Die Entdeckung eines neuartigen Lichtempfängers im Auge im Jahre 2001 hat nicht nur eine Lawine neuer Publikationen ausgelöst, die sich mit nicht-visuellen Wirkungen von Licht - auf den Menschen - beschäftigen. Die Wirkungen aufs Gemüse (hier) und Puten (hier) waren schon lange bekannt und werden in der Landwirtschaft und Viehzucht, ich meine Kleinviehzucht, ausgiebig ausgenutzt. So werden Hühner im künstlich abgekürzten Tag gehalten und legen so mehr Eier pro Zeiteinheit. Das Huhn lebt also in seiner Körperzeit und das ist vorteilhaft. Für den Massentierhalter. Dass die Hühner dann schneller sterben - dazu darf man Boris Palmer, den Bürgermeister von Tübingen, sprechen lassen. Er hatte gesagt, wir würden Menschen retten, die in einem halben Jahr sowieso sterben. Also wozu Hühner retten, die eh bald im Suppentopf landen? Menschen machen zwar Mist, sind aber deswegen noch lange nicht Kleinvieh. Seit 1920 versucht ein Heer von Forschern, ihre Leistung mit Licht zu erhöhen.
Jetzt jagt ein internationaler Ausschuss nach Argumenten, die die Beleuchtung in einem neuen Licht erscheinen lassen: vorteilhaft und sicher. Das ist sicher vorteilhaft, fragt sich aber für wen? Ein Blick auf die Teilnehmerlisten entsprechender Arbeitskreise hilft da umgemein. Etwa zwei Drittel der Teilnehmer kommen von Herstellerfirmen. Die wollen nun ein integratives Licht erfinden, das physiologisch oder psychologisch vorteilhaft für Menschen ist.
Also Schluss mit Ideen wie die psychologische Blendung, wonach eine Beleuchtung gut genug ist, wenn sie nicht mehr als 53% der Leute stört (= UGR 19, gut genug für die meisten Büroarbeitsplätze). Es gibt zwar Leuchten, die definitionsgemäß nur 0% stören, das ist aber zu einfach für die Industrie. Was können das für Argumente sein? Z.B. so ein Licht:
So doch nicht. Das ist Tageslicht. Davon können nur Engel leben.
Also suchen wir nach was Besserem. Integratives Licht kann "academic performance" erhöhen, sagt der Ausschuss. Was academic performance sein könnte, steht da nicht drin. Es muss aber was tierisch Ernstes sein. Denn es gäbe dazu nur Beweise aus Tierexperimenten, jedoch nicht aus Experimenten mit Menschen. So steht es in einem offiziellen Papier.
Hier ist etwas Vorteilhaftes: "Lichtexposition unterhalb festgelegter Grenzwerte beseitigt jegliches Risiko einer Verletzung oder Störung." Nicht schlecht die Idee. Werden dann alle Lichtnormen abgeschafft, die nur Mindestwerte vorgeben? Und die ausdrücklich keine Grenze nach oben nennen?
"Zuviel Licht zur falschen Zeit für die falsche Tätigkeit oder falsche Person kann schädlich sein." Echt wahr, z.B. wenn ein Konstrukteur am CAD Bildschirm zu viel Licht hat, hat er zu viel vom Licht. Wird die Norm abgeschafft, die jedem Konstrukteur mindestens 1500 lx auf seinem Bildschirm garantiert? (hier). (Anm.:Die Norm wird nicht abgeschafft, weil der Obmann des Ausschusses, aus dem diese Zahl stammt, auch der Obmann des Ausschusses ist, der diese Perlen produziert.)
Um vorteilhaft zu sein, "kann es erforderlich sein, für unterschiedliche Altersgruppen unterschiedliche Belichtungen vorzusehen". Mein Wort seit Jahren! Ich wusste schon immer, dass die Alten einpennen, weil sie zu wenig "blaues" Licht abbekommen. Jetzt soll ihr Defizit wegen unterschiedlicher Lichttransmission der Augen durch unterschiedliche Bestrahlung ausgeglichen werden.
Es gibt aber ein Lichtzeichen, das besagt, dass diese Norm nie in Aktion treten wird. Denn sie besagt, dass eine Beleuchtung nur dann vorteilhaft kann sein, wenn sie nicht durch den Lichtplaner geplant wird, sondern durch einen multidisziplinäres Team unter Einschluss von Arbeitsschutzbehörden, Psychologen und anderen. Die Angestellten (kein Übersetzungsfehler!) können, wenn sie die Kontrolle über die Beleuchtung bekommen, ohne dass sie in die eingebaute Beleuchtungsinstallation eingeführt worden sind, diese unvorteilhaft benutzen. Daher müssen Massnahmen zur angemessenen Einführung und Warnung getroffen werden, wenn persönliche Einflussnahme möglich gemacht wird. Ob das bedeutet, dass jeder Lichtschalter nach einer Schulung aller Mitarbeiter eingebaut werden darf und immer darüber steht "Vorsicht! Unachtsames Schalten kann gefährlich sein!"?
Was aber eine wichtige Empfehlung bedeutet, weiß jeder: "WICHTIG - Alle vorteilhaften Auswirkungen von integrativer Beleuchtung sind nur dann erzielbar, wenn sie ordnungsgemäß und individuell geplant wird und für die jeweilige Planungsaufgabe durch qualifizierte Fachleute angepasst wird." Der Satz ist etwas verunglückt, will aber sagen, dass nur qualifizierte Fachplaner Beleuchtung planen dürfen. Wer will dagegen sprechen? Niemand! Ist sehr vernünftig. Die Lichtplaner und ihre Lobby kämpfen seit Jahrzehnten dafür - ich übrigens noch länger, weil ich das Versagen schlechter Beleuchtung eher als Folge mangelhafter Planung verstehe. Wo liegt also das Problem?
Das ganz schlichte Problem ist, dass nur etwa 5% großer Bauvorhaben einen Lichtplaner beschäftigen. Die größten Sünder, die dafür verantwortlich sind, sind aber nicht die Feinde der Lichttechnik, sondern die Vertriebsmechanismen der lichttechnischen Industrie. Mehr als 90% der Leuchten finden ihren Weg in die Decke von Arbeitsstätten über den Elektrogroßhandel. Wenn man noch tiefer gräbt, landet man bei der HOAI (hier). Ausgeschrieben Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen! Da kommt der Lichtplaner, so er denn überhaupt vorkommt, ganz schlecht weg. Wenn er dann auch noch "gesundheitsgerecht" integrative Beleuchtung planen soll, dann gute Nacht.
Licht und Gesundheit wird 30Mitte Mai 2020 wird der Begriff "Licht und Gesundheit" 30 Jahre alt. Unter diesem Titel veröffentlichte das ERGONOMIC Institut seine Studie über die Wirkungen vom Licht auf den Menschen nach 15 Jahre Forschung. Obwohl das Ziel der Studie es war, die Wirkungen von künstlicher Beleuchtung zu erfassen, hieß der Sieger Tageslicht. Dieses war aber nach dem deutschen Gesetz gar keine Beleuchtung. Die Verordnung für Arbeitsstätten von 1975 hatte es aus einem dort nicht genannten Grund weggelassen: In Deutschland kümmern sich die Länder traditionell um Tageslicht. Für den deutschen Arbeitsschutz gab es daher kein Tageslicht. Für deutsche Berufsgenossenschaften gab es als Beleuchtung nur die künstliche. Und für die Presse? Hier ein Beispiel, was die Presse aus der Studie machte. (Westfälische Nachrichten 31. Mai 1990)
Die Studie wurde weitere 8 Jahre fortgeführt, um die Ergebnisse mit Untersuchungen in der Praxis zu verifizieren. Ein Klick auf das Bild führt zu der Ausgabe 1998 in Deutsch. Hier kann die erste englische Version heruntergeladen werden. Um zu sehen, was die Studie bewirkt hat, bitte "Licht und Gesundheit" und "Light and Health" in ein Browserfenster tippen. Auf Deutsch findet man 909.000 Stellen von Uni München bis gartenflora.de, auf English derzeit 28,400,000. Keine Fundstelle verweist auf älteres Wissen vor 1990. Und seit 2004 ist Tageslicht gesetzliches Recht des Arbeitnehmers.
Dieses Recht hatte der deutsche Arbeitnehmer auch 1975 bekommen, aber unter anderem Namen - Sichtverbindung nach außen. Dies ist zwei Lichttechnikern zu verdanken - Prof. Jürgen Krochmann und Dr. Georg Roessler. Der eine war mein Doktorvater, der andere Kollege. Ohne deren Arbeit würde unser Bericht wohl den Titel "Licht und Krankheit" tragen.

Scheint irgendwie neu zu sein. So etwas liest man in den letzten 15 Jahren häufig. Man freut sich riesig in der Lichttechnik, dass sich die Wirkungen des Lichts nicht auf das Sehen beschränken. Sehr gut die Aussage!
Wie alt diese Erkenntnis wirklich ist, kann ich nur mutmaßen. Gedruckt steht sie in einer Broschüre vom Deutschen Lichtinstitut e.V. von 1970! Da dies die 18. Auflage der Broschüre ist, muss die Weisheit noch älter sein. Was sagt uns das?
Was die Lichttechnik verpatzt hat, habe ich des Öfteren geschrieben. Der wahre Täter scheint aber eher die Gesellschaft zu sein, die solche Erkenntnisse schlicht ignoriert hat. Die hat sie nicht nur einfach übersehen, weil niemand ihr die Bedeutung nahe gebracht hat. Ein gewisser Prof. Hollwich, die wahre Quelle der obigen Aussage, hatte diesbezügliche Arbeiten kurz nach dem Krieg veröffentlicht. Die LiTG lieferte mit ihm eine Jahrzehnte lange Fehde. Und wandte sich auch an den Bundestag. Später bei der größten je in Angriff genommenen Initiative zur Verbesserung der Arbeitswelt, Humanisierung der Arbeitswelt, bekam einer, der dieser Sache nachgehen wollte, die Antwort: "Licht ist nicht humanisierungsrelevant." Das war die Antwort auf einen Antrag von mir. Dass ich davor etliche sehr gute Projekte erfolgreich abgeschlossen hatte, tat nichts zur Sache. Man sagte mir, es gäbe Geld genug - aber halt nur für relevante Dinge.
Und wo hatten eigentlich die Beamten, die mir den komischen Bescheid gaben, ihre Weisheit her? Früher in der Lichttechnik Tätige Leute kennen die Quelle. Die Industrie hatte die damals tätigen Universitätsprofessoren angeschrieben und um mehr Aufmerksamkeit für die Beleuchtung geworben. Die Antwort fiel kühl aus (bitte nicht mit cool übersetzen): Beleuchtung ist akademisch nicht relevant. Die Industrie möge sich an die Fachhochschulen wenden. Der Tag der Antwort feiert demnächst 30-jähriges Jubiläum. DIe Broschüre vom Deutschen Lichtinstitut e.V. feiert ein noch runderes Jubiläum, 50!
Die Lichttechnik ist etwas, was zwischen sehr speziellem Fachgebiet und Allgemeinwissen liegt. Was sie genau ist, habe ich bislang nicht begriffen, obwohl meine Doktorarbeit auf dem Gebiet fast 50 Jahre alt wird. Das mag an meiner Dummheit liegen oder aber an der Sache selbst. Denn zum Begreifen von Etwas muss Etwas existieren. Beispielsweise können Menschen Computer nicht begreifen, weil der so nicht existiert. Früher gab es ihn wirklich als große Kiste im Schaufenster, damit die Betreiber zeigen konnten, dass sie modern arbeiten. Heute kann jeder Autoschlüssel den Computer von anno tobak um Längen schlagen. Ähnlich geht es mit der Lichttechnik.
Der oberste "Feldherr" aller Lichttechniker, die CIE, nimmt für sich in Anspruch, alles was Licht, Sehen, Anzeigen u.ä. angeht, exklusiv betrachten zu dürfen: "an international forum for the discussion of all matters relating to the science, technology and art in the fields of light and lighting …" Das schließt so alles ein, was Licht, Strahlung Sehen usw. angeht: "note that in these objectives light and lighting embraces such fundamental subjects as vision, photometry and colorimetry, involving natural and man-made radiations over the UV, the visible and IR regions of the spectrum, and application subjects covering all usage of light, indoors and out, including environmental and aesthetic effects …" Während mir beim Aufzählen die Puste ausging, erzählt die CIE weiter "From 1999 onwards also the optical, visual and metrological aspects of the communication, processing and reproduction of images, using all types of analogous and digital imaging devices, storage media and imaging media are covered by CIE."
Geht es eine Nummer kleiner? Müsste eigentlich. Z.B. auf dem Gebiet der nichtvisuellen Wirkungen des Lichts. Die heißen abgekürzt NIF (non-image-forming) und wurden von der CIE etwas zu spät entdeckt. Zuerst waren die Mediziner dran. Eigentlich hat es die CIE gewusst, aber nicht gemerkt. Denn ein gewisser Rikard Küller (hier) hatte schon in den 1980er Jahren jede Menge Literatur dazu gesammelt und geschrieben. Dass viel von der Weisheit vor mindestens 50 Jahren veröffentlicht worden war, habe ich gestern kommentiert (hier). Nun hat die CIE schnell die Definition von Beleuchtung geändert. Allerdings niemanden darüber informiert. Warum denn informieren, wenn man alles selber macht? Sie produziert mit ISO zusammen auch einen internationalen Standard dazu. Warum nicht?
Darum: Im Heft Licht 2/2020 diskutieren Lichttechniker aus der TU Berlin das:

Was sagt uns dass? Dass ausnahmslos alle vorhandenen Studien potenziell mit einem mehr oder weniger großen Fehler behaftet sind, weil man die Lichtbedingungen nicht korrekt hat messen können. Nun sind theoretisch alle Messungen mit einem Fehler behaftet, es kommt daher darauf an, wie groß der Fehler ist. Hier die Meinung der Autoren: " …Dennoch werden die Lichtverhältnisse oft nur mit der vertikalen Beleuchtungsstärke am Auge und … beschrieben. Beide Werte sind integrale Größen und somit nicht geeignet, …"
Wenn es nur das wäre! Ich hatte vor einiger Zeit dargestellt, dass es die Vertikalbeleuchtungsstärke in künstlich beleuchteten Umgebungen gar nicht gibt: Vertikalbeleuchtungsstärke - Ein modernes Märchen zu gesundem Licht (hier). Das Licht kommt fast immer von oben. Jede Beleuchtungsstärke wird nach einer räumlichen Verteilung gemessen, die für das Aufwärmen von Milch in einem Topf angemessen wäre. Bei jedem Objekt, das nicht flach ist, gilt die Beleuchtungsstärke bedingt oder gar nicht. Bei den nichtvisuellen Wirkungen weiß man nicht, wie sich die räumliche Verteilung von Lichtquellen sie beeinflusst. Darum forschen die Kollegen aus Berlin (hier die Version veröffentlicht in LEUKOS The Journal of the Illuminating Engineering Society, Vol. 15, 2019, die Version in Licht hier bestellbar).
Licht muss in mehrerer Hinsicht anders gemessen werden, um die nichtvisuellen Wirkungen studieren zu können. Ein Vorschlag als Beispiel ist die Lichteinfallsstärke zu messen. Bei der steht der Mensch im Mittelpunkt und nicht die Lichtquelle. Mal andersherum denken. Doch damit ist nicht Schluss. Ein gewisser Mark S. Rea, seines Zeichens der Editor des größten lichttechnischen Handbuchs der Welt, hatte vor mehr als 15 Jahren gezeigt, dass die Lichttechnik neu erfunden werden muss, um mit NIF umzugehen. Das beginnt bei der V(λ)-Kurve von 1924. Die Arbeit der Berliner Forscher, veröffentlicht 2020, zeigt, dass noch nicht viel geschehen ist.
Hungriger Bär tanzt nicht
Heute bekam ich das Messeheft von Licht 2020 - L + B 2020, Opfer eines Virus, findet zwar nicht statt. Die Druckmaschine konnte wohl nicht gestoppt werden. Der bemerkenswerte Beitrag betrifft nicht LED, Hauptprodukt der Lichttechnik seit 20 Jahren, sondern das Tageslicht. Darin verlangt ein Professor von der Hochschule Luzern, Björn Schrader, das Tageslicht müsse eine Lobby finden.
Schön dass das Tageslicht hier in den Vordergrund geschoben wird. Und vor allem sachlich begründet. Bloß … das Tageslicht kann sich keine Lobby aussuchen. Es müsste vielmehr von einer Lobby gefunden werden. So um das Jahr 1995 war es so weit. Die EU machte ordentlich viel Geld locker, um "Tageslichttechnologien" - was das immer sein mag - zu fördern und zu entwickeln. Das Programm lief unter der Rubrik Energieeffzienz. Es gab viele Forschungsprogramme, Tageslichttechniken wurden klassifiziert, entwickelt, evaluiert. In Kloster Banz gab es ein Symposium "Innovative Lichttechnik in Gebäuden", veranstaltet von OTTI (Ostbayerisches Technologie-Transfer-Institut). Dort wurde viel innovative Tageslichttechnik präsentiert. Und die Mitveranstalter konnten sich sehen lassen: "die lichttechnischen Gesellschaften Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, der Bund Deutscher Architekten (BDA) und die Architektenkammern von Bayern, Baden-Württemberg und Tirol/Vorarlberg, für die fachliche Gesamtleitung zeichnet Prof. Dr.-Ing. Heinrich Kramer verantwortlich." (Ankündigung zu der Tagung in 2004). Mit dem 13. Symposium in 2007 kam das Ende. Zehn weitere Jahre danach war auch OTTI Geschichte. Innovative Lichttechnik findet ohne OTTI statt. Ob sie auch ohne Tageslicht stattfindet, kann ich nicht sagen.
Wohl sagen kann ich, dass die als Innovation verkaufte Energieeffizienz zu Gebäuden fast ohne Tageslicht führt. War zwar nie beabsichtigt. Prof. Schrader führt aber an, dass bestimmte Vorgaben wie "Fensterfläche eines Raumes muss mindestens 10% der Grundfläche entsprechen" (s. deutsche LBO)" nicht die Tageslichtversorgung sicherstellen, weil auch Fenster mit schwarzer Folie (Transmissionsgrad 5%) als solche gelten. Er führt an, dass argumentiert wird, dass niemand auf solche Schnapsideen käme. Dass es dennoch Sonnenschutzgläser mit einem Transmissionsgrad unter 30% eingesetzt würden. Dass die Größe eines Fensters allein eine Versorgung mit Tageslicht sicherstellen kann, kann jeder erleben, der ein Bäumchen vor seinem Haus pflanzt. Dieses, das Bäumchen, lebt vom Tageslicht, und er ist irgend wann kein Bäumchen mehr.
Zuerst zur Schnapsidee: Solche Folien gibt es seit etwa 40 Jahren. Ich sollte sie vor 30 Jahren begutachten. Der Hersteller wollte ein Gutachten auf dem Papier auf der Basis von Labormessungen. Als ich einen echten Raum mit einer solchen Folie sehen wollte, sagte er ab. Die Schnapsidee wurde auch nicht etwa unter dem Einfluss einer Flüssigkeit mit dem Namen erfunden. Zwei Arbeitsmediziner aus Schweden, einer war später der oberste Arbeitschützer von Schweden, fanden 1974, dass Bildschirme schlecht lesbar seien. Das stimmte, sie waren schlecht und unlesbar. Ergo? Man solle die Räume abdunkeln.
Das habe ich tatsächlich in der Praxis untersucht. Siehe da … Menschen mit Arbeitsplätzen an Südfenstern ohne Vorhänge und mit Bildschirmen, die kaum lesbar sind, arbeiten genauso effizient wie andere in wohl geschützten Innenräumen ohne jegliche Blendung. Und – vor Allem – sie fühlen sich wohler.
Das soll nicht etwa Anlass sein, Leute in der Sonne braten zu lassen. Es zeigt lediglich, dass die schlimmsten Bedingungen noch besser sind als die Trennung vom Tageslicht. Was Professor Schrader anführt, ist keine vollständige Trennung, aber fast. Sonnenschutzgläser mit einem Transmissionsgrad unter 30% nehmen ja nicht nur das Licht weg, sondern alles UV und IR.
Wenn einer die beste Schnapsidee sucht, hier ist sie: Energiesparen durch permanente Abdunkelung durch entsprechende Gläser + energiesparende künstliche Beleuchtung mittels LED. Die Therapiekosten wegen mangels gesunder Strahlung nicht eingerechnet. Denn Leute werden davon nicht direkt krank, sondern mittelbar. Das nennt sich Sick Buildings – Gebäude die krank machen.
Dass solche Gebäude äußerst gesund sind, allerdings für Leute, die damit Geld machen, kennt der Professor nicht. Oder ihm sind die nicht eingefallen. Einer dieser Leute gründete einst die Firma Healthy Buildings und machte damit schwer Geld. Vorher musste er aber Angst und Schrecken verbreiten, weltweit. Dazu propagierte er wovor Menschen wie Experten hilflos standen. In manchen Gebäuden fühlen sich Menschen unwohl, krank und müde. Und warum? Die Antwort gab der Chef der Firma selbst. Die unreine Luft. Warum gerade das - in der Kneipe ist die Luft manchmal zum Schneiden. Die Leute fühlen sich trotzdem wohl. Das große Geheimnis: Der Chef war Mikrobiologe und seine Firma verkaufte Luftfilter.
Und was hat das mit Tageslicht zu tun? Erstens, dass sich Leute in Gebäuden unwohl und krank fühlen, hat was mit der circadianen Rhythmik zu tun, bzw. damit, dass Menschen die Wirkung des Tageslichts verwehrt bleibt. Dann kann man in Gebäude Frischluft aus dem Schwarzwald blasen, sie fühlen sich immer noch nicht wohl. Und die Erkenntnis, dass Licht viel mit (Un)Wohlsein zu tun hat, kann zu besseren Gebäuden führen. Immer noch nicht den Bezug zum Tageslicht entdeckt? Da muss man auf den Webseiten von WELL umsehen. Das ist eine Firma, die Zertifikate für "gesunde" Gebäude ausstellt. Sie heißt International WELL Building Institute. Ihr neues Geschäftsfeld ist "Circadian Lighting". (mehr hier). Auf diesem Feld kloppt die sich mit UL (Underwriters Laboratories, eine Prüfgesellschaft für Sicherheit) und IES, die größte lichttechnische Gesellschaft der Welt, natürlich dort wo alles groß ist und noch größer werden muss.
Was muss ein Gebäude nu können, um WELL-mäßig gesund zu sein? Hier die Anforderungen: 
Also, es muss 150 EML oder mehr sein. Dann bekommt das Gebäude die Auszeichnung. Was EML sind? Das steht dahinter: 136 melanopic equivalent daylight D65. Und was ist das? Wer das nicht versteht, kann ja die Option nehmen. Das Projekt möge 120 EML mit Kunstlicht erreichen und 2 Punkte für einen verbesserten Zugang zum Tageslicht erhalten. Und was ist das? Egal, man kriegt sowieso nur einen Punkt. Da gucken wir lieber zu der Auszeichnung mit 3 Punkten. Dafür muss es 240 EML geben.
Melanopic equivalent daylight 65 müssen also erbracht werden, damit ein Gebäude ausgezeichnet werden kann. Und wie plant man so ein ausgezeichnetes Gebäude? Das muss man nicht nur dem dümmsten Architekten erklären, sondern allen, die etwas mit Gebäude zu tun haben. Aber Vorsicht, ein Fachseminar zum Thema wie "180 EML oder besser 163?" wird an der Füllung Ihres Geldspeichers kaum was ändern.
Felix Germania! Wir haben in Deutschland ein seit Jahren funktionierendes Auszeichnungssystem (mehr hier), entwickelt vom Bundesbauminister (BNB = Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen). Dort (hier) steht unter "Gesundheit, Behaglichkeit und Nutzerzufriedenheit - Visueller Komfort" das:
"Im Rahmen der Bewertungsliste werden die folgenden Teilkriterien beurteilt:
1. Tageslichtverfügbarkeit Gesamtgebäude (quantitativ)
2. Tageslichtverfügbarkeit ständige Arbeitsplätze (quantitativ)
3. Sichtverbindung nach außen (quantitativ)
4. Blendfreiheit Tageslicht (qualitativ)
5. Blendfreiheit Kunstlicht (quantitativ)
6. Lichtverteilung (qualitativ)
7. Farbwiedergabe (quantitativ)"
Und das System kommt ohne (Un)Begriffe wie EML aus, deren Messung eh ein Geheimnis von WELL ist. Darin ist auch eine deutsche Spezialität verarbeitet: Sichtverbindung nach außen. Die hängt zwar mit der Beleuchtung zusammen. Hat aber nichts damit zu tun. Wer eine Lobby für das Tageslicht sucht, sollte das BNB aktiv propagieren. Und das System ist so aufgebaut, dass Architekten es verstehen und nutzen können.
Nach so viel Ernstes etwas zum Erheitern. Der deutsche Normal o kann zwar EML nicht messen, aber den Erfolg seiner Energiesparmaßnahmen, sogar minütlich. Dazu braucht er nur ein Smart-Meter und eine Taschenlampe. Es geht garantiert ohne Tageslicht. Man ersetze den Mann im Video durch die eigene Oma (Opa ist genauso gut). Auch der gesunde Menschenverstand braucht endlich eine Lobby. Sehen Sie selbst.