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Fake News - Wie sie sich fortpflanzen

In Februar hatte ich dargestellt, wie sich das Schein-"Grundwissen" der Lichttechnik, etwa "mehr Beleuchtungsstärke = mehr Leistung", über Jahrzehnte erhalten hat - es gibt selbst Professoren für Lichttechnik, die das glauben - und uns von einer BG als betriebliche Information frei Haus geliefert wird. Solche populären Themen finden viele Multiplikatoren, die die Nachricht. sagen wir mal, verschönern. Am Ende wird ein Schuh daraus, ein schöner. Heute fand ich einen exzellenten Nachweis für die wundersame Mehrung des lichttechnischen Wissens. Nachfolgend zuerst die Kommentierung des Originals. Danach folgt die Dichtung. (Dass es sich bei dem Original ebenfalls um Dichtung handelt, ist sehr wahrscheinlich. Denn diese Abbildungen, die seit Jahrzehnten überall benutzt werden, haben keine Quelle.)

Hier wird dargestellt, man könne die Leistung (gegenüber was?) bis 44% steigern, wenn man 1.000 lx Beleuchtung realisiert. Wo? Im Raum oder auf dem Arbeitsgut? Wenn man die dicke rote Linie nach links unten fortsetzt, kommt man vermutlich auf Beleuchtungsstärken von 1 lx oder ähnlich. Das ist absichtlich weggelassen worden, damit die simple Aussage lautet: Mehr Beleuchtungsstärke = mehr Leistung! Was ist aber eine schwierige Arbeit? Säcke tragen? Oder hauchdünne Fäden durch ein Nadelöhr ziehen?  Warum die Kurve bei 1.000 lx aufhört? Ein mittlerweile verstorbener Professor erklärte das mir damit, dass die Versuche mit Glühlampen ausgeführt wurden. Und die waren, wie man mittlerweile weiß, kleine Öfen, aus denen auch etwas Licht kam. Was auch immer gewesen sein mag: Das Bild suggeriert, dass eine Steigerung der Beleuchtungsstärke von 200 lx auf 1000 lx die Arbeitsleistung von 13% auf 42% steigert. Oder die Steigerung der Steigerung der Leistung wird von 13% auf 42% erhöht. Gegenüber was wird was gesteigert?

Übrigens, diese Kurven sind ziemlich die einzigen in der Lichttechnik, die eine logarithmische Basis haben. Ansonsten wird die Beleuchtungsstärke immer linear aufgetragen. Wenn man das mit der Leistungskurve tut, verläuft die rote Linie aber sehr flach. Und wirkt daher eher geschäftsschädigend. Uns jemand könnte auf die Idee kommen, den Ursprung der Kurven zu suchen. Liegen die bei 0 Lux und 0% Steigerung der Leistung?
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Die verhübschte Version des legendären Wissens um die Wunder der Beleuchtungsstärke fängt bei 0 Lux an, vulgo in der Nacht oder im tiefen Keller. Wenn man die nicht vorhandene Beleuchtungsstärke auf 1000 lx steigert, erreicht man bei schwierigen Tätigkeiten eine Leistungssteigerung um 45% gegenüber der Dunkelheit. Bei einfachen Tätigkeiten nur um 10%. Nicht viel! Bemerkenswert: Die Skala ist jetzt fast linear, der Anstieg bei schwierigen Tätigkeiten aber fast so imposant wie beim Original. Wie man so etwas bewerkstelligt, kann man aus der Wirtschaftspresse lernen. Sie kann zu einem beliebigen Sachverhalt Kurven liefern, die diesen nachweisen. Egal was. Man kann dies sogar üben (hier).

Ergo: eine Leistungssteigerung um 45% gegenüber der vollen Dunkelheit zu erreichen, muss man viel Energie verballern. Bei einfachen Tätigkeiten hilft aber auch das nicht. Fragen Sie mich bitte nicht, was einfache Tätigkeiten sind. Ich weiß nur, was schwierig ist: zu verstehen, was der Unsinn uns sagt.

Die rote Linie zeigt, dass Fehler bei schwierigen Arbeiten bei 1.000 lx gegenüber 200 lx um 90% zurückgehen. Bei einfachen sind es immerhin 20%. Da wundert man sich warum die Qualitätssicherungsleute nie mit der Beleuchtung beschäftigt haben. Da vor 70 Jahren kaum jemand Arbeiten hatte, wo es nur und ausschließlich auf das Sehen ankam, ist es sehr unwahrscheinlich, dass ein solcher Verlauf jemals gemessen worden sein kann. Zu Beginn der 1990er Jahre sollte ich im Auftrag der lichttechnischen Industrie den Nachweis antreten, durch eine verbesserte Lichtqualität eine Erhöhung der Qualität der Arbeitsergebnisse in der Autoindustrie zu erzielen. Diese Untersuchung fand nie statt, weil es nicht die geringste Chance gibt, einen solchen Nachweis zu erbringen. Den Versuch hatte es nämlich schon in den 1920ern gegeben. Er ging als Hawthorne Effekt in die Geschichte der Wissenschaften ein. und die Geschichte hört sich katastrophal an - jedenfalls für das Marketing.

Hier ist der Autor bescheidener geworden. Die Betrachtungen setzen bei 200 lx ein. Das ist so eine Art Grundrecht. Bei allen Arbeitsplätzen, die besetzt sind, muss es 200 lx geben. Warum? Darum! Ist eben so. Um Fehler drastisch zu reduzieren, muss man nur vier mal so viele Lampen aufhängen. Bei einfachen Tätigkeiten kann man Fehler leider nicht erfolgreich vermeiden. Deswegen werden sie wohl schlechter bezahlt. Mehr Licht hilft nicht immer.

Gegenüber dem Original sind hier einige wesentliche Abweichungen zu sehen. Beispielsweise fangen beide Kurven bei 200 lx und 0% an. Das ist falsch kopiert, allerdings eher logischer. Abgesehen vom Wahrheitsgehalt sehen die Kurven richtig elegant aus. Oder? Bemerkenswerterweise wird man trotz intensiver Suche weder die Quelle der Originale finden können, die uns immerhin eine Berufsgenossenschaft auftischt, noch die Methode der wundersamen Transformation in die moderne Zeit. Warum das so ist? Die Beziehungen zwischen dem Licht am Arbeitsplatz und der Arbeitsleistung sind sehr komplex. Man müsste Jahre investieren, um eine methodisch einwandfreie Beziehung zu ermitteln. So wählt man halt den Weg, einen banalen Zusammenhang, mehr Licht = mehr Leistung, schlicht und einfach zu bebildern. Es wird ja niemand schaffen, das Gegenteil nachzuweisen.
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Die Sache könnte man unter künstlerische Freiheit einordnen und auf sich beruhen lassen. Leider geht das nicht, weil diese Bilder ein Unternehmen anbietet für "… die Arbeit aller, die mit der Wissensvermittlung von ergonomischem KnowHow zu tun haben:
• Betriebsärzte und Gesundheitsbeauftragte
• Fachverlage für Gesundheit und Medizin
• Physioterapeutische Praxen und -Unternehmen
… "
In dem Angebot  um diese Bilder herum findet man viele nützliche Informationen, sachlich richtig, sehr witzig dargestellt. Und das ist gefährlich. Ein schlechter Multiplikator wäre mir lieber.

Warum einfach, wenn es komplizierter geht?

Wie lang ist ein zweiseitiger Brief im Verhältnis zu einem einseitigen? Doppelt so lang. Wie steht es um das Verhältnis, wenn es um Information geht? Kommt darauf an. Wenn der Inhalt gerade mal reicht, eine Seite zu rechtfertigen, kann der längere Brief als Information überhaupt fraglich sein, weil der Leser ihn womöglich weglegt.

Ein Beispiel dafür, dass mehr Information weniger Information bedeutet, ist die LVK - aka Lichtstärkeverteilungskurve - allen Lichttechnikern bestens bekannt. Leute vom Fach müssen so eine Kurve nicht mal sich näher ansehen, die Position im Leuchtenkatalog verrät schon, um was für eine Leuchte es sich handelt. Was machen aber Leute vom Fach wie Laien, wenn sie sich nur orientieren wollen? Muss man sich den ganzen Sermon angucken, wenn man nur die Absicht hat, sich um den Charakter der Leuchte zu informieren?

Mir waren die LVK aber aus einem anderen Grunde suspekt. Viele sehen aus, als würde Licht aus der Leuchte tropfen. Ganz so abwegig ist eine solche Vorstellung ja nicht. Mich störte aber eher, dass das Licht an der Kurve aufhört, sich weiter zu bewegen. In der Physik hatten wir gelernt, Licht breite sich so lange aus, bis es etwas trifft. Im Universum also beliebig weit. Dass das Licht ferner Sterne immer schwächer wird, liegt an unseren Augen. Teleskope sehen anders. Zudem werden wir ständig geblendet. So sehen wir tagsüber keine Sterne. Nachts mittlerweile an manchen Orten auch nicht. Das Licht eines Sterns, das wir nachts sehen können, ist tagsüber immer noch da. Nur sind wir geblendet.

Als ich vor über 30 Jahren ein Buch schreiben wollte, das für Leute vom Fach nicht falsch ist, aber für Jedermann (oder Jedefrau) lesbar, wollte ich zum Thema LVK eine Erklärung schreiben. Da fiel mir aber ein, dass auch ich mich umstellen musste, um die zu verstehen. So verfiel ich auf die Idee, die LVK auf ihren Kern zu reduzieren. Und das sah so aus.

So ziemlich das Gegenteil der komplexen Darstellung, die ich heute bei Reichelt gefunden habe. Falsch ist keine der beiden Darstellungen. Sie sind jeweils für einen anderen Zweck geeignet. Doch: Welche Art bevorzugen Leute, wenn es um die Charakterisierung von Beleuchtung allgemein geht? Die Firma ERCO hat sich wohl eindeutig positioniert (rechts). Die DGUV, die Betriebe informieren will, sieht die Sache wohl auch so.
Die beiden letzten Abbildungen unterscheiden sich nur im "künstlerischen" Bereich (oben DGUV, unten ERCO). Also meine LVKs für Arme sind nach mehr als 30 Jahren ziemlich überall angekommen. Wer sich mit ähnlichem Ziel betätigen will, sollte sich das Buch von Eduard Tufte "The Visual Display of Quantitative Information" einziehen.

Vertikalbeleuchtungsstärke - Ein modernes Märchen zu gesundem Licht reloaded

 

Vor rund zwei Jahren (hier) hatte ich mich darüber amüsiert, dass Gebäude nach Vertikalbeleuchtungsstärke zertifiziert werden. Mein Beitrag über die neuen Bemühungen, Licht als gesund zu zertifizieren (hier und da), beschreibt aber, dass die circadiane Beleuchtung auf einer Vertikalbeleuchtungsstärke beruht. Die gibt es aber nur, wenn einer die Leuchten an die Wand hängt oder die Beleuchtung durch Fenster erfolgt.

Als hätte man das gelesen und nicht gemerkt, dass man die Sache dadurch trefflich persiflieren kann, indem man sie zur obersten Maxime für die Beleuchtung erhebt, rufen führende Chronobiologen dazu auf, in allen Innenräumen eine Mindestvertikalbeleuchtungstärke von M-EDI > 250 lx für den Tag (06:00 bis 19:00) einzuführen. Da der Mensch sich abends auf die Ruhe vorbereiten muss, wird der Pegel auf 10 lx M-EDI gesenkt.

Lassen wir den Abend und die Nacht auf sich beruhen. Die haben die Menschen schon vor unserer Zeit zum Tage gemacht und werden sich milde über den Aufruf hinweg setzen. (Was übrigens sie vor Schaden nicht bewahren wird.) Was bedeutet eigentlich Vertikalbeleuchtungsstärke und wie viel ist „250 lx M-EDI“?

In lichttechnischen Büchern und auch bei Laiendarstellungen findet man Bilder wie hier. Dieses stammt aus einem Buch von mir. Man plant seit Ewigkeiten Beleuchtungen so, dass eine darunter liegende Ebene beleuchtet wird. Das sagen die senkrechten Pfeile aus. Die waagrechten Pfeile hingegen entsprechen keiner physikalischen Realität. Waagrecht fliegende parallele Strahlen gibt es nur von der Sonne. Jedes Licht von oben fällt mehr oder weniger schräg ein und trifft unter einem Winkel von weniger als 90º auf die Wände. Alle Objekte, die nicht so flach sind wie die Wände oder die Tische werden nicht von einer Horizontal- oder Vertikalbeleuchtungsstärke beleuchtet, sondern von jedem Strahl einzeln. Nur wenn das Beleuchtete völlig matt und platt ist, macht die Rechnung mit der Beleuchtungsstärke Sinn. Völlig matte und platte Sehobjekte kommen in der Realität sehr selten vor. Selbst die Bücher, die die Beleuchtungsstärke erklären, glänzen mindestens etwas. Die teuren Hochglanzbroschüren erst recht.

Da unsere Arbeitsräume in der Höhe relativ tief sind im Verhältnis zu den darin arbeitenden Menschen – Arbeitsräume weisen Höhen ab 2,50 m auf und sind selten höher als 3 m, Menschen erreichen Größen bis 2 m und mehr – sehen menschliche Augen nicht etwa „Vertikal“-Beleuchtungsstärken, sondern mehr oder weniger schräg einfallendes Licht. Die drei Menschen in dem dargestellten Raum sehen in der abgebildeten Situation unterschiedliche „Beleuchtungsstärken“, aber keiner die „Vertikal-B.“, weil sich in Arbeitsräumen die relevanten Sehobjekte immer unter Augenhöhe befinden. Ein waagrechter Blick ist unphysiologisch wie auch ein waagrecht angehobener Arm. Alle ergonomischen Arbeitshaltungen sind mit einem gesenkten Blick verbunden. Beim Stehen beträgt der optimale Winkel 30º, beim Sitzen 35º. Und alle relevanten Sehobjekte (Bildschirme, Arbeitsgut, Aktenordner) werden so angeordnet, dass man nie erzwungenermaßen seinen Blick über die Horizontale heben muss.

Die drei Menschen in dem Foto werden von dem Licht unterschiedlich getroffen, je nachdem, wo sie sich gerade befinden. Den einen trifft es auf die Stirn, den zweiten auf den Hinterkopf. So sind beide Größen, die Horizontal- wie die Vertikal-Beleuchtungsstärke, fiktive Größen, die kaum geeignet sind, das Erleben einer Szenerie auch nur näherungsweise zu beschreiben.

Bei der Vertikal-Beleuchtungsstärke gibt es noch dazu einen Fakt mit fataler Wirkung für die Praxis: Es gibt unendlich viele vertikale Ebenen, aber nicht so viele Stellen, von denen aus man Licht losschicken kann, um sich waagrecht zu bewegen. Ergo: Wer eine Wirkung mit einer Vertikalbeleuchtungsstärke erzielen will, muss eine Vorzugsrichtung vorgeben, in der die Menschen blicken sollen. So etwas könnte klappen, wenn die Leute nichts zu tun haben. So wie vor einer Therapie-Lampe, man guckt eine Zeitlang hinein. Sieht allerdings während der Sitzung und eine Weile danach nichts. Man stelle sich ein Großraumbüro vor, im dem alle in eine Richtung gucken. Dazu noch gehobenen Hauptes, damit sie gesundes Licht empfangen. Am besten eignen sich wohl Amphitheater - da hat jeder die gleiche Chance gesundes Licht abzubekommen. Diese wurden in der Antike erfunden, um allen die gleiche Sicht auf die Bühne zu realisieren. Die antiken Baumeister haben sich da wohl geirrt. Oder nicht die epochale Chance begriffen, die ihre Bauweise eröffnet.

Die Vertikal-Beleuchtungsstärke der Beleuchtung eines Raumes ist daher ungeeignet, um die Arbeitnehmer gesundzustrahlen. Wer gar auf der Basis dieser Größe Gebäude zertifiziert, sollte sich nicht wundern, wenn andere ihn der Quacksalberei bezichtigen. Der Gedanke liegt ja nahe.

Etwas kniffliger dürfte sich die Frage nach der Intensität gestalten. Wenn man die Arbeitsräume von der Decke aus beleuchten will, kommt auf 1 lx Beleuchtungsstärke (horizontal) 0,3 lx vertikal. Allerdings, wie gesagt, sehr ungleichmäßig. Wenn die Beleuchtung mit Lampen von 3000K ("warmweiß") erfolgen soll, bedeutet 250 lx M-EDI überschlagsmäßig 500 lx visuell. Man muss also eine Beleuchtungsstärke von 1.500 lx einplanen. Da die Lampen altern, muss dazu ein Zuschlag von mindestens 25% kommen. Also plant man etwas über 2000 lx.

Wenn man so etwas wirklich realisiert, werden Gutachter für Ergonomie die besten Chancen für regelmäßige Aufträge von Betrieben bekommen. Bildschirmarbeit ade! Die Sorge ist allerdings ziemlich theoretischer Natur. Ein ähnliches Konzept mit einer hohen Beleuchtungsstärke mit waagrecht fliegenden Strahlen, dass einen Silhoutteneffekt vermeiden wollte, ging vor 50 Jahren derart arg in die Hose, dass selbst dessen Autor sich nie wieder dazu äußern wollte (hier).

So hoffnungslos ist die Lage allerdings nicht. Bei heutigen Beleuchtungen kommt man auf 150 lx vertikal ≈ 75 lx M-EDI. Und dafür reicht der Bildschirm. Damit es mir jeder glaubt, hier ein Screenshot aus der echten Publikation. Bei zwei Bildschirmen, die es an immer mehr Arbeitsplätzen gibt, kommt man schon in die Größenordnung, die man einhalten soll. Und man guckt während der Arbeit garantiert in den Bildschirm. Unglaublich aber wahr: Wer hätte gedacht, dass der Bildschirm eines schönen Tages als gesundheitsförderlich eingestuft würde? Und den armen Seelen, die ohne Bildschirm arbeiten müssen, verschreibt der Arzt einen. Die Spielesoftware gibt es dazu, damit man sich vor der Kiste nicht langweilen muss.

Wo hängt man die Leuchten hin, damit sie gesund leuchten?

 

Das Dümmste, was die Lichttechniker gemacht haben, war es, die Leuchten an die Decke zu hängen. So kommt das Licht immer von oben. Das entspricht zwar einem himmlischen Vorbild. Man darf aber trotzdem erwarten, dass man kreativ agiert, wenn man eine neue Technologie schafft. Auch wenn herkömmliche, sprich altertümliche, Leuchten auch früher oben hingen, so z.B. in der Burg Eltz. Und auch wenn der liebe Gott mit gutem Beispiel voran gegangen war, indem er seine Himmelslaterne nach oben hing.

Allerdings scheint er mit dem Ergebnis nicht so glücklich geworden zu sein. Denn er probiert den ganzen lieben Tag die Position. Morgens ist die Sonne im Osten, d.h. etwa. Abends findet man sie im Westen, auch etwa. Dazwischen wird dauernd eine neue Position ausprobiert. Das Ergebnis ist enttäuschend. Morgens sieht das Licht schön rot aus, bleibt aber nicht so. Mittags hat man zwar viel Licht, aber keine Schattigkeit. Abends sieht es wie morgens aus, nur aus der umgekehrten Richtung.

Genervt bricht der Herr den Versuch ab. Ruht sich eine Weile und fängt wieder mit einem etwas veränderten Startpunkt an. So geht es seit meiner Geburt. Vermutlich war es schon früher so. Ich konnte allerdings keinen Reim darauf machen, weil nicht vorhanden. Die Lichttechnik verbesserte die Lage derart grundlegend, dass die Lichter immer dort hängen, wo man sie einmal angebracht hat. Sie gehen auf Kommando an, um zu leuchten. Und hören erst damit auf, wenn die Arbeit zu Ende geht. An manchen Orten brennen sie daher ewig.

Ganz wichtige Menschen, die Chronobiologen, sehen darin eine Störung des circadianen Rhythmus. so genannt nach dem Rhythmus, den Gott, Pardon die Sonne vorgibt. Der heißt circa... , weil es mit der Genauigkeit hapert, wie oben dargestellt. Was für eine Lösung könnte nun besser sein als das, was die Natur, zugegebenermaßen nicht perfekt, vorgibt?

Die besten ihrer Profession haben sich nun zusammen getan und sagen, der Mensch brauche melanopische Lux. Und das viel mehr als heute üblich. Also muss man dafür sorgen, dass die Lux ins Auge gehen. Kein Problem, wenn die Menschen bei der Arbeit sich hinlegen würden wie z.B. auf Malle am Strand. Dann kommt das Licht vom Himmel, Pardon von der Decke, direkt ins Auge. Ergo würden die Leuchten mal den Aktenordner des Beamten beleuchten und mal den Beamten selbst, wenn er brav seinen täglichen Dreikampf, Lochen, Bumsen, Abheften, absolviert.

Dummerweise ist das physikalisch nicht möglich, weil sich der Beamte für den Dreikampf aufrichten und sitzen muss. Da gucken seine Augen so um 35º nach unten. Das ist wissenschaftlich gesehen circa waagrecht. Also schreiben wir die melanopischen Lux waagrecht vor. Die heißt Vertikalbeleuchtungsstärke. Zwar schreiben nicht wenige vertikale Beleuchtungsstärke. Das lehnt der Fachmann entschieden ab, weil die horizontal einfällt. In welcher Position auch immer sich der Beamte befindet, sein Blick fällt optimal senkrecht auf die Akte. Dann kann eine Leuchte aber nie Auge und Akte zusammen beleuchten. Das Licht fliegt geradeaus, bis es etwas trifft. Notfalls bis zum Ende des Universums.

So weit so gut! Wie kriegen wir aber die Leuchten dazu, ihr Licht waagrecht abzustrahlen? Man könnte sie z.B. an die Wand hängen. Oder dort Spiegel anbringen. Egal, Wissenschaftler geben sich nicht mit lästigen technischen Details ab. Gott hat's auch nicht soo mit der Genauigkeit … Und der Praktiker macht die Industrieleuchten seit etwa einem Jahrhundert so, dass sie die Arbeitsebene beleuchten und nicht die Augen der Arbeitenden. Seit 1970 gibt es in Deutschland Blendungsbegrenzungskurven, die verhindern, dass das Licht einem ins Auge fällt, sprich blendet.

Auftrag: Man muss es also irgendwie schaffen, dass das Licht von der Decke nunmehr direkt ins Auge fällt, ohne dass sich sein Spektrum ändert. Denn für die melanopischen Lux ist nicht nur die Menge des Lichts entscheidend, sondern auch die Qualität, nämlich das Spektrum. Wenn die Decken melanopisch strahlen, wird das Licht weniger melanopisch, wenn es auf Wände, Tische oder Bildschirme fällt.

Richtig gelöst ist nur die Sache mit dem dritten Aspekt, Zeit. Melanopisch soll das Licht von 06:00 Uhr bis 19:00 Uhr brennen. Danach ist Schluss. Die Nacht gehört zu dem Ruhe suchenden Menschen.

Wem das Ganze Spanisch vorkommt, möge das ganze in Englisch lesen (hier). Wer nicht ewig auf die Realisierung des melanopisch wirksamen Lichts warten will, kann zu einem altmodischen Mittel greifen. Fenster. Nicht seit immer, sondern etwa seit 8.000 Jahren kommt dessen Licht waagrecht eingefallen. Und scheint auch allen zu gefallen.

Leider funktioniert das Ding nur wenn die Sonne scheint. Wenn die aber nicht mehr scheint, muss sich der Mensch zwischen 19:00 und 22:00 auf den Schlaf vorbereiten. Danach ist endlich Schluss. Da reichen Kerzen oder Taschenlampen. Aber bitte nicht melanopisch. Wo bleiben da die Körperrhythmen, wenn das melanopische Licht den ganzen Tag blau bleibt? Das erzähle ich ein andermal.

Wie lange dauert der Tag mit der amerikanischen Sonne?

Zu meiner großen Überraschung ist seit Jahren der meist geklickte Artikel in diesem Blog "Wie lange dauert die Nacht?". (hier) Eine an sich dämliche Frage. Jeder weiß es doch! Oder? Wenn einer aber etwa ein Jahr seines Lebens am Äquator verbracht hat, viele am 30º Breitengrad, noch mehr am 50º, um dann im arktischen Winter zu landen, klingt die Frage so dämlich nicht. Der Artikel entstand am 16.12.2010 in Tromsø, 69° 39′ 6.58″ N um Mitternacht. Damals nannte ich die Frage nur dumm. Um diese Zeit ist in aller Welt gleich nur die Mondphase. Sehen tut man aber selbst den Mond von jedem Ort aus anders.

So richtig dämlich klingt es, wenn einer fragt, wie lange der Tag der Chronobiologen dauern soll, den sie uns verschreiben wollen (z.B. hier). Ich habe vorgestern geschrieben, dass sie >250 lx M-EDI am Tag für alle vorschreiben wollen. Wie man von Lux auf melanopische M-EDI kommt, habe ich gestern dargestellt (hier). Wie man weiß, wird in Lux die Beleuchtungsstärke beschrieben. Und die ist vergänglich. Knipst man das Licht aus, ist es 0 lx egal wie es vorher war. Nicht so das circadian wirksame Licht. Sie wirkt verdammt lange nach. Bis etwa einen Tag. Nimmt man nicht nur die circadiane, sondern die circannuale Wirkung, kann die Wirkung etwa ein Jahr dauern. Circa. Damit sich das Ganze nicht so bierernst anhört, habe ich versucht, den Vorgang mit der Intelligenz der Möhre zu erklären (hier). Woher weißt die, wann sie wachsen und blühen soll?

Die schöne neue Lösung der Chronobiologen, die sie mit Erkenntnissen aus der Schlafforschung und Depressionstherapie begründen, erinnerte mich an die Amerikanische Nacht. Das ist ein Film von François Truffaut mit der bezaubernden Jacqueline Bisset, der eben diese, die Amerikanische Nacht erläutert. Sie ist eine Technik der Filmaufnahme, die auch Day-for-Night heißt. Dazu sagt Wikipedia "Die Filmszenen wirken meistens künstlich, besonders durch noch vorhandene harte Schatten …"

Der Anlass der Erinnerung war das Buch American Sunshine von Daniel Freund, in dem dargestellt wird, wie die Menschen versuchten, den Tag im Innern der Häuser einzufangen. Als es dann nicht gelang, erfanden Lichttechniker die Amerikanische Sonne. Im Haus sollte die gesamte Strahlung der Sonne simuliert werden, um gesundes Licht zu erzeugen. Ende 1950 war damit Schluss. So kam man auf die Idee, dass man die Natur überhaupt nicht mehr brauche. Man könne unterirdisch bauen und das Licht mit Schläuchen dahin befördern, wo es leuchten soll (hier oder da oder dort). Noch 1989 hat der Vorsitzende des Normenausschusses Innenraumbeleuchtung gesagt, man könne Tageslicht im Innenraum in Qualität und Quantität besser simulieren. (Zweiflern an dieser Aussage sei gesagt, ich besitze ein Video davon aus dem ZDF Archiv mit seinem Gesicht.)

Im Jahr 2021 soll die circadiane Rhythmik des Menschen etwa so geregelt werden:

Der gute Mensch bekommt seine 250 lx ab 6:00 Uhr bis 19:00 Uhr. Danach folgt die Vorbereitung auf den Schlaf mit maximal 10 lx, aber EDI. Um 22:00 ist Schluss. Kommt mir bekannt vor. Den Rhythmus hatte ich in der Jugendherberge und beim Militär. Später ist er mir in einem Gewerkschaftsheim begegnet, wo der Klassenkampf geübt wurde.

Allerdings habe ich nach diesem Schema präzise gesagt 2 Tage im Jahr gelebt. Am 21.03. und am 23.09. haben wir Äquinoktien weltweit. Auf Deutsch Tag-und-Nacht-Gleiche. Und die Sonne geht an diesen Tagen überall auf der Erde fast genau im Osten auf und im Westen unter. Das ist aber alles. Nicht einmal der Begriff Tag-und-Nacht-Gleiche stimmt. Am Äquator ist es etwa 13 Stunden hell, 11 Stunden dunkel. Je weiter man in den Norden kommt, desto länger dauert die Dämmerung. Von wegen 6 Monate Tag und 6 Monate Nacht am Nordpol. Das gilt nur dann, wenn man als Nacht die Zeit versteht, in der die Sonne nicht über den Horizont guckt. Also direkt vom Tag in die Nacht fallen? Das dauert am Äquator ca. 25 Minuten täglich. Am Nordkapp dauert die Dämmerung schlappe 2,5 Monate.

An jedem anderen Tag des Jahres außer den Äquinoktien dauert der Tag länger oder kürzer. Nur nicht der circadiane Tag. Dort herrscht immer mel-EDI > 250 lx. Und bleibt so. Ob sich das mit den Vorstellungen vom dynamischen Licht verträgt? Nicht? Dann lassen wir die mel-EDI mal 500 sein und mal 150. Dann haben wir auch die Dynamik simuliert.

Wer bewusst lebt, weiß, dass sie/er im Sommer viel früher aufsteht als im Winter, wenn er/sie denn darf. Kleine Kinder quaken auch sonntags früh im Bett, während man die Jugendlichen zum Frühstück aus dem Bett prügeln muss. Deswegen hat manche deutsche Schule sogar die Schulzeiten geändert. Der circadiane Rhythmus hält sich an den circannualen, allerdings nach Altersstufen getrennt.

Kann es sein, dass der circadiane Tag den Weg geht, den der künstliche Tag mit American Sunshine gegangen ist?