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Halbe oder doppelte Beleuchtungsstärke bei Tageslicht?
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Er konnte es nicht lassen. Die Rede ist von K. Petry, dessen Arbeiten die schöne Welt des Lichts in Frage stellten. Dabei hätte er sein Leben ungestört genießen können. Er musste an dem Allerheiligsten rumdoktern, der Beleuchtungsstärke. Dass ich mit dieser Größe meine Probleme habe, wissen in der Lichttechnik viele. Beispielsweise hat meine Darstellung der Entstehung der Werte, die man so in Normen findet, so etwa 125 lx, 300 lx oder 500 lx, bei Mitgliedern eines Ausschusses Lachsalven ausgelöst (mehr hier). Denen selbst war ihr eigenes Tun nie aufgefallen. Meine Arbeit war eine Studie (hier), hingegen hatte Petry immerhin eine Dissertation zu dem Thema geschrieben. Der Titel ist sperrig, aber interessant:
"Zur Bewertung der Mindestbeleuchtungsstärke und der Nutzungszeit von tageslichtorientierten Arbeitsplätzen mit Hilfe des Kontrastwiedergabefaktors und der äquivalenten Kugelbeleuchtungsstärke". Er enthält nämlich zwei wichtige Konzepte aus der Beleuchtungstechnik, von denen keiner etwas wissen will. Kontrastwiedergabefaktor und Kugelbeleuchtungsstärke.

Wozu die gut sind? Sie erklären, dass sich die Techniker in die Tasche lügen, wenn sie von Beleuchtungsstärke sprechen. Denn das Ziel einer guten Beleuchtung für Arbeitszwecke ist, das Sehen zu fördern. Zum Beispiel könnte man die Güte einer Beleuchtung daran messen, wie gut man etwas lesen kann. Oder wie gut man einen Faden durch ein Nadelöhr ziehen kann. Kurz: Sehleistung fördern. Just das geben die Beleuchtungsnormen auch als Ziel vor, denn sie dürfen nicht dem Arbeitsschutz dienen. Der ist Sache des Staats. Erzielt jede Beleuchtung mit 500 lx die gleiche Sehleistung?

Petry sagt, nein. Es kommt darauf an, wie die Beleuchtungsstärke entsteht. Man kann diese durch einen Scheinwerfer (im Innenraum heißen die vornehm Spots) erzeugen, aber auch durch eine große leuchtende Fläche. Die Beleuchter beim Film und Fernsehen wissen, wie man das macht. Manchmal benutzen sie Strahler, manchmal riesige Reflektoren, z.B. wenn eine exotische Schönheit nicht wie ein Schweinchen glänzen soll. Dann wird die noch dazu gepudert. Arbeitsobjekte sollen nicht glänzen. Pudern kann man sie nur selten. Ergo? Man muss sehen, wie man sie am besten erkennt. Z.B. liest sich die Schrift auf dem Papier dann am besten, wenn sie matt ist und auf mattem Papier gedruckt. Fast immer ist sie nicht matt, aber auch nicht glänzend. Je nach Beleuchtung kann man sie mehr oder weniger gut lesen. Wie gut, kann man am besten an dem Kontrast erkennen, also dem Helligkeitsunterschied zwischen der Schrift und ihrem Hintergrund. Und die Fähigkeit einer Beleuchtung, den Kontrast wirksam zu machen, nennt sich Kontrastwiedergabefaktor.

Man muss, um die beste Wiedergabe zu ermitteln, eine Beleuchtung nehmen, deren Quelle vollkommen gleichmäßig leuchtet. Und das ist eine matte Halbkugel, die an allen Stellen die gleiche Helligkeit aufweist. Daher die Kugelbeleuchtungsstärke. Von allen denkbaren Anordnungen von Beleuchtungen erzeugt die Kugel die größte Kontrastwirkung. Da man weder Arbeitsplätze noch Wohnräume mit Kugeln beleuchten kann, muss man andere Lichtquellen benutzen. Und diese müssen immer eine viel größere Beleuchtungsstärke erzeugen als die Kugel, damit man - bei geringeren Kontrast - gleich gut sieht. Diese rechnet man dann theoretisch auf die Kugelbeleuchtungsstärke um. Wie eine solche Umrechnung vor sich geht, hatte ich mit Hilfe der Leuchtdichte illustriert (mit Kontrast geht es analog, aber viel komplizierter) :

Wie ein gedrucktes Buch auf weißem Papier unter ungünstigem Licht aussehen kann, sieht man rechts. Als Kontrastprogramm sieht man dasselbe Buch darunter. Wem das Ganze zu abstrakt vorkommt, kann sich eine Illustrierte nehmen und versuchen, eine Seite komplett zu sehen. Das gelingt praktisch nie, weil die Seite glänzt. Es gibt also immer eine mehr oder weniger große Störung. Petry hat genau diesen Effekt berechnet, um eine Beleuchtung mit Fenstern mit einer genormten künstlichen Beleuchtung zu vergleichen. Erzeugt nun diese Beleuchtung 500 lx sieht ein Mensch bei der Beleuchtung mit Tageslicht schon bei etwa 250 lx gleich gut.

Daraus kann man auch ableiten, dass man auch bei der Indirektbeleuchtung mit einer sehr viel geringeren Beleuchtungsstärke den gleichen Effekt (Sehleistung) erzielt als bei einer Direktbeleuchtung. Ich habe den Effekt etwa gleich hoch eingeschätzt wie bei Petrys Untersuchung. Eine Studie, die  mit Mitteln der Forschungsinitiative Zukunft Bau des Bundesinstitutes für Bau-, Stadt- und Raumforschung gefördert wurde, ist der Sache nachgegangen. Sie hieß "Tageslichtnutzung in Wohn- und Arbeitsräumen zur Verbesserung der visuellen Behaglichkeit und der Aufenthaltsqualität". An die kommt man nur schwer heran, weil ihre Quelle von den Browsern als gefährlich eingestuft wird. Daher muss jeder sein Glück versuchen. (Anm.: Die Quelle ist sicher (Uni Weimar), nur das Zertifikat ist falsch, aber auch von einer sicheren Quelle (DFN-Verein Deutschland).

Offenbar will niemand was von der Kugelbeleuchtungsstärke hören. Dafür sinniert man über die melanopische. Wenn ich mal Zeit habe, schreibe ich über die melanopische Kugelgrößen. Damit kann ich erfolgreich verhindern, dass überhaupt noch jemand was versteht, so es noch nötig sein sollte.

Nicht-visuelle Wirkungen von Licht - Heißt das unsichtbar, die Wirkungen?
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Bei dem Thema "Licht und Gesundheit" fällt mir fast immer eine Phrase ein "Grandios vergeigt!". Gestern war es wieder so weit. Ein Kollege schickte mir einen Normenentwurf, den ich gefühlt Jahrzehnte kenne. In echt ist er nur drei Jahre alt - und schon wieder veraltet. Denn die darin zu lesende Message hatte mir mein Professor mitgeteilt - so etwa 1968. Später habe ich sie meinen Studenten weiter gegeben. Ich hoffe, die haben sie auch weiter gegeben. Bei meinem Professor ist es allerdings nicht bei Worten geblieben. Heute beruft sich der ASTA, Ausschuss für Arbeitsstätten, auf eine gesetzliche Bestimmung, die er bewirkt hat, wenn es um nicht-visuelle Wirkungen von Licht geht. 63 Jahre frisch geblieben und immer noch besser als das, was man heute mit großem Aufwand als eine wissenschaftlich fundierte Erkenntnis von Weltrang etablieren will. Uffff!

Es geht um die Erkenntnis, dass Licht nicht nur zum Sehen da ist. Es soll psychologische und physiologische Wirkungen haben. Der Laie hat keine Probleme damit. Das kennt er. Das Problem sind die Fachleute. Die haben vor rund 100 Jahren bestimmt, dass Licht zum Sehen diene und beschlossen, alle seine diesbezüglich relevanten Eigenschaften zu beschrieben und zu normen. Protest gab es von Leuten, die behaupteten, das Licht diene auch der Gesundheit. Und Gesundheit sei auch eine psychologische Wirkung - man freue sich am Gesehenen. Ob man glaubt oder nicht - das Licht war ein hohes Politikum. Noch unglaublicher ist das: Der deutsche Staat gründete im Jahr 1934 das "Amt für die Schönheit der Arbeit" mit der größten Abteilung "Gutes Licht".
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Der Staat ließ es nicht dabei bewenden. Er ließ schöne Filme drehen, um gutes Licht zu fördern. Eine DIN-Norm musste her (DIN 5035 vom Jahre 1935). Dabei entstand ein klitzekleiner Fehler, den man heute mit Kräften versucht, rückgängig zu machen. Es wurden zwei Normen für Licht erstellt. Eine für die künstliche Beleuchtung (wie gesagt, DIN 5035) und eine für die natürliche, DIN 5034. Irgendwie musste sich das Licht in den Arbeitsräumen mischen. Da verließ man sich auf die Natur. Niemand kann verhindern, dass sich das elektrische Licht mit dem Sonnenlicht mischt. Leider verstand das mancher "Fachmann" als Zwielicht. Anfang der 1970er Jahre sollte es verschwinden. Die Lichttechnische Gesellschaft diskutierte auf einer Sondertagung 1971 "Auge - Licht - Arbeit" fensterlose Arbeitsräume. Und die erste Ausgabe von DIN 5035, die Abschied vom Tageslicht bedeutete, entstand 1972. Die Zukunft sollte dem Großraumbüro gehören, das den Tag nur aus der Ferne ahnen ließ wie die großen Fabrikhallen auch. Ansonsten hieß es nach den Worten des großen Vorsitzenden des Ausschusses Innenraumbeleuchtung "Bei seitlicher Befensterung können gehobene Ansprüche an die Beleuchtung, wie sie in der künstlichen Beleuchtung gestellt werden, nicht befriedigt werden." Will sagen, nur die künstliche Beleuchtung reicht qualitativ für den Menschen aus. Da Fenster definitionsgemäß seitlich angeordnet sind - sonst hießen sie Oberlichter - können sie gehobenen Ansprüchen nicht genügen. Wer die Ansprüche stellt, ist übrigens ein großes Geheimnis. Die Benutzer sind es nicht. Die lieben die Fenster.

Ungeachtet all des fachmännischen Rats erschien 1975 in der ersten Arbeitsstättenverordnung der Bundesrepublik Deutschland unter Beleuchtung eine Vorschrift, die kein Lichttechniker so gewollt hätte, außer zwei. Der eine war mein Chef, und der andere war ein Kollege. Die beiden haben es geschafft, diese Vorschrift in die Welt zu setzen.

Das war übrigens der Aufhänger, mit dem der Arbeitgeberpräsident im Jahr 2014 die vom Gesetzgeber verabschiedeten Fassung der ArbStättV hat vom Bundeskanzleramt kassieren lassen. Der meinte, Toiletten wären auch Sanitätsräume und die bräuchten keine Sichtverbindung nach außen. Sonst hätten die da Draußen eine Sichtverbindung nach drinnen. Und das ist wahrlich unerwünscht, wg. Datenschutz und so.

Auch mancher Arbeitgeber war nicht allzu glücklich damit und nutzte ein Schlupfloch. Arbeitsräume mit einer Grundfläche von mindestens 2000 m2 mit Oberlichtern waren ausgenommen. So hat z.B. Heinz Nixdorf seine Arbeitsstätten sehr "flexibel" gestaltet. Die hatten mindestens 2001 m2. Somit brauchten sie keine Sichtverbindung. Sie hätten allerdings eine lichte Höhe von mindestens 3,25 m aufweisen müssen. Kein Problem für den findigen Unternehmer. Wenn sich die Gewerbeaufsicht meldete, wurden die Räume schwuppdiwupp unterteilt. Die Aufsichtsbeamten hatten bei diesem Besuch nur die Raumhöhe betrachten dürfen. Die Sichtverbindung nicht.

Der größte Teil der Arbeitgeber war allerdings nicht so findig und hielt sich brav an die Vorschrift. Aber niemand konnte verstehen, was diese Vorschrift unter "Beleuchtung" zu suchen hatte. Musste auch nicht. Die Vorschrift war unter Mitwirkung einer Psychologin erarbeitet worden und betraf nur die Psychologie. Die Beleuchtungswirkung ist reine Konterbande. Worauf basierte die Forschung und warum haben zwei Lichttechniker eine Vorschrift zur Psychologie erarbeitet? Den Grund sieht man hier. Er stammt aus der Broschüre "Ein kleines Kapitel praktischer Lichttechnik" von 1970. Allerdings war dies schon die 18. Auflage.

Die erste Chance, in die Fußstapfen der anscheinend erfolgreichen Forscher aus den 1960er und 1970er Jahren zu treten, entstand als unser Institut den Forschungsbericht "Licht und Gesundheit" veröffentlichte. Das war 1990. Darin wurde abgeleitet, welche Art der Beleuchtung die beste Akzeptanz fand und vor allem warum. Wir haben in den folgenden Jahren dann diese Beleuchtung optimiert, an ca. 1500 Arbeitsplätzen installiert und die (positive) Wirkung dokumentiert. Nur die lichttechnische Industrie konnte damit nicht warm werden, denn die Hauptaussage des Forschungsberichts war, dass die Mehrzahl der Probanden die Beleuchtung als eine Störung ihrer Gesundheit erlebte. Dass es aber auch Beleuchtungen gab, die von fast allen akzeptiert wurden und sich positiv auf die Gesundheit wirkten und wirken? Man wollte halt Leuchten verkaufen, die man nicht auf den Bildschirmen reflektiert sehen würde. Dass diese Leuchten den Büros einen Höhlenlook verpassten? Ach, was, interessiert keinen.

Die zweite Chance kam etwa 10 Jahre später und war viel gewaltiger. Forscher hatten im Auge Sehzellen identifiziert, die die Tagesrhythmik der menschlichen Hormone steuern. Nur menschliche Hormone? Selbst Tiere der Tiefsee, die nie Tageslicht sehen, zeigen eine 24-Stunden-Rhythmik in ihrem Verhalten. Und ich dachte, jetzt werde man endlich sich den nicht-visuellen Wirkungen des Lichts annehmen. Das schien sich zu bewahrheiten, als die CIE im Jahr 2004 ein Symposium veranstaltete: "Light and Health: Non-visual effects". Vielleicht war der Tagungsort nicht allzu kreativ gewählt: Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien. Es folgten eher abstrakte Aktionen aber keine technischen Innovationen. Dass die CIE nicht vollends in einen Schnarchmodus verfallen war, erlebte die Welt als sie die Marschroute zu neuen Lichtwelten festlegte. In 2016 - also schlappe 12 Jahre später - erschien ein Technical Report "Research Roadmap for Healthful Interior Lighting Applications", vorbereitet unter der Leitung einer kanadischen Koryphäe, die Psychologin ist.

Wer allerdings dieses Werk studierte, konnte sich schnarchen legen, ohne befürchten zu müssen, etwas zu verpassen. Denn die zu klärenden Fragen wiesen gewaltige Ausmaße auf, während sich die geklärten Umstände in der CIE-Literatur ziemlich bescheiden ausnahmen. Doch die CIE war ungemein aktiv, für ihre Verhältnisse jedenfalls. Sie veröffentlichte eine offizielle Stellungnahme in 2015, in dem ein guter Slogan proklamiert wurde "Recommending proper light at the proper time", will sagen, "Das richtige Licht zur richtigen Zeit". Damit wollte man endlich damit aufhören, das falsche Licht zur falschen Zeit vorzuschreiben, was Beleuchtungsnormen weltweit tun und wohl auf absehbare Zeit tun werden. Unser Institut hatte in einem Gutachten für die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zusammen mit dem lichttechnischen Institut der Uni Ilmenau just dies und viel mehr empfohlen, aber Jahre zuvor in 2011.

Die Stellungnahme der CIE wurde im Jahre 2019 erneut ausgegeben. Diesmal gab man an, endlich Butter bei die Fische zu tun. Man wolle in Zusammenarbeit mit der ISO die Norm ISO 8995-1:2002 alias CIE S 008:2001 wieder aktivieren. Diese war nämlich 2001 erschienen und von allen guten Geistern in Ruhe gelassen worden. Niemand hat sie je angewendet. Immerhin - man tut sein Bestes. Wir werden im Laufe des Jahrzehnts sicherlich erleben, dass die gute alte Norm ISO 8995 in voller Schönheit wieder aufersteht, bevor es 30 wird. Volljährig ist sie bereits 2019 gewesen, als die Erklärung erschienen war.

Damit die Zeit einem nicht langweilig wird, gibt es ein Technical Report zum Thema. Darin finden sich viele Statements zu den Vorteilen einer sog. "integrativen" Beleuchtung. Die heißt so, weil sie nicht nur die Wirkungen vom Licht auf das Sehen berücksichtigt, sondern auch auf die Gesundheit und das Wohlbefinden (s. oben die Bemerkung zum Kenntnisstand von 1968). Allerdings sind die deutlichen Warnungen nicht zu übersehen.

Will sagen, die Beleuchtung muss von qualifizierten Spezialisten geplant und auch angewendet werden. Zudem kann man gute Ergebnisse nur dann erzielen, wenn der Lichtplaner mit einer muttidisziplinären Mannschaft kooperiert, wozu u.a. angehören Arbeitsmediziner, Psychologen und sonstige. Mir sind die ersten beiden Expertengruppen bekannt, allerdings nicht aus der Lichtplanung. Die sonstigen sind wirklich wichtig. Man wüsste gerne, wer damit gemeint ist. Ansonsten muss der Lichtplaner eben selber zusehen, mit wem der kooperiert.

Was diese Expertengruppe wissen muss, bevor das integrative Licht geplant wird? Ganz einfach, wirklich unglaublich einfach:

  • Benutzereigenschaften (z.B. Altersverteilung, Sehfähigkeit, Gesundheitszustand)
  • Tätigkeitsprofil (vorwiegend stehend, vorwiegend sitzend oder in nur einer Position)
  • Kontrollierbare oder Nicht-kontrollierbare Benutzerpopulation

Man zeige mir auch nur einen einzigen Lichtplaner, der dieses Wissen hat. Nicht einmal der Arbeitgeber hat es.  Was wenn er es denn hätte? Seit einigen Jahrzehnten werden Bürohäuser "spekulativ" gebaut. D.h., man erstellt das Gebäude und vermietet oder verleast es anschließend. Zwar ist der künftige Mieter oft bekannt, der wird aber den Deubel tun und dem Lichtplaner Daten zur Verfügung stellen, die die Sehfähigkeit der Belegschaft oder gar den Gesundheitszustand aufschlüsseln. Zudem steht manches Gebäude zwar fast ewig, 80 Jahre oder länger. Die Nutzer geben sich aber die Klinke. So geschehen mit Denkmal geschützten Gebäuden von AEG in Berlin. Als die AEG in die ewigen Jagdgründe wechselte, übernahm Nixdorf diese und machte ein Innovationszentrum. Als dann auch Nixdorf der AEG in den Industriehimmel folgte, zog die Berliner Sparkasse ein. Deren MItarbeiter arbeiteten wie einst alle Büromenschen - sitzend. Mit der Ergonomie zog die stehende Arbeitsweise ein. Trotzdem will oder muss ein Teil der Belegschaft sitzend arbeiten. Was macht eigentlich die Expertentruppe mit diesbezüglichem Wissen, wenn sie es denn bekäme? Sie muss sie beachten, um Folgendes zu bewerten:

  • vorhersehbare Gesundheitsbedingungen, die zu erwarten sind
  • generalisierte Schlafrhythmen (es ist zu erwarten, dass Teenager andere Schlafgewohnheiten haben als ältere Insassen)
  • die Menge des Lichts am Auge, die benötigt wird, um eine circadiane Aktivierung zu erzeugen, was sich von Person zu Person unterscheidet.

Generalisierte Schlafrhythmen bewerten? Diese Aufgabe werden Lichtplaner einem mit Handkuss abnehmen. Von dem Lichtdesigner wird etwa eine ähnliche Fähigkeit erwartet wie von Clark Kent beim Heben von Lokomotiven samt Brücke, die einstürzen will. Z.B. muss dieser Folgendes können:

  • Es können Konflikte eintreten durch unterschiedliche Bedürfnisse (z.B. durch unterschiedliche Benutzer des gleichen Ortes). Der Designer muss das Problem lösen, ohne die Qualität der Beleuchtung zu beeinträchtigen.

Lichtdesigner und Lichtqualität! Den Lichtplaner oder Lighting Designer gibt es leider nicht. Es gibt zwar Menschen und Firmen, die sich so nennen, sie unterscheiden sich voneinander gewaltig. Deren Fachverbände versuchen seit Ewigkeiten, eine anerkannte Berufsbezeichnung durchzusetzen. Bislang vergeblich. Und Lichtqualität wurde zum 1.1.2021 nach 100-jähriger Geschichte der CIE zum ersten Mal erwähnt (hier oder da) Was die sein soll, muss noch ausgearbeitet werden. Wir haben ja Zeit.

Nachdem ich das alles gelesen hatte, habe ich den zuständigen Ausschuss gefragt, um was für eine Beleuchtung es hierbei handelt, das derart aufwändig gestaltet werden soll. Die Antwort lautet, alles gilt für jede Beleuchtung. Bevor ich demnächst zum Baumarkt gehe, um mir paar Lampen zu besorgen, werde ich anrufen und fragen, ob ich mein Beraterteam mitbringen muss oder ob der Baumarkt mir Psychologen, Arbeitsmediziner und auch sonstige zur Verfügung stellt.

Verstehen Sie jetzt, warum ich denke "Grandios vergeigt"?

Als die Menschen nach der Sonne lechzten - das rotierende Solarium

Heute fiel mir wieder das Bild vom rotierenden Solarium in die Hände. Eigentlich suchte ich nach der Quelle der Weisheit, dass sich Menschen zu 90% ihrer Zeit in Gebäuden aufhalten sollen. Deswegen will man die Beleuchtung in Innenräumen so ändern, dass die Leute ständig vom künstlichen Licht beschienen werden. Niemand scheint zu wissen, wie so etwas gehen soll, weil sich das Licht von einer Quelle immer nur in eine Richtung fortpflanzt. Bewegt sich die Quelle, so etwa wie die Sonne, setzt man die in ein Karussel und dreht sie so nach dem Licht. Was macht man, wenn die Lichtquelle steht?

Man kann die Leute nach dem Licht drehen. Warum denn nicht? Früher, ganz früher, als die Menschen uneinsichtig waren, saßen sie Kopf an Kopf und guckten sie sich den ganzen lieben Tag an. Das nannte sich Doppelzimmer und war äußerst beliebt. Ich denke mal, 1990 waren etwa 60 % deutscher Büroinsassen in solchen Räumen untergebracht. Damit beide viel von dem gesunden LIcht abbekommen, müsste die Leuchte zwischen die beiden Tische gestellt werden. So wie die Beleuchtung immer geplant wird, kann es nicht gesund werden. Der größte Teil des Lichts fällt nicht ins Auge.

Schlimmer wäre es geworden, hätte ein Konzept eines Stuttgarter Instituts Fuß gefasst. Die hatten - zum Erstaunen aller - wissenschaftlich festgestellt, dass Menschen in Doppelzimmern lieber Rücken an Rücken säßen. Da wir alle vor der Wissenschaft kuschen, haben Bürozeitschriften die Kunde in die Betriebe getragen. Es kann sein, dass das Forschungsinstitut wirklich das Richtige herausgefunden hätte. Glauben tat es kaum jemand. So sitzen die Leute über 30 Jahre danach immer noch Kopf and Kopf. Wenn sie anders säßen, könnte die gesunde Beleuchtung  nirgendwo sinnvoll installiert werden. Wenn die Menschen schon eine Wand vor dem Kopf haben wollen, dass wollen sie die Bilder ihrer Liebsten oder von schönen Stränden mit Palmen sehen. Dauernd auf Laternen gucken, weil das gesund ist, will keiner.

Man suche in beiden Raumkonzepten die Stellen aus, an denen man eine Leuchte anbringt, die etwa 500 lx vertikal am Auge des dort arbeitenden Menschen erzeugt. Ich denke mal, dass das melanopisch wirksame Licht im Büro noch etwas reifen muss. Unten eine alte Planungshilfe als Beispiel. Das Büro hatte eine Berufsgenossenschaft zum Modellbüro erklärt.

Lichtqualität tut not - Was uns die Vergangenheit lehrt
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Soeben fand ich auf Google Scholar ein monumentales Dokument zu Lichtqualität. Es wurde immerhin in 276 wissenschaftlichen Artikeln zitiert. Und die Autorin kämpft heute sogar um noch mehr Ehren. Sie ist in den USA und in Kanada ziemlich hoch dekoriert. Der Artikel heißt "Determinants of lighting quality II : research and recommendations", und die Autoren Veitch, J.A. und Newsham, G.R. Er stellt das Wissen über die Lichtqualität gegen Ende des Millenniums dar (Jahrgang 1996).

Mir fiel zunächst auf, dass unter den 170 Artikeln kein einziger deutscher war. Kann es sein, dass wir in ca 50 Jahren Gemeinschaftstagung "deutsprachiger" Länder (Deutschland, Österreich, Schweiz, Niederlande) nichts zur Lichtqualität haben verlauten lassen, das zitierfähig wäre? Kann sein. Dafür hat die Autorin 11 Papiere aufgelistet, auf denen sie als erste Autorin steht. Bei weiteren 5 ist sie Mitautorin. 28 Artikel stammen aus Lighting Research and Technology. Dessen Chefredakteur Peter Boyce wird 29 Mal zitiert, die Autorin selbst steht - naturgemäß erst einmal als Autorin - und weitere 49 Mal in dem Werk. Ach, ja, Rea steht auch 30 Mal in dem Papier. Also wird die Lichtqualität wohl wesentlich durch die genannten bestimmt. Oder?

Zunächst eine gerade in diesen Tagen diskutierte Erkenntnis: Biologische Wirkungen erfordern hohe Beleuchtungsstärken. Wenn man von einer minimalen Dosis für gesundes Licht ausgeht, wäre das Tageslicht der effizienteste Lieferant. Außer in Winter an manchen Orten. Exakt 25 Jahre nach diesem Bericht verlangten führende Chronobiologen just eine Minimaldosis am Tage (hier). 1:0 für die Autorin.

Eine dem deutschen Leser etwas komisch vorkommende Feststellung: Feldstudien unter Büromitarbeitern besagen, das Menschen ein Fenster haben wollen. (Dazu 1 Literaturstelle) In Deutschland hat seit 1975 jeder Arbeitnehmer laut Arbeitsstättenverordnung ein Recht auf eine Sichtverbindung über eine klar verglaste vertikale Fensteröffnung. Wurde in den 1960ern von meinem Kollegen Georg Roessler ermittelt. Und von unserem Chef Prof. Krochmann an den Mann gebracht, sprich in die Politik. Damals sprach sich die gesamte Lichtforschung dagegen aus. 1:1 - die nicht berücksichtigte deutsche Literatur war wohl früher und gründlicher. Unsere Arbeit "Licht und Gesundheit" mit 4.500 untersuchten Arbeitsplätzen hatte sogar 1990 den Grund dafür nachgewiesen: Je weiter ein Arbeitsplatz vom nächsten Fenster entfernt ist, desto häufiger gibt es gesundheitliche Beschwerden. An der Sprache kann es nicht gelegen haben, denn die Studie gibt es seit 1991 auch in Englisch.

Diese Erkenntnis wird einem bekannt vorkommen: Der Zugang zu einem Fenster scheint wichtiger zu sein als Information über die Zeit als die Versorgung mit einer Beleuchtungsstärke. Dazu gibt es viele Gerichtsurteile in Deutschland zu dem Thema Sichtverbindung. 1:2 Wir brauchen keine neue Literatur. Die Sache war 1975 erledigt.

Das hier kommt nicht nur Lichttechnikern bekannt vor: Die erforderliche Fenstergröße hängt von einem akzeptablen Minimalwert für die Tagesbeleuchtung ab sowie von der Größe und Form des Raums.  (2 Literaturstellen). In jeder deutschen Landesbauordnung steht nicht nur diese Erkenntnis, sondern auch die Werte dazu, die der Architekt berücksichtigen muss. Ich denke, damit haben die deutschen Behörden vor dem Krieg schon angefangen. Nicht vor dem II. Weltkrieg, sondern etwa 1910. Kein Wunder, dass die Expertin keine deutsche Literatur dazu gefunden hat. 1:3 Wenn man was wissen will, können wir die Erkenntnisse aus dem Museum holen.

Zu Lichtqualität lautet das Ergebnis wie folgt: Bislang (also bis 1996) konnten wir nur herausfinden, dass bestenfalls allgemeine Aussagen zu Lichtqualität möglich sind. 2018 schrieb sie in ihrem Bio, dass sie dafür sorgen werde, dass die CIE die Lichtqualität in ihrem Wörterbuch definiert. Sie, die CIE, hat im Januar 2021 (hier und da). Ein Jahrhundert und paar Zerquetschte nach ihrer Gründung. Wie sieht es bei uns aus? Es gibt eine umfangreiche LiTG Broschüre dazu (hier). DIe ist älter als die CIE-Definition. Zudem besteht die CIE-Definition aus einer bloßen Kopie des Qualitätsbegriffs aus der Qualitätswissenschaft und ISO 9000. Das Wichtigste ist aber dies: DIN 5035 hat den Qualitätsbegriff in die Lichtdomäne schon 1935 eingeführt (hier). Sie hießen allerdings Gütemerkmale. Und die Qualitätsziele hießen: Schönheit, Gesundheit bei akzeptabler Wirtschaftlichkeit. Ich würde sagen, 1:4 mindestens.

Dies hier würde die Expertin nie mehr schreiben: Es wird allgemein geglaubt, dass das Lichtspektrum für die Leistung, Wohlbefinden und Gesundheit wichtig sei. Die Literatur unterstützt den Glauben nicht. Sie hatte einige Jahre davor eine Studie geschrieben, dass die positive Wirkung von Vollspektrum mehr oder weniger Einbildung sei. Jetzt sitzt sie in einem Expertengremium, das die Abhängigkeit der melanopischen Beleuchtungsstärke vom Spektrum genormt hat (hier). Dann lag halt die gesamte LIteratur halt daneben. Reicht 1:5?

Dies würde ihr heute gewaltig um die Ohren gehauen werden: Bestimmte wichtig scheinende Aspekte werden in der Praxis kaum erwähnt. So gibt es eine einzige Quelle (NUTEK, 1994), die elektronische Vorschaltgeräte empfiehlt, um die Störungen durch Flimmern zu beseitigen. Dabei hat sie in diesem Bericht den Autor Wilkins, der den Effekt eindrucksvoll nachgewiesen hat, sieben Mal zitiert. Dummerweise nicht die relevante Publikation. Wilkins hatte in einem Hochhaus festgestellt, dass in höheren Etagen (= größerer Tageslichtanteil) Menschen weniger Kopfschmerzen erlebten als in unteren. Die Differenz verschwand, als die Vorschaltgeräte durch elektronische ersetzt wurden. 1:6

Die folgende Aussage würde in einem üblichen Büro vom Fluchen bis Flaschenwürfen diverse Reaktionen hervorrufen. Allerdings keine positiven: Individuelle Regelung der Beleuchtung wurde als eine generelle Verbesserung empfohlen. Die wissenschaftliche Literatur zeigt, dass eine persönliche Kontrolle nicht immer vorteilhaft ist. Man besuche nur Arbeitsräume, deren Beleuchtung vom Computer gesteuert wird und erzähle, dass fände man toll. Falls man da heil rauskommt, kann man sich weiteren Abenteuern widmen. Als Experte ist man aber verbrannt. 1:7

Last not least: Die Lichtqualität wurde unter Beleuchtungsexpeerten seit mehr als zwei Jahrzehnten oder mehr diskutiert, allerdings ohne Erfolg. Nur wenn die Empfehlungen für eine gute Beleuchtungspraxis nicht nur auf Energiesparen beruhen, sondern eine gute Qualität i.S. menschlicher Bedürfnisse bedeuten, kann man von einem Erfolg sprechen. (Amen). Das war 1996. Im Jahre 2021 veröffentlichte die CIE den folgenden Begriff: 17-29-029: degree of excellence to which the totality of lighting characteristics fulfils user needs and expectations or other applicable requirements. 2:7

Der Laie mag fragen, was denn andere anzuwendende Anforderungen seien. Kaufen Sie einfach die Norm DIN EN 12464-1, wenn der Preis feststeht (dürfte so um 140 € werden). Dort werden Sie in über 50 Tabellen Tausende Anforderungen finden bis zur Gleichmäßigkeit der Beleuchtungsstärke an den Decken von Ankunftshallen (hier). Danach kommen Ihre Bedürfnisse. Pardon, danach kommen erst einmal die Überlegungen zu melanopischen Beleuchtung. Aber dann kommen wirklich Ihre Bedürfnisse.

Irgendwie nicht schlüssig erklärt: Wie melanopisch wirkt denn Licht?

Den obigen Text habe ich aus dem Lichtlexikon kopiert. Es könnte sein, dass er bald verschwindet. Ich verstehe nicht ganz, was dieser Text da bedeutet: "Visuelle und die in der DIN SPEC 5031-100 beschriebenen melanopischen Lichtwirkungen beruhen zwar beide auf Lichtreizen; die melanopischen Wirkungen werden in der o.g. DIN SPEC jedoch aufgrund unterschiedlicher spektraler Empfindlichkeiten, unterschiedlicher Nervenpfade für die Weiterleitung der durch Licht ausgelösten Signale sowie grundsätzlich unterschiedlicher Wirkungen gesondert behandelt." Hat sich da was geändert? Vielleicht! Denn es heißt weiter: "Bekannt ist auch, dass die Fotorezeptoren im Auge, die für visuelle Wirkungen verantwortlich sind, ebenfalls zu nicht-visuellen Wirkungen beitragen." Das ist ziemlich neu. Etwa 3 Jahre alt.

Wenn Fotorezeptoren zu nicht-visuellen Wirkungen beitragen, sind die immer noch nicht-visuell? Langsam zum Mitschreiben: Nicht-visuelle Wirkungen heißen so, weil sie nichts mit visuellen zu tun haben. Wenn sie es doch haben, dann können sie nicht nicht-visuell bezeichnet werden. Visuell werden sie aber auch nicht bezeichnet. Also was? Quasi-nicht-visuell?

Ich kämpfe derzeit mit einer Ladung internationaler Experten, die aus der gesamten Masse an Informationen etwas ableiten wollen, was der Lichtindustrie dienen kann, aber zu lange Zeit von dieser nicht beachtet wurde. Es ist ja nicht so, dass erst im Jahre 2001 den Leuten wie Schuppen von den Augen gefallen ist, dass das Licht nicht nur dem Sehen dient, besser gesagt, der Kamerafunktion des Auges. Diese besteht darin, dass das Auge ein Bild aus der Umwelt macht. So gut es kann. Was danach passiert, weiß man nicht so genau. Z.B. regt man sich sehr unterschiedlich über das Gesehene auf. Haben Sie schon mal rot gesehen? Visuell oder nicht-visuell? Eine wunderbare Landschaft erregt oder beruhigt einen. Wenn der gute Mensch nach einer Operation im Bett liegt, heilen seine Wunden viel schneller, wenn er in einen blühenden Garten guckt als wenn er eine Brandmauer betrachtet. Ist so etwas eine visuelle Wirkung oder eher unvisuell?

Egal, völlig uninteressant für Experten. Denn mit einer schönen Aussicht Leute zu heilen, bringt nichts ein. Nicht mal dem Krankenhaus. Denn die Patienten können nach der halben Zeit geheilt sein und halb so viele Schmerzpillen schlucken. Also weniger Umsatz. Was ist aber mit psychologischen Farbwirkungen? Menschen aus Wüstengegenden denken an etwas Anderes, wenn sie gelb sehen als Leute, die in blühenden Landschaften aufgewachsen sind. Ist die Wirkung nu visuell oder …? Die ist halt nicht melanopisch.

Ist melanopisch gleich nicht-visuell oder umgekehrt? Mir ist das seit Langem klar. Dazu haben mir die internationalen Experten jedoch geschrieben, in der Lichtforschung sei das Melanopische interessant. Alles andere wäre zwar auch wichtig, aber man kann sich ja nicht verzetteln. Also, es gibt Lichtwirkungen, die garantiert nicht photopisch sind. Aber muss man gleich alle angehen? Lassen wir doch sich die Photobiologen damit herumschlagen. Gut, jeder kann nach eigener Fasson selig werden. Aber warum ist denn das Melanopische so wichtig? Weil es die Körperrhythmen steuert, sagen die Experten. Kann sein.

Welche Rhythmen nennt denn der menschliche Körper sein eigen? Ich kenne ultradiane, circadiane, circannuale Rhythmen. Wie werden die durch Licht gesteuert? Ultradian ist sehr kurzfristig, 30 Minuten bis 4 Stunden. Das ist nicht so interessant für Lichtexperten. Was ist mit circannualen Rhythmen? Zu sehr langfristig. Zu viel Arbeit. Bleiben wir doch bei circadianen. Das ist äußerst wichtig. Warum? Etwa weil es melanopisch ist?

Wenn sich die Herrschaften auf ihr Metier beschränken täten, wäre ich noch gnädig. Sie haben aber meinem internationalen Normenausschuss offiziell geschrieben, er darf sich keine Meinung aufgrund der medizinischen Literatur bilden. Die Abstimmung über einen anstehenden Bericht müsse sofort gestoppt werden. Das wurde sogar offiziell beantragt. Eine führende Expertin aus Kanada schrieb sogar: "Ensure that the document does not encroach on the work of others". Auf Deutsch, misch dich nicht in anderer Leute Angelegenheiten ein. Nette Vorstellung - man sucht aus Forschungsergebnissen von Medizinern und Biologen etwas aus, was nutzbringend verwertet werden könnte, und verbietet allen anderen, dasselbe für ihr Fach zu tun. Vor allem müssen sie das Thema akzeptieren, das sich die Lichttechniker vorgenommen haben. Aber dann nichts tun. Auf keinen Fall!

Warum sollen aber andere einem nicht in die Karten gucken? Der unwissenschaftliche Name für die Ursache nennt sich science faction. Er setzt sich zusammen aus science wie Wissenschaft und faction, also Fakten verwursteln. Dazu nimmt man eine oder mehrere unumstößliche Fakten. Z.B. dass es heller wird, je mehr Licht in einem Raum ist. Oder dass ein Versuch ergeben hätte, dass Sekretärinnen in hellen Büros besser tippen als in der Dunkelheit. Diese Fakten müssen keineswegs konstruiert oder erfunden sein. Man kann sie zudem nicht widerlegen.

Danach nimmt man diese Fakten und mischt sie mit Plausiblem. So ist z.B. die berühmteste Kurve entstanden, die die Beziehung von Beleuchtungsstärke und Leistung "nachweist". Jetzt kommen die wahren Künstler der empirischen Forschung zum Einsatz. Der häufigste von ihnen ist der "P-Hacker". P-hacking ist, was die meisten Forscher betreiben. Sie wollen signifikante Ergebnisse vorweisen. "P" steht für den p-Wert für die statistische Signifikanz. Man führt eine Reihe von Versuchen durch und sucht sich die passenden Ergebnisse aus. So kann man z.B. nachweisen, dass zwischen dem Käseverzehr und Strangulieren durch Bettlaken eine signifikante Beziehung existiert. Wer so etwas für absurd hält, muss in ein neues Dokument gucken, das eine große Zahl von Experten der Arbeitsmedizin als Leitlinie für Nacht und Schichtarbeit herausgearbeitet hat (hier). Dort steht z.B. zu lesen: "Eine Querschnittstudie (n=430) von Violanti et al. (2012) kommt zu dem Ergebnis (99), dass das Verletzungsrisiko bei Polizisten und Polizistinnen in der Nachtschicht 1,7-mal höher ist als die Verletzungsgefahr in der Tagschicht (IRR 1,72; 95%KI 1,26–2,36, p>0,001) …" Ob die Polizist:innen nachts die Brötchen anders schmieren als tagsüber? Die Methode heißt übrigens auch Signifikanzwahn. Und p>0,001 der Gipfel der Signifikanz. Eine unschlagbare Irrtumswahrscheinlichkeit unter 1 Promille!

Danach folgt HARKing. Das ist die Formulierung von Hypothesen nachdem man die Ergebnisse kennt. Eine wunderbare Story dazu und zu melanopischen Wirkungen führen wir seit 2009, als in Hamburg Vorschulkinder durch Blaulicht plötzlich intelligenter oder ruhiger wurden, je nach Wunsch und immer auf Knopfdruck (hier und da und dort). Die Ergebnisse haben es mittlerweile nicht nur in die wissenschaftliche Literatur geschafft, sondern auch in populär-wissenschaftliche Fernsehsendungen (hier).

Die Meister des HARKing sind aber solche, die sich in SHARKing auskennen. Das ist das Entfernen einer Hypothese, nachdem man weiß, dass kein positives Ergebnis (also nach p-hacking) herausgekommen ist. Die Hypothese verschwindet ganz leise. Und niemand merkt es, weil niemand ihr nachweint. Es soll sogar ein komplettes Projekt so verschwunden sein. Es hieß Placar und sollte dazu dienen, Lampen zu entwickeln, die die melanopische Wirkung unterstützen täten. Das Projekt wurde von den Größten der Branche initiiert, vom Forschungsminister finanziert und ist… unauffindbar! Da die Geschichte dieses Projekts wirklich einmalig ist, habe ich ihr einen eigenen Beitrag gewidmet (hier).

Last not least, die Krönung des Ganzen: Man ignoriert alles, was einem nicht passt und lädt zu Kongressen u.ä. nur solche Leute ein, die Passendes ermittelt haben wollen. Sie müssen nicht einmal lügen. Alle lichttechnischen Kongresse, die ich besucht hatte, waren in etwa so zusammengestellt worden. Bei Kongressen, deren Entstehungshintergrund ich nicht kenne aber abschätzen kann, war das ebenso. Auch viele "Fachzeitschriften" stellen ihre Beiträge nicht viel anders zusammen.

Hinsichtlich "melanopischer" Wirkungen des Lichts kommen all die oben angeführten Artefakte zusammen. Man schneidet aus einer großen Gesamtheit (biologische Wirkungen der Strahlung) ein Stück heraus (nur Licht, was anderes ist uninteressant). Aus den biologischen Wirkungen des Lichts schneidet man die nicht-visuellen heraus und bezeichnet sie als interessant. Aus den nicht-visuellen Wirkungen schneidet man die circadianen heraus (melanopische Wirkungen). Diese erklärt man zu wichtigsten biologischen Rhythmen, ohne weitere je untersucht zu haben. Danach folgt je nach Wunsch P-Hacking, HARKing und SHARKing. Wenn das alles nicht reicht, kommt die elegante Auswahl von passenden Beiträgen. Anschließend veröffentlicht man das Ganze stolz als Stand der Wissenschaft.

All dies wird nie an das "Werk" des großen Meisters Cyril Burt reichen, der aufgrund seiner Forschung sogar geadelt wurde, also Sir Cyril. Er hatte nachgewiesen, dass Doofe nur doofe Kinder hervorbrächten. Sir Cyril war einsame Spitze der Vererbungsforschung und hatte den Nachweis erbracht, was für alle Rassisten eine Selbstverständlichkeit ist. Kernstück des Burt-Erbes war eine Untersuchung aus dem Jahre 1961 über »IQ-Differenzen in verschiedenen sozialen Schichten«. Als er 1971 plötzlich verstarb, entdeckte man in seinem Nachlass, dass die meisten Ergebnisse erfunden waren. Die Zwillinge, deren Schicksale er erforscht hatte, hatten selten existiert. Und Artikel, die seine Ergebnisse bestätigten, hatte der große Meister selbst unter Pseudonymen geschrieben. (mehr z.B. hier) Immerhin begründete Burt die pädagogische Psychologie in Großbritannien. Seine Forschungen und Überzeugungen flossen in die Schulstruktur Englands ein (Zuweisung zu Sonderschulen, Eleven-Plus testing program).

Nachtrag: Eins habe ich vergessen. Die circadianen Rhythmen des Menschen werden nach der Weisheit derer Entdecker, z.B. Aschoff, nicht nur durch Licht und sonstige physikalische Ereignisse (z.B. Wärme) gesteuert, sondern auch durch sog. soziale Zeitgeber. Deren Wirkung bleibt auch nicht auf die circadiane Steuerung beschränkt, sondern soziale Zeitgeber wirken sich u.a. durch Feiertage wie Weihnachten oder Ostern auch auf Jahresrhythmen aus. Aber ich muss mich klein machen. Sonst kommt da einer und sagt "Stör mich nicht mit Informationen und Fakten. Ich muss Entscheidungen treffen. Ist melanopisch Nu wichtig oder nicht? Keine Ahnung. Aber so werden wir das bestimmt nie erfahren. So nicht!