Da steht: "Ein möglicher Nachteil liegt in der verminderten Schattenbildung, die zu einer verunklärten Raumwahrnehmung führen kann." Verunklärt bedeutet doch gestört. Oder? Manche Leute übersetzen es mit obscured wie verschleiert, verdeckt, vernebelt. Verwischt geht auch.

Boss:     Leider nicht. Die dürfen schreiben, was als Allgemeinwissen gilt. Es muss nichts mit der Realität zu tun zu haben. Wir hatten ja behauptet, dass wir den Nachweis geführt hätten, dass Indirektbeleuchtung unwirtschaftlich sei. Und außerdem die Wahrnehmung störe.

AvW:     Und stimmt es etwa nicht?

Boss:     Das Gericht sitzt daran. Es wird vermutlich entscheiden, dass man eine Wirtschaftlichkeit oder deren Gegenteil nicht so einfach behaupten kann. Man muss zum einen die Kosten berücksichtigen und diese zum anderen in Relation zum Nutzen setzen. Das hatten wir nicht getan, weil es auch sonst keiner tut.

AvW:     Hat das Gericht Anhaltspunkte?

Boss:     Leider, ja. Wir hatten behauptet, unsere LED-Leuchten hätten sehr hohe Leuchtenbetriebswirkungsgrade.

AvW:     Und? Was soll daran falsch sein? LEDs sind doch sehr energieeffizient. Das geht bis 250 lm/W … Die Glühlampen kamen auf gerade mal 10 lm/W. (googelt) Oh, ich sehe gerade, dass die KI zwischen Lampe und Leuchte nicht unterscheiden kann.

Boss:     Ja, schon. Aber eine Glühlampe konnte man an einer Strippe von der Decke baumeln lassen. Sah zwar nicht schön aus, aber man konnte es dort aushalten. Lassen Sie mal ein freibrennendes LED-Modul nackt in einem Raum aufhängen. Übrigens, dass die KI zwischen Lampe und Leuchte nicht unterscheiden kann, liegt nicht an deren Dummheit. Man hat es in der Lichttechnik neuerdings so gewollt, weil die Unterscheidung nur Unsinn erzeugt hat und nie allgemein akzeptiert wurde.

AvW:     Ergo?

Boss:     Man muss das Licht durch Diffusoren dämpfen. Und das schluckt Licht. Mindestens die Hälfte. Das ist unwirtschaftlich.

AvW:    Sie meinen, LED-Module seien energieeffizient, aber LED-Beleuchtungen nicht so sehr?

Boss:  So isses. Es war schon immer schwachsinnig, die Lichtausbeute von Leuchtmitteln allein zu berechnen. Die soll das Maß für die Wirtschaftlichkeit einer Lampe sein. Wenn Lampen allein beleuchten täten, käme es irgendwie hin. Sie tun es aber nicht.

AvW:     Also musste der Begriff Leuchte verschwinden? Oder war es die Lampe?

Boss:     Vielleicht beide. Das wissen wir aber noch nicht.

AvW:     Haben Sie noch mehr Ärger am Hals?

Boss:     Und ob! Wir hatten behauptet, blendfreies Licht anzubieten.

AvW:     Klingt ja wunderbar. Das hatte sich schon Edison vorgenommen.

Boss:     Ja, eben. Edison wollte seine Glühlampen mit Gleichstrom betreiben. Dann flimmert nix. Zudem hatten sie nur ganz geringe Leuchtdichten. Als die Leuchtstofflampe kam, gaben sich die Hersteller Mühe, die Beleuchtung blendfrei zu machen. In ihren Hexenküchen – Pardon, Lichtlaboren, dachten sie sich komplizierte Formeln aus, die keiner versteht.

AvW:     Am Ende waren die doch erfolgreich, oder?

Boss:     Fragen Sie doch die User. Zudem: Vergessen ist besser. Es gelang nie einem nachzuweisen, dass die Formeln etwas bedeuten. Am Ende bastelte man eine dritte Formel aus zwei untauglichen, und nennt sie UGR. U wie Unsinn …

AvW:     Wenn niemand eine Lösung hat, warum verklagt man Sie jetzt?

Boss:     Wieder wg. unlauteren Wettbewerbs. Wir hatten behauptet, unser Licht wäre blendfrei, und das hätten wir ermittelt. Da kam der Mitbewerb mit dem Argument, das könne nicht sein, weil man sich erst einmal eine Methode ausdenken muss, diesen Beweis zu erbringen. Und das 145 Jahre nach der Erfindung der Glühlampe. Aber wahr, der Kläger legte mehrere Schriften honoriger Professoren vor.

AvW:     Oh, es tut mir aufrichtig leid, dass ein Start-up im Jahre 2024 an Dingen zu knabbern hat, die man hätte vor 100 Jahren lösen müssen.

Boss:     Dafür kann ich mir leider nichts kaufen. Ich muss gleich wegen einer neuen Geschichte zum Gericht.

AvW:     Darf man erfahren, warum?

Boss:     Von Wegen. Wenn Ihre Leser erfahren, was bei unseren Werbeaussagen da alles fundamental angreifbar wäre, könnte ich mir ein Zimmer in der Nähe des Gerichts mieten.

AvW:     Gar nicht so schlecht die Vorstellung. Wenn man alle wegen fragwürdiger Behauptungen vor Gericht zerren könnte, würde ein kleines Dorf drum herum entstehen.

Boss:     Vielleicht ein großes? Gut, wenn die Gerichsklause nicht schließt, kann man sich mit den Kollegen einen leisten. Erzähle ich Ihnen beim nächsten Mal.

AvW:     Herr Dr. Boss, wir danken Ihnen für dieses aufrichtige Gespräch. Wirklich sehr selten in der Branche.

Irren ist menschlich - Künstliches Licht wird gesund- Irgendwann …

24.04.2024
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Heute ist mir ein historisch wertvolles Dokument in die Hände gefallen, das für viele von uns den Alltag im Arbeitsleben mitbestimmt. Es wurde von zwei Herren geschrieben, die ich einst gut kannte. Sie berufen sich auf einen anderen Herrn, den ich auch mal kennenlernen durfte. Dessen Titel nimmt in der Publikation eine ganze Zeile ein: Herr Prof. Dr. phil. Dr. med. Dr. med. h. c. Herbert Schober. Einst ein Name wie Donnerhall! Da muss man vor Ehrfurcht erstarren, zumal die anderen Herren, die als Autor genannt werden, auch nicht über viel kürzere Titel verfügten, Herr Prof. Dr. rer. nat. Erwin Hartmann und Herr Prof. Dr. med. Wolf Müller-Limmroth. Echte Pandits ihrer Zunft. Bei so viel Kompetenz muss man deren Schrift als so eine Art Bibel betrachten. Da steckt Wahrheit drin!.
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Das Dokument stammt vom Juni 1981 und baut auf einem einem Gutachten von Schober von 1971 auf. Wer Schober war? Die Koryphäe was Sehen und Physiologie angeht. Bereits 1950 hatte er sich zu Worte gemeldet. Sein Artikel in Lichttechnik hieß "Die angeblichen Sehstörungen bei Beleuchtung durch Entladungslampen". Übrigens, die angeblichen Störungen gibt es heute 75 Jahre später noch. Bei mir steht er mit dem folgenden Satz im Gedächtnis: „Erst die Einführung der Leuchtstofflampen hat es ermöglicht, zwei alte Wünsche der Technik zu erfüllen, nämlich die Arbeit in fensterlosen und genau klimatisierten Räumen auf der einen Seite und die von der Tageszeit unabhängige kontinuierliche Maschinenarbeit auf der anderen Seite.“ Wenn das so allein da stünde, hätte ich nichts dagegen. Ist ja nur ein Statement, auch wenn nicht ganz so unparteiisch. Das Wörtchen genau vor "klimatisierten Räumen" hätte ich gerne erklärt bekommen. Prof. Schober hat wohl nie in einem klimatisierten Raum gesessen.

Auf dem Kongress, wo diese Worte von 1961 wiederholt wurden, gab es aber noch ein Statement: „Menschen in fensterlosen Fabrikationsräumen haben - sofern diese in arbeitshygienischer Sicht optimal gestaltet sind - keine gesundheitsschädigenden Einflüsse zu befürchten.“ Das war die 6. Arbeitstagung der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und dokumentiert, dass die deutschen Arbeitsmediziner dem Tageslicht keine hygienische Bedeutung beimaßen. Diese Tagung lief zum Thema "Der fensterlose Arbeitsraum". Könnte auch "Eine Welt ohne Sonne" heißen.
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Schobers Gutachten von 1961 wurde 1971 aufgefrischt und besagte, dass alle Behauptungen zu gesundheitlichen Wirkungen vom Leuchtstofflampenlicht irgendwie falsch seien. Leider liegt mir das Urdokument nicht vor. Aber darauf kommt es nicht an, weil weitere zwei hochdekorierte Herren im Jahre 1981 seine Ausführungen wieder aufnahmen. Das Jahr 1971 war übrigens nicht so eine Zahl wie jede andere. In dem Jahr veranstaltete die LiTG eine Sondertagung "Auge-Licht-Arbeit" in Karlsruhe, bei dem es um fensterlose Arbeitsräume ging. Auf dieser Tagung ging der spätere Vorsitzende des Normenausschusses Beleuchtung, H.-J. Hentschel, sogar noch weiter als andere: „Hohe Ansprüche an die Beleuchtung, wie sie in der künstlichen Beleuchtung gestellt werden, können nicht befriedigt werden.“ Ergo: Die Menschen haben es besser, wenn man das Tageslicht aussperrt und ihre Arbeitsräume nur noch künstlich beleuchtet. Hentschel wusste im Übrigen nicht, dass sinngemäß dasselbe in einem Buch von Luckiesh und Pacini im Jahre 1926 gestanden hatte. Und der im Bild an der Seite dozierende Prof. C. T. Larson bereits 1965 diese Weisheit wissenschaftlich ermittelt zu haben glaubte.

Dummerweise bauen Menschen Fenster nicht wegen der Beleuchtung in ihre Behausungen ein. Diese dienen vornehmlich der Belüftung. Während man ohne Licht leben kann, auch wenn nicht allzu fröhlich, ist ein Leben ohne Luft nur in der Tiefsee möglich, wo riesige Würmer an schwarzen Schloten vom Schwefel leben. Naturverbunden, aber nicht ganz menschenwürdig. Aber die Lösung war längst da. Die künstliche Klimatisierung war zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfunden worden. In den USA war man bereits in den 1930ern dabei, unterirdische Städte zu entwerfen. Aber ein gewisser Georg Rössler vom Institut für Lichttechnik in Berlin war der Meinung, Menschen bräuchten eine Kommunikation mit ihrer Umwelt. Dem widersprach ein gewisser Weber, Autor von "Praktische Erfahrungen bei fensterlosen Arbeitsräumen", und stellte die glanzvolle Zukunft so dar: "… richtige Dosierung folgender Reize: Eine Luftbewegung durch die Klimaanlage, akustische Reize durch die Maschinen, stärkere optische Gestaltung durch die Farbgestaltung sowie letztlich durch die Tätigkeit am Arbeitsplatz selbst." Was braucht der Mensch noch? Rösslers Idee (mehr dazu hier) kam 1975 in die Arbeitsstättenverordnung und ist im Jahr 2024 immer noch dort. Vom Herrn Weber mit dem Ideenreichtum ohnegleichen fehlt bis auf die zitierte jede Spur.  .

Eine Luftbewegung durch die Klimaanlage, um ein Frühlingslüftchen ins Büro zu holen? Mindestens zwei Generationen von deutschen Büromenschen, die das besondere Los gezogen hatten, in einem Großraumbüro zu arbeiten, würden dem Herrn Weber nichts Gutes wünschen. Er dürfte sich in einem Großraumbüro auch nicht als Autor dieser Weisheiten outen, ohne sich Sorgen um seine Sicherheit zu machen. Aber Hentschel und ähnlich Denkende kamen ungeschoren davon, weil sie nur in Fachkreisen auftraten. Ihr wichtigstes Problem bildeten ein Prof. Hollwich und dessen Anhänger. Dieser behauptete, Leuchtstofflampenlicht erzeuge Stress und stünde im Verdacht, die Stoffwechselprozesse im Körper zu stören. Sie hätten ein falsches Spektrum. Seine diesbezüglichen Arbeiten füllen eine lange Liste.

In den Jahren ist auch irgendwie der Verdacht entstanden, Leuchtstofflampen könnten Krebs erzeugen. Da musste die Lichttechnische Gesellschaft dagegen halten. Das ganze Gutachten von Hartmann und Müller-Limmroth von 1981 kann kostenlos im Internet abgerufen werden. Ich will nur einige Passagen anführen und kommentieren. Hollwich wird da nicht etwa als ein irregeleiteter Ahnungloser hingestellt, sondern so: "Hollwich hat, und das ist zweifellos verdienstvoll, immer wieder darauf hingewiesen, daß Licht, das vom Auge aufgenommen wird, nicht nur der visuellen Information dient, sondern auch indirekt über den Hypothalamus und die Hypophyse das vegetative Nervensystem und das Endokrinum beeinflussen kann. Damit steht heute zweifellos fest, daß Licht eine stimulierende Wirkung besitzt."

Über 40 Jahre später verändert die hier subsumierte Erkenntnis von Hollwich die Lichtwelt. Allzuweit kann er also nicht daneben gelegen haben. Dennoch wird mit großen Aufwand erläutert, warum seine Vorstellung vom falschen Spektrum grundsätzlich falsch sei: "Das Farbensehen des Menschen basiert also darauf, daß der Lichtreiz, wie immer er auch spektral zusammengesetzt sein mag, von den drei Zapfenpigmenten entsprechend ihren Absorptionskurven absorbiert wird und daraus drei entsprechende Rezeptorsignale resultieren. Aus den Rezeptorsignalen kann nicht mehr eindeutig auf die spektrale Zusammensetzung der erregenden Strahlen zurückgeschlossen werden. Es ist seit langem bekannt, daß das Auge nicht in der Lage ist, die spektrale Zusammensetzung des Lichtes zu erkennen."
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Wie dumm, dass etwa zwei Jahrzehnte später die Chronobiologie nachweist, dass das menschliche Auge so gut mit dem Spektrum umgehen kann, dass alle lichttechnischen Größen eine vom Spektrum der Beleuchtung abhängige Variante bekommen haben. "Bei gleicher Hellempfindung und Lichtfarbe ist es daher nicht vorstellbar, daß biologische Funktionen unmittelbar von der spektralen Zusammensetzung des Lichtes abhängig sind." hieß es 1981 in dem Gutachten. Das Unvorstellbare ist wahr. Kann das wahr sein?

Es geht noch weiter: "Ein Zusammenhang biologischer Funktionen mit der spektralen Zusammensetzung des Lichtes ist aber bei gleicher Hellempfindung und Lichtfarbe nach heutigen Erkenntnissen nicht gegeben." Aber ja, doch! Manche Aussage lässt sich später doch als ziemlich dummes Geschwätz vorführen. So z.B. dieses Statement: "Nachdem es heute wohl kaum noch einen Wissenschaftler gibt, der im Ernst behauptet, daß durch Licht über das Auge, den Hypothalamus und die Hypophyse Krebs entsteht, bleibt aber immer noch die Frage nach der „Streßwirkung durch Licht” zu klären." Erstens gibt es nicht nur einige Wissenschaftler, die das Licht in der Nacht (light at night bzw. LAN) als ernsthafte Forschung betreiben, weil es bis heute nicht aufgeklärte Wirkungen des Lichts gibt, die die Entstehung mehrerer Krebsarten begünstigen. LAN = light at night hat sich zu einem Dauerthema in der Medizin entwickelt. Allerdings zu keinem erfreulichen. Es gibt einen Wirkungspfad, der realistisch erscheint: Licht in der Nacht ist mit einer Unterdrückung des Melatonin im Blut verbunden. Da Melatonin u.a. als Jäger von Krebszellen gilt, bedeutet weniger Melatonin im Blut länger am Tag freie Fahrt für Krebserreger.  Bei bestimmten Berufen ist die WHO davon überzeugt, dass Nacht- und Schichtarbeit Krebs fördert. Und als ein möglicher Faktor gilt Licht. (mehr z.B. hier)
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Lassen wir die großen Krankmacher und reden wir vom Stress. Hartmann und Müller Limmroth haben dazu etwas geschrieben, was heute ebenso bedeutsam ist wie damals. Die Herren wollten eigentlich einen Persilschein für das künstliche Licht ausstellen und fingen die Sache mit dem Stress so an: "Leider ist es heute Mode geworden, bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit von Streß zu sprechen …" Sie schreiben weiterhin, dass man Stress am Arbeitsplatz nicht einem einzelnen Faktor anlasten kann. Auch heute würde niemand etwas anderes behaupten als damals: "Infolgedessen ist bei der Bewertung irgendeines Umweltfaktors am Arbeitsplatz immer die Gesamtheit aller Stressoren zu berücksichtigen. Das sind physische Stressoren wie Lärm, Klima, Beleuchtung, Geruch, Arbeitsposition usw., psychomentale Stressoren wie nervliche Beanspruchung, Aufmerksamkeitsanforderungen, Wachsamkeitsprobleme, Schichtarbeit usw. sowie soziale Stressoren …" Wie wahr! Was hat aber die Lichttechnik von dieser von ihr selbst veröffentlichten Weisheit gemacht?

Es gibt einen einzigen Faktor, den man bei der Beleuchtungstechnik in dieser Hinsicht systematisch berücksichtigt hat: Blendung. (Den zweiten Faktor nenne ich weiter unten). Die Art und Weise, wie dies geschehen ist, ist zum junge Hunde kriegen. In zwei Laboren von Lichtherstellern (GE und Philips) hat man 1947 bzw. 1960 Versuche gemacht. In deren Folge wurden zwei Verfahren zur Blendungsbewertung (Luckiesh und Guth bei GE, Söllner bei Philips) aufgestellt. Schlappe 50 Jahre später wurde daraus - auf dem Papier - ein drittes Verfahren errechnet. Das nennt sich UGR wie unified glare rating. Jede Leuchte, die man kaufen kann, erhält zwei Werte, einen für Blick in Querrichtung, einen für 90º gedrehten. Im Lampenkatalog stehen die Werte dreistellig, z.B. UGR l = 16.2, UGR q = 16.3 (l = längs, q = quer). Die Verfahren erlauben aber nicht einmal eine einstellige Angabe, weil keines der drei Verfahren validiert werden konnte.

Nicht nur das. Validieren heißt, dass ein angegebener Wert eine nachweisbare Bedeutung hat. Dafür muss das Verfahren reliabel sein, d.h. für eine bestimmte Lichtsituation muss es immer den gleichen Wert ergeben. Dazu heißt es, die Versuche seien nicht wiederholbar. Aber auch die Ergebnisse, die Angaben zu Leuchten, sind kaum wiederholbar, denn es heißt:"Ein einzelner UGR-Datenblattwert ist nur dann eine Eigenschaft der Leuchte, wenn diese sich in dessen speziellem Standardraum mit definierten Eigenschaften befindet. In der Praxis kann der UGR-Wert wesentlich anders aussehen, er dient lediglich als eine Art grobe Orientierung für den Planer." (aus ZVEI Positionspapier - UGR-Verfahren Anwendung und Grenzen - Unified Glare Rating", Oktober 2021). In diesem Positionspapier werden insgesamt 12 Grenzen der UGR-Verfahrens aufgezeigt, die von den Grenzen der Basis (UGR-Formel) bis Grenzen durch Alterung der Anlage reichen. Fragt sich, wozu sich das Verfahren überhaupt eignet. Der ZVEI meint genau dazu: "Der einzelne UGR-Datenblattwert für den überschlägigen Leuchtenvergleich". Und das nach 110 Jahren Forschung zu Blendung. Alao mea culpa. Wir haben unser Bestes gegeben. War aber nicht gut genug.

Immerhin besteht Hoffnung, denn die LiTG hat sich nach 111 Jahren umbenannt in "Deutsche Gesellschaft für LichtTechnik und LichtGestaltung". Es kann also nicht mehr sehr lange dauern, bis man von Blendungsvermeidung zu einer menschengerechten Gestaltung kommt. Das Ziel ist bereits ausgemacht: "Beleuchtung dient der Schönheit und Gesundheit", so nach DIN 5035 Innenraumbeleuchtung mit künstlichem Licht von 1935. Die Umsetzung folgt auf dem Fuß!

Dass die Verfahren von Luckiesh und Guth sowie Söllner nicht reliabel waren, wussten die Leute, die das UGR-Verfahren ausgearbeitet haben. Und Versuche, UGR zu validieren, sind fehlgeschlagen. Kein Wunder, denn alle Versuche waren ohne irgendwelche zusätzliche Belastung durchgeführt worden. Nach Hartmann und Müller-Limmroth hätten sie daher nie zu einem validen Ergebnis führen können: "… bei der Bewertung irgendeines Umweltfaktors am Arbeitsplatz immer die Gesamtheit aller Stressoren zu berücksichtigen." Da den beiden Herren aber die Situation bekannt war, hätten sie durchaus den Umstand nennen müssen. So etwa könnte es lauten "Trotz der bereits von Thomas Edison erkannten herausragenden Bedeutung der Blendung wurden bislang keine adäquaten Studien angestellt, um die Beleuchtung von Arbeitsstätten stressfrei zu gestalten." Stress durch einen systematischen Mangel an der Beleuchtung war durchaus gegeben. Und dies war direkt mit der Leuchtstofflampe verbunden, weil alle Versuche mit der Blendung einer geräuschlosen Einführung dieser Lampe dienten.
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Es gab mindestens einen weiteren Stressfaktor, das war Flimmern. Der Effekt war bereits bei der Einführung der Leuchtstofflampe bekannt. Man argumentierte aber, dass das menschliche Auge das Flimmern nicht sehen könne, weil dies mit hinreichend hoher Frequenz geschah (100 Hz und Europa, 120 Hz in den USA). Tatsächlich kann das ruhende menschliche Auge Schwankungen mit dieser Frequenz nicht auflösen. Warum beschwerten sich aber so viele Menschen? Erstens, weil das menschliche Auge bei der Arbeit nicht ruht. Und zweitens die Ermittlung der FVF (Flimmerverschmelzungfrequenz) fehlerhaft war. Diese wurde mit kleinen Lichtquellen im Zentrum des Auges ermittelt. Beleuchtungsanlagen erstrecken sich aber über den ganzen Himmel von Arbeitsräumen. Der Faktor Flimmern wurde so lange geleugnet, bis es eine richtige Lösung gab: Elektronisches Vorschaltgerät. Dass die Beschwerden einen realen Hintergrund hatten, wurde in einem EU-Projekt experimentell nachgewiesen (Wilkins, A.J.; Nimmo-Smith, I.; Slater, A.I.; Bedocs, L.: Fluorescent lighting, headaches and eyestrain, Lighting Research and Technology, 1989, S. 11-18). In einem Bürohaus verschwanden die Hälfte der Kopfschmerzen durch flimmerfreies Licht.

Übrigens, Flimmern ist wieder zurück, als flicker. In Brüssel ringt die Lobby der Lichttechnik mit der EU-Kommission darum, wie hoch LEDs flimmern dürfen. Dabei war es bereits vor der Einführung der LED als Beleuchtung bekannt, wie man sie flimmerfrei betreibt. Wer keine persönliche Begegnung mit Flimmern hatte, möge zu einer belebten Straße in einer deutschen Stadt gehen oder zu einem Bahnhof. Dort flimmern die Fahrradlichter, wenn einer langsam fährt oder schiebt. Gestern kamen mir bei Sonnenschein Dutzende Fahrräder einer Öko-Gruppe an einem Berg entgegen. Die Lahmen flimmerten, die Schnellen machten eine Weiterfahrt unmöglich. Sie blendeten schlimmer als die viel beschimpften SUVs. Langsam wird mir klar, warum die "Fachleute" der EU, die die neue Richtlinie bearbeiten, nicht vom Fach sind, aber mindestens einer aus der Walachei.

Wie man sieht, hatten unsere Väter gar keinen Grund, sich über das Licht der Leuchtstofflampe zu beschweren. Die Pandits von damals, Schober, Hartmann und Müller-Limmroth, haben sich echt Gedanken darüber gemacht. Sie sagten abschließend: "Es gilt auch heute noch die alte Feststellung [von 1961], daß Sehstörungen bei Leuchtstofflampenlicht auf nicht einwandfrei korrigierte Refraktionsanomalien, auf unzweckmäßige Installation der Beleuchtungsanlage oder auf Sehanforderungen zurückzuführen sind, denen der betreffende Mitarbeiter auch bei einwandfreier Korrektur nicht gerecht werden kann." Wir müssen nur noch auf eine zweckmäßige Installation der Beleuchtunganlage warten! Ansonsten eine andere Brille kaufen oder die Arbeit wechseln.

Alternativ kann man darauf warten, dass die Wissenschaft der Technik hilft, das Phänomen Blendung zu verstehen und ihre Produkte danach zu bauen. Es besteht berechtigte Hoffnung darauf, wie der Beitrag von Prof. Völker, TU Berlin, zum 100, Jubiläum der Deutschen Gesellschaft für Lichttechnik (LichtGestaltung fehlte noch für weitere 11 Jahre) zeigt. Er führt aus: "Der vorliegende Beitrag zeigt, dass es möglich scheint, die vorhandenen Blendungsbewertungsmodelle auf ein Modell zurückzuführen. Zurzeit fehlen noch einige Einflussgrößen, welche aber bereits in Kürze vorliegen dürften. Diese müssen anschließend für alle Anwendungsfälle (Innen-, Außen-, Kfz-, Sportstättenbeleuchtung, etc.) validiert werden.“ Die Entwicklung eines Blendungsmodells würde nach Meinung von Völker gar noch mehrere Dissertationen erfordern. Will sagen, wir wissen nicht, was Blendung ist. Welche dieser Dissertationen heute nach 10 Jahren entstanden sind, steht nicht in der Literatur. Man wird aber hoffen dürfen.

Im Jahre 2021 veröffentlichte eine erlauchte Medizinergruppe, die erste Garde der internationalen Forschenden zu nichtvisuellen Wirkungen der Beleuchtung, ein Memorandum, das zu diesem Schluss kommt: "Ocular light exposure has important influences on human health and well-being through modulation of circadian rhythms and sleep, as well as neuroendocrine and cognitive functions. Current patterns of light exposure do not optimally engage these actions for many individuals, but advances in our understanding of the underpinning mechanisms and emerging lighting technologies now present opportunities to adjust lighting to promote optimal physical and mental health and performance." (In Klartext : Die Lichtexposition des Auges hat einen wichtigen Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden des Menschen, indem sie den zirkadianen Rhythmus und den Schlaf sowie die neuroendokrinen und kognitiven Funktionen moduliert. Die derzeitigen Lichtexpositionsmuster wirken sich bei vielen Menschen nicht optimal auf diese Funktionen aus. Fortschritte im Verständnis der zugrundeliegenden Mechanismen und neue Beleuchtungstechnologien bieten nun jedoch die Möglichkeit, die Beleuchtung so anzupassen, dass eine optimale körperliche und geistige Gesundheit und Leistungsfähigkeit gefördert wird." Vorerst gelten die Empfehlungen nur, wenn die Sonne scheint. Zwischen 19:00 Uhr und 06:00 morgens darf man nur wenig Licht machen. Für die Arbeitnehmer, die nachts arbeiten und alle Leute, die auf ihrem Handy rumfummeln, wird man sich was überlegen. Echt! Versprochen.

Es besteht also Hoffnung!

 

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Von Beleuchtungsstärken und anderen Irrtümern

26.03.2024
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In den letzten Tagen habe ich einige Zeilen verfasst zu DIN EN 12464-1, die ihre Bestimmungen betreffen. Darunter finden sich zwei wichtige Aspekte: Beleuchtungsstärken an Decken und das Helligkeit-Konzept. In Wirklichkeit betreffen beide dieselbe Misere. Unsere Regelwerke zur Beleuchtung werden seit einigen Jahrzehnten praktisch nur von Leuchtenfirmen gemacht und diese interessieren sich meistens nur für das Beleuchten, aber nicht für die Ziele der Beleuchtung. Eine Beleuchtung ist kein Selbstzweck, sie ist Teil des Raumkonzepts. Und Aufgabe des Raumkonzepts ist es, die Arbeit darin zu unterstützen, zu fördern und erträglich zu machen.

Was trägt die Beleuchtungsstärke an der Decke einer Abflughalle zu der Arbeit in dieser bei? Was hat die Seh-Aufgabe der dortigen Arbeitenden mit der Gestaltung dieser Halle gemein?

Die zweite Frage wär: Warum beschreibt eine Norm, wie man mit Beleuchtungsstärken an den Wänden Helligkeit erzeugt? Wenn ich beide Fragen verbinde, wird die Sache noch wirrer: Warum gibt eine Norm Beleuchtungsstärken an der Decke einer Abflughalle vor, wenn die Helligkeit in dieser kaum etwas mit dem Licht an deren vier Wänden zu tun haben kann, weil diese paar Dutzend Meter entfernt sind?
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Zunächst zum Grund der Misere: Es ist grundsätzlich falsch, Helligkeit mit Beleuchtungsstärken erklären zu wollen. Licht bleibt unsichtbar, bis es auf Materie trifft. Wenn es das tut, erzeugt es eine Leuchtdichte. Allerdings hängt diese von den Reflexionseigenschaften der Materie ab. DIe Leuchtdichte einer dunkel gefärbten Decke bleibt gering, egal wie viel LIcht darauf geschickt wird. Wenn diese Decke aber selber (teilweise) leuchtet, muss sie nicht beleuchtet werden. Warum sagt uns die Norm das nicht, obwohl es jeder weiß?

Die Antwort einfacher Art wäre, die Industrie will das nicht. Die komplette Antwort ist, es ist zudem verdammt schwierig, mit Leuchtdichten umzugehen. Nur langweilige graue Flächen haben eine Leuchtdichte, die in allen Richtungen gesehen gleich bleibt. Alle realen Objekte weichen mehr oder weniger stark davon ab. Trotz aller Schwierigkeiten wird aber in der Straßenbeleuchtung seit über 50 Jahren mit Leuchtdichten gearbeitet (Bild aus Hentschel, 1972). Man kann ja einer Stadtverwaltung schlecht erzählen, die sollten den Asphalt aufhellen, damit die Beleuchtung funktioniert. Büroorganisatoren lassen sich aber gefallen, dass sie ihre Decken weiß streichen müssen. Warum sich Mühe geben, wenn keiner meckert?

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Warum muss man sich Gedanken über eine Beleuchtungsstärke an der Decke machen? EIne solche Frage war einst überflüssig, weil man wusste, dass eine dunkle Decke erstens die Blendung durch die Lichtquellen verstärkt. Und zweitens weil schon eine Ewigkeit gelehrt wird, dass eine angenehme und stabile Wahrnehmung einer gebauten Umwelt ausgeglichene Leuchtdichten im Gesichtsfeld erfordert. Dennoch fragte niemand danach, weil viele Leuchten so gebaut wurden, dass ihr Licht den gesamten Raum aufhellte. Das erste der Bilder rechts ist etwa 10 Jahre alt, das darunter 93 Jahre!
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Und dieses Bild zeigt ein heute übliches Büro mit modernster LED-Beleuchtung. Man wusste schon 1970, dass man eine solche Beleuchtung nicht betreiben sollte. Wer sie dennoch haben will, müsste extra Leuchten installieren, um die Decke zu beleuchten. Die neue Version von DIN EN 12464-1 erklärt warum und verlangt danach. Man wird sie aber so gut wie nirgendwo vorfinden. Aber fast überall die rechts gezeigte Lichtverteilung, wenn der Akustikberater sich in einem Haus ausgetobt hat! Egal wie viel Licht man hier erzeugt, Helligkeit bewirkt man damit nie.
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Eigentlich muss ich nicht mehr erklären, warum die Norm Beleuchtungsstärken auf den Wänden fordert. Wenn die Wände bloß da wären. In der ganz oben gezeigten Abflughalle kann man sich die Beleuchtungsstärken auf den Wänden schenken. In dem kleinen Kabuff, der eher einem modernen Büro entspricht, wären sie wirksam, so man sie installieren könnte. Da bei der Beleuchtung einer Arbeitsstätte alles von oben kommt wie in der Bibel, werden Leuchten, wenn überhaupt, oben an dem Deckenrand befestigt und heißen Wallwasher. Und sie könnten etwas Helligkeit spenden, wenn nicht der Innenraumgestalter auf edle Farben schwört wie hier gezeigt. Was nützt mir Beleuchtungsstärke, wenn das Licht auf Dunkel trifft?

Wenn einer wirklich hell will, muss er …

  • erstens die Leuchtdichten vorgeben und
  • zweitens deren Verhältnis zueinander,

denn Helligkeit ist keine physikalische Größe, sondern eine Empfindung, die sowohl von der Leuchtdichte als auch von deren Verhältnis abhängt. Wer nur Beleuchtungsstärken vorschreibt, erntet womöglich das, was rechts zu sehen ist. EIne normative Tabelle zu Beleuchtungsstärken bestand 1931 aus 12 Zeilen mit einer Spalte. Die Norm 12464-1 von 2021 ist 128 Seiten lang mit Tabellen, die 60 Seiten füllen und jeweils 9 Spalten haben, die 9 Anforderungen stellen. Wer die Tabellen liest, muss dazu nachgucken, ob da Bildschirme eingesetzt werden. Was er dann machen soll, steht nicht etwa in den 128 Seiten.

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KI-Träume und lichttechnische Normen

21.03.2024
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Anders als sich der freie Bürger vorstellt, auch mal ohne Normen leben zu können, wird unser Dasein von Normen bestimmt. Beispiel dieser Blog. Dass jemand diese Zeilen lesen kann, verdanken wir …? Wenn die Geschichte nicht in der Steinzeit anfangen soll, wo der Hammer erfunden wurde, fangen wir bescheidener bei Siemens an. Ohne seine Dynamomaschine hätten wir keinen Strom. Aber auch mit dieser Maschine hätten wir keinen, wenn es keine Normen der Elektrotechnik gegeben hätte. In 1896 veröffentlichte die Elektrotechnische Zeitschrift (ETZ) den Vorläufer der heutigen DIN VDE 0100 „Errichten von Niederspannungsanlagen“. Die Quelle, an der ich diese Weisheit getankt habe, erzählt, die Normung sei viele tausend Jahre alt. In jüngster Zeit , etwa 1000 v.Chr. habe die Bibel, also Gott, ein Wörtchen für die Normung eingelegt: „Ihr sollt nicht unrecht handeln im Gericht, mit der Elle, mit Gewicht, mit Maß. Rechte Waage, rechte Pfunde, rechte Scheffel, rechte Kannen sollen bei euch sein […]“ (3. Buch Mose, Kapitel 19, Vers 35-36).

Lange nach Gott hat ein Tim-Berners Lee das WWW erfunden und postuliert, dass jeder möge in den Stand gesetzt werden, im Internet zu kommunizieren, d.h. zu lesen und zu "posten". Viele tausend Normen später, sind wir recht nahe bei dem Ziel angelangt. Nicht nur Deutsche können ihre komischen Schriftzeichen mit Ober- und Unterlängen - fast komplett - abbilden. Ich sage fast, denn wenn sie ihr häufigstes Schriftzeichen " " (so gut wie nichts) im Namen einer Datei benutzen, wird es entweder gekürzt und aus "Mein Allerliebster" wird "MeinAllerliebster". Was zu verschmerzen wäre, weil man im Mittelter das Leerzeichen auch nicht kannte. Aber gewöhnlich wird die Leerstelle durch   ersetzt. So las sich der Titel eines Dokumentes, das ich gestern bekam
NA023BR N1054 Vorschlag  Name, Arbeitsgebiet und Arbeitsweise des NA 023 BR-02 SO (NA 023 BR-02 SO N 4)

Ungewollt habe ich gerade demonstriert, was eine fehlerhafte Normung produziert*). Die korrekte Normung (hier gemeint UNICODE) hat 1.114.112 Codepunkte, wobei derzeit über 96.000 Codepunkten ein Zeichen zugeordnet ist. So können Sie gerne Nagari oder Hmong schreiben oder gar in Altanatolischen Hieroglyphen. Ihren letzteren Text können sie Cypro-Minoan übersetzen, um festzustellen, ob die Minoer (Kreta) über Zypern die Hieroglyphen der Anatolier beeinflusst haben können. Aber ein simples Leerzeichen in einen Dateinamen in Englisch können Sie nicht einfügen.
*) Die Zerstörung des Layouts oben ist entstanden, weil meine Anwendung auch in der gleichen Sprache geschrieben ist.
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Die so unwahrscheinlich erfolgreich erfolglose Normung setzt auf AI, das ist der Ursprung von KI wie künstliche Intelligenz. Bislang wurden Normen von natürlichen Intelligenzen geschrieben, die sich zu einer mehr oder weniger intelligenten Gruppe namens Ausschuss zusammensetzten, um eben eine Norm zu verfassen. Keine Sorge, ich wiederhole nicht den genormten Witz, dass der Name des Gremiums Programm sei.

Wo KI unbestritten erfolgreich ist, beim Übersetzen, habe ich die Begriffe aus dem Quiz vom 17.03.2024 mir übersetzen lassen. Bingo. So wurde "Mindestwert der mittleren Beleuchtungsstärke an Decken" übersetzt als "Minimum value of average illuminance on ceilings". Die Übersetzung ist sogar korrekter als das Original. Selbst mein Kandidat fürs Scheitern "Sichtbarkeit der Sehaufgabe" wurde perfekt übersetzt. Diesen Kandidaten hatte ich ausgewählt, weil der Ausschuss, der diese Begriffe benutzt hat, die Sehleistung auf eine lustige Art definiert hatte: Sehleistung = "Leistung des visuellen Systems, wie sie beispielsweise durch die Geschwindigkeit und die Genauigkeit gemessen wird, mit welcher eine Sehaufgabe gelöst wird." Wie man Mathe-Aufgaben löst, wusste ich als Schüler, aber wie man Sehaufgaben löst? Die muss man erst einmal sichtbar machen. Muss man deswegen die Beleuchtungsstärke an Decken festlegen und die mitteln?
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Da ich die Frage nicht selber beantworten konnte, rief ich einen Kollegen an, der so Einiges an tollen Beleuchtungsprojekten erfolgreich hinter sich gebracht hat. Doch diesem war noch nicht aufgefallen, dass man Beleuchtungsstärken an Decken planen muss. Zwar wusste jeder Lichtplaner auch ohne Norm, dass die Decke - wovon auch immer - nicht dunkel sein darf. Aber seit der Erfindung der Deckeneinbauleuchte kam keiner auf die Idee so etwas zu verlangen.

Zu Beginn musste auch keiner eine Beleuchtungsstärke an der Decke vorgeben. Denn die Decken waren recht großflächig mit Leuchten belegt. Da musste niemand sie extra beleuchten. Deren Leuchtdichten waren gering, und sie blendeten deswegen nicht. Die Malaise begann, als die Lampen "effizienter" wurden. Sie wurden immer kleiner im Durchmesser. Es half nicht, dass man davor warnte, weil der Blendindex mit dem Quadrat der Leuchtdichte ansteigt. Das Bild rechts zeigt, in welchem Verhältnis die Lampen geschrumpft sind. Man muss dieses nur quadrieren, um die Zunahme an Blendung zu berechnen. So etwa 400 Mal. Glatte Decken, in die die Leuchten eingebettet wurden, damit die Klimatisierung gut funktioniert, wurden Anfang der 1970er Jahre Standard. Die gesamte Technik des Bürohauses sollte in der Decke installiert sein. Die Decken gibt es übrigens immer noch. Schlechtes Licht, um gute Luft zu bekommen, das ist doch ein Deal?

Dann kam die Computertechnik… Koaxkabel, die an den Decken herunter baumeln, sind zwar in Labors kein Problem, aber Büromenschen mögen sowas nicht. Zudem musste man eine Lösung für die Spiegelungen finden. Denn die ersten Bildschirme soiegelten selbst im Lichtlabor. Da kam die Industrie auf die famose Idee, statt einer Entspiegelung der Bildschirme eine entspiegelte Beleuchtung zu erfinden und zu normen. Dazu findet man in diesem Blog einiges (hier und da und dort), aber keine Loblieder. Was ich vermieden habe zu behaupten, ist dass solche Beleuchtungen verboten gehören. Nicht weil ich es will, sondern weil die gültige Beleuchtungsnorm DIN EN 12464-1 für fast alle Arbeitsräume Beleuchtungsstärken an der Decke verlangt. Das ist doch Stand der Technik! Oder?
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Wenn das alles wäre! Nicht nur alle Beleuchtungen mit Einbauleuchten gehören verboten, sondern noch viel mehr. Denn DIN EN 12464-1 beschreibt zwei alternative Verfahren, mit denen die Beleuchtung optimal wird. Der Einfachheit halber führe ich das von Govén an. Der hat auf der 28. Session der CIE in Manchester (Datum nur Eingeweihten bekannt) erzählt, dass die Beleuchtung der Umgebung wichtig sei. weil die die Helligkeit bestimmt. Und die Helligkeit sowieso wichtig ist. Um diese zu berechnen, muss man die Beleuchtungsstärke auf allen vier Raumwänden und an der Decke messen und natürlich erst jede für sich mitteln, um sie dann noch einmal zu mitteln und danach durch fünf teilen. Dann hat man die "mean ambient illuminance", auf Deutsch "mittlere Beleuchtungsstärke der Umgebung". Dumm nur, dass in Deutschland eine der vier Wände mit Fenstern bestückt ist. Da fliegt das Licht zum Fenster hinaus. Die fünfte Fläche, der Fußboden trägt zur Helligkeit wenig bei, weil man ihn aus praktischen Gründen dunkel macht. Zudem:  Wer sieht den Fussboden eines Büros, wenn er an einem Tisch mit einem oder mehreren Bildschirmen sitzt?

Aber lassen wir die Theorie Theorie sein und gucken uns die Physik eines Arbeitsraums an. Die Beleuchtungsstärken auf den Wänden sind Vertikalbeleuchtungsstärken, also fiktive Werte, weil die Erzeuger, die Leuchten fast nur an der Decke angebracht werden. Wo die Leuchten sitzen müssten, um eine Beleuchtungsstärke Richtung Decke zu erzeugen, muss man nicht lange suchen. Etwa auf dem Fussboden oder zwischen diesem und der Decke. D.h. das sind abgehängte Leuchten. Wenn die Räume aber nur 2,50 m hoch sind und die Decken glatt, wird es schwer damit. Der Büroraum rechts im Bild ist etwa der "Stand der Bürogestaltung". Zudem gilt die Überlegung wohl nur für Räume. die dem Kasten ähnlich groß sind, den ich gezeichnet habe. Wenn die Bude nicht 20 m2 groß ist, sondern 200 m2, kann man die Beleuchtungsstärke an den vier Wänden und der Decke steigern wie man will, es wird nicht hell darin. Nicht umsonst sind Industrieleuchten fast alle Deckenleuchten. Sogar die unverdächtigen Stehleuchten für die vollkommen indirekte Beleuchtung sind Quasi-Deckenleuchten, weil sie die Decke als Reflektor benutzen.

Dem Herrn Goven wäre anzuraten, sich die Umgebung aus der Sicht eines arbeitenden Menschen anzusehen. Für den wird die Helligkeit durch die Bildschirme und Tische bestimmt, ggf. durch senkrechte Flächen wie Stellwände. Das aber war nicht mein Punkt. Ich frage mich, wie oben ausgeführt, wo die Leuchten installiert werden sollen, die Vertikalbeleuchtungsstärken auf den Wänden optimal erzeugen? In allen Büros, die ich kenne, hängen die alle an der Decke. Und wenn sie nicht dort hängen, stehen sie darunter. Das ist kein Naturgesetz, aber eine zwangsläufige Folge der Bürohausarchitektur (siehe das Konzept der "Haut-und-Knochen-Architektur von Mies van der Rohe oder das Modulsystem für Büroraumdimensionen).

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