Haben Sie schon mal gehört, dass jemand die Rundheit von Autoreifen zertifiziert? Ich denke, nein. Autoreifen sind ziemlich rund, bis sie einen Platten bekommen. Zertifizieren tut man höchstens die Pflaster, die das Loch wieder abdichten, denn nicht alle kleben gut genug. Niemand denkt auch daran, die Löcher im Schweizer Käse zu zertifizieren, obwohl sie immer kleiner werden. Die Löcher waren schon immer da und man findet sie auch ohne Zertifikat. Zertifizieren tut man Dinge, bei denen es nicht immer so rund läuft. So gibt es TCO-Zeichen für Computerbildschirme, TÜV-Zeichen für Bürodrehstühle, Blauen Engel für Drucker, die nicht so viel Krach machen wie andere. Sogar ein NABU-Zeichen für Streuobst kann man erwerben.
Wer zum Teufel braucht ein "Verified Low Optical Flicker Mark" von UL? Ganz langsam zum Mitschreiben: UL oder Underwriters Laboratories ist nach eigenen Angaben "ein führendes, unabhängiges und weltweit tätiges Unternehmen für Produktsicherheit und Zertifizierung, das seit mehr als 120 Jahren die Entwicklung von Normen und innovativen Sicherheitslösungen für den Schutz der Lebens- und Arbeitswelt begleitet." Und das fragliche Zeichen heißt in (ziemlichen gutem) Deutsch "geprüftes geringes optisches Flimmern" Zeichen. Was flimmert denn da?
Eigentlich flimmerte in der Beleuchtung nichts. So lernte man schon vor 50 Jahren in der Lichttechnik, es gäbe Menschen, die behaupteten, Leuchtstofflampen würden flimmern. Das wäre aber nicht möglich, weil die Nervenleitungen der Menschen so schnelle Änderungen nicht durchlassen würden. Ja, irgendwie lag das schon an den Nerven, wenn die Beleuchtung nervte. Mit der Einführung von elektronischen Vorschaltgeräten war es Schluss mit der Nerverei. Übrig blieben die Computermonitore, bei denen Ergonomen nervten, dass sich die Benutzer genervt fühlen würden. Auch die sind technisch erledigt. Die Grafikkarten sind so schnell, dass man schlecht ein Flimmern sehen kann. Was zertifiziert denn da die Firma UL?
Irgend jemand hat auf der Light + Building eine Presseerklärung verbreitet, die Aufklärung bietet: "Geringes Lichtflimmern als Produktvorteil
„Das Ziel von UL ist es, Hersteller bei ihren Plänen für Produktinnovationen zu unterstützen“, sagt Roberto Inclinati, Business Development Manager in der Lighting Division von UL. So steht es geschrieben. Geringes Flimmern? Warum denn kein Flimmern? Wir lesen weiter: "„Hersteller, deren Produkte Vorteile wie geringes Lichtflimmern bieten, sollten auch die Möglichkeit haben, ihre Angebote im Ladenregal hervorzuheben. Auch Planer und Einkäufer profitieren davon – nicht nur, weil sie für ihre Beleuchtungsprojekte jetzt leicht die Produkte mit geringem Lichtflimmern identifizieren können, sondern auch, weil das Verifizierungszeichen von unabhängiger, dritter Stelle ihnen Sicherheit gibt und sie so ihren professionellen Ruf schützen, qualitätsbewusst zu sein.“ Stimmt. Allerdings bescheinigt die unabhängige dritte Stelle nicht, dass die Beleuchtung flimmerfrei wäre. Sie sagt nur, dass das Flimmern gering sei. gering gemessen an was? Seit mindestens 30 Jahren gibt es eine bezahlbare Technik, die flimmerfreies Licht ohne Prüfzeichen schafft. Sollen wir etwa flimmerarmes Licht von Herstellern kaufen, die zertifiziert sind? Was für eine Technik ist denn das?
Mir schwant es: "Die Evolution der Leuchtmittel hat heute zu einem neuen Konzept von Lichtqualität geführt, das auch die Auswirkungen auf die Gesundheit und den visuellen Komfort einbeziehen muss. Das Lichtflimmern kann beide Faktoren beeinflussen, und darum investieren wir in die Forschung und die Entwicklung von Produkten, deren Flimmern unterhalb der Risikoschwelle bleibt." Ich gucke auf den Kalender. Es ist 2016 … Dass man Lichtqualität prüfen muss, weiß ich seit langem. Dass Flimmern die Gesundheit beeinträchtigt, wurde so etwa 1985 endgültig nachgewiesen. Vorher redete man in der Lichttechnik von Lichtwelligkeit und deren Problematik. Dass es ein Problem damit gab, wurde nie in Frage gestellt.
Jetzt wird die Sache auch nicht in Frage gestellt. Aber wieso gibt es eine neue Norm zur Bewertung von Flimmern? (IEEE 1789: siehe da http://grouper.ieee.org/groups/1789/ : "Recommending practices for modulating current in High Brightness LEDs for mitigating health risks to viewers" ). Vielleicht kann es einer ergründen, nachdem er $$ 134 bezahlt und die Norm kauft. Wer einfach download rückt, zahlt nur $ 89 und findet auch Erleuchtung: "At light&building 2016 it was clear that already many manufacturers have a basic awareness of the problem of flicker in lighting." Für Leute, die des Denglischen nicht mächtig sind: Bei Light & Building hat man gelernt, dass bereits mehrere Hersteller ein Mindestverständnis aufbringen, dass Flimmern von Beleuchtung ein Problem darstellt. Ääää? War da nicht etwas? (Originalbestimmung von DIN 5035 in 1935)
Was mag wohl die Evolution der Leuchtmittel sein? Hiermit schreiben wir einen Wettbewerb aus. Der Einsender der ersten richtigen Antwort bekommt eine LED-Birne von Osram, den zweiten Preis stiftet Philips, die weiteren kommen aus Südostasien.
In den 1990er Jahren hatte ich eine wissenschaftliche Studie erstellt, deren Ergebnis niemand lesen wollte. So etwas soll es öfter geben. Z.B. dann, wenn eine Studie nicht nur eine Misere aufdeckt, sondern auch noch die Täter entlarvt. Dummerweise gehörten die Täter zu meinen Auftraggebern im entferntesten Sinne. Anlass war die ganz große Studie "Licht und Gesundheit", die wir im Jahre 1990 veröffentlicht hatten. Eine Sache darin will mich bis heute nicht in Ruhe lassen: Frauen in deutschen Büros fühlten (und fühlen) sich mehr gesundheitlich beeinträchtigt durch mangelnde Farbe als Männer. Aber warum? Kann Farbe überhaupt Gesundheit beeinträchtigen?
Durch viele Messungen in mehr als eintausend Arbeitsräumen hatte ich festgestellt, dass fast alle Gegenstände in den Büroräumen grau waren, Computer, Bürotische, Kopierer, Telefone und und und. Na, ja, man braucht dazu keine einzige Messung, man sieht es auch so. Ich wollte aber die Mechanismen entdecken, die zu diesem Grau geführt hatten. Dazu muss man wissen, um welche Schattierungen von Grau es sich handelt. Und welche Schattierungen der institutionellen Entscheidungsfindung dazu geführt hätten.
Der erste Verdächtige, die Verantwortlichen für die Beleuchtung, schied ziemlich schnell aus, weil nicht zuständig. Die Lichttechnik fühlt sich zwar für die Farbwiedergabe zuständig, aber nicht für die Farbgebung. Daran ändert sich relativ wenig, dass die Festlegungen in den Normen (Ra > 80) Grenzwerte angeben, die grenzwertig sind. Zudem gibt es international führende Lichttechniker, die weitaus schlechteres (Ra = 70) toll finden. Wer war es dann?
Vier Haupttäter habe ich dann ausfindig gemacht, davon war einer der Konzernchef höchstpersönlich. Bei zwei handelte es sich um Vorstandsgremien, während der letzte Haupttäter gar keine Person war, sondern "die Gepflogenheiten der Branche". Unabhängig davon gab es zwei Versionen von Grau, warm oder kalt. Da kann man noch so gute Farbwiedergabe für die Lampen vorsehen, die Bude sieht triste aus.
Eine Kurzfassung der Studie sollte unter dem Titel "Wie kommt das Grauen in deutsche Büros" veröffentlicht werden. Die Zeitschrift Licht schloss ich erst einmal aus, weil deren Leser mit dem Ergebnis relativ wenig anfangen konnten. So erschien der Beitrag in einer Bürozeitschrift, deren hauptsächliche Leser bei Bürofachhändlern zu finden waren bzw. in deren Räumlichkeiten ein- und ausgingen. Eine Herzensangelegenheit war das allerdings nicht, weil die Bürofachhändler diese grauen Möbel verkaufen mussten bzw. gerade wegen ihrer Verkaufspolitik zu den Haupttätern zugezählt werden müssten. Und die, die Verkaufspolitik lässt sich leider nicht ändern. Denn diese wird hauptsächlich durch die Wünsche des Kunden bestimmt. Ist etwa der Kunde die Quelle des Grauens?
Gewissermaßen, ja. Er weiß es aber meistens nicht. Alle Haupttäter, die ich identifiziert hatte, hatten mit Rücksicht auf den Kunden gehandelt, obwohl ihre Aktionen nicht abgestimmt waren. Die zwei größten, IBM und Siemens, waren mit Maschinen und Computern auf allen fünf Kontinenten unterwegs, und wussten, dass die Völker der Welt unterschiedliche Farben lieben. Ergo? Man macht die Geräte schwarz, und die sehen chic aus! Dann kam die Ergonomie und sagte, schwarz ist zu dunkel. Und dann? Den Produktgestaltern von Siemens wurde aufgegeben, schwarz-grau zu wählen, z.B. schwarz die Tastatur, grau das Gehäuse. Bei der nächsten Gerätegeneration dann umgekehrt. Toll! IBM war noch schlauer und ordnete an, dass kein IBM-Gerät in keinem Land den dortigen Vorschriften widersprechen möge - das Ziel verfolgt die Firma mindestens schon seit dem Krieg - Ergo: Grau mit einem Reflexionsgrad von fast genau 0,42. Kieselgrau, um sehr genau zu sein. Die besagte Bürozeitschrift machte daraus Computerschmuddelgrau, weil mittlerweile auch viele andere Computermacher auf den Zug aufgesprungen waren. Etwas völlig anderes verfolgte indes die Firma Nixdorf. Deren Gründer des gleichen Namens war überzeugt davon, dass Menschen Computer nicht hell begeistert aufnehmen würden. Deswegen mussten die sichtbaren Geräte grau sein. Und vor allem so klein wie es geht.
Der letzte Haupttäter, "die Gepflogenheiten der Branche", hatte erlebt, wie Büroorganisatoren, die Ende der 1960er Jahre angeregt durch die Schockfarben, die damals Kleidung, Autos und auch noch Köpfe der Menschen zierten, im Büro durchgefallen waren. Wer neue Möbel kaufen wollte als Erweiterung der alten Beschaffung, bekam seine Möbel häufig in anderer Farbe oder in Melamin ohne Aufpreis. Damit war das Farbkonzept futsch, so es überhaupt existiert hat. Die Käufer, meist Büroorganisatoren, sind Menschen mit bestimmten Eigenschaften: Männer. Fast alle Farbenblinden der Welt gehören diesem Geschlecht an. Zudem sind sie in vielen Berufen seit Jahrzehnten sozialisiert und konditioniert durch die farblichen Anforderungen an ihre Kleidung, nämlich keine. Während Frauen das "kleine Schwarze" nur für bestimmte Anlässe anziehen mussten, zum Tanztee z.B., waren Angehörige bestimmter Berufe gezwungen, sich grau zu kleiden, so auch Elektriker, Fernmeldetechniker, Vorstandsfahrer u.v.a.m. Andere waren aus rein praktischen Gründen von der Mama so ausstaffiert worden. Zu denen kamen viele, viele hinzu, die dasselbe wollten wie Nixdorfs Computer: Nur nicht auffallen.
Jetzt schreiben wir das Jahr 2015, und IBM stellt keine sichtbare Computerhardware mehr her. Siemens hat die Sache mit der Computerei gar ganz an den Nagel gehängt, Nixdorf ist in den ewigen Jagdgründen eines Computermuseums angekommen, und Büroorganisatoren mit dem Erfahrungsbackground der Schockfarben sind nicht mehr aktiv. Apple hatte ab 1998 die Computerwelt mit Farben (iMac) in einen Schockzustand versetzt und die Pleite abgewendet, aber kurz darauf sogar die Farben des Regenbogens aus dem Firmenlogo entfernt. Und wie sieht das Büro von Heute aus? Noch grauer als einst! Jetzt ist das Graue nicht weit entfernt vom Menschen, sondern direkt vor´m Kopp: Der Akustiker macht es! Die Büros werden mit allerlei Brettern ausgestattet, die den Schall dämmen oder dämpfen sollen. Und die sind fast alle grau. Warum? Aus dem gleichen Grunde wie bei den Büromöbeln (außer Bürostühlen).
Und das macht der Lichtqualität den Garaus, so sie überhaupt vorhanden war.