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BIOWI MEETS LILE - WEIMARER LICHTTAGE 2022
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10.07.2022

Zwei hoffnungsvoll gestartete Lichtevents gehen endgültig nach Weimar. Und bleiben dort? Warum nicht? Weimar ist nicht irgendeine deutsche Stadt. Nicht nur zwei Männer, deren Name in keiner deutschen Stadt fehlen darf, Schiller und Goethe, haben hier gewirkt. Im Straßenatlas findet man deren Namen fast so häufig wie die "Dorfstraße" oder "Bahnhofstraße". Während Schillers Ode an die Freiheit "An die Freude" eine steile Karriere mit Hilfe eines anderen großen Deutschen, Ludwig van Beethoven, hinlegte, die mit dem Aufstieg zur Europahymne noch nicht am Ende der Fahnenstange angekommen ist, hat Goethe ein Vermächtnis an alle Menschen hinterlassen - verkaufe Deine Seele nicht an den Teufel.

Doch Weimar hat mehr zu bieten - sagen wir mal hätte - als die beiden großen Namen. Viel internationaler fiel ein Weimarer Export aus, das Bauhaus. Da dieses - Das Staatliche Bauhaus in Weimar - manchem dort nicht gefiel, zog es nach Dessau. Wer dort lehrte, gilt heute noch als Who-is-Who der Modernen, so etwa Gropius, Lyonel Feininger, Gerhard Marks, Wassili Kandinsky, Paul Klee … Später zog das Bauhaus nach Berlin. Da es manchen nicht Deutsch genug war, zog es von dort in die weite Welt. An ihm arbeiteten sich gleich zwei deutsche Staaten ab, das Tausendjährige Reich und die DDR. Allerdings erfolglos. Das Bauhaus bestand zeitlich parallel mit und in der Weimarer Republik von 1919 bis 1933 und gilt heute weltweit als Heimstätte der Avantgarde der Klassischen Moderne auf allen Gebieten der freien und angewandten Kunst und Architektur.

Lile und BioWi, die die Weimarer Lichttage ergeben sollen, sind naturgemäß mit dem Beitrag von Bauhaus zur Kunst und Architektur nicht vergleichbar. Eher eine Folge der Weimarer Thesen (hier). LiLe steht für Licht- und Lebensqualität. Sie erblickte das Licht der Welt in Lüneburg im Jahre 2007 und sollte die Gestaltung von Licht für eine bessere Lebensqualität thematisieren. Da die Veranstalter sich aber eher zur Förderung der LED-Technik zuwandten, wurde die Lebensqualität allzu sehr in LED-Qualität gesehen. LiLe fand zweijährlich statt und verließ Lüneburg, um 2013 nach Weimar zu ziehen. Alle Abstracts der Tagungen kann man hier erhalten. Die ganz Faulen können sie auch von mir bekommen.

BioWi steht für Biologische Lichtwirkungen und wird seit 2013 veranstaltet. Sie ist praktischen Anwendungen des Wissens über biologische Wirkungen gewidmet. BioWi gehört zum Programm von WBA Bauhaus Weiterbildungsakademie Weimar e.V.

Die "Weimarer Lichttage" bringt die beiden zusammen und wartet mit recht steilen Thesen auf. Die führe ich in genauem Wortlaut in in der gleichen Reihenfolge auf, damit jeder auch seine Meinung dazu bilden kann. Am 26. und 27. September kann man die Veranstaltung live erleben.

 

Die aktuelle Meinungsbildung zum Licht spiegelt nicht den Stand der Wissenschaft wider.

Eigentlich hat die Meinungsbildung zum Licht nie den Stand der Wissenschaft widergespiegelt. Dazu gibt es zu viele Wissenschaften, die sich mit Licht beschäftigen. Der lauteste gewinnt. Das ist die Lichttechnik. Sie hat Licht 1924 definiert (!) und behauptet seitdem, die Physik liege falsch mit ihrer Vorstellung vom Licht. Geht`s eine Nummer kleiner? Übrigens, die Bibel kam ohne eine Definition aus.

Tageslicht ist das bessere Licht.

Wofür? Zwar versucht die Lichttechnik seit 100 Jahren den mittleren Sommertag im Haus zu erzeugen und die Nacht zum Tage zu machen. Damit hat sie aber nur wenig Glück gehabt. Für Arbeitsstätten muss das Tageslicht bevorzugt werden, so sie zur Verfügung steht. Aber Tageslicht im Innenraum ist weit von dem Licht der Sonne entfernt.

Integrierte Planung geht nur mit Lichtplanung.

Integrierte Planung der gebauten Umwelt war einst tatsächlich nur mit Lichtplanung möglich. Die Menschen haben aber dann vergessen, dass Licht den Raum macht. So stellten sie die Beleuchtung ans Ende der Bauplanung und überließen sie die Planung des Lichts eher dem Zufall. Nur etwa 5% großer Bauvorhaben erlebt einen Lichtplaner. Der Rest hängt von den Künsten eines Elektroplaners ab.

Lichtplanung der Zukunft ist Grundlage für andere Planungen.

Hoffentlich. In der gesamten Architekturgeschichte war dies weitgehend der Fall, weil die Möglichkeit fehlte, genügend Licht für alle Lebenslagen zu erzeugen. Zudem war künstliches Licht immer mit Wärme, Rauch und Gestank verbunden. Dadurch wurde die Bauplanung von Belichtung und Belüftung dominiert. Zwar können wir heute Licht praktisch ohne die unangenehmen Nebenwirkungen erstellen. Den menschlichen Bedürfnissen, die mit Licht verbunden sind, kann man aber nur ungenügend Rechnung tragen.

DIN-Normen sind kein Maß für Planungen.

Eigentlich wollen sie das sein. U.A. weil der Arbeitsschutz mit einer großen Keule droht, wenn man von den Beleuchtungsnormen (einst DIN 5035, seit 2003 DIN EN 12464-1) abweicht. Seit 1988 (DIN 5035-7) habe ich in der Praxis allerdings keine Beleuchtung gefunden, die die Normen erfüllt hätte. Der Planer muss so tun, als hätte er die Normen verstanden, und er verlässt sich darauf, dass kein Auftraggeber klagt. Sollte einer klagen, findet er kaum einen Gutachter, der so nachmessen kann, dass sein Gutachten Recht bekommt.

Berufsbilder Lichtplaner und Lichtdesigner beinhalten Expertenwissen.

Was denn sonst? Es fragt sich nur, welches Expertenwissen. Und welche Berufsbilder gemeint sind? Die sind doch erst im Entstehen. Und der Lichtplaner müsste den Auftrag bekommen, kreativ zu gestalten. Nicht so leicht, wenn Normen Beleuchtungsstärken bis an Decken und Wänden vorschreiben, die zudem nur scheinbar begründet sind. Man stelle sich vor, einem Architekten würde vorgeschrieben, nur das Messbare in vorgeschriebener Form nachprüfbar bauen.

Die Planung von Licht ist unabhängig von Energieeffizienz.

Das will man gerne suggerieren. Tatsächlich sollte man bei jeder Planung zunächst die Anforderungen berücksichtigen - z.B. geringstmögliche Fehler bei der Arbeitsausführung - und dann erst diesen mit effizienter Technik entsprechen. Bei der Lichtplanung sind die Anforderungen allerdings sehr schlecht oder gar nicht begründet (z.B. hier oder da). Die Zielgröße bei Planungen ist fast immer die Beleuchtungsstärke und die ist nachweislich für die Lichtqualität fast ohne Bedeutung (z.B. hier oder da oder dort). Kein Mensch kann Beleuchtungsstärke sehen, aber die Elemente, die sie erzeugen. Kein Mensch glaubt, dass sie etwas mit der Anmutung von Räumen zu tun hätte.

HCL ist integrative Lichtplanung.

HCL = human centric lighting ist nur dann integrative Lichtplanung, wenn man darunter versteht, dass neben Sehwirkungen auch gesundheitliche Wirkungen in die Planung der künstlichen Beleuchtung einbezogen werden. Allerdings sagt ein kommender ISO-Bericht dazu aus: Wichtig - Die Vorteile der integrativen Beleuchtung können nur realisiert werden, wenn die von qualifizierten Spezialisten geplant und angewendet wird. Gleichermaßen wichtig ist der korrekte Betrieb des Beleuchtungssystems durch die Beauftragten oder Benutzern.  (ISO/TR 21783)

Lichttechnik ist überlebt.

Kann sein. Auf jeden Fall ist viel lichttechnisches Wissen durch den Übergang zur LED-Technologie obsolet geworden. Vieles ist aber einfach vergessen worden, weil die neuen Macher es gar nicht kennen. Bezeichnend für die Schnarchphase, in der sich viele Institutionen befinden, ist die Neudefinition des Farbwiedergabeindex. Der alte war, wenn man den Gerüchten glauben will, dadurch entstanden, dass man die Testfarben so lange hin und her geschoben hatte, bis die Dreibandenlampe akzeptabel schien. Die neue will noch anerkannt werden.

Lichtforschung muss neu gedacht werden.

Gibt es die - die Lichtforschung? Ich denke, viele Disziplinen forschen auf Teilgebieten, für die sich die Lichttechnik zuständig wähnt. Derzeit dominieren die Chronobiologen. Das sind meistens Mediziner, aber keine Lichttechniker und auch keine Allgemeinmediziner. Dennoch fühlten sich die Lichttechniker dazu berufen, den Stand der Wissenschaft auf diesem Gebiet zu definieren - das ist ISO/TR 21783. Sie wehren sich mit Händen und Füßen dagegen, dass sich andere damit beschäftigen. Ein Novum, dass Angehörige eines Fachgebiets den Stand der Wissenschaft auf einem anderen Fachgebiet definieren. Was Beleuchtung oder Leuchtmittelentwicklung angeht, ist die sog. Lichtforschung sehr schwach auf der Brust. Die Musik spielt sich anderswo ab.

Die LiTG ist ein Verein ohne große Aktivitäten.

Die LiTG war über Jahrzehnte paralysiert, weil das Zusammenwirken von universitärer Forschung und der Praxis nicht mehr funktionierte wie einst. Schuld daran war eine Seite, ich hasse es zu sagen, welche diese war. "Wissenschaftliches" versuchte der TWA (Technisch-Wissenschaftlicher Ausschuss) mit eigenen Schriften zu bewerkstelligen. Doch die Firmenvertreter paralysierten sich gegenseitig. Dieser Zustand entspricht aber seit mindestens 10 Jahren nicht mehr der Realität.

Die Lichtindustrie ist »zwischen Blech und LED-Bausatz« gefangen.

Deutlicher kann man den Zustand kaum darstellen. "Blech", das waren die Leuchten, in die man Lampen einbaute, damit sie leuchteten. Mancher LED-Bausatz verweigert jede Zusammenarbeit und leuchtet so vor sich hin. Sprich: Es braucht keine Leuchte. So wurde sogar ein langjähriger Pfeiler des lichttechnischen Wissens - die Unterscheidung zwischen Leuchte und Lampe - in Rente geschickt. Das Formen von Licht geschieht nur noch selten in der Leuchtenentwicklung. LED ist halt eine neue Technologie und nicht ein einfacher Wechsel von einer Lampentechnik zur anderen.

Das Licht der Zukunft ist gesteuert.

Das ist ein Wunsch von Technokraten. Weil sich LED gut steuern lassen, muss man sie nicht immer steuern. Eine Steuerung muss einen Sinn für die Benutzer und Betreiber ergeben. Ansonsten ist der Unterschied gegenüber der Petroleumlampe herzlich gering. Die elektrischen Lichter hatten zunächst Drehschalter, die von der Petroleumlampe übernommen worden waren. Viel später wurden An/Aus-Schalter üblich bzw. Taster, die dasselbe tun. Mehr hat sich da nicht getan. Zumal niemand einsehen will, dass eine "intelligente" Lampe mehr Strom beim Warten verbraucht als beim Leuchten.

Wann werden Licht-Normen entbehrlich?

Vermutlich nie. Oder, es ist längst soweit. Die letzte Version von EN 12464-1 verstehen die eigenen Autoren nicht. Schlimmer noch kann es werden, wenn Lichtplaner versuchen, sie zu verstehen. Die Norm versucht, jegliche kreative Lücke zu stopfen, in der ein Lichtplaner tätig werden kann. Ich denke, diese ist die letzte Ausgabe einer Beleuchtungsnorm auf der Basis von Beleuchtungsstärken.

Nichtvisuelle Effekte in der Nacht sind geklärt – der Kuchen ist gegessen.

Ich denke, wir fangen an zu verstehen, was diese Effekte sind. Bislang hat man erst Einigkeit darüber, die Effekte mit einem Bindestrich zu schreiben: nicht-visuelle Effekte. Und dass ein enormes Entwicklungspotential grandios vergeigt worden ist. Mehr hier.

Am Tag brauchen gesunde Menschen Belichtungszeiten von 2-3 Stunden.

Oder eher 2 1/2? Bereits die Herrscher im Altertum wussten, dass der Lichtentzug den Menschen krank macht. Deswegen ließen sie manche Menschen in dunklen Verliesen verrotten. In der modernen Zeit versuchte die amerikanische Justiz Schwerverbrecher durch Lichtentzug zu zähmen. Das Schicksal von Al Capone in der lichtlosen Zelle von Alcatraz berührte aber viele, so dass Alcatraz geschlossen wurde. Andererseits war zu viel Licht eine besonders perfide Hinrichtungsmethode. Wie lange ein Mensch belichtet werden muss, damit er gesund aufwächst und bleibt, entzieht sich meiner Kenntnis.

Lichtplanungen sollten von 1.000 bis 1.500 lx horizontal und von 600 bis 800 lx vertikal am Auge ausgehen.

Schon diese Angaben zeigen, wie fragwürdig das Konzept ist. 1.000 lx oder 1.500 lx am Auge horizontal? Da die menschlichen Augen meistens etwa senkrecht stehen, haben sie nichts von dem Licht, was an denen vorbei fliegt. Bei den Werten für "vertikal" muss sich der Lichtplaner überlegen, welche vertikale Ebene er denn beleuchten will. Es gibt unendlich viele. Welche er davon auch nimmt, es wird immer Menschen geben, die genau in der anderen Richtung sitzen. Das Konzept ist - sagen wir mal nett - ausbaufähig.

Tageslicht reicht mit viel Aufenthalt im Außenbereich aus.

Hier ist wohl die circadiane Wirkung gemeint. Ich denke, bereits relativ wenige Aufenthalte im Freien zur richtigen Zeit reichen aus. Die Wirkungen von Tageslicht auf circadiane Wirkungen zu verkürzen, könnte allerdings eine der dümmsten Ideen sein, denen man folgen kann.

Dynamisches Kunstlicht bringt keine messbaren Vorteile.

Sagt wer? Ich kenne viele, die das Gegenteil behaupten. Es ist wahr, dass man die Wirkungen nicht mit dem Zollstock messen kann. Dass keine Vorteile vorhanden sind, würde ich erst dann glauben, wenn man den theoretischen Hintergrund widerlegen kann.

Licht ist Lebensmittel.

Und mehr. Es ist jedenfalls wichtiger als Wasser oder Luft, ohne die man bekanntlich nicht leben kann. Diese sind für Lebensprozesse unentbehrlich, sie steuern aber nicht die Lebensprozesse. Licht tut es.

Wer eigene Antworten auf die Thesen hat, kann das staunende Männchen durch diese ersetzen. Eigentlich sollte jeder eine Antwort haben, es geht ja um unser Leben. Leider ist Licht so billig und der nächste Schalter so nahe, dass wir vergessen haben, welche Rolle Licht für das Leben spielt.

 

Eine Fassade kann nicht nur Herzen erweichen - auch was an einem Auto schmelzen
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Tageslichttechnik ist eine neumodische Wissenschaft, die erst seit einigen Jahrzehnten so heißt. Im Anfang hatte sie keinen Namen, weil Gott erst einmal das Drumherum schaffen musste. Später hieß die einfach Architektur. Manches Gebäude erlangte seine Berühmtheit durch einen sparsamen Umgang mit dem Tageslicht. Andere wie das rotierende Solarium von Saidman hingegen wurden gebaut, um die Menschen der Drehung der Sonne nachzuführen. Optimale Bestrahlung! Erst als sich die Lichttechnik in der Form der Technik der künstlichen Beleuchtung etablierte, bekam die Tageslichttechnik auch ihren Namen. Mancher Architekt hatte aber bereits vergessen, dass seine Vorgänger insbesondere durch eine meisterhafte Gestaltung des Tageslichts zu Ruhm gekommen waren. Andere, deren Namen nicht kennt, erbauten die Arbeitsstätten des Kerkermeisters.

Der Architekt dieses Gebäudes bekommt garantiert keinen Preis für seine gestalterischen Fähigkeiten. Dessen Fassade soll etwas in einem Jaguar auf der Straße zum Schmelzen gebracht haben. Vielleicht dachte der Herr, dass in London nur Nebel herrscht. Indes, Glasbauten, an denen man bei Sonnentagen besser nicht vorbeigeht, stehen nicht nur in London.

Ein Déjà-vu der besonderen Art - Wir machen die Natur nach und sind besser
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Bescheidenheit ist eine Zier, kann aber auch Ausdruck menschlicher Größe sein. Leider trifft das meistens nicht zu. Vor drei Jahrzehnten dachte ich, mich laust der Affe, als ein mir sehr gut bekannter Professor in einem Interview wörtlich sagte: "Im Übrigen kann für viele Aktivitäten im Innenraum das Tageslicht nach Quantität und Qualität durch künstliches Licht besser nachgebildet werden." Der Journalist konnte seinen Ohren nicht glauben und fragte nach: "Besser?" Antwort: "Besser nachgebildet". 

Denselben Herrn hatte ich schon vor fünf Jahrzehnten eine ähnliche bedeutsame Aussage treffen hören: “Bei seitlicher Befensterung können gehobene Ansprüche an die Beleuchtung, wie sie in der künstlichen Beleuchtung gestellt werden, nicht befriedigt werden.” Das war im Jahre 1971, und die Veranstaltung hieß “Auge-Licht-Arbeit”. Also? Man pfiff auf die seitliche Befensterung und normte eine Beleuchtung, die nicht nur ohne Tageslicht auskommen würde, sondern tatsächlich "besser" sein wollte - in Quantität und Qualität.

Wir lassen die Quantität lieber beiseite. Wenn einer im Innenraum 100.000 lux erzeugen würde, wie die Sonne an einem schönen Juni Nachmittag, würden selbst die hartnäckigsten Ungeziefer schon die erste Minute nicht überleben. In der Natur geht es viel besser, aber auch nicht gut. Wenn draußen diese Beleuchtungsstärke herrscht, machen weise Menschen Siesta und erzählen "In die Mittagssonne gehen nur Esel und Touristen". Bleiben wir also bei Qualität. Was ist die Lichtqualität? Eine Antwort auf die Frage wurde nach langem Grübeln - etwa 100 Jahre - zum 1.Januar 2021 veröffentlicht: "degree of excellence to which the totality of lighting characteristics fulfils user needs and expectations or other applicable requirements" Übersetzt heißt das: "Grad der Vorzüglichkeit zu welchem die Gesamtheit der Beleuchtungseigenschaften die Bedürfnisse und Erwartungen der Benutzer erfüllt oder andere anwendbare Anforderungen".

Bevor einer Hurra schreit und damit die "Heureka"-Rufe der Lichttechnik zu übertönen sucht, etwas Ernüchterndes. Diese Definition gibt es als Definition der Qualität seit über 40 Jahren - und zwar ohne Wenn und Aber. Aber andere anwendbare Anforderungen kennt die Qualitätswissenschaft nicht. Schlicht gesagt, Qualität ist Eignung für den vorgesehenen Zweck. Man kann z.B. Hämmer für die Reparatur von Schweizer Taschenuhren erstellen oder zum Kloppen von Felsen. Ein vorgegebener Qualitäts-Hammer für den einen Zweck ist völlig ungeeignet für den anderen Zweck. D.h., Qualität ist keine einem Produkt innewohnende Eigenschaft, sondern nur die Erfüllung von Anforderungen. Die lichttechnische Definition besagt, dass die Anforderungen von Bedürfnissen von Benutzern und deren Erwartungen herrühren. Und damit sind wir wieder am Anfang. Welche Bedürfnisse hätten Sie denn?

Eine Antwort auf diese Frage wurde vor fast genau 100 Jahren gesucht und gefunden: Menschen brauchen zum gesunden Leben Licht. Sie leben und arbeiten aber in Innenräumen, und draußen nimmt der Dunst und Smog der Städte ihnen die wichtigsten Strahlen des Sonnenlichts weg. Ergo? Mit Lampen kann man ein Licht erzeugen, dass natürlicher ist als das Licht der Natur. So können Lampen Licht wie "klarstes Wetter", "Mittag", "Hochsommer", "mittlerer Breitengrad" oder "Meereshöhe" für den gesamten Planeten erzeugen. So dachte man anno 1921. (Anm.: Das Bild zur Rechten zeigt nicht etwa ein Schlafcamp für Erdbebengeschädigte, sondern einen Schulraum mit Licht und Luft.)

Gar nicht schlecht die Idee! Das erinnert mich an das Norm-Tageslicht. So stellt die Normlichtart D65 das Tageslicht etwa zur Mittagszeit in Wien dar.  Normlichtart D50 hingegen heißt "Horizontlicht" und will den Sonnenuntergang simulieren. Was D75 will habe ich nicht herausfinden können. Ich schätze mal, das ist die Sonne, die einem auf den Schädel knallt. MIttlerweile gibt es darüber hinaus so viele Normlichtarten, dass man nicht mehr weiß wohin damit: Normlichtart A, B, C, D50, D55, D65, D75, D93, E, F1 bis F12, LED-B1, LED-B2, LED-B3, LED-B4, LED-B5, LED-BH1, LED-RGB1, LED-V1, LED-V2.

Wie man sieht, wurden alte Träume wahr. Aber nicht nur die … Denn vor 100 Jahren ging es um die "Licht und Gesundheit". Man wollte die Sonne Sonne sein lassen und aus ihren Strahlen die gesunden herausfiltern und halt nur diese replizieren. Also Licht für Gesundheit. Da Menschen auch noch Licht für andere, teils extravagante, Zwecke erzeugten, zum Beispiel zum Sehen, kam man auf die Idee, Licht für beides zu machen. So wurde z.B. die S1-Lampe erfunden, deren Glühfaden das Licht für das Sehen erzeugte, während ein Quecksilberkolben das Licht für die Gesundheit produzierte. Dass das gesunde  "Licht" aus dem Quecksilberkolben im wesentlichen aus UV bestand, war nicht etwa das Problem, sondern die ersehnte Lösung.

Alles Geschichte. Heute gibt es integratives Licht, das sowohl das Sehen unterstützen will als auch die Gesundheit. Da es sich als äußerst unpraktisch erwiesen hat, Doppellampen zu produzieren und zu installieren, machen wir es nun mit der Umlenkung des Lichts. Hat man 40 Jahre lang tief strahlende Leuchten gepredigt, damit sich das Licht nicht in den Bildschirmen spiegelt, ist der neue Knaller eine hohe Lichtabstrahlung in horizontaler Richtung. Nennt sich Vertikalbeleuchtungsstärke. Da sich die Lichtqualität zum Sehen nicht ändern soll, muss man einen Weg finden, dass Licht zur Richtungsumkehr zu überreden. Dann fällt es umso stärker auf die Bildschirme. Aber auch das ist kein Problem. Es geht das Gerücht rum, dass Blendung etwas Schönes ist. Wir müssen nur die Bücher korrigieren, die Blendung für ein Problem halten. Ich bin mir sicher, dass wir auch das schaffen. Das zweite Jahrhundert fürs gesunde Licht hat ja gerade begonnen.

Übrigens, die Sache mit der Nachbildung des natürlichen Lichts im Innern der Gebäude war nicht sehr erfolgreich. Jemand ist dahinter gekommen, dass UV nicht nur lebenswichtig ist, sondern auch ganz schön lebensgefährlich. Deswegen gibt es die Lampen mit dualer Funktion nicht mehr. Aber Schutzvorschriften gegen die UV-Strahlung (z.B. diese), weil manche Lampen auch ohne zugeordnete Funktion strahlen.

 

Wie sich die Zeiten so ändern - Was wurde besser?
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Einst liebte ich ein Schema über alles, weil es zeigte, wie sich ein Lichttechniker bei einem Bauvorhaben platziert fühlt. Zwar stimmte das weitgehend nicht, hat aber so sein sollen, weil das Licht die wichtigste Umweltbedingung ist. Oder irre ich mich? Es war zumindest so, dass bis etwa 1950 die Belichtung der Räume selbst in mittelalterlichen Burgen eine maßgebliche Vorgabe für den Bau war. Danach fühlten sich die Architekten frei, weil man denen erzählt hatte, sie könnten sogar ohne Tageslicht bauen - und das wäre sogar besser. Irgendwann mal haben sie gelernt, dass Märchen einen wahren Kern haben, der aber nicht unbedingt was bedeuten muss.

Das Schema stammt aus einer Broschüre von Fördergemeinschaft Gutes Licht aus den 1970er Jahren.

Runde 50 Jahre später ist die Welt nicht einfacher geworden. Das folgende Bild habe ich bei einem Artikel mit dem Titel "Prozesse und BIM" gefunden. BIM bedeutet, wie jeder weiß, Building Information Modelling. Da nicht jeder wissen muss, was BIM ist, wird es mit einem Diagramm erklärt. Alles startet bei PIM, endet wieder bei PIM. Danach kommt aber LIM. Zur Erklärung gibt es eben das Bild mit OIA, LIA, AIA, QM, BAP, LOIN und IAA … Alles bitte ernst nehmen, nur nicht das Händeschütteln zu Beginn. Seit zwei Jahren haut man sich mit dem Ellenbogen gegen.

Wenn ich mir den unteren Teil der Abbildung angucke, wimmelt es nur von Begriffen, die allesamt mir kein Begriff sind. Dazu gehören Informationslieferplan, Grundsätzliche Federationsstrategie, Grundsätzliche Verantwortungsmatrix, Informationsbereitstellungsplan, Konkrete Federationsstrategie, Konkrete Verantwortlichkeitsmatrix … In der Legende zu dem Bild steht, was das alles sein soll: AIA und BAP-Prozess-Diagramm nach EN ISO 19650. Klar? Nicht ganz, es gibt nämlich noch eine wichtige Warnung: "Achtung: PIM steht hier für Projektinformationsmodell und nicht für Produktinformations-Management." Die Warnung habe ich dankbar aufgenommen. Sonst hätte ich PIM beinah missverstanden. Die grundsätzliche Federationsstrategie ist mir hingegen ebenso fremd wie die konkrete. Das werden die Fachleute schon wissen.

Was hat sich so alles in den 50 Jahren geändert? Früher stand in einschlägigen Broschüren, normgerechtes Licht sei gesund. Heute heißt es, normgerechtes Licht wird gesund werden, wenn man "Das richtige Licht zur richtigen Zeit" realisiert. Dazu müssen erst einmal die Normen geändert werden. Wann? So im Laufe des Jahrhunderts wird es passieren - garantiert.

Halbe oder doppelte Beleuchtungsstärke bei Tageslicht?
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Er konnte es nicht lassen. Die Rede ist von K. Petry, dessen Arbeiten die schöne Welt des Lichts in Frage stellten. Dabei hätte er sein Leben ungestört genießen können. Er musste an dem Allerheiligsten rumdoktern, der Beleuchtungsstärke. Dass ich mit dieser Größe meine Probleme habe, wissen in der Lichttechnik viele. Beispielsweise hat meine Darstellung der Entstehung der Werte, die man so in Normen findet, so etwa 125 lx, 300 lx oder 500 lx, bei Mitgliedern eines Ausschusses Lachsalven ausgelöst (mehr hier). Denen selbst war ihr eigenes Tun nie aufgefallen. Meine Arbeit war eine Studie (hier), hingegen hatte Petry immerhin eine Dissertation zu dem Thema geschrieben. Der Titel ist sperrig, aber interessant:
"Zur Bewertung der Mindestbeleuchtungsstärke und der Nutzungszeit von tageslichtorientierten Arbeitsplätzen mit Hilfe des Kontrastwiedergabefaktors und der äquivalenten Kugelbeleuchtungsstärke". Er enthält nämlich zwei wichtige Konzepte aus der Beleuchtungstechnik, von denen keiner etwas wissen will. Kontrastwiedergabefaktor und Kugelbeleuchtungsstärke.

Wozu die gut sind? Sie erklären, dass sich die Techniker in die Tasche lügen, wenn sie von Beleuchtungsstärke sprechen. Denn das Ziel einer guten Beleuchtung für Arbeitszwecke ist, das Sehen zu fördern. Zum Beispiel könnte man die Güte einer Beleuchtung daran messen, wie gut man etwas lesen kann. Oder wie gut man einen Faden durch ein Nadelöhr ziehen kann. Kurz: Sehleistung fördern. Just das geben die Beleuchtungsnormen auch als Ziel vor, denn sie dürfen nicht dem Arbeitsschutz dienen. Der ist Sache des Staats. Erzielt jede Beleuchtung mit 500 lx die gleiche Sehleistung?

Petry sagt, nein. Es kommt darauf an, wie die Beleuchtungsstärke entsteht. Man kann diese durch einen Scheinwerfer (im Innenraum heißen die vornehm Spots) erzeugen, aber auch durch eine große leuchtende Fläche. Die Beleuchter beim Film und Fernsehen wissen, wie man das macht. Manchmal benutzen sie Strahler, manchmal riesige Reflektoren, z.B. wenn eine exotische Schönheit nicht wie ein Schweinchen glänzen soll. Dann wird die noch dazu gepudert. Arbeitsobjekte sollen nicht glänzen. Pudern kann man sie nur selten. Ergo? Man muss sehen, wie man sie am besten erkennt. Z.B. liest sich die Schrift auf dem Papier dann am besten, wenn sie matt ist und auf mattem Papier gedruckt. Fast immer ist sie nicht matt, aber auch nicht glänzend. Je nach Beleuchtung kann man sie mehr oder weniger gut lesen. Wie gut, kann man am besten an dem Kontrast erkennen, also dem Helligkeitsunterschied zwischen der Schrift und ihrem Hintergrund. Und die Fähigkeit einer Beleuchtung, den Kontrast wirksam zu machen, nennt sich Kontrastwiedergabefaktor.

Man muss, um die beste Wiedergabe zu ermitteln, eine Beleuchtung nehmen, deren Quelle vollkommen gleichmäßig leuchtet. Und das ist eine matte Halbkugel, die an allen Stellen die gleiche Helligkeit aufweist. Daher die Kugelbeleuchtungsstärke. Von allen denkbaren Anordnungen von Beleuchtungen erzeugt die Kugel die größte Kontrastwirkung. Da man weder Arbeitsplätze noch Wohnräume mit Kugeln beleuchten kann, muss man andere Lichtquellen benutzen. Und diese müssen immer eine viel größere Beleuchtungsstärke erzeugen als die Kugel, damit man - bei geringeren Kontrast - gleich gut sieht. Diese rechnet man dann theoretisch auf die Kugelbeleuchtungsstärke um. Wie eine solche Umrechnung vor sich geht, hatte ich mit Hilfe der Leuchtdichte illustriert (mit Kontrast geht es analog, aber viel komplizierter) :

Wie ein gedrucktes Buch auf weißem Papier unter ungünstigem Licht aussehen kann, sieht man rechts. Als Kontrastprogramm sieht man dasselbe Buch darunter. Wem das Ganze zu abstrakt vorkommt, kann sich eine Illustrierte nehmen und versuchen, eine Seite komplett zu sehen. Das gelingt praktisch nie, weil die Seite glänzt. Es gibt also immer eine mehr oder weniger große Störung. Petry hat genau diesen Effekt berechnet, um eine Beleuchtung mit Fenstern mit einer genormten künstlichen Beleuchtung zu vergleichen. Erzeugt nun diese Beleuchtung 500 lx sieht ein Mensch bei der Beleuchtung mit Tageslicht schon bei etwa 250 lx gleich gut.

Daraus kann man auch ableiten, dass man auch bei der Indirektbeleuchtung mit einer sehr viel geringeren Beleuchtungsstärke den gleichen Effekt (Sehleistung) erzielt als bei einer Direktbeleuchtung. Ich habe den Effekt etwa gleich hoch eingeschätzt wie bei Petrys Untersuchung. Eine Studie, die  mit Mitteln der Forschungsinitiative Zukunft Bau des Bundesinstitutes für Bau-, Stadt- und Raumforschung gefördert wurde, ist der Sache nachgegangen. Sie hieß "Tageslichtnutzung in Wohn- und Arbeitsräumen zur Verbesserung der visuellen Behaglichkeit und der Aufenthaltsqualität". An die kommt man nur schwer heran, weil ihre Quelle von den Browsern als gefährlich eingestuft wird. Daher muss jeder sein Glück versuchen. (Anm.: Die Quelle ist sicher (Uni Weimar), nur das Zertifikat ist falsch, aber auch von einer sicheren Quelle (DFN-Verein Deutschland).

Offenbar will niemand was von der Kugelbeleuchtungsstärke hören. Dafür sinniert man über die melanopische. Wenn ich mal Zeit habe, schreibe ich über die melanopische Kugelgrößen. Damit kann ich erfolgreich verhindern, dass überhaupt noch jemand was versteht, so es noch nötig sein sollte.