Posts Tagged: Arbeitsschutz

Daraus macht der Praktiker Qualität

Ich schreibe Dir einen langen Brief,
weil ich keine Zeit habe,
einen kurzen zu schreiben.

Goethe oder Pascal oder Voltaire
oder ein anderer Wichtiger

Ein Mensch malt, von Begeisterung wild,

Drei Jahre lang an einem Bild.

Dann legt er stolz den Pinsel hin

Und sagt: "Da steckt viel Arbeit drin."

Doch damit war´s auch leider aus:

Die Arbeit kam nicht mehr heraus.

Eugen Roth

Der Praktiker, der ambitioniert nach Lichtqualität strebt, soll folgende Gruppen von Anforderungen berücksichtigen, an deren Erfüllung sich die Lichtqualität ergibt. 
Funktionale Anforderungen
Biologische Anforderungen
Psychologische Anforderungen
Architektonische Anforderungen
Weiterhin heißt es: "Lichtqualität ergibt sich aus dem Abgleich von Anforderungen und ihrer Erfüllung." Dafür werden folgende Bewertungsgrößen angeführt, die der Praktiker, so er ambitioniert ist, zum Abgleich der Benutzeranforderungen anwenden soll:
• Beleuchtungsstärke im Bereich der Sehaufgabe (E)
• Gleichmäßigkeit der Beleuchtungsstärke (U0)
• Farbkontrast (FK)
• Helligkeitskontrast (gestalterisch) (HK)
• Psychologische Blendung (Bpsy)
• Physiologische Blendung (Bphy)
• Reflexblendung (BRe)
• Lichtfarbe (CCT)
• Farbwiedergabe (Ra)
• Kontrastwiedergabe (CRF)
• Schlagschatten (SS)
• (Ausgewogene) Leuchtdichteverteilung (Bal)
• Modelling (Mod)
• Fehlen von Flackern/Flimmern (Fl)
• Melanopischer Wirkungsfaktor (ame,v)
• Schädigungspotenzial (Hdm)
• Qualitative Faktoren (Q)

Ich versuche es mir vorzustellen, wie ambitioniert ein Praktiker sein muss, um all diese Faktoren überhaupt zu kennen. Egal, wie der Mann oder die Frau gebildet ist, wird er/sie schön ins Schwitzen kommen, wenn es darum geht, Farbkontrast und Helligkeitskontrast (gestalterisch?) verstehen zu wollen. Nehmen wir an, die Ausbildung zum "zertifizierten Lichtplaner" + die Voraussetzungen, die man für diese mitbringen muss, hätte all jene Faktoren einem beigebracht, die der gemeine Lichttechniker häufig nennt, spätestens beim "melanopischer Wirkungsfaktor" wird der Spaß aufhören. Was war das nochmal? Kann man ja nachsehen. Steht in DIN SPEC 67600 "Biologisch wirksame Beleuchtung - Planungsempfehlungen". Bisschen dumm, die lehnt nämlich der Arbeitsschutz derzeit ab. Also weiter gucken. Z.B. in einer weiteren angeführten Norm, DIN EN 12464, die gilt für Arbeitsstätten. Noch etwas dümmer. Dort steht, dass die nicht so ganz mit dem Arbeitsschutz vereinbar ist: "Grundsätzliche Anforderungen an die Beleuchtung hinsichtlich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit werden in Deutschland nicht in dieser Norm, sondern in der Arbeitsstätten-verordnung (ArbStättV) geregelt." Gut, was sagt die? Wer da drin den "melanopischer Wirkungsfaktor" sucht, wird nie fündig. Die Arbeitsschützer mögen den nämlich nicht. Ich durfte in einer Zeitschrift, die von Arbeitsschutzexperten - sagen wir mal - qualitätsüberwacht wird, um das böse Wort zensieren zu vermeiden, nicht einmal erwähnen, dass es so etwas gibt. Deswegen ist der Artikel in einer anderen Zeitschrift erschienen (hier). Außerdem sagt die Arbeitsstättenverordnung nie, was ein Praktiker machen muss oder soll, um ihre Schutzziele zu erreichen. So etwas steht in der jeweiligen ASR (aus früher "Arbeitsstättenrichtlinie"). Die ASR für die Beleuchtung heißt A3.4 und sagt dummerweise auch nichts zum melanopischen Wirkungsfaktor. Noch viel dümmer: Nach Expertenmeinung eignet sich die ASR A3.4 nicht für eine Beleuchtungsplanung. Also nehmen wir in voller Verzweiflung die letzte der genannten Normen: DIN 5035-7 "Beleuchtung mit künstlichem Licht - Teil 7: Beleuchtung von Räumen mit Bildschirmarbeitsplätzen". Superdumm: Licht.de hatte gemeldet, dass die zum ersten März 2017 zurückgezogen worden war (hier). Als Grund wird dort angegeben: "Hintergrund für die Zurückziehung war, dass die Anforderungen der DIN 5035-7 teilweise der gültigen Norm DIN EN 12464-1:2011-08 widersprachen, wodurch eine eindeutige Anwendung nicht gegeben war."

Was für eine Qualität ist das, die man mit Hilfe einer zurückgezogenen Norm (DIN 5035-7) ermittelt, die einer anderen (DIN EN 12464-1) widerspricht, die wiederum für Arbeitsschützer nicht satisfaktionsfähig ist?

Ergo: Um die Lichtqualität ist es nicht gerade gut bestellt im Jahre 2017. Wie erklärt der Praktiker in einem Projekt mit den unten abgebildeten Beteiligten, die bei weitem nicht ohne weitere Akteure (z.B. Betriebsrat, Sicherheitsingenieur) verhandeln, was er will? Und vor allem: Wie setzt er sich gegen die Energiesparer durch?

Für wirklich Ambitionierte:

Lichtqualität - ein Prozess statt einer Kennzahl
Methodik zum Erfassen der Anforderungen an eine
Lichtlösung und zu ihrer Bewertung zur Bestimmung
ihrer Qualität

Veröffentlichung der
Deutschen Lichttechnischen Gesellschaft e.V.

Du willst keinen Prozess, sondern Qualität

Ich schreibe Dir einen langen Brief,
weil ich keine Zeit habe,
einen kurzen zu schreiben.

Goethe oder Pascal oder Voltaire
oder ein anderer Wichtiger

Ein Mensch malt, von Begeisterung wild,

Drei Jahre lang an einem Bild.

Dann legt er stolz den Pinsel hin

Und sagt: "Da steckt viel Arbeit drin."

Doch damit war´s auch leider aus:

Die Arbeit kam nicht mehr heraus.

Eugen Roth

Gestern hatte ich das unten rechts angegebene Papier kommentiert. Es soll Lichtqualität für den Praktiker und Lichtplaner ... ja, was denn? Definieren? Beschreiben? Umschreiben? Dabei wurden moderne Autoren zitiert, die mittlerweile 83 Jahre alte Zielsetzung von DIN 5035 geschafft haben, mit etwas anderen Worten zu replizieren.

Ist ja nichts Neues. Bemühen sich doch noch "modernere" Autoren Weisheiten aus der Antike neu zu formulieren - und fallen dabei nicht selten auf die Nase. Insofern nichts Ehrenrühriges. Oder doch? Irgendwie müssten z.B. diejenigen im Gesicht rot anlaufen, die dafür gesorgt haben, dass in DIN 5035 (jetzt Teil 1) "Kosten der Beleuchtungsanlage" den gleichen Stellenwert einnimmt wie "Licht und Farbe", Farbwiedergabe, oder "Begrenzung der Blendung". Denn in dem besprochenen Papier heißt es: "Energieeffizienz und Kosten einer Lichtlösung bilden [daher] keine Kriterien zur Bewertung der Lichtqualität". Die Änderung kam in die Norm mit der Ausgabe von 1972.

Wer nicht ganz doof ist, weiß, warum sie/er zwei unterschiedliche Dinge in einen Topf wirft, wie hier z.B.. Preis eines Autos und dessen Qualität. So kann man nämlich Äpfel mit Birnen vergleichen. Willst Du lieber wenig Blendung oder preisgünstigere Beleuchtung? Mein damaliger Chef hat den Vorgang etwas drastischer formuliert: "Der [Obmann] ist doch bescheuert. Lass doch den Kunden entscheiden, wie viel Geld er wofür ausgeben will."

Die zarte Röte im Gesicht der Verantwortlichen dürfte sich weiter vertiefen, wenn sie lesen würden, was über Tageslicht und Qualität ausgeführt wird. Dieses, das Tageslicht, wurde nämlich 1972 für entbehrlich erklärt, ach was, eher für störend (hier). Die Entwicklung der Lichtnormen habe ich in dem Forschungsbericht "Licht und Gesundheit" ausführlich dokumentiert (hier). Was weniger gut dokumentiert ist, sind die Folgen für den deutschen Arbeitsschutz. Denn die Vorschriften der Berufsgenossenschaften kannten bis zum Jahr 2004 kein Tageslicht und keine Beleuchtung durch das Tageslicht. Auch der Staat wollte die Sache nicht anders sehen: "Da eine gleichmäßige und stets gleichbleibende Beleuchtung der Arbeitsplätze, Arbeitsbereiche und Verkehrswege über den gesamten Tag nur durch künstliche Beleuchtung zu erreichen ist, wird in der Arbeitsstättenverordnung die allgemeine Forderung des früheren § 120 a Abs. 2 GewO nach genügendem Licht nur für die Beleuchtung mit künstlichem Licht im einzelnen präzisiert." (Betonung im Original, Rainer Opfermann, zuständiger Referent im Arbeitsministerium)
Im neuen Papier hört sich die Sache sehr anders an:

"Funktionale Anforderungen: Durch Tageslicht, insbesondere durch die dynamische Änderung des Beleuchtungsstärkeniveaus, der Leuchtdichten im Bereich der Fenster und der ähnlichsten Farbtemperatur, ändern sich die visuellen Bedingungen im Raum.

Biologische Anforderungen: Der Mensch ist in seinem circadianen Rhythmus an die Änderungen des Tageslichts, insbesondere an den Wechsel von Tag und Nacht, angepasst und dadurch geprägt.

Psychologische Anforderungen: Emotional hat das Tageslicht in der Regel einen positiven Einfluss auf den Menschen. Besonders die Sichtverbindung bietet wertvolle Informationen über die Außenwelt.

Architektonische Anforderungen: Die Nutzer von Tageslicht und auch der Schutz vor Sonnenlicht bestimmen die architektonische Gestaltung der Fassaden und der Tageslichtöffnungen."

Weiterhin heißt es: "Lichtqualität ergibt sich aus dem Abgleich von Anforderungen und ihrer Erfüllung."

Da haben wir dummerweise den Salat: Den Adressaten "ambitionierter Praktiker" gibt es leider nicht für dieses Anforderungsprofil. Denn für das Tageslicht ist nach wie vor der Architekt zuständig, für die "Beleuchtung", sprich künstliches Licht, erklärt der sich meist nicht zuständig. Wie dargestellt (hier), ist der Zuständige der "Lichtplaner", und mangels Lichtplaner, meist der Elektroplaner. In der Entstehungsphase eines Gebäudes weiß dieser noch nichts von seinem Glück. Auch wenn der alles wüsste und könnte, würde ihm kein Architekt kein Mitspracherecht an seinem Gebäude einräumen.

Ergo: Um die Lichtqualität ist es nicht gerade gut bestellt im Jahre 2017. Wie es besser laufen könnte? Ein gutes, leider nicht sehr praktisches, Kooperationsmodell hatte die Gütegemeinschaft Licht schon in den 1970er Jahren veröffentlicht. Vielleicht kommt man mit ähnlichen Modellen weiter. Ansonsten wird der rechts abgebildete Kollege wieder die Leuchten, die er beim Elektrogroßhändler abholt, gleichmäßig an der Decke verteilen. Und sagen "Da steckt viel Arbeit drin!".

Für wirklich Ambitionierte:

Lichtqualität - ein Prozess statt einer Kennzahl
Methodik zum Erfassen der Anforderungen an eine
Lichtlösung und zu ihrer Bewertung zur Bestimmung
ihrer Qualität

Veröffentlichung der
Deutschen Lichttechnischen Gesellschaft e.V.

Wie gut kann unsere Beleuchtung in Arbeitsstätten sein?

Kann aus einer, sagen wir mal, nicht so guten Planung etwas Gutes entstehen? ich denke mal, nein! Manchmal mag der Zufall helfen. Aber unter der Vorstellung von "Engineering" verstehe ich zielgerichtetes Handeln ohne den Meister Zufall. Im Sommer 2017 sind zwei wichtige Ereignisse eingetreten, die ich gerne im Lichte dieser Vorstellung beurteilen möchte. Das erste Ereignis ist die Veröffentlichung von 15 Thesen zu Licht und Lichtplanung. Das zweite ging ohne viel Aufhebens über die Bühne: Erscheinen einer LiTG Studie zu Lichtqualität. Diese besagt im Kern: "»Das Maß der Lichtqualität ergibt sich aus dem Abgleich zwischen den Anforderungen des Nutzers an eine Lichtlösung und der Bewertung der umgesetzten Lichtlösung.« Ergo: Lichtqualität – ein Prozess statt einer Kennzahl! Auch wenn das Papier nagelneu ist, ist die Vorstellung so alt wie die Qualitätswissenschaft: Quality is fit for purpose.

Wie gut mögen die bislang erstellten Beleuchtungsanlagen einem solchen Qualitätsanspruch genügen:

Das steht in den Weimarer Thesen

Das lese ich daraus

Licht ist für die menschliche Existenz fundamental. Viele biologische Wirkungen – visuell und nichtvisuell – lassen sich heute konkret benennen und müssen im Bauen Berücksichtigung finden. Das weitgehende Fehlen sowohl verbindlicher planerischer Gütekriterien, als auch einer normativen Verankerung der Planung für gesundes und attraktives Licht im bisher gängigen Planungsprozess, trägt der Bedeutung von Licht nicht Rechnung.

Der Planungsprozess für Beleuchtung (und für das Bauen) berücksichtigt die Wirkungen auf den Menschen nicht. Wenn die Bedürfnisse des Menschen unberücksichtigt bleiben, entspricht das ausgeführte Objekt diesen nicht. Die Qualität der Beleuchtung bleibt somit mangelhaft, bis die Ursache beseitigt ist.

Der Stand der Wissenschaft und Technik macht Lichtplanung heute zu einer neuen Grundlagenplanung mit besonderer Komplexität und Verantwortung für Wohlbefinden und Gesundheit der Nutzer.

Das Wohlbefinden und die Gesundheit der Nutzer stand bis heute nicht im Fokus der Lichtplanung. Oder: Der Auftrag an die Lichtplanung stellte bis heute das Wohlbefinden und die Gesundheit der Nutzer nicht in den Fokus. (Anm.: Dies gilt für Fälle, bei denen eine Lichtplanung überhaupt ausgeführt wurde. In den meisten Fällen handelte es sich nämlich eher um Elektroplanung, bei der am Ende der Leitung nicht ein Gerät, sondern eine Leuchte hängt.)

Tageslicht ist Ausgangspunkt und Maß einer integrativen Lichtplanung, welches
durch Kunstlicht ergänzt werden muss. »INTEGRATIVE LICHTQUALITÄT« umfasst daher
die kombinierte Tages- und Kunstlichtplanung.

Tageslicht ist nicht Ausgang und Maß der Lichtplanung. (Anm.: Die meisten Lichttechniker wenden die Gütekriterien, die für Kunstlicht entwickelt worden sind, auch auf das Tageslicht an und wollen dies sogar weiterhin beibehalten. Auch Tageslichttechniker nehmen die Festlegungen für Kunstlicht als Maßstab für das Tageslicht, s. z.B. DIN V 18599 Energetische Bewertung von Gebäuden, Betrachtungen zur Tageslichtautonomie etc. Die Festlegungen von Beleuchtungsstärken in Normen haben definitiv nichts mit der Sehleitung zu tun (s. Basis der Festlegung von Beleuchtungsstärkewerten in Beleuchtungsnormen, hier)

Qualifizierte Lichtplanung berücksichtigt die natürliche Variabilität der Rezeption
durch individuelle Nutzer. Eine Vereinheitlichung oder Normierung von Lichtwirkungen
ist daher nur eingeschränkt möglich.

Die übliche Praxis der lichttechnischen Normung ist falsch. Sie ist falsch, obwohl der individuell unterschiedliche Lichtbedarf schon vor über 50 Jahren experimentell festgestellt wurde und in der lichttechnischen Literatur veröffentlicht. (Anm.: Man kann trotzdem eine "Vereinheitlchung" von Beleuchtungseinrichtungen anstreben und realisieren, wenn man die Unterschiedlichkeit der Menschen angemessen berücksichtigt und ihnen die Kontrolle über ihre Umgebung teilweise überträgt.) 

Eine qualifizierte Lichtplanung definiert aufgrund ihrer unmittelbaren gesundheitlichen
Relevanz gesetzliche und gesellschaftliche Schutzziele.

Die gesundheitliche Relevanz der Lichtplanung findet in dem realen Geschehen keinen Niederschlag. (Anm.: Das ERGONOMIC Institut hat im Jahre 1997 eine Studie veröffentlicht, wonach die übliche genormte (Direkt)Beleuchtung dem Arbeitsschutz widerspricht (s. Volltext hier). Zuvor war der Forschungsbericht "Licht und Gesundheit" im Jahre 1990 veröffentlicht worden, der die Beleuchtung von Arbeitsstätten als Gesundheitsgefahr nachgewiesen hatte (Volltext hier). Nach dem Jahr 2001 wuchs die Zahl der Veranstaltungen zum Thema "Licht und Gesundheit" lawinenartig an. Es gibt mittlerweile Professuren und Einrichtungen zum Thema. Nur die Planungspraxis hat sich wenig geändert, weil sich die Normen nur unmerklich geändert haben.)

Nicht-visuelle Lichtwirkungen können nur in wenigen Fällen als anerkannte
Regel der Technik bewertet werden.

Die Berücksichtigung nicht-visueller Wirkungen in der Lichtplanung wird in absehbarer Zeit nicht Realität werden. D.h., viele negative Wirkungen von künstlicher Beleuchtung werden uns treu bleiben, obwohl man künstliche Beleuchtung per se nicht für diese verantwortlich machen kann. Schon in einem der ersten Gutachten über die "Gefahren" der künstlichen Beleuchtung hatten die Gutachter sinngemäß geschrieben, dass die negativen Wirkungen mangelhafter Nutzung zuzuschreiben wären. Diese uralte Feststellung ist nicht alt geworden.

Wochenend und Sonnenschein, weiter brauch' ich nichts zum Glücklichsein

3.7.2017
-

 

Einen Beitrag mit dem gleichen Titel gab es schon letztes Jahr, als ein schwedischer Frauenarzt eine erschreckende, aber keineswegs überraschende Studie veröffentlichte: Wer die Sonne meidet, verkürzt sein Leben etwa als wenn er ständig raucht, im Schnitt um 0,6 bis 2,1 Jahre. Aus gegebenem Anlass wiederhole ich das Thema. Denn seit etwa 40 Jahren zum ersten Mal hat eine Zeitschrift einen Artikel von mir abgelehnt, d.h., ablehnen müssen, weil deren Beirat Bedenken hat. Das ist bemerkenswert, weil ich - Internet Artikel nicht mitgezählt - so etwa 2.000 Artikel verfasst habe, die z.T. für die Betroffenen Schlimmes berichteten, so etwa, dass deren Produkte Menschen taub machen würden. Die Herrschaften lassen so etwas nicht auf sich sitzen. Wäre auch schlimm, denn solche Artikel werden nicht zum Anprangern eines Missstandes geschrieben, sondern als Anreiz zum Beseitigen davon. Tatsächlich bekam ich von der Industrie, gegen deren Produkte ich gerade den erwähnten Vorwurf erhoben hatte, einen Wunsch nach einem Gesprächstermin. Bei diesem ließen sie sich das Problem erklären und versprachen, ihr Bestmögliches zu tun. Was sie auch tatsächlich realisierten. Die Besucher waren nicht etwa Mitarbeiter von kleinen Anbietern, sondern von zwei Marktführern.

Die abgelehnten Artikel, gegen die die Fachbeiräte der jeweiligen Zeitschrift Einwände erhoben haben, betreffen Produkte einer bestimmten Industrie. Vor 40 Jahren ging es um einen Artikel, in dem die Optimierung einer Arbeitsplatzleuchte dargestellt wurde. So ein Ding gehört halt auf den Müllhaufen. Wer braucht denn eine Arbeitsplatzleuchte? Der Artikel erschien nicht, aber die optimierte Arbeitsplatzleuchte und wurde ein Erfolg. Die jetzige Ablehnung betrifft direkt kein Produkt, sondern nur indirekt eine Marketingmasche. Es geht um die gesunde Beleuchtung am Arbeitsplatz. In dem Artikel wurde u.a. dargestellt, dass es in Innenräumen keine UV-Strahlung gibt und daher eine gesunde Beleuchtung (natürlich oder künstlich) nicht geben kann. Der Sachverhalt ist unstrittig. Nur fällt es dem Marketing nicht leicht, Menschen zu erklären, ihre "gesunde" Beleuchtung sei eben so gesund, wie es geht, sie müssten sich aber öfter ihren Allerwertesten ins Freie bewegen. Die Haltung verstehe ich sogar. Was soll der Kunde denken, wenn ich erzähle, mein Produkt sei toll, er, der Kunde, wäre aber selber schuld, wenn er dauernd in geschlossenen Räumen kluckt. Glaubt jemand McDonalds, dass nicht der BigMac dick macht, sondern viele BigMacs in zu kurzer Zeit genossen?

 

Was ich nicht verstehe, ist dass der Fachbeirat der meinen Artikel nicht haben wollte, nicht aus Marketingleuten besteht, sondern von einem Spitzenverband bestückt wird, der für die Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit sorgen soll. Ob die was zu verheimlichen haben? Ich denke, ja. Sage aber nicht, was. Der Artikel wird halt in einer Zeitschrift erscheinen, deren Beiräte sich nicht mit dem Arbeitsschutz befassen. Ist auch gut so. Es geht ja um Lappalien wie die Frage, ob die nächtliche Beleuchtung von Arbeitsplätzen als Ursache bzw. Förderer von Krebserkrankungen in Frage kommt. Und wie man was dagegen tun könnte. Halten wir es mit unserem geliebten Innenminister, der einer heiklen Frage auswich und wörtlich sagte: "Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern." So isses!

Catwalk für Lampen und Laternen in Berlin

  • "Ist Straßenbeleuchtung mit LEDs wirklich effizienter als eine herkömmliche Beleuchtung mit Natriumdampfhochdrucklampen?
    Blenden LED-Straßenleuchten stärker als herkömmliche Leuchten? Welche Auswirkung hat eine Halbnachtschaltung auf die Erkennbarkeit von Objekten im nächtlichen Straßenverkehr?
    Und sollen LED-Leuchten in 5-10 Jahren leisten?
    Antworten auf diese und noch viele weitere Fragen können auf dem LED-Laufsteg in Berlin untersucht und demonstriert werden."

So sagt das Technikmuseum Berlin. Solange es unsere Gaslaternen dort stehen lässt, wo sie schon immer stehen, habe ich nichts dagegen. Jetzt verstehe ich, warum letztes Jahr das Gaslaternenmuseum im Tiergarten aufgelöst werden sollte. Die Freunde der historischen Gaslaternen wollen es dort halten, wo das gemeine Volk täglich, Pardon allabendlich, darunter spazieren geht. Die Senatsverwaltung drängte auf einen Umzug der Gaslaternen in das Deutsche Technikmuseum in Kreuzberg. Soll bedeuten: sie gehören ins Museum. Sie, die Senatsverwaltung, als Freunde des Gaslichts zu bezeichnen, schafft man bei aller Selbstüberwindung nicht. Diese Senatsverwaltung beschäftigte einen Kollegen von mir bis zu seinem Ende mit der Aufgabe, die Gasbeleuchtung niederzumachen. Und die Methoden kenne ich sogar besser als die Hauptdarsteller.

Die Methode ist erprobt bei Tageslicht, von dem man Jahrzehnte lang behauptete, es wäre schlechter als das künstliche Licht - und dazu auch den Beweis führte: Bei Nacht ist die Sonne woanders, die Lampe bleibt aber, wo man sie hin hängt. Meistens jedenfalls.

Man hat die Sache naturgemäß nicht so doof ausgedrückt. Man lese nur die Kommentare vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung anlässlich der Veröffentlichung der Arbeitsstättenverordnung - nicht die von 2016, sondern die von 1975. Dort kam das Tageslicht nicht als Beleuchtung vor! Auf die Idee muss man kommen! Später begründete dies der zuständige Referent im Ministerium, Rainer Opfermann so: "Da eine gleichmäßige und stets gleichbleibende Beleuchtung der Arbeitsplätze, Arbeitsbereiche und Verkehrswege über den gesamten Tag nur durch künstliche Beleuchtung zu erreichen ist, wird in der Arbeitsstättenverordnung die allgemeine Forderung des früheren § 120 a Abs. 2 GewO nach genügendem Licht nur für die Beleuchtung mit künstlichem Licht im einzelnen präzisiert." (Betonung im Original)

Wer hat denn bestimmt, dass die Beleuchtung gleichmäßig sein muss und über den gesamten Tag (also auch über die Nacht) stets gleich bleiben? Das ist die Logik der Technik des künstlichen Lichts. Das Prinzip hieß "örtliche und zeitliche Gleichmäßigkeit", im Jahre 1935 klang es klein bisschen anders. Wenn man Kaviar nach Merkmalen bewertet, die für Brötchen gelten, darf man sich nicht wundern, dass Kaviar absolut nichts taugt. Wie aber Leute, die nur Brötchen backen können, die Welt jahrzehntelang davon überzeugt haben, die Brötchen wären besser als Kaviar, das war ein echtes Wunder.

Da wir in Deutschland die Kunst des Unsinns nicht dem Staat allein überlassen, gibt (gab) es ein zweites Arbeitsschutzrecht, das die Berufsgenossenschaften (ziemlich) autonom erließen. Deren oberstes Gesetz hieß UVV VBG 1 und kannte das Tageslicht überhaupt nicht. Das erklärt Opfermann in seinen offiziellen Kommentaren so: "Im Unfallverhütungsrecht mit seiner gegenüber dem staatlichen Arbeitsschutzrecht engeren Zielsetzung ist die Beleuchtung im Betrieb in unterschiedlicher Weise angesprochen. § 19 Abs. 3 der UVV "Allgemeine Vorschriften" VBG1 wiederholt die Vorschrift des § 7 Abs. 3 ArbStättV, bezieht sich also wie diese nur auf die künstliche Beleuchtung. Stimmt! Das Tageslicht hat weder mit Unfallgeschehen noch mit der Gesundheit etwas zu tun. Oder doch? Seit Jahren versucht die lichttechnische Industrie, die Anwender vom Nutzen einer veränderlichen Beleuchtung zu überzeugen und nennt den Versuch HCL  wie human centric lighting.

Was lernt uns das? Man darf das Urteil über etwas Lebenswichtiges nicht Technokraten oder Bürokraten überlassen, die in deren Fahrwasser schwimmen. Wenn sich die LED auf den Laufsteg begibt - catwalk klingt um Längen besser -, sollte man seine Stimme erheben, aber vorher sich das Ganze angucken. Wenn man "nur" dagegen ist, erreicht man weder bei Technokraten noch bei Bürokraten etwas. Nicht einmal eigene Freunde kann man damit dauerhaft überzeugen. Und auch erklärte Feinde der LED schmücken ihren Weihnachtsbaum mit LED oder holen die alten Kerzen aus dem Keller.

Falls man jetzt nicht aufpasst, verschwinden die wunderbaren Gaslaternen im Technikmuseum und steigen durch dessen Hintertür als LED-Laternen raus in die Landschaft.