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Irren ist menschlich - Künstliches Licht wird gesund- Irgendwann …

24.04.2024
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Heute ist mir ein historisch wertvolles Dokument in die Hände gefallen, das für viele von uns den Alltag im Arbeitsleben mitbestimmt. Es wurde von zwei Herren geschrieben, die ich einst gut kannte. Sie berufen sich auf einen anderen Herrn, den ich auch mal kennenlernen durfte. Dessen Titel nimmt in der Publikation eine ganze Zeile ein: Herr Prof. Dr. phil. Dr. med. Dr. med. h. c. Herbert Schober. Einst ein Name wie Donnerhall! Da muss man vor Ehrfurcht erstarren, zumal die anderen Herren, die als Autor genannt werden, auch nicht über viel kürzere Titel verfügten, Herr Prof. Dr. rer. nat. Erwin Hartmann und Herr Prof. Dr. med. Wolf Müller-Limmroth. Echte Pandits ihrer Zunft. Bei so viel Kompetenz muss man deren Schrift als so eine Art Bibel betrachten. Da steckt Wahrheit drin!.
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Das Dokument stammt vom Juni 1981 und baut auf einem einem Gutachten von Schober von 1971 auf. Wer Schober war? Die Koryphäe was Sehen und Physiologie angeht. Bereits 1950 hatte er sich zu Worte gemeldet. Sein Artikel in Lichttechnik hieß "Die angeblichen Sehstörungen bei Beleuchtung durch Entladungslampen". Übrigens, die angeblichen Störungen gibt es heute 75 Jahre später noch. Bei mir steht er mit dem folgenden Satz im Gedächtnis: „Erst die Einführung der Leuchtstofflampen hat es ermöglicht, zwei alte Wünsche der Technik zu erfüllen, nämlich die Arbeit in fensterlosen und genau klimatisierten Räumen auf der einen Seite und die von der Tageszeit unabhängige kontinuierliche Maschinenarbeit auf der anderen Seite.“ Wenn das so allein da stünde, hätte ich nichts dagegen. Ist ja nur ein Statement, auch wenn nicht ganz so unparteiisch. Das Wörtchen genau vor "klimatisierten Räumen" hätte ich gerne erklärt bekommen. Prof. Schober hat wohl nie in einem klimatisierten Raum gesessen.

Auf dem Kongress, wo diese Worte von 1961 wiederholt wurden, gab es aber noch ein Statement: „Menschen in fensterlosen Fabrikationsräumen haben - sofern diese in arbeitshygienischer Sicht optimal gestaltet sind - keine gesundheitsschädigenden Einflüsse zu befürchten.“ Das war die 6. Arbeitstagung der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und dokumentiert, dass die deutschen Arbeitsmediziner dem Tageslicht keine hygienische Bedeutung beimaßen. Diese Tagung lief zum Thema "Der fensterlose Arbeitsraum". Könnte auch "Eine Welt ohne Sonne" heißen.
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Schobers Gutachten von 1961 wurde 1971 aufgefrischt und besagte, dass alle Behauptungen zu gesundheitlichen Wirkungen vom Leuchtstofflampenlicht irgendwie falsch seien. Leider liegt mir das Urdokument nicht vor. Aber darauf kommt es nicht an, weil weitere zwei hochdekorierte Herren im Jahre 1981 seine Ausführungen wieder aufnahmen. Das Jahr 1971 war übrigens nicht so eine Zahl wie jede andere. In dem Jahr veranstaltete die LiTG eine Sondertagung "Auge-Licht-Arbeit" in Karlsruhe, bei dem es um fensterlose Arbeitsräume ging. Auf dieser Tagung ging der spätere Vorsitzende des Normenausschusses Beleuchtung, H.-J. Hentschel, sogar noch weiter als andere: „Hohe Ansprüche an die Beleuchtung, wie sie in der künstlichen Beleuchtung gestellt werden, können nicht befriedigt werden.“ Ergo: Die Menschen haben es besser, wenn man das Tageslicht aussperrt und ihre Arbeitsräume nur noch künstlich beleuchtet. Hentschel wusste im Übrigen nicht, dass sinngemäß dasselbe in einem Buch von Luckiesh und Pacini im Jahre 1926 gestanden hatte. Und der im Bild an der Seite dozierende Prof. C. T. Larson bereits 1965 diese Weisheit wissenschaftlich ermittelt zu haben glaubte.

Dummerweise bauen Menschen Fenster nicht wegen der Beleuchtung in ihre Behausungen ein. Diese dienen vornehmlich der Belüftung. Während man ohne Licht leben kann, auch wenn nicht allzu fröhlich, ist ein Leben ohne Luft nur in der Tiefsee möglich, wo riesige Würmer an schwarzen Schloten vom Schwefel leben. Naturverbunden, aber nicht ganz menschenwürdig. Aber die Lösung war längst da. Die künstliche Klimatisierung war zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfunden worden. In den USA war man bereits in den 1930ern dabei, unterirdische Städte zu entwerfen. Aber ein gewisser Georg Rössler vom Institut für Lichttechnik in Berlin war der Meinung, Menschen bräuchten eine Kommunikation mit ihrer Umwelt. Dem widersprach ein gewisser Weber, Autor von "Praktische Erfahrungen bei fensterlosen Arbeitsräumen", und stellte die glanzvolle Zukunft so dar: "… richtige Dosierung folgender Reize: Eine Luftbewegung durch die Klimaanlage, akustische Reize durch die Maschinen, stärkere optische Gestaltung durch die Farbgestaltung sowie letztlich durch die Tätigkeit am Arbeitsplatz selbst." Was braucht der Mensch noch? Rösslers Idee (mehr dazu hier) kam 1975 in die Arbeitsstättenverordnung und ist im Jahr 2024 immer noch dort. Vom Herrn Weber mit dem Ideenreichtum ohnegleichen fehlt bis auf die zitierte jede Spur.  .

Eine Luftbewegung durch die Klimaanlage, um ein Frühlingslüftchen ins Büro zu holen? Mindestens zwei Generationen von deutschen Büromenschen, die das besondere Los gezogen hatten, in einem Großraumbüro zu arbeiten, würden dem Herrn Weber nichts Gutes wünschen. Er dürfte sich in einem Großraumbüro auch nicht als Autor dieser Weisheiten outen, ohne sich Sorgen um seine Sicherheit zu machen. Aber Hentschel und ähnlich Denkende kamen ungeschoren davon, weil sie nur in Fachkreisen auftraten. Ihr wichtigstes Problem bildeten ein Prof. Hollwich und dessen Anhänger. Dieser behauptete, Leuchtstofflampenlicht erzeuge Stress und stünde im Verdacht, die Stoffwechselprozesse im Körper zu stören. Sie hätten ein falsches Spektrum. Seine diesbezüglichen Arbeiten füllen eine lange Liste.

In den Jahren ist auch irgendwie der Verdacht entstanden, Leuchtstofflampen könnten Krebs erzeugen. Da musste die Lichttechnische Gesellschaft dagegen halten. Das ganze Gutachten von Hartmann und Müller-Limmroth von 1981 kann kostenlos im Internet abgerufen werden. Ich will nur einige Passagen anführen und kommentieren. Hollwich wird da nicht etwa als ein irregeleiteter Ahnungloser hingestellt, sondern so: "Hollwich hat, und das ist zweifellos verdienstvoll, immer wieder darauf hingewiesen, daß Licht, das vom Auge aufgenommen wird, nicht nur der visuellen Information dient, sondern auch indirekt über den Hypothalamus und die Hypophyse das vegetative Nervensystem und das Endokrinum beeinflussen kann. Damit steht heute zweifellos fest, daß Licht eine stimulierende Wirkung besitzt."

Über 40 Jahre später verändert die hier subsumierte Erkenntnis von Hollwich die Lichtwelt. Allzuweit kann er also nicht daneben gelegen haben. Dennoch wird mit großen Aufwand erläutert, warum seine Vorstellung vom falschen Spektrum grundsätzlich falsch sei: "Das Farbensehen des Menschen basiert also darauf, daß der Lichtreiz, wie immer er auch spektral zusammengesetzt sein mag, von den drei Zapfenpigmenten entsprechend ihren Absorptionskurven absorbiert wird und daraus drei entsprechende Rezeptorsignale resultieren. Aus den Rezeptorsignalen kann nicht mehr eindeutig auf die spektrale Zusammensetzung der erregenden Strahlen zurückgeschlossen werden. Es ist seit langem bekannt, daß das Auge nicht in der Lage ist, die spektrale Zusammensetzung des Lichtes zu erkennen."
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Wie dumm, dass etwa zwei Jahrzehnte später die Chronobiologie nachweist, dass das menschliche Auge so gut mit dem Spektrum umgehen kann, dass alle lichttechnischen Größen eine vom Spektrum der Beleuchtung abhängige Variante bekommen haben. "Bei gleicher Hellempfindung und Lichtfarbe ist es daher nicht vorstellbar, daß biologische Funktionen unmittelbar von der spektralen Zusammensetzung des Lichtes abhängig sind." hieß es 1981 in dem Gutachten. Das Unvorstellbare ist wahr. Kann das wahr sein?

Es geht noch weiter: "Ein Zusammenhang biologischer Funktionen mit der spektralen Zusammensetzung des Lichtes ist aber bei gleicher Hellempfindung und Lichtfarbe nach heutigen Erkenntnissen nicht gegeben." Aber ja, doch! Manche Aussage lässt sich später doch als ziemlich dummes Geschwätz vorführen. So z.B. dieses Statement: "Nachdem es heute wohl kaum noch einen Wissenschaftler gibt, der im Ernst behauptet, daß durch Licht über das Auge, den Hypothalamus und die Hypophyse Krebs entsteht, bleibt aber immer noch die Frage nach der „Streßwirkung durch Licht” zu klären." Erstens gibt es nicht nur einige Wissenschaftler, die das Licht in der Nacht (light at night bzw. LAN) als ernsthafte Forschung betreiben, weil es bis heute nicht aufgeklärte Wirkungen des Lichts gibt, die die Entstehung mehrerer Krebsarten begünstigen. LAN = light at night hat sich zu einem Dauerthema in der Medizin entwickelt. Allerdings zu keinem erfreulichen. Es gibt einen Wirkungspfad, der realistisch erscheint: Licht in der Nacht ist mit einer Unterdrückung des Melatonin im Blut verbunden. Da Melatonin u.a. als Jäger von Krebszellen gilt, bedeutet weniger Melatonin im Blut länger am Tag freie Fahrt für Krebserreger.  Bei bestimmten Berufen ist die WHO davon überzeugt, dass Nacht- und Schichtarbeit Krebs fördert. Und als ein möglicher Faktor gilt Licht. (mehr z.B. hier)
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Lassen wir die großen Krankmacher und reden wir vom Stress. Hartmann und Müller Limmroth haben dazu etwas geschrieben, was heute ebenso bedeutsam ist wie damals. Die Herren wollten eigentlich einen Persilschein für das künstliche Licht ausstellen und fingen die Sache mit dem Stress so an: "Leider ist es heute Mode geworden, bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit von Streß zu sprechen …" Sie schreiben weiterhin, dass man Stress am Arbeitsplatz nicht einem einzelnen Faktor anlasten kann. Auch heute würde niemand etwas anderes behaupten als damals: "Infolgedessen ist bei der Bewertung irgendeines Umweltfaktors am Arbeitsplatz immer die Gesamtheit aller Stressoren zu berücksichtigen. Das sind physische Stressoren wie Lärm, Klima, Beleuchtung, Geruch, Arbeitsposition usw., psychomentale Stressoren wie nervliche Beanspruchung, Aufmerksamkeitsanforderungen, Wachsamkeitsprobleme, Schichtarbeit usw. sowie soziale Stressoren …" Wie wahr! Was hat aber die Lichttechnik von dieser von ihr selbst veröffentlichten Weisheit gemacht?

Es gibt einen einzigen Faktor, den man bei der Beleuchtungstechnik in dieser Hinsicht systematisch berücksichtigt hat: Blendung. (Den zweiten Faktor nenne ich weiter unten). Die Art und Weise, wie dies geschehen ist, ist zum junge Hunde kriegen. In zwei Laboren von Lichtherstellern (GE und Philips) hat man 1947 bzw. 1960 Versuche gemacht. In deren Folge wurden zwei Verfahren zur Blendungsbewertung (Luckiesh und Guth bei GE, Söllner bei Philips) aufgestellt. Schlappe 50 Jahre später wurde daraus - auf dem Papier - ein drittes Verfahren errechnet. Das nennt sich UGR wie unified glare rating. Jede Leuchte, die man kaufen kann, erhält zwei Werte, einen für Blick in Querrichtung, einen für 90º gedrehten. Im Lampenkatalog stehen die Werte dreistellig, z.B. UGR l = 16.2, UGR q = 16.3 (l = längs, q = quer). Die Verfahren erlauben aber nicht einmal eine einstellige Angabe, weil keines der drei Verfahren validiert werden konnte.

Nicht nur das. Validieren heißt, dass ein angegebener Wert eine nachweisbare Bedeutung hat. Dafür muss das Verfahren reliabel sein, d.h. für eine bestimmte Lichtsituation muss es immer den gleichen Wert ergeben. Dazu heißt es, die Versuche seien nicht wiederholbar. Aber auch die Ergebnisse, die Angaben zu Leuchten, sind kaum wiederholbar, denn es heißt:"Ein einzelner UGR-Datenblattwert ist nur dann eine Eigenschaft der Leuchte, wenn diese sich in dessen speziellem Standardraum mit definierten Eigenschaften befindet. In der Praxis kann der UGR-Wert wesentlich anders aussehen, er dient lediglich als eine Art grobe Orientierung für den Planer." (aus ZVEI Positionspapier - UGR-Verfahren Anwendung und Grenzen - Unified Glare Rating", Oktober 2021). In diesem Positionspapier werden insgesamt 12 Grenzen der UGR-Verfahrens aufgezeigt, die von den Grenzen der Basis (UGR-Formel) bis Grenzen durch Alterung der Anlage reichen. Fragt sich, wozu sich das Verfahren überhaupt eignet. Der ZVEI meint genau dazu: "Der einzelne UGR-Datenblattwert für den überschlägigen Leuchtenvergleich". Und das nach 110 Jahren Forschung zu Blendung. Alao mea culpa. Wir haben unser Bestes gegeben. War aber nicht gut genug.

Immerhin besteht Hoffnung, denn die LiTG hat sich nach 111 Jahren umbenannt in "Deutsche Gesellschaft für LichtTechnik und LichtGestaltung". Es kann also nicht mehr sehr lange dauern, bis man von Blendungsvermeidung zu einer menschengerechten Gestaltung kommt. Das Ziel ist bereits ausgemacht: "Beleuchtung dient der Schönheit und Gesundheit", so nach DIN 5035 Innenraumbeleuchtung mit künstlichem Licht von 1935. Die Umsetzung folgt auf dem Fuß!

Dass die Verfahren von Luckiesh und Guth sowie Söllner nicht reliabel waren, wussten die Leute, die das UGR-Verfahren ausgearbeitet haben. Und Versuche, UGR zu validieren, sind fehlgeschlagen. Kein Wunder, denn alle Versuche waren ohne irgendwelche zusätzliche Belastung durchgeführt worden. Nach Hartmann und Müller-Limmroth hätten sie daher nie zu einem validen Ergebnis führen können: "… bei der Bewertung irgendeines Umweltfaktors am Arbeitsplatz immer die Gesamtheit aller Stressoren zu berücksichtigen." Da den beiden Herren aber die Situation bekannt war, hätten sie durchaus den Umstand nennen müssen. So etwa könnte es lauten "Trotz der bereits von Thomas Edison erkannten herausragenden Bedeutung der Blendung wurden bislang keine adäquaten Studien angestellt, um die Beleuchtung von Arbeitsstätten stressfrei zu gestalten." Stress durch einen systematischen Mangel an der Beleuchtung war durchaus gegeben. Und dies war direkt mit der Leuchtstofflampe verbunden, weil alle Versuche mit der Blendung einer geräuschlosen Einführung dieser Lampe dienten.
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Es gab mindestens einen weiteren Stressfaktor, das war Flimmern. Der Effekt war bereits bei der Einführung der Leuchtstofflampe bekannt. Man argumentierte aber, dass das menschliche Auge das Flimmern nicht sehen könne, weil dies mit hinreichend hoher Frequenz geschah (100 Hz und Europa, 120 Hz in den USA). Tatsächlich kann das ruhende menschliche Auge Schwankungen mit dieser Frequenz nicht auflösen. Warum beschwerten sich aber so viele Menschen? Erstens, weil das menschliche Auge bei der Arbeit nicht ruht. Und zweitens die Ermittlung der FVF (Flimmerverschmelzungfrequenz) fehlerhaft war. Diese wurde mit kleinen Lichtquellen im Zentrum des Auges ermittelt. Beleuchtungsanlagen erstrecken sich aber über den ganzen Himmel von Arbeitsräumen. Der Faktor Flimmern wurde so lange geleugnet, bis es eine richtige Lösung gab: Elektronisches Vorschaltgerät. Dass die Beschwerden einen realen Hintergrund hatten, wurde in einem EU-Projekt experimentell nachgewiesen (Wilkins, A.J.; Nimmo-Smith, I.; Slater, A.I.; Bedocs, L.: Fluorescent lighting, headaches and eyestrain, Lighting Research and Technology, 1989, S. 11-18). In einem Bürohaus verschwanden die Hälfte der Kopfschmerzen durch flimmerfreies Licht.

Übrigens, Flimmern ist wieder zurück, als flicker. In Brüssel ringt die Lobby der Lichttechnik mit der EU-Kommission darum, wie hoch LEDs flimmern dürfen. Dabei war es bereits vor der Einführung der LED als Beleuchtung bekannt, wie man sie flimmerfrei betreibt. Wer keine persönliche Begegnung mit Flimmern hatte, möge zu einer belebten Straße in einer deutschen Stadt gehen oder zu einem Bahnhof. Dort flimmern die Fahrradlichter, wenn einer langsam fährt oder schiebt. Gestern kamen mir bei Sonnenschein Dutzende Fahrräder einer Öko-Gruppe an einem Berg entgegen. Die Lahmen flimmerten, die Schnellen machten eine Weiterfahrt unmöglich. Sie blendeten schlimmer als die viel beschimpften SUVs. Langsam wird mir klar, warum die "Fachleute" der EU, die die neue Richtlinie bearbeiten, nicht vom Fach sind, aber mindestens einer aus der Walachei.

Wie man sieht, hatten unsere Väter gar keinen Grund, sich über das Licht der Leuchtstofflampe zu beschweren. Die Pandits von damals, Schober, Hartmann und Müller-Limmroth, haben sich echt Gedanken darüber gemacht. Sie sagten abschließend: "Es gilt auch heute noch die alte Feststellung [von 1961], daß Sehstörungen bei Leuchtstofflampenlicht auf nicht einwandfrei korrigierte Refraktionsanomalien, auf unzweckmäßige Installation der Beleuchtungsanlage oder auf Sehanforderungen zurückzuführen sind, denen der betreffende Mitarbeiter auch bei einwandfreier Korrektur nicht gerecht werden kann." Wir müssen nur noch auf eine zweckmäßige Installation der Beleuchtunganlage warten! Ansonsten eine andere Brille kaufen oder die Arbeit wechseln.

Alternativ kann man darauf warten, dass die Wissenschaft der Technik hilft, das Phänomen Blendung zu verstehen und ihre Produkte danach zu bauen. Es besteht berechtigte Hoffnung darauf, wie der Beitrag von Prof. Völker, TU Berlin, zum 100, Jubiläum der Deutschen Gesellschaft für Lichttechnik (LichtGestaltung fehlte noch für weitere 11 Jahre) zeigt. Er führt aus: "Der vorliegende Beitrag zeigt, dass es möglich scheint, die vorhandenen Blendungsbewertungsmodelle auf ein Modell zurückzuführen. Zurzeit fehlen noch einige Einflussgrößen, welche aber bereits in Kürze vorliegen dürften. Diese müssen anschließend für alle Anwendungsfälle (Innen-, Außen-, Kfz-, Sportstättenbeleuchtung, etc.) validiert werden.“ Die Entwicklung eines Blendungsmodells würde nach Meinung von Völker gar noch mehrere Dissertationen erfordern. Will sagen, wir wissen nicht, was Blendung ist. Welche dieser Dissertationen heute nach 10 Jahren entstanden sind, steht nicht in der Literatur. Man wird aber hoffen dürfen.

Im Jahre 2021 veröffentlichte eine erlauchte Medizinergruppe, die erste Garde der internationalen Forschenden zu nichtvisuellen Wirkungen der Beleuchtung, ein Memorandum, das zu diesem Schluss kommt: "Ocular light exposure has important influences on human health and well-being through modulation of circadian rhythms and sleep, as well as neuroendocrine and cognitive functions. Current patterns of light exposure do not optimally engage these actions for many individuals, but advances in our understanding of the underpinning mechanisms and emerging lighting technologies now present opportunities to adjust lighting to promote optimal physical and mental health and performance." (In Klartext : Die Lichtexposition des Auges hat einen wichtigen Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden des Menschen, indem sie den zirkadianen Rhythmus und den Schlaf sowie die neuroendokrinen und kognitiven Funktionen moduliert. Die derzeitigen Lichtexpositionsmuster wirken sich bei vielen Menschen nicht optimal auf diese Funktionen aus. Fortschritte im Verständnis der zugrundeliegenden Mechanismen und neue Beleuchtungstechnologien bieten nun jedoch die Möglichkeit, die Beleuchtung so anzupassen, dass eine optimale körperliche und geistige Gesundheit und Leistungsfähigkeit gefördert wird." Vorerst gelten die Empfehlungen nur, wenn die Sonne scheint. Zwischen 19:00 Uhr und 06:00 morgens darf man nur wenig Licht machen. Für die Arbeitnehmer, die nachts arbeiten und alle Leute, die auf ihrem Handy rumfummeln, wird man sich was überlegen. Echt! Versprochen.

Es besteht also Hoffnung!

 

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Wann wird das Licht im Büro endlich gesund?

29.03-2024
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Irgendwie habe ich im Laufe der Jahre Zweifel daran bekommen, dass das Licht im Büro gesund wird. Denn schon im Jahre 2021 hatte eine Gruppe aus Pundits, das sind die Weisen, früher alte weiße Männer mit grauen Bärten, heute auch jüngere Damen, befunden, man müsste die Menschen zwischen 07:00 Uhr und 19:00 mit einer starken Vertikalbeleuchtung bescheinen. Naturgemäß müsste das Licht blau-angereichert sein. Diese müsste zudem 250 lx mel-EDI ergeben. Etwa gleichzeitig erschien das Werk von Experten, weniger bärtig und mit einer geringeren Beteiligung an Frauen, die Norm EN 12464-1, die mir erklärte, dass die Vertikalbeleuchtungsstärke in allen Richtungen fegen muss (gestern erklärt hier), auf dass es im Büro hell wird. Die Formel will ich niemandem verheimlichen, sie ist nicht geheim, auch wenn nicht für jedermann zugänglich.Ich meine mental.

Um der Verwirrung keinen Schaden beizufügen, will ich nicht erklären, dass der Index "v" hier nicht visuell bedeutet, sondern vertikal. Der Index amb kommt von ambient wie Ambiente. Der kleine Strich auf dem E bedeutet, man müsse das Licht auf jeder Wand für sich mitteln, dann mit dem Mittelwert an der Decke zusammenzählen, um alles nochmals zu mitteln. Nur das Licht an der Decke hat keine Bezeichnung, denn sie ist keine Horizontalbeleuchtungsstärke, aber auch nicht vertikal. Sie läuft einfach gegen die Wand, pardon, Decke. Ihre Messung gefilmt schlägt jede Slapsticknummer um Längen.

Diese 6 Werte könnte man der Planung der Beleuchtungsanlage entnehmen, so sie jemand versteht. Um auf 250 melEDi zu kommen, muss man das Tageslicht dazu addieren. Leider sagt mir keiner, an welchem Tag des Jahres und zu welcher Tageszeit. Nehmen wir an, das sei am 06.06. um die Mittagszeit. Wie viel Lux vertikal empfangen die Insassen dieses Büros?

Sie sehen niemanden? Die sind alle da und arbeiten. Nur nicht empfangsbereit für gesundes Licht. Das Bild unten zeigt, wenn sie dazu bereit sind. Dumm nur, dass sie aber alle falsch stehen. Dann drehen wir die Cubicle-Farm einfach um. Alle gucken dann zum Fenster hinaus. Was mit der Arbeit ist? Das ist nebensächlich, die macht man im Homeoffice.

Von Beleuchtungsstärken und anderen Irrtümern

26.03.2024
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In den letzten Tagen habe ich einige Zeilen verfasst zu DIN EN 12464-1, die ihre Bestimmungen betreffen. Darunter finden sich zwei wichtige Aspekte: Beleuchtungsstärken an Decken und das Helligkeit-Konzept. In Wirklichkeit betreffen beide dieselbe Misere. Unsere Regelwerke zur Beleuchtung werden seit einigen Jahrzehnten praktisch nur von Leuchtenfirmen gemacht und diese interessieren sich meistens nur für das Beleuchten, aber nicht für die Ziele der Beleuchtung. Eine Beleuchtung ist kein Selbstzweck, sie ist Teil des Raumkonzepts. Und Aufgabe des Raumkonzepts ist es, die Arbeit darin zu unterstützen, zu fördern und erträglich zu machen.

Was trägt die Beleuchtungsstärke an der Decke einer Abflughalle zu der Arbeit in dieser bei? Was hat die Seh-Aufgabe der dortigen Arbeitenden mit der Gestaltung dieser Halle gemein?

Die zweite Frage wär: Warum beschreibt eine Norm, wie man mit Beleuchtungsstärken an den Wänden Helligkeit erzeugt? Wenn ich beide Fragen verbinde, wird die Sache noch wirrer: Warum gibt eine Norm Beleuchtungsstärken an der Decke einer Abflughalle vor, wenn die Helligkeit in dieser kaum etwas mit dem Licht an deren vier Wänden zu tun haben kann, weil diese paar Dutzend Meter entfernt sind?
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Zunächst zum Grund der Misere: Es ist grundsätzlich falsch, Helligkeit mit Beleuchtungsstärken erklären zu wollen. Licht bleibt unsichtbar, bis es auf Materie trifft. Wenn es das tut, erzeugt es eine Leuchtdichte. Allerdings hängt diese von den Reflexionseigenschaften der Materie ab. DIe Leuchtdichte einer dunkel gefärbten Decke bleibt gering, egal wie viel LIcht darauf geschickt wird. Wenn diese Decke aber selber (teilweise) leuchtet, muss sie nicht beleuchtet werden. Warum sagt uns die Norm das nicht, obwohl es jeder weiß?

Die Antwort einfacher Art wäre, die Industrie will das nicht. Die komplette Antwort ist, es ist zudem verdammt schwierig, mit Leuchtdichten umzugehen. Nur langweilige graue Flächen haben eine Leuchtdichte, die in allen Richtungen gesehen gleich bleibt. Alle realen Objekte weichen mehr oder weniger stark davon ab. Trotz aller Schwierigkeiten wird aber in der Straßenbeleuchtung seit über 50 Jahren mit Leuchtdichten gearbeitet (Bild aus Hentschel, 1972). Man kann ja einer Stadtverwaltung schlecht erzählen, die sollten den Asphalt aufhellen, damit die Beleuchtung funktioniert. Büroorganisatoren lassen sich aber gefallen, dass sie ihre Decken weiß streichen müssen. Warum sich Mühe geben, wenn keiner meckert?

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Warum muss man sich Gedanken über eine Beleuchtungsstärke an der Decke machen? EIne solche Frage war einst überflüssig, weil man wusste, dass eine dunkle Decke erstens die Blendung durch die Lichtquellen verstärkt. Und zweitens weil schon eine Ewigkeit gelehrt wird, dass eine angenehme und stabile Wahrnehmung einer gebauten Umwelt ausgeglichene Leuchtdichten im Gesichtsfeld erfordert. Dennoch fragte niemand danach, weil viele Leuchten so gebaut wurden, dass ihr Licht den gesamten Raum aufhellte. Das erste der Bilder rechts ist etwa 10 Jahre alt, das darunter 93 Jahre!
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Und dieses Bild zeigt ein heute übliches Büro mit modernster LED-Beleuchtung. Man wusste schon 1970, dass man eine solche Beleuchtung nicht betreiben sollte. Wer sie dennoch haben will, müsste extra Leuchten installieren, um die Decke zu beleuchten. Die neue Version von DIN EN 12464-1 erklärt warum und verlangt danach. Man wird sie aber so gut wie nirgendwo vorfinden. Aber fast überall die rechts gezeigte Lichtverteilung, wenn der Akustikberater sich in einem Haus ausgetobt hat! Egal wie viel Licht man hier erzeugt, Helligkeit bewirkt man damit nie.
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Eigentlich muss ich nicht mehr erklären, warum die Norm Beleuchtungsstärken auf den Wänden fordert. Wenn die Wände bloß da wären. In der ganz oben gezeigten Abflughalle kann man sich die Beleuchtungsstärken auf den Wänden schenken. In dem kleinen Kabuff, der eher einem modernen Büro entspricht, wären sie wirksam, so man sie installieren könnte. Da bei der Beleuchtung einer Arbeitsstätte alles von oben kommt wie in der Bibel, werden Leuchten, wenn überhaupt, oben an dem Deckenrand befestigt und heißen Wallwasher. Und sie könnten etwas Helligkeit spenden, wenn nicht der Innenraumgestalter auf edle Farben schwört wie hier gezeigt. Was nützt mir Beleuchtungsstärke, wenn das Licht auf Dunkel trifft?

Wenn einer wirklich hell will, muss er …

  • erstens die Leuchtdichten vorgeben und
  • zweitens deren Verhältnis zueinander,

denn Helligkeit ist keine physikalische Größe, sondern eine Empfindung, die sowohl von der Leuchtdichte als auch von deren Verhältnis abhängt. Wer nur Beleuchtungsstärken vorschreibt, erntet womöglich das, was rechts zu sehen ist. EIne normative Tabelle zu Beleuchtungsstärken bestand 1931 aus 12 Zeilen mit einer Spalte. Die Norm 12464-1 von 2021 ist 128 Seiten lang mit Tabellen, die 60 Seiten füllen und jeweils 9 Spalten haben, die 9 Anforderungen stellen. Wer die Tabellen liest, muss dazu nachgucken, ob da Bildschirme eingesetzt werden. Was er dann machen soll, steht nicht etwa in den 128 Seiten.

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Lichtforum 60 zu DIN EN 12464-1 erschienen

16.03.2024
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Die Bilder oben zeigen alle Menschen, die sehr glücklich sind mit dem Licht. Der Leitfaden zu 12464-1 endet mit 4 Seiten Comic strips, die lachende Gesichter wie zufriedene Kunden zeigen. Ich wäre auch glücklich, hätte die Norm die Sachverhalte, die ich hinter die Bilder gepackt habe, vernünftig behandelt:

  • Kriterien zu Bildschirmarbeit unter 5.9: Der angegebene Inhalt ist ein Armutszeugnis. Der Lichtplaner wird nur wenig von dem gebrauchen können, was da steht. Das Wichtigste besteht aus einem Verweis auf eine Norm der ISO, die nicht anwendbar ist. Wer bestimmte Arbeitsplätze nach DIN EN 12464-1 beleuchtet (so. z.B. CAD-Arbeitsplätze oder Retusche) sollte sich in dem Betrieb danach besser nicht sehen lassen. Die Struktur der Norm ist grundlegend falsch. Sie legt 9 verschiedene Anforderungen für Hunderte von Arbeitsplatztypen fest und verweist für den Fall, dass dort Bildschirme benutzt werden, auf ISO 9241-307. Dort kann man nichts finden, was der Planung dient. Richtig wäre, dem Beispiel des Gesetzgebers zu folgen, der vor 10 Jahren schon die Bildschirmarbeitsverordnung abgeschafft hat, weil es kaum Arbeitsbereiche ohne Bildschirme gibt. Ergo gilt die Arbeitsstättenverordnung für alle.
  • Nichtvisuelle Lichtwirkungen: Diese werden genannt und etwas erläutert. Was man damit warum machen soll, steht in den Wolken. Bei mir steht unter Abschnitt 5.6 nur "Variabilität des Lichts". Ansonsten werden die gemeinten Lichtwirkungen in einem Anhang erläutert. Es gibt weder eine Empfehlung noch eine Anforderung dazu.
  • Human Centric Lighting: Auf meinem Computer finde ich kein Dokument, das EN 12464 und HCL verknüpft außer diesem Leitfaden. Seit dieser Begriff erfunden wurde, ist viel Wasser den Rhein runter geflossen. Man hat HCL mit integrative lighting übersetzt und dazu ein ISO-Dokument fabriziert. Deutsche Planer haben zu dem Thema eher den Begriff integrative Lichtplanung ins Ohr geflüstert bekommen, was auf eine integrierte Betrachtung von Tageslicht und Kunstlicht hinausläuft. Das macht Sinn.
  • Modifikatoren: Die im ersten Bild so locker genannten Modifikatoren sind Multiplikatoren für die Beleuchtungsstärke. Nach diesem Konzept sollen die vorgegebenen Wartungswerte für Arbeitsplätze um eine oder zwei Stufen erhöht werden, wenn ein sog. Kontext-Modifikator (oder kontextabhängiger Modifikator) vorhanden ist, z.B. wenn Fehler schwer korrigierbar sind. Die Idee ist so gut, dass sie schon in den 1930er Jahren angewendet wurde. In der Normung stand sie in ISO 8995 "Grundlagen der visuellen Ergonomie; Die Beleuchtung von Arbeitssystemen in Innenräumen" als Grundlage. Doch sie wurde in Deutschland nie anerkannt und auf Betreiben der deutschen Lichttechnik im Jahr 2001 aus ISO 8995-1 gestrichen. Jetzt haben wir sie wieder mit einem bombastischen Namen: Kontext-Modifikator. Früher hieß es, man müsse abschätzen, ob die Sehaufgabe leicht - mittel - oder schwer sei. Danach gab es drei Stufen der empfohlenen Beleuchtungsstärke. Was ist der Unterschied außer dem Namen? Der Kontext-Modifikator von DIN EN 12464-1 modifiziert die Anforderung zur Beleuchtungsstärke. In ISO 8995 galten für jede Stufe andere Blendungsmerkmale.  Ein echter  Unterschied.

Lichtforum 60 zu DIN EN 12464-1 erschienen

16.03.2024
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Heute habe ich erfahren, dass bei licht.de ein Leitfaden zu DIN EN 12464-1 von 2021 erschienen ist. Der Autor ist Peter Dehoff, der Convenor des CEN-Ausschusses, der die Norm erarbeitet hat. Der Autor fragt zu Beginn "Sind Sie neugierig auf die Norm zur Beleuchtung von Arbeitsstätten? Haben Sie Fragen dazu? Oder gar Bedenken, dass 128 Seiten Norm neue Herausforderungen für den planerischen Arbeitsalltag und neue Anforderungen an Beleuchtungsanlagen bedeuten?" (download hier)

Egal ob man neugierig ist oder nicht, ist man als Lichtplaner verpflichtet, sich mit der Norm auseinanderzusetzen. Und das selbst wenn darin kein Buchstabe neu wäre. Denn der Vorgänger dieser Norm war 2011 erscheinen. Damals hatten noch etliche alte Techniken der Leuchtmittel eine Gnadenfrist. Und der Entwicklungsstand der LED-Technik hatte - sagen wir mal nett - viel Luft nach oben. Das hat sich nicht nur ein Bisschen geändert.

Den Leitfaden muss man aber auch dann lesen, wenn man glaubt, alles zu kennen, was zu einer Planung nötig wäre. Das zeigt ein Blick auf die Tabellenköpfe, die auf viel Neues hinweisen. Insbesondere dann, wenn man wissen muss, was erforderlich ist und was modifiziert heißt.