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Gnadenlos global
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09-03-2024

Einer nicht vermeidbaren Verschwörungstheorie zufolge hat alles, was um uns herum länger Bestand hat, eine wissenschaftliche Basis beziehungsweise einen Erfahrungshintergrund. So sind die Tasten auf einer Computertastatur angeblich nicht zufällig so komisch verteilt, dass die wichtigsten Buchstaben wie A oder E mit dem falschen Finger (A mit dem linken kleinen Finger) bedient werden. Vielmehr sei die Verteilung auf die Sprache zurückzuführen. Wäre dem so und hätte ein Linguist die Buchstaben über die Tastatur verteilt, hätte er das E (17,40% aller Buchstaben in deutschen Texten) bestimmt nicht dorthin gepackt, wo man es heute findet,  und das zweithäufigste Zeichen (N 9,78%) ganz woanders. In Wahrheit hat die Verteilung der Buchstaben auf einer deutschen Tastatur nur wenig mit der deutschen Sprache zu tun. War es vielleicht der Erfahrungshintergrund? Auch nicht.

Bei dem Sachgebiet Licht und Beleuchtung wollte die wissenschaftliche Basis die CIE, die internationale Vereinigung der Gesellschaften für Lichttechnik, besorgen. Den Erfahrungshintergrund sollten die örtlichen, besser gesagt nationalen, Gesellschaften in die Praxis bringen, weil diese die nationalen Traditionen und Besonderheiten viel besser kennen. So hatte die IEC, International Electrical Commission, es vor über einem Jahrhundert vorgesehen. Und die IEC ist seit ihrer Gründung die mächtigste Standardisierungsorganisation der Welt, heute mächtiger als gestern.
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Mein letzter Beitrag für den Februar hieß noch "100 Jahre V(λ)-Kurve - Das Jahrhundert des messbaren Lichtes" und handelte davon, wie die Lichttechnik die Kurve kriegte, die einen weltweiten Handel mit Licht ermöglichte. Man konnte also Licht messen. Wie einen Sack Reis, der in China genauso viel wiegt wie in Lampukistan, einem Bundesstaat von Fantasien. Gibt es einen Grund dafür, dass der Reis in New York anders wiegt als in Singapur? Garantiert nicht. So war die V(λ)-Kurve konsequent und normierte diverse Vorstellungen zu Licht, die überall gelten. In April feiern wir ihren hundersten Geburtstag.

Dumm nur, dass der Sack Reis nichts von seinem Wert einbüßt, wenn man das Wichtigste an seinem Gewicht weglässt, die Richtung. Diese ist zwar an jedem Ort der Erde diametral unterschiedlich, da sie zum Erdmittelpunkt zeigt, aber der Unterschied ist irrelevant. Wir merken nichts davon, wenn ein Sack Reis in Berlin genau in die entgegengesetzte Richtung fällt als auf Rarotonga. Galaktisch gesehen ist das wahr. Aber das ist uns egal. Bei uns zeigt die Schwerkraft in die Richtung der Füße, egal wo wir stehen. Licht aber gehorcht nicht der Schwerkraft und geht seine Richtung. Auch wenn die meisten, die Licht ohne Richtung planen, das nicht mehr wahrhaben wollen.

Die Denke der Standardisierung half äußerst erfolgreich, Maße und Maßsysteme über den gleichen Kamm zu striegeln. Das Ergebnis, das Internationale SI-System, gilt global. Ich meine, fast global. Denn drei wichtige Staaten haben es nicht übernommen: Myanmar, Liberia und die USA. Bei Licht war man indes nicht der gleichen Meinung. Misst man quasi-globale Einheiten wie die Lichtstärke, so benutzt man eine SI-Einheit, die Candela. Regelt man Dinge, die in San Francisco genauso gesehen werden können oder gar müssen wie in Posemuckel, sorgte die Hüterin der V(λ)-Kurve, die CIE, mit Regeln für Jedermann dafür, dass alle wissen, wovon sie reden. Sie hatte mit ihrem Wörterbuch der Lichttechnik, gepflegt seit 1938, sogar für die gleiche Wortwahl zum gleichen Sachverhalt gesorgt. Es gab dieses in vier Hauptsprachen. Vorbei seit 1987, als die letzte Version erschienen ist: Da war die CIE noch eine Tochter von IEC. Seit 2011 kennt die CIE nur die englische Version von jedem Begriff. Echt global ist immer noch electropedia, das viel größere Wörterbuch der Elektriker, das jeden Begriff in 14 Sprachen auflistet.

Vollkommen lokal waren aber die Normen für die Beleuchtung von Arbeitsstätten. Bei uns hießen die DIN 5035, weil die erste davon im Jahre 1935 erschienen war. In anderen Ländern arbeitete man andere Regeln aus. Sehr konsequent - denn trotz weltweiter Verständigung sehen die Arbeitsstätten in verscheidenen Ländern zuweilen recht unterschiedlich aus, wie die Arbeit selbst. Einheit in Vielfalt!
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Die Einigkeit bzw. Einheitlichkeit bekam einen Knacks in 1989, als die deutsche Lichttechnik meinte, eine internationale Norm zu Beleuchtung müsste verhindert werden. Diese - seit 1999 sogar deutsche Norm DIN EN ISO 9241-6 - ist zwar keine Beleuchtungsnorm. Das war aber egal. Es stand da etwas zur Beleuchtung drin. Und das darf nicht sein. Ergo? Man tut sein Bestes. Es wurden drei Vorhaben parallel aufgeschient: DIN 5035-7 (deutsch), EN 12464 (europäisch) und ISO 8995 (international).  Die Idee war, irgendeines wird schon klappen. Die Hoffnung trog nicht und tragischerweise wurden alle drei Realität.

So saß man in der Tinte, denn die drei Werke waren, obwohl von fast gleichen Leuten verfasst, unterschiedlich. Uns gelang es, die DIN 5035-7 abzuschießen, weil zwei deutsche Normen mit widersprüchlichen Aussagen - DIN 5035-7 und DIN EN 12464 - keine Möglichkeit sind, sondern eine Unmöglichkeit. So blieb die europäische Norm übrig, obwohl das Gebiet, auf dem sie gilt, im Indischen Ozean anfängt (20° 52‘ 44.04 S, Insel Reunion) und am Nordkap noch nicht aufhört (Norwegen gehört zu CEN). Norwegen selbst hört nämlich in Spitzbergen auf (78° 11′ N). Im Osten fängt das Geltungsgebiet im Kaukasus an (43° 4′ O, die Türkei ist Mitglied im CEN) und hört im Westen in Französisch Guayana auf (52° 19‘ 48 W). ISO 8995 galt überall und nirgendwo. Niemand hat sie angewendet. Und das global!

Was hat dieses riesige Gebiet mit Licht zu tun? Nichts, wenn man die Augen verschließt und ausschließlich über künstliches Licht sinniert. Auch wenn es niemand glauben will, die Ausgabe von EN 12464 für Außen sollte nachts gelten. Als ich den Ausschuss fragte, wo denn nachts wäre und vor allem wann, wurde es peinlich. In Cayenne dauert der Tag fast immer etwa 12 h. Hingegen bleibt die Sonne im Isfjord in der Polarnacht vom 26. Oktober bis 15. Februar vollständig unter dem Horizont. Es ist also Nacht (siehe WIE LANGE DAUERT DIE NACHT?). Was ist mit der Version von EN 12464, die in Arbeitsstätten gilt? Die sagt im Geltungsbreich "Die Beleuchtung kann durch Tageslicht, künstliche Beleuchtung oder eine Kombination aus beidem erfolgen." Ich würde gerne den Lichtplaner sehen, der diese Freiheit im Geltungsgebiet der Norm realisiert (20° 52‘ 44.04 S bis 78° 11′ N und 43° 4′ O bis 52° 19‘ 48 W)
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Was das bedeutet, hat eine Lichtplanerin aus einem extrem langen Land (Chile, Paulina Villalobos) dargestellt. Das Land, in dem sie Beleuchtung plant, beginnt in den Tropen und endet kurz vor der Antarktis. Das obige Bild von ihr zeigt, welchen höchsten Winkel die Sonne einnehmen kann (maximales Azimut). Der niedrigste ist naturgemäß waagrecht - wenn die Sonne gerade untergeht. Zwischen diesen Winkeln liegt der Lichteinfall durch das Tageslicht. Das elektrische Licht ist berechenbar. Es kommt fast immer von oben.

Wie rechnet man nun diese beiden Teile einer Beleuchtung aus, um die Beleuchtungsstärke nach EN 12464 zu bestimmen? Dazu bitte dieses symbolische Bild genauer ansehen.

Kann man das überhaupt? Kaum wenn man an die zu beabsichtigenden Wirkungen denkt. Soll die Beleuchtung senkrecht orientierte Objekte beleuchten (z.B. Gesichter, Wände, Stellwände), wird das Tageslicht immer bedeutsamer sein. Will man eine Akte auf dem Tisch beleuchten, überwiegt zum größten Teil des Tages eine ordentlich geplante elektrische Beleuchtung. Wie man auch rechnet, das Ergebnis trägt die Handschrift eines legendären weiblichen Wesens aus den Schweizer Alpen, des sprichwörtlichen Milchmädchens.

Wer das nicht glaubt, kann sich einen Büroraum im Athen und in Helsinki angucken, über die vier Jahreszeiten fotografieren und das Ergebnis vergleichen. Auch wenn alle Fotos bei Tage gemacht werden, unterscheiden sich die Bilder buchstäblich wie Tag und Nacht. Und das liegt garantiert nicht an der Kamera. Den Unterschied macht die Außenwelt. Und diese ist noch viel unterschiedlicher als Athen bis Helsinki.
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Der Tageslichtquotient ist das Verhältnis der Horizontalbeleuchtungsstärke im Meßpunkt und im Freien. Weiß die Natur, dass man Licht horizontal messen muss?

Was spielt die Horizontalbeleuchtungsstärke für eine Rolle beim Sehen ?

Die Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Beleuchtungsstärke unter Berücksichtigung des Tageslichts sind schon in Deutschland immens (Ausdehnung ca. 800 km in der Nord-Süd-Richtung), in den Grenzen des Geltungsgebiets der Norm ziemlich unmöglich. Wie soll man einen Arbeitsraum in der Arktis mit einem auf dem Äquator vergleichen? Und das ist bei der Aufstellung einer globalen Beleuchtungsnorm erst die halbe Miete. Denn mittlerweile haben Mediziner herausgefunden, dass die so bestimmte Beleuchtung die Gesundheit der Menschen gefährdet: "Der Lichteinfall ins Auge übt wichtige Einflüsse auf die menschliche Gesundheit und das Wohlbefinden aus, indem er die Tagesrhythmen [der Hormone] und den Schlaf, ebenso wie kognitive und neuroendokrine Funktionen verändert. Vorhandene Beleuchtungen genügen diesbezüglichen Anforderungen nicht." (Original hier)
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Demnach sollte in der gesamten Wachzeit zwischen 06:00 Uhr und 19:00 Uhr die Beleuchtungsstärke am Auge über 250* lx liegen. Wenn sich der Körper auf den Schlaf vorbereiten soll, also zwischen 19:00 Uhr und 22:00 Uhr, darf sie nicht mehr als 10 lx betragen. Die ganze Nacht muss es dann dunkel sein.

Die Sache mit der Nacht hatte ich oben erklärt. Was noch fehlt ist die Saison. Diesem Regime können Menschen, die am Äquator leben, schon folgen, so sie abends weder arbeiten wollen noch irgendeine soziale Aktivität entfalten. Bereits nördlich des Mittelmeers, also in der Türkei und in Griechenland bis Spanien, wird es schwer. Denn am Abend um 19:00 Uhr herum finden dort die intensivsten sozialen Aktivitäten im Freien statt (italienisch Piazza). Außerdem kommt der Tag vor 06:00 Uhr morgens und ist um 19:00 abends immer noch da. Es sei denn, es ist Winter. Die Mittel- und Nordeuropäer werden die Sache noch skeptischer Sehen. In Deutschland (Hamburg) geht die Sonne um 04:50 Uhr auf, und der Tag dauert 17,05 Stunden (Sommersonnenwende). So geht die Sonne erst 21:53 Uhr unter. Der chronobiologisch korrekte Tag steht also nur auf dem Papier.

*) Die geforderte Beleuchtungsstärke ist in sog. Tageslichtäquivalenten und beträgt ein Vielfaches der visuellen Lux. Wie man visuelle Lux in melanopische umrechnet, wird hier erklärt.
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Wenn das nur alles wäre! Will man den Forderungen der Medizin folgen, bedeutet das den Abschied von der Basis aller Beleuchtungsnormen, die mehr oder weniger auf der Horizontalbeleuchtungsstärke beruht haben. Die Wirkung dieser ist exakt Null: Wenn Licht von der Decke nach unten geht, dringt es nicht ins Auge ein und kann daher keine "melanopische" Wirkung auslösen. Wer eine melanopische Wirkung auslösen will, schickt das Licht einfach waagrecht. So einfach ist das allerdings nicht, wenn die Leuchten an der Decke sitzen.  Also brauchen wir einen Richtungswechsel.

Leider stehen zwei Dinge dem im Wege: Lichtquellen in der Sehrichtung bedeuten auch Blendung. Und man will nichts von der "Lichtqualität" zurücknehmen, die man allerdings vergessen hatte zu definieren. (hier oder da) So etwa 90 Jahre lang. Und dem waagrecht fliegenden Licht - aka Vertikalbeleuchtungsstärke - stehen in Arbeitsstätten insbesondere zwei physikalische Objekte im Wege: die Akustikpaneele und die Bildschirme. Die ersteren sind Notbehelfe, weil Menschen bei der Arbeit auch Lärm erzeugen, aber ihre Ruhe brauchen. Und die Bildschirme mögen ganz und gar nicht, dass sie beleuchtet werden. Sie erzeugen ihr Licht selbst. Kommt Fremdlicht von der Beleuchtung darauf, verlieren sie Kontrast oder Farbe, meistens beide.

Wer in Sachen Licht und Beleuchtung neue Regeln einführen will, kämpft gegen vier mächtige Gegner, die leider keine Windmühlen sind, sondern physikalische bzw, physiologische Realitäten.
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Derzeit sitzen viele weise Köpfe daran, auch diese in eine globale Norm zu pressen. Die heißt ISO/CIE 8995 und soll global gelten und Folgendes erreichen:

  • Neues Wissen über die gesundheitliche Wirkung des Lichts einarbeiten.
  • Altes Wissen, die nachweislich zu einer Gefährdung der Gesundheit geführt haben soll, beibehalten.
  • Tagsüber die Beleuchtung um ein Vielfaches erhöhen.
  • Nachts den Menschen das Arbeiten ermöglichen, obwohl das Licht dann ihre Gesundheit gefährdet.

Die Sache hat allerdings gleich fünf fundamentale Schönheitsfehler

  • Der vorgegebene Tag existiert in unseren Breitengraden bestenfalls paar Mal im Frühling und im Herbst
  • Ein erheblicher Teil der Arbeitskräfte leistet Nacht- und Schichtarbeit, ein noch größerer Teil verbringt den Abend vor dem Fernseher, im Theater, bei Freunden oder in Lokalen.
  • In Deutschland bereiten sich allenfalls Kleinkinder ab 19:00 Uhr auf den Schlaf vor.
  • Die Bildschirme, die man gerne abends benutzt (Fernseher, Computer, Tablets), produzieren fast genauso viel Licht wie die Beleuchtung am Tage.
  • Man muss die vorhandene Beleuchtung tagsüber um ein Mehrfaches erhöhen.

Vor einer Standardisierung der Beleuchtung über Länder- und Kulturgrenzen hinweg hatte ein guter Freund, der ehemalige Präsident der LiTG, Prof. Gall gewarnt. Nicht etwa leise, sondern vor der größten Versammlung von Fachleuten in Europa. Er kannte sich nicht nur auf dem Fachgebiet sehr gut aus, sondern auch in der gesamten Geschichte des Fachs. So hat er mit Zitaten von früheren Kollegen wie Lax, 1928, Arndt, 1938, Köhler 1952, Hentschel, 1975, Kramer 1998, belegt, warum es Sinn macht. am Althergebrachten zu bleiben, was gar nicht alt klingt. Normen und Richtlinien zur Lichttechnik zu internationalisieren macht Sinn, dasselbe mit Regeln zu Beleuchtung zu betreiben, ist eher Wahnsinn. Als feiner Mensch hat Gall dies nicht so brutal ausgedrückt, aber ziemlich deutlich gesagt. Deswegen hänge ich sein Papier aus dem Jahr 2003 an: “Chancen und Risiken internationaler Vereinheitlichung von Beleuchtungsnormen”. Aufruf hier.

Würde Gall leben, würde er vermutlich sagen : "Leute, bitte…"

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ISO/TR 21783 HCL neu aufgelegt, auch gut aufgelegt?
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29.09.2022

Dieser Tage erschien ein bemerkenswertes Werk. Es ist ein ISO-Dokument, das die biologischen Wirkungen von Licht auf den Menschen dokumentieren wollte. Nun darf man nicht mehr biologische Wirkungen sagen, weil auch das Sehen ein biologischer Vorgang ist. Und was für einer! Das Gehirn verbraucht die Hälfte seiner Energie für visuelle Prozesse. Der Lichttechnik ist aber nicht genug, sich allein damit zu beschäftigen. Man wollte auch die nicht-visuellen Wirkungen normen. Das ist sogar dringend nötig, denn gutes Sehen fördert nicht immer die Gesundheit. Abendliches Licht kann sogar Krebs verursachen, so man den Forschenden glaubt. Diese Theorie ist so neu nicht. Bereits in den 1960ern behauptete jemand, Licht erzeuge Krebs. Die LiTG konterte mit medizinischen Gutachten, die das Gegenteil behaupteten. So wurde die Sache erst einmal Glaubenssache. Seit etwa 20 Jahren weiß man es etwas besser. Die Lichtanwendung, und nicht Licht, kann zur Krebsentstehung beitragen, würde man heute behaupten. Denn man weiß seit 2002, wie Licht Lebensrhythmen beeinflussen kann. Und dass eine falsche Beeinflussung negative Folgen zeitigen kann. Bis zur Krebsentstehung.

Man kann das Wissen auch positiv anwenden und nach Wegen suchen, wie man Licht und Beleuchtung so gestalten kann, dass davon positive Wirkungen herrühren. Die früheren Bemühungen dazu hatte ich vor einger Zeit kommentiert (hier) Jetzt ist ein ISO-Dokument fertig, ein Technical Report. Das ist ein normatives Dokument, das die Fachwelt über ein bestimmtes Thema informiert, ohne dabei Empfehlungen auszusprechen. Das Papier heißt "ISO/TR 21783 Light and lighting — Integrative lighting — Non-visual effects". Das "integrative" Licht ist nicht etwa eine ganzheitliche Betrachtung aller Wirkungen von Licht, sondern es handelt sich um eine Beleuchtung, bei der man neben den visuellen Wirkungen die nicht-visuellen mitbetrachtet, die dann zusammen Vorteile physiologischer und/oder psychologischer Art für den Menschen ergeben. In Deutschland versteht man unter integrativ, eher integriert, eine Lichtplanung, die künstliches und natürliches Licht gemeinsam berücksichtigt, wie sie in der Arbeitswelt auch auftreten.

So etwas wie integratives Licht kennt man schon länger. Z.B. wirken sich manche Farben positiv auf die Psyche aus. Wenn man dies bei der Planung berücksichtigt und auch auf die messbaren Effekte achtet, hätte man schon eine integrative Beleuchtung. Das ist aber nicht gemeint, sondern die Wirkung des Lichts, das in das Auge eindringt und den Tagesverlauf der Hormonausschüttung beeinflusst. ISO/TR 21783 gibt bislang bekannte Erkenntnisse wieder und belegt diese mit Literatur. Womit sollte man sonst neue Erkenntnisse belegen?

Leider, leider ist es verdammt schwer, physiologische Erkenntnisse in der Arbeitswelt zu ermitteln. Etwa die Körperkerntemperatur während der Arbeit messen. Wer will schon bei der Arbeit mit einem Rektalthermometer herum laufen? So musste man auf Studien ausweichen, die mit der Arbeitswelt relativ wenig zu schaffen haben, so z.B. auf Studien aus der Schlafforschung. Man könnte zwar als Lästermaul meinen, die Anwendbarkeit auf Büroarbeit wäre schon gegeben. Das kann ich mir nicht leisten. Allerdings habe ich mich nicht schlecht gewundert, wie die Erkenntnisse zusammen gekommen sind:

  1. Man werte 212 Studien aus und schreibt einen Entwurf der Norm auf deren Basis.
  2. Der Entwurf wird sehr positiv aufgenommen.
  3. Man findet die Erkenntnisse gut, aber die Studien weniger. So verschwinden 183 Studien (-86%) von 212.
  4. Da die restlichen 29 Studien für eine weltbewegende Neuheit zu wenig sind, nimmt man 34 neue, belässt es aber bei den Erkenntnissen, die sind ja gut!
  5. Da jetzt Erkenntnisse und Studien nicht mehr so gut  zusammen passen, beseitigt man die Beziehungen. Es gibt eine Liste von Erkenntnissen und eine LIteraturliste.

Der geneigte Leser kann sich nun damit amüsieren, woher welche Erkenntnis stammt. Da dies auch dem gewieftesten Leser nicht gelingen wird, habe ich eine Analyse selbst gemacht. Hier eine Auflistung der Quellen nach Thema:

  • Therapie: 3 Objekte, davon eines Delirium
  • Krebsrisiko: 3 Objekte
  • Demenz: 4 Objekte
  • Lernerfolg: 3 Objekte
  • Hormonforschung: 2 Objekte
  • Gemütszustände: 6 Objekte
  • Schlaf und Schläfrigkeit: 21 Objekte (von insgesamt 63)
  • Gesundheit: 10 Objekte (im Titel oder Publikationsorgan)

Alle diese Publikationen haben zuweilen Signifikantes dieser oder jener Art ergeben. Was sagen sie aber zur Beleuchtung von Arbeitsplätzen aus? Keine dieser Studien wurde übrigens von Lichttechnikern erstellt. Ich weiß nicht so richtig. Aber manches Statement in dem Dokument lässt aufhorchen: "Integrative lighting could increase academic performance and concentration. There is some evidence from animal models, but limited evidence in human populations …" (etwa "Integrative Beleuchtung kann Konzentration und akademischen Lernerfolg fördern. Es gibt dazu bestimmte Evidenzen aus Tiermodellen, aber nur begrenzt Aussagefähiges aus Humanpopulationen"). Ich schätze, das ist wahr, denn mir ist kein Tiermodell bekannt, das eine akademische Leistung, welche auch immer, erklären hilft.

Die Autoren scheinen ihre eigenen Statements mit Vorsicht zu genießen, Denn sie warnen eindringlich davor, dass Hinz und Kunz eine integrative Beleuchtung planen könnte: Die hier gestellten Bedingungen entsprechen in der Medizin etwa der Apothekenpflicht. Schlimmer noch: Apotheker gibt es an jeder Ecke, Spezialisten für medizinische Wirkungen von Beleuchtung, die sie planen könnten, müssen hingegen noch geboren werden. Sollte es davon doch welche geben, müsste jeder Betrieb echte Spezialisten einstellen, um eine solche Beleuchtung zu betreiben. Und alle Beteiligten müssten unglaublich einfache Dinge berücksichtigen bei ihrem Tun:

  • Benutzereigenschaften (z.B. Altersverteilung, Sehfähigkeit, Gesundheitszustand)
  • Tätigkeitsprofil (vorwiegend stehend, vorwiegend sitzend oder in nur einer Position)
  • Kontrollierbare oder Nicht-kontrollierbare Benutzerpopulation

Was macht eigentlich die Expertentruppe mit diesbezüglichem Wissen, wenn sie es denn bekäme? Sie muss sie beachten, um Folgendes zu bewerten:

  • vorhersehbare Gesundheitsbedingungen, die zu erwarten sind;
  • generalisierte Schlafrhythmen (es ist zu erwarten, dass Teenager andere Schlafgewohnheiten haben als ältere Insassen);
  • die Menge des Lichts am Auge, die benötigt wird, um eine circadiane Aktivierung zu erzeugen, was sich von Person zu Person unterscheidet.

Generalisierte Schlafrhythmen bewerten? Die Lichtmenge am Auge bewerten, die die circadiane Aktivierung zu erzeugen? Diese Aufgabe werden Lichtplaner einem mit Handkuss abnehmen. Solches Wissen nehmen sie mit der Muttermilch auf. Von dem Lichtdesigner wird etwa eine ähnliche Fähigkeit erwartet wie von Clark Kent beim Heben von Lokomotiven samt Brücke, die einstürzen will. Z.B. muss dieser Folgendes können:

  • Es können Konflikte eintreten durch unterschiedliche Bedürfnisse (z.B. durch unterschiedliche Benutzer des gleichen Ortes). Der Designer muss das Problem lösen, ohne die Qualität der Beleuchtung zu beeinträchtigen.

Können vor Lachen. Niemand hat sich bislang die Mühe gemacht, die schützenswerte Qualität der Beleuchtung zu beschreiben. Die Experten sind offenbar lieber auf anderen Gebieten unterwegs, wo sie nicht viel beitragen können.

 

BIOWI MEETS LILE - WEIMARER LICHTTAGE 2022
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10.07.2022

Zwei hoffnungsvoll gestartete Lichtevents gehen endgültig nach Weimar. Und bleiben dort? Warum nicht? Weimar ist nicht irgendeine deutsche Stadt. Nicht nur zwei Männer, deren Name in keiner deutschen Stadt fehlen darf, Schiller und Goethe, haben hier gewirkt. Im Straßenatlas findet man deren Namen fast so häufig wie die "Dorfstraße" oder "Bahnhofstraße". Während Schillers Ode an die Freiheit "An die Freude" eine steile Karriere mit Hilfe eines anderen großen Deutschen, Ludwig van Beethoven, hinlegte, die mit dem Aufstieg zur Europahymne noch nicht am Ende der Fahnenstange angekommen ist, hat Goethe ein Vermächtnis an alle Menschen hinterlassen - verkaufe Deine Seele nicht an den Teufel.

Doch Weimar hat mehr zu bieten - sagen wir mal hätte - als die beiden großen Namen. Viel internationaler fiel ein Weimarer Export aus, das Bauhaus. Da dieses - Das Staatliche Bauhaus in Weimar - manchem dort nicht gefiel, zog es nach Dessau. Wer dort lehrte, gilt heute noch als Who-is-Who der Modernen, so etwa Gropius, Lyonel Feininger, Gerhard Marks, Wassili Kandinsky, Paul Klee … Später zog das Bauhaus nach Berlin. Da es manchen nicht Deutsch genug war, zog es von dort in die weite Welt. An ihm arbeiteten sich gleich zwei deutsche Staaten ab, das Tausendjährige Reich und die DDR. Allerdings erfolglos. Das Bauhaus bestand zeitlich parallel mit und in der Weimarer Republik von 1919 bis 1933 und gilt heute weltweit als Heimstätte der Avantgarde der Klassischen Moderne auf allen Gebieten der freien und angewandten Kunst und Architektur.

Lile und BioWi, die die Weimarer Lichttage ergeben sollen, sind naturgemäß mit dem Beitrag von Bauhaus zur Kunst und Architektur nicht vergleichbar. Eher eine Folge der Weimarer Thesen (hier). LiLe steht für Licht- und Lebensqualität. Sie erblickte das Licht der Welt in Lüneburg im Jahre 2007 und sollte die Gestaltung von Licht für eine bessere Lebensqualität thematisieren. Da die Veranstalter sich aber eher zur Förderung der LED-Technik zuwandten, wurde die Lebensqualität allzu sehr in LED-Qualität gesehen. LiLe fand zweijährlich statt und verließ Lüneburg, um 2013 nach Weimar zu ziehen. Alle Abstracts der Tagungen kann man hier erhalten. Die ganz Faulen können sie auch von mir bekommen.

BioWi steht für Biologische Lichtwirkungen und wird seit 2013 veranstaltet. Sie ist praktischen Anwendungen des Wissens über biologische Wirkungen gewidmet. BioWi gehört zum Programm von WBA Bauhaus Weiterbildungsakademie Weimar e.V.

Die "Weimarer Lichttage" bringt die beiden zusammen und wartet mit recht steilen Thesen auf. Die führe ich in genauem Wortlaut in in der gleichen Reihenfolge auf, damit jeder auch seine Meinung dazu bilden kann. Am 26. und 27. September kann man die Veranstaltung live erleben.

 

Die aktuelle Meinungsbildung zum Licht spiegelt nicht den Stand der Wissenschaft wider.

Eigentlich hat die Meinungsbildung zum Licht nie den Stand der Wissenschaft widergespiegelt. Dazu gibt es zu viele Wissenschaften, die sich mit Licht beschäftigen. Der lauteste gewinnt. Das ist die Lichttechnik. Sie hat Licht 1924 definiert (!) und behauptet seitdem, die Physik liege falsch mit ihrer Vorstellung vom Licht. Geht`s eine Nummer kleiner? Übrigens, die Bibel kam ohne eine Definition aus.

Tageslicht ist das bessere Licht.

Wofür? Zwar versucht die Lichttechnik seit 100 Jahren den mittleren Sommertag im Haus zu erzeugen und die Nacht zum Tage zu machen. Damit hat sie aber nur wenig Glück gehabt. Für Arbeitsstätten muss das Tageslicht bevorzugt werden, so sie zur Verfügung steht. Aber Tageslicht im Innenraum ist weit von dem Licht der Sonne entfernt.

Integrierte Planung geht nur mit Lichtplanung.

Integrierte Planung der gebauten Umwelt war einst tatsächlich nur mit Lichtplanung möglich. Die Menschen haben aber dann vergessen, dass Licht den Raum macht. So stellten sie die Beleuchtung ans Ende der Bauplanung und überließen sie die Planung des Lichts eher dem Zufall. Nur etwa 5% großer Bauvorhaben erlebt einen Lichtplaner. Der Rest hängt von den Künsten eines Elektroplaners ab.

Lichtplanung der Zukunft ist Grundlage für andere Planungen.

Hoffentlich. In der gesamten Architekturgeschichte war dies weitgehend der Fall, weil die Möglichkeit fehlte, genügend Licht für alle Lebenslagen zu erzeugen. Zudem war künstliches Licht immer mit Wärme, Rauch und Gestank verbunden. Dadurch wurde die Bauplanung von Belichtung und Belüftung dominiert. Zwar können wir heute Licht praktisch ohne die unangenehmen Nebenwirkungen erstellen. Den menschlichen Bedürfnissen, die mit Licht verbunden sind, kann man aber nur ungenügend Rechnung tragen.

DIN-Normen sind kein Maß für Planungen.

Eigentlich wollen sie das sein. U.A. weil der Arbeitsschutz mit einer großen Keule droht, wenn man von den Beleuchtungsnormen (einst DIN 5035, seit 2003 DIN EN 12464-1) abweicht. Seit 1988 (DIN 5035-7) habe ich in der Praxis allerdings keine Beleuchtung gefunden, die die Normen erfüllt hätte. Der Planer muss so tun, als hätte er die Normen verstanden, und er verlässt sich darauf, dass kein Auftraggeber klagt. Sollte einer klagen, findet er kaum einen Gutachter, der so nachmessen kann, dass sein Gutachten Recht bekommt.

Berufsbilder Lichtplaner und Lichtdesigner beinhalten Expertenwissen.

Was denn sonst? Es fragt sich nur, welches Expertenwissen. Und welche Berufsbilder gemeint sind? Die sind doch erst im Entstehen. Und der Lichtplaner müsste den Auftrag bekommen, kreativ zu gestalten. Nicht so leicht, wenn Normen Beleuchtungsstärken bis an Decken und Wänden vorschreiben, die zudem nur scheinbar begründet sind. Man stelle sich vor, einem Architekten würde vorgeschrieben, nur das Messbare in vorgeschriebener Form nachprüfbar bauen.

Die Planung von Licht ist unabhängig von Energieeffizienz.

Das will man gerne suggerieren. Tatsächlich sollte man bei jeder Planung zunächst die Anforderungen berücksichtigen - z.B. geringstmögliche Fehler bei der Arbeitsausführung - und dann erst diesen mit effizienter Technik entsprechen. Bei der Lichtplanung sind die Anforderungen allerdings sehr schlecht oder gar nicht begründet (z.B. hier oder da). Die Zielgröße bei Planungen ist fast immer die Beleuchtungsstärke und die ist nachweislich für die Lichtqualität fast ohne Bedeutung (z.B. hier oder da oder dort). Kein Mensch kann Beleuchtungsstärke sehen, aber die Elemente, die sie erzeugen. Kein Mensch glaubt, dass sie etwas mit der Anmutung von Räumen zu tun hätte.

HCL ist integrative Lichtplanung.

HCL = human centric lighting ist nur dann integrative Lichtplanung, wenn man darunter versteht, dass neben Sehwirkungen auch gesundheitliche Wirkungen in die Planung der künstlichen Beleuchtung einbezogen werden. Allerdings sagt ein kommender ISO-Bericht dazu aus: Wichtig - Die Vorteile der integrativen Beleuchtung können nur realisiert werden, wenn die von qualifizierten Spezialisten geplant und angewendet wird. Gleichermaßen wichtig ist der korrekte Betrieb des Beleuchtungssystems durch die Beauftragten oder Benutzern.  (ISO/TR 21783)

Lichttechnik ist überlebt.

Kann sein. Auf jeden Fall ist viel lichttechnisches Wissen durch den Übergang zur LED-Technologie obsolet geworden. Vieles ist aber einfach vergessen worden, weil die neuen Macher es gar nicht kennen. Bezeichnend für die Schnarchphase, in der sich viele Institutionen befinden, ist die Neudefinition des Farbwiedergabeindex. Der alte war, wenn man den Gerüchten glauben will, dadurch entstanden, dass man die Testfarben so lange hin und her geschoben hatte, bis die Dreibandenlampe akzeptabel schien. Die neue will noch anerkannt werden.

Lichtforschung muss neu gedacht werden.

Gibt es die - die Lichtforschung? Ich denke, viele Disziplinen forschen auf Teilgebieten, für die sich die Lichttechnik zuständig wähnt. Derzeit dominieren die Chronobiologen. Das sind meistens Mediziner, aber keine Lichttechniker und auch keine Allgemeinmediziner. Dennoch fühlten sich die Lichttechniker dazu berufen, den Stand der Wissenschaft auf diesem Gebiet zu definieren - das ist ISO/TR 21783. Sie wehren sich mit Händen und Füßen dagegen, dass sich andere damit beschäftigen. Ein Novum, dass Angehörige eines Fachgebiets den Stand der Wissenschaft auf einem anderen Fachgebiet definieren. Was Beleuchtung oder Leuchtmittelentwicklung angeht, ist die sog. Lichtforschung sehr schwach auf der Brust. Die Musik spielt sich anderswo ab.

Die LiTG ist ein Verein ohne große Aktivitäten.

Die LiTG war über Jahrzehnte paralysiert, weil das Zusammenwirken von universitärer Forschung und der Praxis nicht mehr funktionierte wie einst. Schuld daran war eine Seite, ich hasse es zu sagen, welche diese war. "Wissenschaftliches" versuchte der TWA (Technisch-Wissenschaftlicher Ausschuss) mit eigenen Schriften zu bewerkstelligen. Doch die Firmenvertreter paralysierten sich gegenseitig. Dieser Zustand entspricht aber seit mindestens 10 Jahren nicht mehr der Realität.

Die Lichtindustrie ist »zwischen Blech und LED-Bausatz« gefangen.

Deutlicher kann man den Zustand kaum darstellen. "Blech", das waren die Leuchten, in die man Lampen einbaute, damit sie leuchteten. Mancher LED-Bausatz verweigert jede Zusammenarbeit und leuchtet so vor sich hin. Sprich: Es braucht keine Leuchte. So wurde sogar ein langjähriger Pfeiler des lichttechnischen Wissens - die Unterscheidung zwischen Leuchte und Lampe - in Rente geschickt. Das Formen von Licht geschieht nur noch selten in der Leuchtenentwicklung. LED ist halt eine neue Technologie und nicht ein einfacher Wechsel von einer Lampentechnik zur anderen.

Das Licht der Zukunft ist gesteuert.

Das ist ein Wunsch von Technokraten. Weil sich LED gut steuern lassen, muss man sie nicht immer steuern. Eine Steuerung muss einen Sinn für die Benutzer und Betreiber ergeben. Ansonsten ist der Unterschied gegenüber der Petroleumlampe herzlich gering. Die elektrischen Lichter hatten zunächst Drehschalter, die von der Petroleumlampe übernommen worden waren. Viel später wurden An/Aus-Schalter üblich bzw. Taster, die dasselbe tun. Mehr hat sich da nicht getan. Zumal niemand einsehen will, dass eine "intelligente" Lampe mehr Strom beim Warten verbraucht als beim Leuchten.

Wann werden Licht-Normen entbehrlich?

Vermutlich nie. Oder, es ist längst soweit. Die letzte Version von EN 12464-1 verstehen die eigenen Autoren nicht. Schlimmer noch kann es werden, wenn Lichtplaner versuchen, sie zu verstehen. Die Norm versucht, jegliche kreative Lücke zu stopfen, in der ein Lichtplaner tätig werden kann. Ich denke, diese ist die letzte Ausgabe einer Beleuchtungsnorm auf der Basis von Beleuchtungsstärken.

Nichtvisuelle Effekte in der Nacht sind geklärt – der Kuchen ist gegessen.

Ich denke, wir fangen an zu verstehen, was diese Effekte sind. Bislang hat man erst Einigkeit darüber, die Effekte mit einem Bindestrich zu schreiben: nicht-visuelle Effekte. Und dass ein enormes Entwicklungspotential grandios vergeigt worden ist. Mehr hier.

Am Tag brauchen gesunde Menschen Belichtungszeiten von 2-3 Stunden.

Oder eher 2 1/2? Bereits die Herrscher im Altertum wussten, dass der Lichtentzug den Menschen krank macht. Deswegen ließen sie manche Menschen in dunklen Verliesen verrotten. In der modernen Zeit versuchte die amerikanische Justiz Schwerverbrecher durch Lichtentzug zu zähmen. Das Schicksal von Al Capone in der lichtlosen Zelle von Alcatraz berührte aber viele, so dass Alcatraz geschlossen wurde. Andererseits war zu viel Licht eine besonders perfide Hinrichtungsmethode. Wie lange ein Mensch belichtet werden muss, damit er gesund aufwächst und bleibt, entzieht sich meiner Kenntnis.

Lichtplanungen sollten von 1.000 bis 1.500 lx horizontal und von 600 bis 800 lx vertikal am Auge ausgehen.

Schon diese Angaben zeigen, wie fragwürdig das Konzept ist. 1.000 lx oder 1.500 lx am Auge horizontal? Da die menschlichen Augen meistens etwa senkrecht stehen, haben sie nichts von dem Licht, was an denen vorbei fliegt. Bei den Werten für "vertikal" muss sich der Lichtplaner überlegen, welche vertikale Ebene er denn beleuchten will. Es gibt unendlich viele. Welche er davon auch nimmt, es wird immer Menschen geben, die genau in der anderen Richtung sitzen. Das Konzept ist - sagen wir mal nett - ausbaufähig.

Tageslicht reicht mit viel Aufenthalt im Außenbereich aus.

Hier ist wohl die circadiane Wirkung gemeint. Ich denke, bereits relativ wenige Aufenthalte im Freien zur richtigen Zeit reichen aus. Die Wirkungen von Tageslicht auf circadiane Wirkungen zu verkürzen, könnte allerdings eine der dümmsten Ideen sein, denen man folgen kann.

Dynamisches Kunstlicht bringt keine messbaren Vorteile.

Sagt wer? Ich kenne viele, die das Gegenteil behaupten. Es ist wahr, dass man die Wirkungen nicht mit dem Zollstock messen kann. Dass keine Vorteile vorhanden sind, würde ich erst dann glauben, wenn man den theoretischen Hintergrund widerlegen kann.

Licht ist Lebensmittel.

Und mehr. Es ist jedenfalls wichtiger als Wasser oder Luft, ohne die man bekanntlich nicht leben kann. Diese sind für Lebensprozesse unentbehrlich, sie steuern aber nicht die Lebensprozesse. Licht tut es.

Wer eigene Antworten auf die Thesen hat, kann das staunende Männchen durch diese ersetzen. Eigentlich sollte jeder eine Antwort haben, es geht ja um unser Leben. Leider ist Licht so billig und der nächste Schalter so nahe, dass wir vergessen haben, welche Rolle Licht für das Leben spielt.

 

Lichtqualität reloaded - Zum wievielten Mal eigentlich?
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12.02.2022

Zum wievielten Mal eigentlich? Ich meine die Wiederholungen der Kolumnen zur Lichtqualität. Vorhin habe ich diesen Beitrag dazu gefunden aus dem Jahre 2014 mit drei Verweisen auf noch ältere. In Februar 2022 ist das Thema aber erstaunlich aktuell, weil der Begriff Lichtqualität pünktlich zum 1.1.2021 offiziell definiert wurde. Zwar etwa mit 100 Jahren Verspätung, aber immerhin. Man konnte vor einem Jahrhundert doch  nicht wissen …?

Die Entschuldigung gilt nicht. Man wusste sogar vor 200 Jahren, dass Lichtqualität wichtig war. Oder auch vor 500. Künstliches Licht war eine der ersten Technologien der Menschheit beim Erwachen aus dem Koma der Eiszeit. Die erste bekannte Öllampe ist etwa 17.000 Jahre alt. Im Vergleich dazu: Das größte "lebende Ding", Great Barrier Reef, hat seine letzte Form vor 6.000 Jahren gefunden. Der Nil ist etwa vor 12.000 Jahren entstanden. Das größte lebende Wesen, das etwa 30% der Waldfläche des Planeten umfasst, der Boreale Wald, fast gleichzeitig mit dem Nil. Und die Jahreszahl der Sintflut unterscheidet sich kaum davon. Denn alle drei Ereignisse hängen miteinander zusammen.

Die Erfinder der Energieeffizienz waren nicht etwa Ökologen oder Naturliebhaber. Es waren die Lichtmacher. Der Fachbegriff heißt Lichtausbeute, und er war allen Lichtmachern ein Begriff, lange bevor er zum Begriff wurde. Die Lichtausbeute ist das Maß für die Effizienz der Lichterzeugung. Diese als Fachbegriff haben Lichttechniker festgelegt, aber er ist viel älter als die (elektrische) Lichttechnik. Und die Lichtqualität? Diese haben deutsche Lichttechniker präzise im Jahr 1935 als Norm veröffentlicht. Sie haben es vorgezogen, von Gütekriterien zu sprechen. Eigentlich Jacke wie Hose, weil Güte Qualität bedeutet. Aber man war besser als die späteren Qualitätswissenschaftler. Denn das Wort Qualität enthält zwei Begriffe, die Gütekriterien hingegen haben genau das festgelegt, was gemeint war.

So gesehen müsste alles in Butter sein - oder in Lichtqualität glänzen. Leider ist dem nicht so. Und das hat seine Ursachen.

Gemeint ist das Thema des abgebildeten Artikels, Flimmern - neuhochdeutsch auch flicker genannt. Es war Thema für die erste lichttechnische Norm von 1935. Kein Problem für die Glühlampe, und keins für die Leuchtstofflampe mit elektronischem Vorschaltgerät. Aber … beide pasee'! Die EU hat beide in Raten verboten.

Der Fortschritt kam mit der Energiesparlampe. Was das ist? Kennt doch jeder, dessen Gedächtnis älter ist als 10 Jahre. Das war die Kompaktleuchtstofflampe, 1973 einem Ingenieur von General Electric erfunden. Nicht zufällig und nicht für irgend einen undefinierten Zweck: Es war 1973, als die Welt noch in Schockstarre war wegen der ersten (offiziellen) Energiekrise, besser gesagt, Ölkrise. So musste eine Lampe her, die weniger Energie brauchte als Edisons Birne. Für Freunde heißt die Lampe FCL. Und ihre Fassung trug die Bezeichnung E 27, E wie Edison.

Es dauerte etwa 12 Jahre, bevor das Ding mit dem Energiesparen ernst machen konnte. Bis dahin, im Jahre 1985, konnte sie nämlich eine der Gütekriterien für Beleuchtung, niedergeschrieben 1935, nicht erfüllen. Die zeitliche Gleichmäßigkeit, sprich Flimmerfreiheit, war nicht gegeben. Um ihr Licht zu messen, mussten wir sie 24 Stunden betreiben, weil sie halt instabil war. Wenn das das einzige Problem wär. Sie spuckte das Netz voll Blindstrom (hier weiter lesen), so dass man nicht weiß, ob sie wirklich Energie gespart hat. Und die Lampe dachte nicht daran, hell aufzuleuchten, wenn einer „Fiat Lux“ ruft oder den Schalter drückt. Je nach Preis musste man mehr oder länger warten, bis Licht wird. Egal, bevor die Energiesparlampe hat Energie sparen können, kam die Ablösung. LED. Zuvor durfte man über die Energiesparlampe als Umweltverschmutzung reden (hier). Dann zog die EU den Stecker und verbot am 1. September 2021 ihren Hoffnungsträger für die energieeffiziente Beleuchtung wegen mangelnder Energieeffizienz (hier). Wer in diesem Blog etwas herumsucht, findet schnell heraus, dass ich die Lampe von vornherein verboten fand.

Eigentlich eine geniale Idee, LED ein technisches Element, das völlig ungeeignet ist zum Beleuchten, zum Beleuchten zu benutzen. Im Laufe der letzten 25 Jahre hat man ihm diverse Eigensinnigkeit ausgetrieben. Aber gegen seine Funktionsweise kann man nicht angehen. Denn ein LED-Element ist eine Diode, und eine Diode lässt Strom in einer Richtung durch. Also müsste man die LED mit Gleichspannung betreiben, wie übrigens Edison für alle Beleuchtung hat vorschreiben wollen. Um seinem Konzept Nachdruck zu verleihen, hat er sogar den elektrischen Stuhl erfunden und einen Elefanten hinrichten lassen - mit Wechselstrom (hier). Es hat nicht sollen sein. Edison verlor den Stromkrieg, und die Welt bekam Wechselstromnetze. Brauchen tun wir aber eher Gleichstromnetze für Computer, Server, Router und eben für LED.

Da wir fast nie die geeigneten Netze haben, flimmern die LED. Denn sie sind ultraschnelle Schalter und gehen ständig ein und aus. Technisch gesehen ist es kein Problem, LED so zu betreiben, dass sie nicht flimmert. Es handelt sich weitgehend um eine Preisfrage. Eigentlich sollte dies kein Kriterium sein, denn Flimmern ist eine Gesundheitsgefahr für alle Menschen, sogar unerträglich für manche. Zudem kann es in bestimmten Arbeitsumgebungen eine tödliche Unfallgefahr darstellen (Stroboskopeffekt). Wer aber annimmt, dass die EU in solchen Fällen konsequent handelt, liegt - sagen wir mal nett - daneben. So hat sie beim Falle der Energiesparlampe eine Technik bevorzugt, die ein seit Jahrzehnten verbotenes Umweltgift benutzt, obwohl die verbotene Technik, die Glühlampe, ohne sie auskam. Das Problem Quecksilber will sie aber langsam angehen, so nach einer Mitteilung des Umweltbundesamtes vom 11. Januar 2022 (hier umfangreiche Infos zu Licht & EU-Politik zur Energieeffizienz). Wer sich dafür interessiert, seit wann und wie oft in diesem Blog das Thema Quecksilber behandelt wird, muss nur die Kategorie "Quecksilber" wählen. Der erste Beitrag ist am 23.02.2009 erschienen, also genau vor 13 Jahren (hier). Beim Thema Flimmern war ich weniger zimperlich, es findet sich über die Jahre in vielen Beiträgen, so z.B. hier, da und dort. Etwas drastischer hier, zumindest der Titel "Probleme, die wir ohne LED nicht hatten - SVM muss besser werden, aber langsam".

LED und das liebe Vieh - Neue Horizonte in der Viehzucht

Wer genug hat von der melanopischen Wirkung von LED auf den Menschen und auch die Beeinflussung von Spinat durch moderne und super-intelligente Beleuchtung lieber den Gemüseingenieuren überlässt, kann sich mit einem weiteren Feld beschäftigen, das man mit Licht beackern kann. Es ist die Rede von der Tierhaltung. Meine erste Nagelprobe damit hatte ich mit einer kleinen amerikanischen Wasserschildkröte gemacht, deren harte Schale nach einer Weile nicht mehr hart war. Mit der sind wir deswegen ans Mittelmeer gefahren, damit das arme Vieh sich wieder eine harte Schale zulegen konnte. Ihre Nachfolgerin haben wir nach dieser Erfahrung besser belichtet. Das war ein Segen für die Schildkröte. Für uns nicht, weil sie zu stark und groß wurde, und kurzerhand das ganze Aquarium leer fraß. Seitdem gucke ich erst einmal an, wie sich was auswirkt.

Gucken wir uns einige der tollen Wirkungen an. Gute Lichtintensität (ich denke zunächst an Beleuchtungsstärke) verbessert die Spermaqualität bei Ebern. Wovon die Säue in erster Linie profitieren. Die gesamte Familie profitiert saumäßig vom kühleren Licht und entwickelt mehr Appetit. Anders als bei uns folgt darauf keine Diät bei den Schweinen. Und eine höhere Lichtintensität fördert die richtige Entwicklung von Ferkeln zum richtigen Schwein, felix porcus. Dann heißen sie Mastschwein und werden von Onkel Tönnies weiter behandelt. Leider nicht mehr mit Licht.

Das Beherrschen der circadianen Rhythmik der Viecher ist ein ungemein aufregendes Feld für den cultor opticus bzw. cultor photographius (Lichtzüchter). Das hat einst damit anfangen, die Hühner zu überlisten, die nur im Langtag Eier legen. Man verlängerte halt den Tag mit Lampen. Damit sie mehr Eier in der gleichen Zeit legen, verkürzt man den "Langtag", indem man aus den 24 Stunden 23 macht. Das dumme Huhn merkt nämlich die Länge des Langtags nicht an den hellen Stunden sondern am Rhythmus. Eigentlich sind 23 Stunden auch circa ein Tag.

Bislang trotzt nur ein tierisches Wesen wacker den Manipulationsversuchen, Thalassomyxa australis. Das nette Tier bleibt abgerundet wie eine pennende Maus, wenn es inaktiv ist. Und geht über in seine aktive Form, um Nahrung aufzunehmen. Der Wechsel zwischen der inaktiven und der aktiven Phase erfolgt zwar rhythmisch, aber gesteuert von der Temperatur und nicht vom Licht. Kein Wunder, denn Thalassomyxa australis ist eine Nackt-Amöbe. Ein anständiger deutscher Bauer macht sich nichts aus Viechern, die sich nicht einmal ein Fell leisten können. Aber dass man mit LED Ställe für Kuhaugen besser ausleuchten kann, ist doch wahr! Und effizienter sind die auch … Geben mehr Milch.