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Manchmal ist es besser, das Ziel zu verfehlen

 
Im letzten Heft von Licht (7/8 2015) findet sich ein Artikel über die Änderung der Straßenbeleuchtung in Nürnberg mit Hilfe von LED-Leuchten (Autoren Alena Taranka und Alexander Hoffmann). Obwohl der Artikel an sich bemerkenswert ist, daher auch lesenswert, will ich nur einen Aspekt heraus greifen. Den zeigt das Bild untenSicher-durch-LED

Das Bild besagt, dass das Sicherheitsgefühl der Passanten durch die LED-Beleuchtung schwindet. Was auch immer die Ursache sein kann, die Interpretation der Autoren ist interessant: "Dies ist möglicherweise auf den Rückgang des Streulichts und somit auf die fehlende Ausleuchtung der Umgebung zurückzuführen. …" Das heißt, je besser ich mit Licht ziele und genau das beleuchte, was ich beleuchten will, desto stärker verfehle ich das Ziel, wofür ich beleuchte. Die Straßenbeleuchtung ist nämlich mitnichten dafür da, dass man besser bzw. gut sieht. Sie ist eher dafür da, dass man sich nachts auf einsamen Straßen sicher fühlt. Denn zum Herumlaufen benötigt man häufig kein Licht, wie man sich vergewissern kann, wenn man nachts auf Feldern oder im Wald läuft. Natürlich ist es vorteilhaft, dass man auch mehr und besser sieht. So gesehen hilft das Streulicht den Mangel an Zielgenauigkeit bei der Auswahl der Aufgabe für die Beleuchtung verdecken.

Horror im Dunkeln
Horror im Dunkeln
Horror im Dunkeln

   
So etwas erlebte man mit den sog. "BAP-Leuchten", die im Prinzip nichts anderes waren als (nicht-perfekte) Scheinwerfer mit Leuchtstofflampen. Anders als frühere Leuchten, z.B. solche mit Trübglaswannen, konzentrierten sie ihr Licht auf die Arbeitsebene. Dies ist bei jedem Scheinwerfer im Prinzip das gleiche: Nur das beleuchten, was man anvisiert. Ansonsten kein Licht. Streulicht ist verlorenes Licht.

Die Vorstellung, das man die Arbeitsebene beleuchten solle und sonst nichts, wurde perfektioniert mit der ersten Ausgabe von DIN EN 12464-1, bei der der "Bereich der Sehaufgabe" im Fokus steht. Also nicht mehr die Arbeitsebene im gesamten Raum, sondern nur noch der Bereich der Sehaufgabe. Das Licht, das drumherum fällt, das Licht auf der Umgebung des Bereichs der Sehaufgabe, darf nur deswegen nicht fehlen, weil die Beleuchtung der Sehaufgabe allein nach lichttechnischem Wissen problematisch ist. Was weiter im Raum passiert, wollte EN 12464-1 aber nicht regeln.

        
Dummerweise findet sich an sehr vielen Arbeitsplätzen kaum mehr etwas in der Arbeitsebene, was man sich genauer ansehen muss. Die Musik spielt sich auf dem (den) Bildschirm(en) ab. Was erntet man, wenn man die Beleuchtung auf genau das reduziert, was man zum Sehen in der Arbeitsebene braucht?  Nach meiner Erfahrung kranke Menschen. So etwas hat man nämlich etwa seit der Erfindung von CAD und Bildretusche am Bildschirm, Licht exakt auf dem Sehobjekt, ansonsten nichts. In beiden Fällen stört das viele Licht und wurde entweder gar nicht installiert oder von den Mitarbeitern einfach abgeschaltet. Als der Betriebsrat eines großen Verlags das Befinden der Grafiker in den Betrieben untersucht hatte, traute er sich nicht das Ergebnis der Geschäftsleitung mitzuteilen. Alle Grafiker fühlten sich mehr oder weniger krank, so die Studie.

 
Manchmal, so scheint es, ist es besser, wenn man sein Ziel nicht erreicht. Insbesondere, wenn das Ziel falsch gewählt ist. In Arbeitsräumen muss nicht die Arbeitsebene beleuchtet werden, sondern der Raum, um ihn hell erscheinen zu lassen. Dann fällt genug Licht auf die Arbeitsebene - jedenfalls genug oder mehr als genug für viele Berufe. Und in der Straßenbeleuchtung kommt es in erster Linie auf das Gefühl der Sicherheit an. Ansonsten müssten in Deutschland nicht 9 Millionen Laternen am Straßenrand stehen und geduldig auf Passanten warten.

Straßenlaternen

Erzwungene Blauäugigkeit statt nüchterne Analyse

 
Gestern tickerten Meldungen über die neueste Strategie von Coca Cola, das ist ein Unternehmen, das klare Gewinne aus einer trüben Brühe zieht, die Wissenschaft vor den eigenen Karren zu spannen. Diverse Wissenschaftler sollen sich dafür stark machen, zuckerhaltige Limonaden aus dem Verdacht zu befreien, für die barocken Formen amerikanischer Mittel- und Unterschicht verantwortlich zu sein. Wobei barock etwas oder gar hoch untertrieben sein dürfte. Die Menschen verließen die Proportionen a la Leonardo da Vinci und gingen zu einer Birnenform über. Zwar thront oben immer noch der Kopf. Dieser verlor massiv an relativer Größe je stärker wabernde Fettmassen die Region oberhalb der Beine eroberten. Lösung: Nicht die Kalorien in den Limonaden sind schuld, sondern die Bewegungsarmut. Warum sind wir seit 60 Jahren bloß nicht darauf gekommen?

Allerdings entlastet diese geniale Idee nicht die amerikanische Industrie insgesamt, sondern nur die Limonadenwirtschaft. Denn an der Bewegungsarmut ist eine andere Industrie schuld, wie wissenschaftliche Studien über das Verhalten von mobilen Menschen nachweisen. Das sind Leute, die mit einem Mobilgerät unterwegs sind, in Amerika meistens mit einem iPhone oder iPad einer Firma, die einst mit einem bunten angebissenen Apfel firmierte. Jetzt ist der Apfel edelgrau, aber immer noch abgebissen. Eine mir vorliegende Studie besagt, dass Studenten im Schnitt 9 Stunden mit einem Smartphone unterwegs wären - am Tag. Unterwegs ist schön gesagt - sie verbringen laut Studie 3 Stunden am Tag im Bett mit einem Smartphone in der Hand. Von dem verbleibenden Rest des Tages hacken sie 4,5 Stunden auf einem Laptop oder Tablett herum. Muss dafür Coca Cola herhalten, dass solche Figuren keine Figur mehr haben? Man merke: Mobil ist man, wenn man sich kaum noch bewegt.

Was lernt man daraus? Man muss bei Wissenschaft immer auf die Quellen achten, auf die Geldquellen. So auch bei den Studien, aus denen eine eindeutige Message sprudelt: Blau macht schlau oder so ähnlich. Ich hatte spaßeshalber die Vergleichsobjekte von Studien zusammengezeichnet, mit deren Hilfe man die märchenhafte Wirkung von blauem Licht nachgewiesen haben will. Links das Original, rechts - nein, nicht die Fälschung, das ist doch keine Quizfrage - die blau-optimierte Beleuchtung. 

Links: Eine Warte, wie man sie kennt, so man Warten nicht mit Warten verwechselt. Hier wird gearbeitet. Rechts die für den Versuch hergerichtete Warte. Ungelogen hat das Licht mehr Blauanteile. Was denn sonst anders ist? Man suche und finde den Unterschied!

  
Was sehen wir da? Man hat die gesamte visuelle Umwelt verändert. Die ehemals dunkle Decke ist jetzt hell, die Leuchten großflächig und die Lampen mit geringer Leuchtdichte (= weniger Blendung bei gleichem Lux auf dem Tisch) und die grüne Frontseite mit den Monitoren ist jetzt blau angestrichen worden und wird blau angeleuchtet. Ich denke mal das Blaue aus dem Farbtopf wäre, so blaues Licht die fantastischen Wirkungen ausübt, die man ihm andichtet, viel nachhaltiger, weil man es nur einmal bezahlt. Kleiner Tipp: Wenn man die Monitore richtig einstellt, bringen sie mehr Blau ins Auge. Das aber ist eine andere Story, die Verkäufer von Bildschirmen mit circadianer Wirkung erzählen. 

  
Guter Rat: Fragen Sie bei jedem Vortrag, bei dem blaues Licht über den grünen Klee gelobt wird, wer die Studie bezahlt hat, wo der Redner angestellt war und warum er ausgerechnet dieses Thema für so interessant hält, dass er damit über die Weltgeschichte tourt. Ich hatte mich einmal in die Nesseln gesetzt und in einem Seminar die Lichtquellen für die Farben verantwortlich gemacht. Ein Teilnehmer wetterte laut dagegen und redete von Farben - von denen, die aus dem Topf kommen. Er war Schüler des seligen Dr. Frieling aus Marquartstein, Gründer des Instituts für Farbenpsychologie. Dieses hatte es mit denen, die Farbeimer füllen und verkaufen. Die modernen Blaulichtverkäufer sind eher mit Vermarktern von LED verbandelt. Die haben aus technischen Gründen mehr Blau im Spektrum als nötig. Es müsste mit dem Deibel zugehen, wenn man nicht die wissenschaftlichen Erkenntnisse nutzen würde, um das Blaue schön zu reden. Ich denke mal, die Sache ebbt mächtig ab, wenn die Mehrzahl der LEDs ein vernünftiges Spektrum aufweisen. 

Sichtverbindung nach außen - Das unbekannte Wesen

 
Wer guckt bei der Arbeit aus dem Fenster? Faule Säcke, die dem Arbeitgeber auf der Tasche liegen, und deren Arbeit - vielmehr Nicht-Arbeit - die Kollegen ausbaden müssen. Wer denn sonst? So oder ähnlich reagierten bei einer lange zurückliegenden Studie die Leute auf die Frage, ob an ihrem Arbeitsplatz ein Fenster sein müsste. Was würden aber die gleichen Leute sagen, wenn man ihnen ein vorhandenes Fenster zumauert?

 
Genaugenomen nix. Sie würden vor ein Arbeitsgericht ziehen, was in den letzten 40 Jahren seit dem Erscheinen der Arbeitsstättenverordnung sehr häufig geschehen ist. Und meistens gewinnen. Man braucht kein Fenster! Es muss aber sein. Etwa in den Jahren, als die besagte Studie durchgeführt wurde, hatte ich tatsächlich vorgehabt, in einem Großraumbüro im nördlichsten Bundesland die Eckfenster zuzumachen, weil die Sonne auf den Bildschirmen arg blendete. Der Raum hatte genug sonstige Fenster, es sollten nur die Eckfenster weg. Der Betrieb meldete gleich 8 (in Worten: acht) Leute an, die mich besuchen wollten, um darüber zu sprechen. Unter den acht waren auch der Architekt des Gebäudes, der Vorgesetzte und der Arbeitnehmervertreter, volles Programm also. In der Quintessenz sagten die Acht Folgendes: Bei uns fängt einer seine Karriere in der Mitte des Raums an und wandert langsam in Richtung Fenster. Dort versucht er, sich Richtung Eckfenster vorzuarbeiten. Steht der Schreibtisch am Eckfenster, hat man es geschafft. Und Sie wollen diese Fenster zurammeln?

 
Eine andere Geschichte, die allerdings aktenkundig ist, weil diesmal nicht ein fehlendes bzw. abzudichtendes Fenster die Gemüter erregte, sondern eine als zu hoch empfundene Fensterunterkante. In Stuttgart wurde ein entstehendes Bürohaus im Rohbau Maklern angeboten, die das Haus an Bürobetreiber vermieten sollten. Die sagten, dieses Haus mietet keiner, sie können es gleich abreißen. Niemand will im Bunker arbeiten. Dabei hatte der Architekt die Fensterunterkante nach seiner Meinung richtig bei 1.10 m Höhe angesetzt. Solche Gebäude gibt es zuhauf, allerdings seit langem nicht mehr neu. Der Bauherr verklagte daraufhin den Architekten. Zuvor hatte die Gewerbeaufsicht den Bau sogar stoppen lassen.

Da ich praktisch alle Protagonisten der Szene um die "Sichtverbindung" kannte, habe ich die Meinung vieler eingeholt, die beim Arbeitsschutz bzw. bei der Arbeitsmedizin etwas zu sagen hatten. Das Ergebnis: eine Blütensammlung. Man warnte mich eindringlich davor, mich als Gutachter zu betätigen, weil man damit seinen Ruf verliert. Nun, ja. Bei mir haben sie alle genau dies getan. So gesehen, hatten sie recht. Der erste Fachexperte, ein hochdekorierter Professor für Arbeitsmedizin sagte, es genüge, wenn die Leute den Himmel und die Wolken sähen. Der Leiter der für den Arbeitsschutz zuständigen Stelle, verbot den Mitarbeitern, zu dem Thema überhaupt etwas zu sagen. Mir riet er davon ab, etwas zu schreiben. Die Gewerbeaufsicht pfiff die Mitarbeiter zurück, die den Weiterbau untersagt hatten. Den Vogel schoss ein Gutachter für die Arbeitssicherheit ab: Er wies schlüssig (!) nach, dass Menschen im Büro immer auf den Tisch gucken und deswegen überhaupt nicht aus dem Fenster gucken könnten. Daher sei die Arbeitsstättenverordnung auf Büros nicht anwendbar.

 
Was war da falsch? Ich denke, dass woran die früheren Forscher gescheitert waren (s. Bild unten), nämlich mit der Vorstellung, dass die Sichtverbindung nach außen mit Sehen allein zu tun hätte:

Fensterqualitaet

   
Mit Scheinfenstern in einem Keller des OSRAM-Hauses in München wurden über Jahrzehnte Besucher gefoppt, die nicht gemerkt hatten, dass sich hinter dem Fenster nicht die Sonne, sondern Lampen aus dem gleichnamigen Haus verbargen. Hätten sich die Besucher viele Stunden in dem Modellraum mit den Scheinfenstern aufgehalten, hätten sie auch ohne einen einzigen Blick auf das Fenster gemerkt, dass es künstlich war.

Die Quelle des Irrtums ist der fehlende Zeitbegriff. Licht ist in der Physik zeitlos, wie man spätestens seit Einstein kennt. Für das Sehen und die Vorgänge drumherum ist es ziemlich egal, wie spät es ist, oder wie früh. Sofern sich die Augen infolge Schlaflosigkeit oder Alkoholkonsum nicht zu Schlitzen geformt haben, muss man die Zeit bezüglich der Wirkungen von Licht nicht zu berücksichtigen. Anders die psychischen Wirkungen sowie die (biologischen) nicht-visuellen: Sie werden nicht nur von einer zeit bestimmt, sondern sogar von zwei: wahre Ortszeit und die Körperzeit.

Bei der wahren Ortszeit handelt es sich um die Sonnenzeit, die unsere Körperrhythmen bestimmt - oder eben nicht, wenn die Sichtverbindung nach außen unterbleibt. Da helfen keine bunten Naturbilder an den Wänden.

Die Körperzeit ist ein erst seit neuem begriffenes Konstrukt. Sie wird auch nicht mit einer Uhr gemessen, sondern eher an physiologischen Größen wie die Körperkerntemperatur.

Circadiane Rhythmik
Die Körperzeit kann sich "frei entfalten", wenn wirksame äußere Impulse fehlen, die Zeitgeber. Das wurde in Höhlenexperimenten genauso gezeigt wie mit Alzheimerkranken, deren Zeit "frei" läuft. Die Zeitgeber, so sie vorhanden sind, erzählen dann dem Körper, wie spät oder früh es wirklich ist. Genau das macht die Sichtverbindung nach außen. Sehen muss man da nicht. Die meisten Menschen sitzen bei der Arbeit auch nicht vor dem Fenster mit direktem Blick nach außen, sondern am Fenster.

 
Bezüglich der Bedeutung der Fenster ist dies allerdings die halbe Miete. Die zweite Hälfte bietet die "Qualität" der Sichtverbindung. Damit ist gemeint, ob man sich eine graue Wand anschaut oder etwas Lebendigeres. Der Kollege, von dem die Idee der Bedeutung der Sichtverbindung stammt, Georg Roessler, hatte drei "Qualitäten" experimentell verglichen: Grau-schwarze Wand eines benachbarten Gebäudes, parkähnliche Ufer des Landwehrkanals in Berlin, an dem öfter Enten. seltener Menschen zu sehen waren, und der tosende Verkehr am Ernst-Reuter-Platz, seinerzeit der Unfallbrennpunkt der ganzen Stadt. Über sein Ergebnis mussten viele, auch der Autor schmunzeln: Der Mensch braucht eine mittlere temporale Verschiedenheit(!). Will heißen: Wenn nix los, schläft man ein. Ist Tohuwabohu, kann man nicht einmal einschlafen. Irgendwo dazwischen liegt die wohltuende Oase.

Wohltuende Oase? Tatsächlich hat man bei vielen Studien nachweisen können, dass die Qualität der Sichtverbindung für psychisches Wohlbefinden verantwortlich zeichnet, für schnellere Heilung von frisch operierten Patienten sorgt, und auch noch für die Gesundheit ihrer Schutzengel maßgeblich ist. Hier einige Beispiele:

Harb, et al. Lack of exposure to natural light in the workspace is associated with physiological, sleep and depressive symptom, Chronobiology International 2015 (Mangel an natürlichem Licht ist verbunden mit physiologischen Symptomen, verminderter Schlafqualität und depressiven Stimmungen)

Zadeh et al. The Impact of Windows and Daylight on Acute-Care Nurses' Physiological, Psychological, and Behavioral Health, HERD Journal, 2014 (Einfluss der Fenster auf die Gesundheit bei Krankenschwestern in der Akutmedizin)

Ulrich, R. S. View through a window may influence recovery from surgery, Science, 224, 1984. (Blick durch das Fenster kann die Genesung nach Operationen beeinflussen)

Bei der letzteren Untersuchung hat man die Krankenakten von jeweils 23 Patienten eines Krankenhauses ausgewertet, die in einem Fall in Zimmern lagen, deren Fenster zu einer natürlich aussehenden Umgebung gerichtet waren. Die Vergleichsgruppe lag in Räumen, deren Fenster nur eine Backsteinmauer zeigten. Die Patienten mit besserem Ausblick hatten eine kürzere Aufenthaltsdauer nach der Operation, nahmen weniger Schmerzmittel ein, und erlebten weniger Komplikationen in der post-operativen Phase.

Wer guckt aus dem Fenster bei der Arbeit? Eigentlich niemand. Warum hat man 1975 in der Bundesrepublik Deutschland einen Sichtkontakt nach außen vorgeschrieben? Weil alle ein bisschen, manche häufig, andere gar nicht gucken, aber allesamt wissen, wie spät es ist, so sie mit der Natur kommunizieren können. Sei es, mit der grauen Wand des Hauses nebenan. Es gibt nichts, was den Körper besser stabilisiert, als das - unbewusste - Wissen, wo man sich in der Zeit befindet. Das mögen Leute nicht verstehen, die Licht mit dem Zollstock, Pardon mit dem Luxmeter, messen. Wahr ist es trotzdem. Messen muss man allerdings auch. Damit man weiß, wovon man redet.

Mein AMpelmann

Das Großraumbüro wird 50 - Und keiner geht hin!

 Bitte keine Sorge! Es soll bitte niemanden erschrecken. Natürlich kommt das Großraumbüro nicht wieder. Wir bekommen nur den open space. Was das ist? Der Begriff ist geklaut. Gemäß Wikipedia ist Open Space eine Methode der Großgruppenmoderation zur Strukturierung von Konferenzen. Sie eignet sich für Gruppen von etwa 50 bis 2000 Teilnehmern. Charakteristisch ist die inhaltliche Offenheit: Die Teilnehmer geben eigene Themen ins Plenum und gestalten dazu je eine Arbeitsgruppe. In dieser werden mögliche Projekte erarbeitet. Ich denke mal, so etwas wurde bei der Grün Alternativer Liste zur Zeit der Gründung praktiziert. Noch viel früher nannten wir es Vollversammlung. Zuerst kamen tatsächlich 2.000, dann vielleicht 500, danach 50 und dann Tschuess. Denn Open Space basiert auf dem Gesetz der zwei Füße: Der Teilnehmer bleibt nur so lange in einer Gruppe, wie er es für sinnvoll erachtet, also solange er etwas lernen und/oder beitragen kann. Danach tragen ihn wohl die beiden Füße weg. So wie bei PEGIDA. 

Spaß beiseite. Open Space funktioniert. Dazu muss aber das Thema sein:

  • Dringend – es brennt den Teilnehmenden unter den Nägeln, es betrifft sie/geht sie an/berührt sie, und die Lösung hätte gestern bereits vorliegen sollen
  • Breit angelegt – Raum für neue Ideen und kreative Lösungen
  • Komplex – es gibt viele verschiedene Ideen und Wege, es kann nicht von einer Person gelöst werden
  • Wichtig – von zentraler Bedeutung für die Zukunft des Systems

So etwas meinen die Leute natürlich nicht, wenn sie von Open Space sprechen. Was das sein könnte, steht hier erklärt. (Man darf dort durchaus mehr lesen. Lohnt sich). Was mich wundert ist, dass ich nach intensiver Suche in Internet keine Definition finde. Man versuche selbst: Definition:open space. Ergebnis? Dasselbe wie am Anfang dieses Blogs.

Na gut! Fangen wir an: Wem brennt es unter den Nägeln, eine neue Büroform zu entwickeln? In der o.g. Quelle ist es: Deutsche Gesellschaft für Immobilienfonds mbH Research. Hmmm! Seit wann machen die Arbeitskonzepte? Oder finden wir zuerst ein Raumkonzept und stopfen anschließend Arbeit hinein? Natürlich nicht! Die Jungs, die nach neuen Raumformen suchen, denken unablässig an Arbeit. Und das wird damit begründet, dass die jetzigen Raumstrukturen der Entwicklung der Arbeit nicht mehr entsprechen. Offene Bürokonzepte sind die Antwort auf eine Entwicklung, bei der Ort und Zeit der Arbeit nicht mehr fest sind, sondern flexibel und offen bleiben. Also weg mit dem, was war. Was war aber?

Buerokonzeptentwicklung

Ach ja, im Großraum musste man dauernd sitzen und immer kooperativ sein. Zellenbüros waren sowieso immer igitt. Kein Büroberater wird je ein gutes Haar daran lassen. Daran werden wir am Ende nochmal erinnern. Das Kombibüro war von allem etwas, aber nix Gares. Auch weg! Business Club eröffnet die Ära der Denglishen Begriffe in der Bürowelt, oder eher Schwänglish?. Ob das Open Space die Fortentwicklung von irgendwas ist, steht hier offen.

Spaßeshalber habe ich ein paar Bilder von Grundrissen heruntergeladen, die verschiedene Unternehmen so anführen, wenn sie von Open Space reden. Es lohnt sich, diese und andere näher anzusehen und mit Bildern aus der Großraumära zu vergleichen. Ein verblüffendes Ergebnis? Nein doch. Es geht einzig und allein darum, die Tiefe der Gebäude zu besetzen. Deswegen hatte man ja einst das Großraumbüro erfunden.

Ich finde an diesen Bildern allein keinen Unterschied zum gescheiterten Konzept des Großraumbüros. Die Hamburger City Nord, die das Pech hatte, genau zur Hochzeit des Großraumbüros geplant worden zu sein, war keine 25 Jahre danach eine Ruinenstadt. Wer rechtzeitig die Kurve gekriegt hat, baute die Gebäude so gut es ging um. Andere Gebäude wie das ehemalige Hauptquartier der Weltfirma British Petroleum war mehr als 10 Jahre eine Industrieruine. Abriss 2014!

In diesem Gebäude habe ich 1976 meine ersten Gelder als Berater verdienen dürfen. Es ging vordergründig um Bildschirmarbeitsplätze, in der Tat aber um Akustik. Auch heute verdiene ich Geld als Berater - viel davon ist wieder oder immer noch Akustik. Und was bieten die Leute, die von Open Space reden an? Akustik! So baut man zunächst die Wände aus, um einen offenen Raum zu gewinnen. Da dieser eine hervorragende Rennstrecke für Lärm ist, müssen akustische Maßnahmen her. Dann wird die Bude stückweise wieder zugebaut. Häufig hängt das Brett, Pardon der Schallschirm direkt hinter dem Bildschirm.

Die akustischen Maßnahmen sind hervorragende Lichtschluckwände. Sie unterteilen auch bereits kleine Zellenbüros in freudlose Scheiben, in die der Mitarbeiter hineingeschoben wird. Vom Tageslicht sieht man nur noch wenig, wenn überhaupt.

Und an diesen Ergebnissen einer Umfrage des Führungskräfte-Netzwerk LinkedIn kann man sich die Zukunft des Open Space ausmalen:
In der Umfrage mit Unterhaltungswert hat LinkedIn weltweit über 7.000 Arbeitnehmer - 420 davon in Deutschland - nach ihrem "Traumarbeitsplatz" befragt. (Quelle hier).
• Auf Platz zwei kommt der Traum von einer imaginären "Stummtaste", die alle Gespräche der Arbeitskollegen auf lautlos stellt (21 Prozent).
• And the winner is:  37 Prozent der deutschen Fach- und Führungskräfte bevorzugen einen Arbeitsplatz, der frei ist von künstlichen Lichtquellen.

Man muss ganz schön mutig sein, Menschen mit solchen Traumvorstellungen Räume zu bieten, die nur mit künstlicher Beleuchtung betrieben werden können. Und womöglich mit blauen LEDs. Die sollen intelligent machen. Und frisch.

Wer Lust, Zeit und Muße hat, sich mit Beratern diverser technischer Disziplinen, technische Akustik, Klimatechnik, Beleuchtungstechnik, über alte Zeiten zu unterhalten, sei geraten, umgehend nach dem Konzept zu greifen. Zuvor unterhält man sich naturgemäß über New Work oder "My Office is Everywhere" und so. Nach einigen Jahren sind beide reich. Der Berater bezüglich Honorare. Der Auftraggeber insbesondere an Erfahrung.

Man denke an das Gesetz der zwei Füße!

Der Irrtum wiederholt sich immerfort in der Tat,
deswegen muß man das Wahre unermüdlich
in Worten wiederholen.
J.W.v.G

Von Wahrheit und Lüge

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Lügen kommen aus Bagdad zurück.
Orientalische Weisheit

Hier sind zwei Geschichten, die wahr sein können, oder aber auch unwahr, allerdings eher unwahrscheinlich. Was hätten Sie geantwortet, wenn in einer Quizshow die Frage gestellt wird, ob die Geschichte wahr ist oder Unsinn? 

Die erste: Die Anordnung der Tasten auf einer Computertastatur wurde auf der Basis der Häufigkeit der Buchstaben in der Sprache bestimmt. (… weswegen die Tastaturen in jedem Land anders sind …)

Die zweite: Die Beleuchtung von Arbeitsplätzen wird nach der Sehaufgabe bestimmt. (So hieß es in der Arbeitsstättenverordnung: "Die Beleuchtung muß sich nach der Art der Sehaufgabe richten." Und in DIN 5035-1: “In Arbeitsräumen muß die Beleuchtung ein müheloses Erkennen der Sehobjekte ermöglichen.” Und in DIN EN 12464-1: "Um es Menschen zu ermöglichen, Sehaufgaben effektiv und genau durchzuführen, muss eine geeignete und angemessene Beleuchtung vorgesehen werden. … Diese Europäische Norm legt die Anforderungen an die Beleuchtung von Arbeitsstätten in Innenräumen im Hinblick auf Sehleistung und Komfort fest. Alle üblichen Sehaufgaben, einschließlich der an Bildschirmarbeitsplätzen, sind berücksichtigt."

Bei welcher Aufgabe ist es wohl wahrscheinlich, dass alle Kandidaten durchfallen, weil sie die falsche Antwort geben? 

Lösung: Bei beiden. Die erste Geschichte ist rein erfunden aufgrund der Plausibilität. Beim Anblick einer Tastatur denkt man unweigerlich, dass diese komische Verteilung einen Sinn haben müsse. Stimmt, die hatte einen Sinn, aber nicht bei Computern sondern bei Schreibmaschinen und das nur vor der Erfindung des Kugelkopfes in den 1940er Jahren. Und nur in Ländern mit englischer Sprache.  

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Die zweite Geschichte klingt noch viel glaubhafter, weil sie seit Jahrzehnten von Normenausschüssen verbreitet wird, und mehrfach in neuen Normen behauptet wurde. Zudem wird doch der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, der Ahnherr der Arbeitsstättenverordnung, sich nicht fundamental geirrt haben? Außerdem braucht kein Mensch eine Erklärung dafür, warum man Licht macht. Wozu auch? Man macht Licht, um was zu sehen! Und bei Arbeitsstätten will soll oder muss man das Arbeitsgut sehen, so gut wie möglich! Oder?

Auch wenn heute der 1. April ist, an dem man viele unwahre Stories unbestraft verbreiten darf, ist die Geschichte nicht nur unwahr, sondern sie wurde sogar in einer Veröffentlichung von dem Initiator der Norm DIN 5035-1 (Entwurf 1971) erläutert und begründet. Bis heute straffrei geblieben … 

Fischer Sehleistung ist nicht Grundlage 

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Langsam zum Mitschreiben: Die Verfasser der Norm wussten nicht, welcher Sehaufgabe sie denn dienen sollten. So haben sie diverse Versuche zusammen getragen, bei denen man ein optimales Niveau an Beleuchtung  aus dem Erscheinungsbild eines Raums ableiten wollte. Dann haben sie versucht, diese mit anderen ähnlich fundierten Erkenntnissen (kennt jemand die physiologisch-optische oder arbeitsphysiologische Betrachtungsweise?) in Einklang zu bringen. Und so sieht das endgültige Ergebnis aus (Ableitung der Beleuchtungsstärken für Arbeitsstätten in DIN EN 12464-1:2011:

"Die Werte (Anm.: für Wartungswerte für Beleuchtungsstärken, die nie unterschritten werden dürfen) gelten für übliche Sehbedingungen und berücksichtigen die folgenden Faktoren: ⎯ psycho-physiologische Aspekte wie Sehkomfort und Wohlbefinden; ⎯ Anforderungen für Sehaufgaben; ⎯ visuelle Ergonomie; ⎯ praktische Erfahrung; ⎯ Betriebssicherheit; ⎯ Wirtschaftlichkeit."

Wieso dann genau 78 Mal 500 lx herauskommt, so z.B. für "Telex- (sic!) und Posträume" bis "Leder Sortieren" oder "Spinnen, Zwirnen, Spulen" wird uns der zuständige Ausschuss sicherlich schlüssig erklären. 

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