29.02.2024
In April 2024 ist das Jahrhundert um! Die V(λ)-Kurve wird 100 Jahre alt. Die Geschichte kennt nur wenige Kurven, die Geschichte gemacht haben. Diese hier hat Lichtgeschichte geschrieben. Nicht nur …
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So kennt sie kaum jemand. In der Abbildung ist ihre Entstehungsgeschichte eingearbeitet. Sie sollte die relative Sichtbarkeit darstellen, also eine normierte Funktion, die anzeigt, die das menschliche Auge Lichter von blau bis rot bewertet. Ich habe einige hübschere Ausführungen der Kurve gezeichnet, die weniger wissenschaftlich aussehen, aber dafür attraktiver.
Sie hat Licht definiert und damit messbar gemacht. Damit ist die Grundlage dafür geschaffen, dass mit Lichtprodukten gehandelt wird. Und zwar weltweit. Wenn man heute auf einer Lampenverpackung liest "12W - 806 lm - 840" (Ra) und versteht, dass die gekaufte Lampe aus 12 W aufgenommener Leistung 806 lm Licht produziert und dies mit einem Farbwiedergabeindex von 80 - 89 bei einer Lichtfarbe von 4000K, dann ist es Verdienst dieser Kurve.
Sie bekam im Laufe der Jahre einen weitaus weniger prominenten Partner, der die Effizienz des Auges beim Nachtsehen bezeichnet. Das konnte aber nichts werden, weil die Lichtmacher ja das Helle bevorzugten. Der Partner unterscheidet sich im Namen durch einen Apostroph, wirklich nicht allzu auffällig: V'(λ). Und ist sehr deutlich freundlicher zu blauem Licht. Denn nachts sind die Katzen nicht grau, sondern wir sehen sie so, weil unsere nachtaktiven Sehzellen (Stäbchen) eben im Blauen empfindlicher sind.
Das zweite Jahrhundert des definierten Lichts wird erleben, wie diese Kurve ihren Platz räumen wird einer neuen. Denn Mediziner haben im Jahr 2002 einen neuen Empfänger im Auge entdeckt, der das Blaue sogar mehr liebt als die Stäbchen. Diesem Empfänger wurde zu Beginn zugetraut, ziemlich eigenmächtig zu handeln. Daher berechnete man eine eigene Kurve, die man C(λ) nannte, C wie circadian. Denn die neue Kurve sollte anzeigen, wie Licht die Körperrhythmen des Menschen beherrscht. (Für Leute, die auf ihrem Computer den Buchstaben λ nicht finden können, heißt sie C-Lambda-Kurve.) Mittlerweile ist man übereingekommen, dass alle Empfänger im Auge ihr Scherflein dazu beitragen, das Melatonin im Blut zu senken oder das tunlichst zu vermeiden. Den Beitrag des neuen Empfängers nennt man deswegen melanopisch. Alle lichttechnischen Größen werden auch auf melanopisch berechnet und bekommen einen Index -mel. Die Kurve(n) der Zukunft habe ich unten skizziert.
Im zweiten Jahrhundert des messbar definierten Lichtes wird dieses zum einen am Tageslicht gemessen. Und zum anderen am Menschen. So werden alle "melanopischen" Größen, vom Lichtstrom bis zum Reflexionsgrad, auf das Spektrum des Tageslichts bezogen. Leider geht es da ohne etwas Normierung nicht. Die Basis ist D65 - D wie daylight und 65 wie 6504K - das ist der mittlere Sonnentag über Wien, allerdings ohne Sonne. Der "genormte" Mensch ist 32 Jahre alt. Ob er männlich ist wie bei der Festlegung der V(λ)-Kurve, weiß man nicht.
So wird künftig 500 lx (melanopisch) exakt 500 lx (visuell) entsprechen, wenn das Licht einer Lampe mit der Farbtemperatur 6504K in das Auge eines 32 Jahre alten Menschen trifft. Wenn sich dieser für ein warmes Licht erwärmt und daher eine (verbotene) Lampe benutzt, die ein gewisser Edison erfunden haben soll, bleiben von den 500 lx etwa 67 lx übrig, aber "tageslichäquivalent". Altert dieser Mensch und wird glücklich 75 und kauft sich eine neutralerweiße Lampe (4000K), kann er sich auf 80 mel-EDI freuen. Wer sich die Rechnung zutraut, kann hier und da mehr finden.
Die Berechnung ist zugegebenermaßen gewöhnungsbedürftig. Das umso mehr nach 100 Jahren, in denen sich das Licht als Helligkeit definiert hatte. Die neue Sicht besagt, dass die Gleichung Licht = Licht nur in der Physik gilt. Wenn man wahrnimmt, dass es ein Spektrum hat - und nicht nur weiß ist, wie seit Newton bekannt -, muss man anerkennen, dass die Wirkung des Lichts nicht so simpel ist. Wenn man auch anerkennt, dass Menschen unterschiedlich sind, muss man sich von den beinah zum Totem gewordenen 500 lx verabschieden. Im zweiten Jahrhundert des messbaren Lichts haben wir noch viel zu verstehen.
Vielleicht verstehen wir im dritten Jahrhundert den messbaren Umgang mit der Farbe. Dieser ist heute den Hohepristern der Farbenlehre vorbehalten. Ob man Licht mit der V(λ)-Kurve misst oder an seiner circadianen Wirkung, das so betrachtete Licht ist grau wie nachts die Katzen. Wie sich Farben auf den Menschen auswirken? Ich denke, das kennt fast jeder. Aber kaum jemand weiß, dass weder die Alten Griechen noch die Römer, deren Umwelt, die Ägäis und das Mittelmeer, vermutlich vom schönsten Blau der Natur beherrscht wird, kein Wort für diese Farbe hatten. Und das Blau des Druckers und das des Farbmetrikers bedeuten nicht dasselbe. Immerhin wissen wir, dass es unsere Hormone beeinflusst und daher tagsüber willkommen ist, aber nachts möglichst vermieden gehört.
27.02.2024
Es hat nur 111 Jahre gedauert. Aber es ist so weit! Die LiTG hat im November 2023 beschlossen, ihren Namen zu ändern. Auf Wikipedia heißt sie am 27. Februar 2024 noch Deutsche Lichttechnische Gesellschaft e. V. Aber das kann sich ja noch ändern. Offiziell heißt sie aber Deutsche Gesellschaft für LichtTechnik + LichtGestaltung.
Damit soll das Ende einer Ära eingeläutet werden, in der die Sicht auf die Welt, die bekanntlich nur Licht vermitteln kann, nicht mehr parzelliert beackert wird. Mit dem Parzellieren meine ich die arbeitsteilige Behandlung von Wissen und Techniken, die uns das Erkennen unserer Umwelt ermöglichen sollen. So erkennen wir Dinge um uns herum durch ihre Gestalt, Helligkeit, Farbe und ihren Glanz. Zum Erfassen gehören noch mehr dazu, aber die haben mit Sehen nichts zu tun. Was ist der Beitrag von Lichttechnik zum Erleben der Umgebung?
Fangen wir von hinten an. Glanz… Was ist das eigentlich? Physikalisch gesehen ist Glanz "eine optische Eigenschaft einer Oberfläche, Licht ganz oder teilweise spiegelnd zu reflektieren." Damit ist eigentlich alles gesagt, was die Behandlung von Glanz in der Technik angeht. Man könnte nur dazu addieren, dass Glanz der Feind von Farbe ist. Denn glänzende Stellen sehen weiß aus. Glanz verhindert auch das Erkennen der Gestalt. Was sich hinter einer glänzenden Fassade verbirgt, erkennt man schlecht. Und eine glänzende Nase sieht weder beim Opernball noch in einer Frittenranch anziehend aus.
Indes das alles sagt nichts über die gesamte Wirkung von Glanz aus. Sie ist janusköpfig. Ein Portrait ohne Glanz auf den Augen zeigt meistens einen Toten. Würde jemand eine sechsstellige Summe für ein Auto hinlegen, das einem matt daher kommt? Kann die Lackindustrie existieren ohne Töpfe voller Farben, die Oberflächen funkeln lassen? Könnte ein Juwelier auch nur einen einzigen Diamanten verkaufen, der eine Oberfläche hätte wie ein Ziegelstein? Was wäre Weihnachten ohne Lametta?
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Wenn man sich die Bedeutungen des Glanzes anguckt, die u.a. mit den besagten Wirkungen verbunden sind, erkennt man den Begriff Glanz noch deutlicher. Glänzende Aussichten …, eine glanzvolle Gala …, Hochglanzprospekte … Wer einer solch bedeutsamen Erscheinung nur eine Nebenrolle einräumt, dazu noch eine negative, kann nicht auf eine glänzende Zukunft hoffen. Die Lichttechnik beschäftigt sich vornehmlich mit der Physik des Ganzen und mit dem Vermeiden störender Wirkungen. Das Geschäft mit Glanz machen andere.
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Gehen wir weiter nach hinten. Farbe! Es gibt nur wenige Menschen, die keine Farbe sehen. Vermutlich noch weniger Menschen wollen in einer farblosen Welt leben. Dennoch gehört die Farbenlehre in der Lichttechnik ins Nebenfach. Das hat einen sachlich wichtigen Grund. Denn die Beleuchtungstechnik für allgemeine Umgebungen will "farbneutral" sein. D.h. Farben sollen durch die beschienenen Objekte entstehen und nicht durch das Licht vorgezeichnet. Daher ist in der Beleuchtungstechnik das bevorzugte Licht weiß, was das immer heißen mag. Farbiges Licht benutzt man für beabsichtigte Effekte.
Der Umgang mit Farbe erfolgt noch arbeitsteiliger als der mit dem Glanz. Die Farbenlehre, also die Lehre von der Ordnung und Beschreibung von Farben, sowie deren Wirkung und Anwendung, ist nicht Thema einer Disziplin. Die Farbtheorie und Farbforschung beschäftigt sich mit der wissenschaftlichen Untersuchung von Farben, z. B. mit der Entstehung von Farbempfindungen im Auge oder der physikalischen Beschaffenheit von Licht. Wenn man sich aber anguckt, was für Menschen sich damit beschäftigen und wie viele Farbsysteme es gibt, kann einem schwindlig werden. Den berühmtesten davon, einen J.W.v. Goethe, kennt man eigentlich als begnadeten Literaten. Er selbst hielt aber seine Farbenlehre als sein wichtigstes Werk. Bei einer weit weniger bekannten, aber nicht minder bedeutsamen Person, Manfred Richter, maßgeblicher Entwickler des DIN-Farbsystems, habe ich studiert. Im Gegensatz zu den beiden stand eine Frau, die ich gerne kennengelernt hätte, Eva Heller. Sie hat die Bedeutung von Farben im Alltag hervorgehoben und ein größeres Bewusstsein für ihre subtilen psychologischen Effekte geschaffen. Sie war vom Beruf Sozialwissenschaftlerin. Ansonsten war ihre Hauptbeschäftigung dieselbe wie bei Goethe, Literatin ("Beim nächsten Mann wird es anders")
Bei den Farbsystemen und Farbmodellen mischen Technik, Wissenschaft und vielleicht auch Kultur mit. So ist es garantiert nicht die Physik, die Newton dazu bewegt hatte, im Regenbogen genau 7 Farben zu erkennen. Es sind unendlich viele. Farbsysteme, abstrakte Konzepte zur Organisation von Farben, bilden die Grundlage für Farbmodelle, also konkrete Anwendungen dieser Systeme in bestimmten Medien. Kein Wunder, dass es mehrere davon gibt.
Der Umgang in der Technik mit dieser Komplexität fällt indes ernüchternd aus. Die Beleuchtung soll Farben sichtbar machen. Der einstige Traum vor 100 Jahren, den ein gewisser Luckiesh geträumt hatte, ein künstliches Tageslicht zu schaffen, weil Menschen ein Recht darauf hätten, natürliche Farben zu sehen, ist ausgeträumt. Die Lichttechnik schlägt sich mit einem Konzept des Farbwiedergabeindex aus den 1960ern herum. Etwas Neueres lässt sich leider nicht in die Praxis bringen. An einem Mangel an Ideen liegt es nicht.
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Bevor wir uns zum Hauptbetätigungsfeld der Lichttechnik begeben, der Helligkeit, noch ein Wort zu Gestalt. Das ist die Form der Dinge, die wir z.B. mit den Händen erfassen könnten. Man kann diese auch messen, weil sie physikalisch existiert. Ob diese Messung etwas bringt, sei dahingestellt. Wer anders denkt, kann sich z.B. daran machen, den David von Michelangelo mit dem Zollstock zu vermessen.
Wie nimmt einer den David wahr? Sehr unterschiedlich! Denn es gibt drei davon. Sie stehen in Florenz in drei Umgebungen. Der echte David muss wetterbedingt in ein Museum (Galleria dell’Accademia). Eine Kopie steht vor dem Palazzo Vecchio, die andere auf einem Sockel auf der Piazzale Michelangelo. Der letztere David ist aus Bronze, hat aber dieselbe Gestalt. Das Licht in der Galleria wechselt über den ganzen Tag. Zu später Zeit ist es auch elektrisch. Auf dem Palazzo Vecchio kann man von morgens bis abends einen David unter Tageslicht bewundern, zu später Zeit naturgemäß im Lichterschein der Cafes drumherum. Den David in Bronze sieht man vor dem Panorama der Stadt Florenz, aber gegen den Himmel. Wie David einst, vor einer Ziegelmauer lieblos aufgestellt, ausgesehen hat, will man besser nicht wissen. Ich zeige das Bild dennoch, damit es deutlich wird, was eines der wichtigsten Kunstwerke der Geschichte mit seiner Umgebung gewinnt oder verliert.
Welchen Anteil an den Eindrücken, die die Menschen erleben, bestimmt der Beitrag der Lichttechnik? Erleben sie nur das, was sie sehen? Die Bibelschüler, die Taliban, die Touristen auf dem Platz, die Kunstschüler?
Die Lichttechnik liefert zum einen die Technik, also die Lampen und Leuchten, und zum anderen die Sehleistung, das ist was man braucht, um etwas zu erkennen. Um David zu erleben, braucht man nur wenig davon. Wer hingegen Oberflächenfehler auf dem Blech suchen will, bevor es zum Auto wird, kann es ohne den Beitrag der Lichttechnik nicht. Wir verbringen aber unser Leben nicht in solchen Umgebungen und trennen nicht scharf zwischen einem Privatleben, wo uns wohlgeformte Produkte unter die Nase gehalten werden, wenn wir als Käufer auftreten, und einem Berufsleben, wo sich alles einer Leistung unterordnet. Schon gar nicht einer Sehleistung, von der niemand weiß, was sie ist, bis man den Faden durch die Öse ziehen muss.
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Die Lichttechnik hat sich auf die Helligkeit konzentriert, die das Erkennen der Dinge ermöglicht bzw. erleichtert. Diese Aufgabe ist keine Kleinigkeit. Vielmehr hat sie mit dem Beitrag dazu Industriegeschichte geschrieben. Allerdings musste man zu diesem Zweck erstens von den Umgebungen für das Privatleben verabschieden. So gehört der Bereich "Wohnraumleuchten" nicht zum harten Bereich von Lichttechnik. Die Unternehmen, die auf dem Gebiet tätig sind, dürfen sich Leuchtmittel kaufen und diese in ihre Produkte einbauen, die man verächtlich als Lichttöter bezeichnet. Die Normen der Lichttechnik sparen diesen Bereich aus: „Die Gestaltung der Beleuchtung lässt sich nicht in Richtlinien festlegen.“, sagte DIN 5035-1 von 1979.
Von dem Rest der Nichtwohngebäude will man auch nicht alles wissen. Die dort angesiedelten Räume werden in zwei Gruppen geteilt: sog. stimmungsbetonte Räume und … (Ich lästere oft, das seien stimmungstötende Räume). Dementsprechend unterschiedlich fällt der normative Rat aus, an dem die LiTG seit etwa 1935 beteiligt war: „In den stimmungsbetonten Räumen spielen gestalterische Gesichtspunkte und solche der Behaglichkeit eine Rolle.“, hieß es in der Norm. Wie man bei solchen Räumen gestalterische Gesichtspunkte behandelt, umschreibt, regelt…? Fehlanzeige. Das überließ man an ungenannte andere. Gestalterische Aspekte und Behaglichkeit spielen in Arbeitsräumen keine Rolle.
Und man sah die Hauptaufgabe darin, die Arbeitsräume zu beglücken: "In Arbeitsräumen muß die Beleuchtung eines müheloses Erkennen der Sehobjekte ermöglichen." Man konnte übrigens mühelos erkennen, was für Künstler da am Werk waren.
Just darum geht es im 112. Lebensjahr der LiTG. Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer arbeitet am Computer und pfeift auf die Sehleistung. Für viele von ihnen bietet die Beleuchtung das Gegenteil von Sehleistung - Störungen des Sehens. Zudem ist die einst wohlbegründete Trennung zwischen dem Arbeitsraum und dem Wohnraum unwiderbringlich entfallen. Viele Arbeitgeber kämpfen darum, ihre Angestellten in die Büros zu locken.
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Sollen die Leute doch mit ihren geliebten Wohnraumleuchten glücklich werden! Leider war es dem nie so, dass Menschen in ihrer Wohnumgebung auf eine hohe Sehleistung verzichten konnten, während sie in ihrer Arbeitsumgebung diese unbedingt gebraucht hätten. Die Trennung war nur durch den Marktsegment bedingt, den bestimmte Firmen bedienen wollten. Auch in Wohnbereichen braucht man funktionelle Leuchten. Sie dürfen nur nicht nach lieblos gebogenem Blech ausschauen. In diesem Zusammenhang sagte einst ein bekannter Leuchtenentwickler seufzend: "Loch an der Decke braucht kein Design."
Die Namensänderung der LiTG bedeutet nichts anderes als die Anerkennung der Sachlage: Wir brauchen Lichtprodukte von 100% dekorativ bis 100% funktional. Dass man so etwas nicht normativ regeln kann, ist nur der Phantasiearmut der einstigen Protagonisten zu verdanken. Es geht. Nur nicht so, wie es gemacht wurde.
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Wer erleben möchte, dass man mit Licht Dinge in einem völlig anderen Licht sehen lassen kann, hatte letzten Sonntag eine gute Gelegenheit. Nach dem Tatort gab Carmen Miosga ihren Einstand als Talkerin und hatte dazu einen besonderen Gast eingeladen, Friedrich Merz. Als sie ihm erläutern wollte, wie sie seine Einstellung einschätze – also gestrig – wurde eine Lampe aufgebaut, die man in Deutschland schon lange kennt.
Es gab sie beim „Kommissar“ Ende der 1960er. Und vor zwei Tagen bei Soko Wismar. Die Lampe von Kaiser Leuchten gehört somit in jede gute deutsche Wohnstube. Merz meinte, er hätte sie in dem Amtszimmer von seinem Vater in Brilon gesehen. Ob er sie wirklich so gesehen hat? Glaube ich nicht.
Die neue Kaiser-Leuchte zeigt zwei Lichtkränze, die es beim Kommissar nicht gegeben hatte. Im Scheinwerferlicht sieht vieles eben anders aus. Man har wohl vergessen, die gute Leuchte zu pudern.
29.09.2022
Dieser Tage erschien ein bemerkenswertes Werk. Es ist ein ISO-Dokument, das die biologischen Wirkungen von Licht auf den Menschen dokumentieren wollte. Nun darf man nicht mehr biologische Wirkungen sagen, weil auch das Sehen ein biologischer Vorgang ist. Und was für einer! Das Gehirn verbraucht die Hälfte seiner Energie für visuelle Prozesse. Der Lichttechnik ist aber nicht genug, sich allein damit zu beschäftigen. Man wollte auch die nicht-visuellen Wirkungen normen. Das ist sogar dringend nötig, denn gutes Sehen fördert nicht immer die Gesundheit. Abendliches Licht kann sogar Krebs verursachen, so man den Forschenden glaubt. Diese Theorie ist so neu nicht. Bereits in den 1960ern behauptete jemand, Licht erzeuge Krebs. Die LiTG konterte mit medizinischen Gutachten, die das Gegenteil behaupteten. So wurde die Sache erst einmal Glaubenssache. Seit etwa 20 Jahren weiß man es etwas besser. Die Lichtanwendung, und nicht Licht, kann zur Krebsentstehung beitragen, würde man heute behaupten. Denn man weiß seit 2002, wie Licht Lebensrhythmen beeinflussen kann. Und dass eine falsche Beeinflussung negative Folgen zeitigen kann. Bis zur Krebsentstehung.
Man kann das Wissen auch positiv anwenden und nach Wegen suchen, wie man Licht und Beleuchtung so gestalten kann, dass davon positive Wirkungen herrühren. Die früheren Bemühungen dazu hatte ich vor einger Zeit kommentiert (hier) Jetzt ist ein ISO-Dokument fertig, ein Technical Report. Das ist ein normatives Dokument, das die Fachwelt über ein bestimmtes Thema informiert, ohne dabei Empfehlungen auszusprechen. Das Papier heißt "ISO/TR 21783 Light and lighting — Integrative lighting — Non-visual effects". Das "integrative" Licht ist nicht etwa eine ganzheitliche Betrachtung aller Wirkungen von Licht, sondern es handelt sich um eine Beleuchtung, bei der man neben den visuellen Wirkungen die nicht-visuellen mitbetrachtet, die dann zusammen Vorteile physiologischer und/oder psychologischer Art für den Menschen ergeben. In Deutschland versteht man unter integrativ, eher integriert, eine Lichtplanung, die künstliches und natürliches Licht gemeinsam berücksichtigt, wie sie in der Arbeitswelt auch auftreten.
So etwas wie integratives Licht kennt man schon länger. Z.B. wirken sich manche Farben positiv auf die Psyche aus. Wenn man dies bei der Planung berücksichtigt und auch auf die messbaren Effekte achtet, hätte man schon eine integrative Beleuchtung. Das ist aber nicht gemeint, sondern die Wirkung des Lichts, das in das Auge eindringt und den Tagesverlauf der Hormonausschüttung beeinflusst. ISO/TR 21783 gibt bislang bekannte Erkenntnisse wieder und belegt diese mit Literatur. Womit sollte man sonst neue Erkenntnisse belegen?
Leider, leider ist es verdammt schwer, physiologische Erkenntnisse in der Arbeitswelt zu ermitteln. Etwa die Körperkerntemperatur während der Arbeit messen. Wer will schon bei der Arbeit mit einem Rektalthermometer herum laufen? So musste man auf Studien ausweichen, die mit der Arbeitswelt relativ wenig zu schaffen haben, so z.B. auf Studien aus der Schlafforschung. Man könnte zwar als Lästermaul meinen, die Anwendbarkeit auf Büroarbeit wäre schon gegeben. Das kann ich mir nicht leisten. Allerdings habe ich mich nicht schlecht gewundert, wie die Erkenntnisse zusammen gekommen sind:
Der geneigte Leser kann sich nun damit amüsieren, woher welche Erkenntnis stammt. Da dies auch dem gewieftesten Leser nicht gelingen wird, habe ich eine Analyse selbst gemacht. Hier eine Auflistung der Quellen nach Thema:
Alle diese Publikationen haben zuweilen Signifikantes dieser oder jener Art ergeben. Was sagen sie aber zur Beleuchtung von Arbeitsplätzen aus? Keine dieser Studien wurde übrigens von Lichttechnikern erstellt. Ich weiß nicht so richtig. Aber manches Statement in dem Dokument lässt aufhorchen: "Integrative lighting could increase academic performance and concentration. There is some evidence from animal models, but limited evidence in human populations …" (etwa "Integrative Beleuchtung kann Konzentration und akademischen Lernerfolg fördern. Es gibt dazu bestimmte Evidenzen aus Tiermodellen, aber nur begrenzt Aussagefähiges aus Humanpopulationen"). Ich schätze, das ist wahr, denn mir ist kein Tiermodell bekannt, das eine akademische Leistung, welche auch immer, erklären hilft.
Die Autoren scheinen ihre eigenen Statements mit Vorsicht zu genießen, Denn sie warnen eindringlich davor, dass Hinz und Kunz eine integrative Beleuchtung planen könnte: Die hier gestellten Bedingungen entsprechen in der Medizin etwa der Apothekenpflicht. Schlimmer noch: Apotheker gibt es an jeder Ecke, Spezialisten für medizinische Wirkungen von Beleuchtung, die sie planen könnten, müssen hingegen noch geboren werden. Sollte es davon doch welche geben, müsste jeder Betrieb echte Spezialisten einstellen, um eine solche Beleuchtung zu betreiben. Und alle Beteiligten müssten unglaublich einfache Dinge berücksichtigen bei ihrem Tun:
Was macht eigentlich die Expertentruppe mit diesbezüglichem Wissen, wenn sie es denn bekäme? Sie muss sie beachten, um Folgendes zu bewerten:
Generalisierte Schlafrhythmen bewerten? Die Lichtmenge am Auge bewerten, die die circadiane Aktivierung zu erzeugen? Diese Aufgabe werden Lichtplaner einem mit Handkuss abnehmen. Solches Wissen nehmen sie mit der Muttermilch auf. Von dem Lichtdesigner wird etwa eine ähnliche Fähigkeit erwartet wie von Clark Kent beim Heben von Lokomotiven samt Brücke, die einstürzen will. Z.B. muss dieser Folgendes können:
Können vor Lachen. Niemand hat sich bislang die Mühe gemacht, die schützenswerte Qualität der Beleuchtung zu beschreiben. Die Experten sind offenbar lieber auf anderen Gebieten unterwegs, wo sie nicht viel beitragen können.
25.09.2022
Eine von mir sehr geschätzte Quelle erzählt uns das über Lichtwirkungen, was links zu sehen ist. "Keine Lichtwirkung" = Licht von oben. "Gute Lichtwirkung" = Licht von vorn. Alles, was von da unten kommt, könnte blenden. Bitte keine Leuchten unterm Auge! (Guter Rat, übrigens.)
Da bei mir der Alzheimer noch nicht allzu stark zugeschlagen hat, erinnere ich mich noch an die Worte eines Lichtguru, der sagte "Alles Gute kommt von oben". Jetzt hat es aber keine Wirkung. Keine Gurus, aber Lichtplaner packen Leuchten und Lampen, die blenden können, weg von der Stelle, die "gute Lichtwirkung" verspricht. Und platzieren dort, wo das Licht nach diesem Bild keine Wirkung haben soll.
Doofe Leute wie ich, die Lichttechnik studiert haben, haben hingegen andere Bilder mit der Muttermilch aufgesogen. Leuchten packst du schön nach oben, damit sie nicht blenden. Fenster kannst du nicht wegpacken, also drehe die Leute so, dass sie nicht da hinein gucken können. Sonst werden sie geblendet. Alle Buchstaben des griechischen Alphabets werden bemüht, um die Winkel zu anzugeben, unter denen Leuchten blenden.
Was müssen wir alles aus der Lichttechnik entsorgen, damit die Beleuchtung der schönen neuen Lichtwelt entspricht? Die Firma, die die Idee mit den super-entblendeten Leuchten hatte - BAP-Beleuchtung - hat sich selbst entsorgt. Wir müssen nur zusehen, was ihre Hinterlassenschaft in der Literatur angeht. Zuerst müssen wir die Zahl 200 entsorgen. Das war die Leuchtdichte, die nie überschritten werden durfte. Sie steht der LED-Beleuchtung im Wege, also weg damit. Die Norm, die sie verherrlichte, DIN 5035-7, ist schon lange entsorgt. Schade um das viele Geld, mit dem die Norm einst hoffähig gemacht wurde. Professoren sind nicht billig. Wir müssen nur noch die Artikel aus der Fachpresse ausfindig machen, die die Norm einst verherrlichten. Und ein Kapitel aus einem Standardwerk zu Beleuchtungstechnik. Verbrennen? Geht schlecht in Deutschland wg. der Geschichte. Aber gegen Kompostieren hat niemand etwas. Da kommt endlich Mist zu Mist!
Was ist jetzt anders geworden? Die Lichtwelt interessiert sich nicht mehr für das Sehen. Blendung war gestern. Heute muss man die Leuchten dorthin packen, wo man sie einst wegnehmen musste. Jetzt sind biologische Wirkungen in. Und die werden maximiert, wenn das Licht ins Auge geht. Früher, lang lang ist's her, wurden Leuchten streng entblendet, damit ja kein Bildschirmbenutzer was ins Auge kriegt. Jetzt veranstalten wir exakt das Gegenteil. Und das ist gesund.