Zwielicht zu Twilight
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12.03.2024

Gestern habe ich dargelegt, warum ich nichts von einer Internationalisierung von Beleuchtungsnormen halte, obwohl ich selber seit über 30 Jahren internationale Normen schreibe. Heute will ich das mit einer paar Worten, Wörtern und Begriffen erläutern. Dazu fiel mir Zwielicht ein. Und zwar aus zwei Gründen. Zum einen liegt bei mir auf dem Tisch das Buch von Klaus Stanjek mit dem Titel "Zwielicht - Die Ökologie der künstlichen Helligkeit", das dem Kunstlicht und dessen Machern gewidmet ist. Als ich das Buch das erste mal las, ist mir aufgefallen, dass ich etwa jeden zweiten kannte, der im Buch persönlich auftrat. Kannte ich so viele Menschen, die in Zwielicht stehen?

Zum anderen dachte ich an das physikalische Zwielicht, das auf Englisch twilight heißt. Es ist ganz und gar nicht zwielichtig, wie The Platters es besingen. Es ist die Zeit der Liebe, die wiederkommt. Man stelle sich vor, jemand freut sich darauf, am Abend seine alte Liebe zu sehen, in twilight time. Und wir übersetzen das als in der zwielichtigen Zeit. Da kann die alte Liebe auch nicht gerade sehr nobel sein.

Auch mit den Jahreszeiten habe ich so meine Probleme mit der Übersetzung. Aprilwetter ist wirklich nicht etwas wonach man sich sehnt. Aber der April ist der Monat, in dem in meiner Heimat der Apfelbaum blühte. Das jährliche Baumblütenfest beginnt in Werder in April. Dort wo die Apfelblüte seit 1941 besungen wird, in den USA, verspricht der Soldat seiner Liebsten, dass er an einem Tag im Mai kommen wird, um ihren Namen in seinen zu ändern. Das Lied brachte die Soldaten an der Front zum Weinen. Wenn ich aber an Aprilwetter denke, ist es mir aus anderen Gründen zum Weinen. Wenn wir bereits bei der Wortwahl beim Reden über das Wetter Probleme haben, können wir auf eine internationale Einigung hoffen, die Licht, Beleuchtung und Umwelt regeln wollte? Eigentlich müsste, denn wir reden seit Jahren über biologische Wirkungen herum.
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Licht, Zwielicht und die Jahreszeiten haben so ihre Beziehungen. Zunächst zu dem Zwielicht, das ich für meine wissenschaftlichen Arbeiten benutzte. Wir hatten in der Vorlesung eine besondere Form davon gelernt. Diese herrscht, wenn sich zwei Arten von Licht an einem Arbeitsplatz treffen. Das kann Tageslicht und künstliches Licht sein. Wir lernten, in jedem Arbeitsraum gäbe es eine Mischlichtzone, in der die Menschen sich nicht so wohl fühlten. Diese Vorstellung hatte man übertragen auf die künstliche Beleuchtung mit Glühlampen und Leuchtstofflampen. Es gab wissenschaftliche Abhandlungen darüber, wie dies das Auge irritierte und zu einer vorzeitigen Ermüdung führte.

Wenn es nur bei der Wissenschaft geblieben wäre! Man postulierte, um dem Zwielicht vorzubeugen, dürfe in einem Raum nur eine Art Licht sein. Da die für erforderlich gehaltenen Beleuchtungsstärken nur mit Leuchtstofflampen zu machen waren, wurden Glühlampen aus den Arbeitsstätten verbannt. Mit ihnen die Tischleuchten, da es Leuchtstofflampen mit ganz kleinen Abmessungen nicht gab. Auch die kleinsten waren zu groß für Tischleuchten. Ade Tischlampe!
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Das Tageslicht in Arbeitsräumen konnte man nicht so einfach loswerden, obwohl man seit 1924 beharrlich daran arbeitete. Das Zwielichtproblem wurde daher verbal gelöst. Eine Lampe wurde tageslichtweiß genannt. Allerdings hatten die Leute Frostbeulen auf der Seele, wenn sie unter ihrem Licht arbeiteten. Ihre Farbtemperatur, besser ähnlichste Farbtemperatur, lag über 5300 K.*) So hat man sich halt darauf geeinigt, dass 4000 K gut genug wäre, um Zwielicht zu vermeiden. Da der Bereich von 3300 K bis 5300 K aber kaltweiß heißt, nannte man die Lampe mit 4000 K neutralweiß. Völlig ohne Hintergedanken und ohne das Marketing…

Wie gut passen 4000 K und Tageslicht zusammen? Ich würde sagen, ganz und gar nicht bzw. unbestimmt, denn das Tageslicht hat keine Farbtemperatur. Als ich dies in einem offiziellen Entwurf eines ISO-Standards schrieb, dachten die Lichtexperten, den wahren Experten gefunden zu haben und fielen über den Text her. Der stand aber nicht alleine da. Auf den provokanten Spruch folgte die Aussage, dass an jedem Punkt der Erde das einfallende Tageslicht in jeder Himmelsrichtung eine andere Farbtemperatur hat, auch wenn die Sonne scheint. Oder gerade wenn sie scheint.

Noch besser: Wie jeder weiß, ändert sich an jedem Punkt der Erde das Licht aus einer bestimmten Richtung stetig über den Tag. Was weniger Leute wissen, unterscheidet das Licht in Abhängigkeit vom Breitengrad nicht nur in der Menge, sondern auch in seiner Richtung und damit im Verhältnis horizontal zu vertikal. Nicht besonders betont werden muss, dass die Farbe des Lichtes anders ausfällt,

*) Damit es jeder garantiert nicht versteht, hat die Lichttechnik den Temperaturbegriff auf den Kopf gestellt: Je höher die Farbtemperatur, desto kälter das Licht. So hat die Glühlampe eine Farbtemperatur von 2700 K. Eine warmweiße LL-Lampe etwa 3000 K. Steigert man die Temperatur um weitere 1000 K, fühlt sich das Licht kalt an. Das direkte Licht der wärmenden Sonne mit etwa 5900 K heißt kaltweiß. Echt bitter kalt. Brrrr! Das soll einer verstehen. Schuld ist ein gewisser Max Planck bzw. die Physik.
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Genau das hatte ich gemeint, als ich geschrieb, das Tageslicht habe keine Farbtemperatur. Nun versuchten die Experten mich umzustimmen, man könnte sich doch auf eine Zahl einigen. Auf 6504 K zum Beispiel? Die hat nämlich die CIE als Tageslicht definiert. Dummerwiese kann man dieses Licht nicht kaufen, es ist ein mathematisches Konstrukt. Wozu macht man so etwas, wenn man das Licht gar nicht kaufen kann?

Das Geheimnis ist, dass die CIE Normlichtarten nicht etwa definiert, um damit die Welt zu beleuchten. 6504 K ist eine Normlichtart für Tageslicht (D65). Desweiteren gibt es noch  D50 (= 5000 K), D55, D65 und D75. Normlichtarten dienen als eine standardisierte - fiktive - Beleuchtung, um Farben und Materialien "objektiv" zu bewerten, so in der Druckindustrie, im Textilbereich oder bei der Kunst. Sogar die Lebensmittelindustrie ist ein Großkunde (mehr dazu unter Brühwurstindex hier). Alles zu seiner Zeit. Die Fotografie und die Druckwelt leben wunderbar mit D50. Hingegen kann das Licht, das man am Tage erlebt, Farbtemperaturen von 3000 K (untergehende Sonne) bis 12.000 K (blauer Nordhimmel ohne Wolken) oder gar 27.000 K (nördliches blaues Himmelslicht) erreichen. Die Zahlen geben aber das Erlebnis nicht hinreichend wieder, weil sich die Intensität des Lichts sowie sein Wärmegehalt mitändern. Zudem gibt es blauen Nordhimmel ohne Sonne nur wenn man ein Nordzimmer bewohnt. Dann blickt man aber auf die wunderbar sonnenbeschienene Umwelt.

Wie kommt man aber auf 6504 K? Das ist der gleichmäßig bewölkte Himmel über Wien zu Beginn des Sommers. Dort sitzt die CIE. Was würde sie wohl als Tageslicht definieren, wenn sie auf den Spitzbergen säße (78° 11′ N), oder ihre Experten am südlichsten Ende der EU, auf der Insel La Reuniuon (20° 52‘ 44.04 S) werkelten?

Vermutlich was anderes, z.B. 5000K (frischer Spinat im Schnee) oder 3000K (welkende Palmenblätter am Strand). Aber das ist nicht mein Hauptproblem mit der Internationalisierung der Beleuchtungsnormen, sondern dies:
"Die Wahl der Lichtfarbe ist eine Frage der Psychologie, der Ästhetik und dem, was als natürlich angesehen wird. Die Auswahl hängt von der Beleuchtungsstärke, den Farben des Raums und der Möbel, dem Umgebungsklima und der Anwendung ab. In warmen Klimazonen wird im Allgemeinen eine kühlere Lichtfarbe bevorzugt, wohingegen in kaltem Klima eine wärmere Lichtfarbe bevorzugt wird."
Das ist wörtlich die Empfehlung der europäischen Beleuchtungsnorm EN 12464-1. Also kein Rat. Ist die Lichtfarbe etwa eine Kleinigkeit, was die Beleuchtung angeht? Ich dachte, die wäre das A und O!
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Ähnlich aufschlussreich könnte die Empfehlung zur Höhe der Beleuchtungsstärke ausfallen, wenn man z.B. den Lichtbedarf des arbeitenden Menschen berücksichtigt. Etwa so: Die Wahl der Beleuchtungsstärke ist eine Frage der Psychologie, der Ästhetik und dem, was als natürlich hell angesehen wird. Die Auswahl hängt von den Farben des Raums und der Möbel, dem Umgebungsklima und der Anwendung ab. In warmen Klimazonen wird im Allgemeinen eine kühl wirkende dunklere Beleuchtung bevorzugt, wohingegen in nordischen Zonen eine höhere Beleuchtungsstärke bevorzugt wird. Also ein schattiges Plätzchen in Ländern mit sengender Sonne, und ein Gegenstück zum Shitwetter für Nordschottland.

Wir können in der gleichen Art mit weiteren Gütekriterien fortfahren, bis einer aufschreit und sagt: Leute, bitte, wollen wir alles nach den örtlichen Gegebenheiten vorsehen wollen und deswegen gar nichts mehr empfehlen? Warum nicht? Lieber kein Rat als ein falscher …
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