Den Vorgang kennt jeder, der zur Unzeit Alkohol getrunken hat. Selbst Leute, die mehrere Schnäpse abends einsacken können, ohne dass ihr aufrechter und gerader Gang allzu sehr leidet, kippen morgens bereits nach einem Bier aus den Latschen. Geschuldet ist dies - oder wir verdanken es - der circadianen Rhythmik. Allerdings nicht der allgemeinen, sondern der speziellen.
Mittlerweile weiß so jedes Kind, dass der Mensch einen Tagesrhythmus hat, den das Licht bestimmt. Das ist die allgemeine Rhythmik, die den ganzen Körper betrifft. Das Licht beeinflusst dessen innere Zeit. Weitaus kniffliger ist indes, dass dieser Rhythmus nicht von jedem Organ getragen wird. Vielmehr hat jede Zelle eine eigene innere Uhr. So arbeiten z.B. die Leberzellen ("Die Leber wächst mit ihren Aufgaben") zwar in dem vorgegebenen Rhythmus, haben aber eine andere Zeit. Auch andere Organe achten sehr selbstbewusst auf ihre eigene Zeitvorstellung.
Was lernt uns das? Eigentlich nicht sehr viel. Es sei denn, man guckt sich an, was die Leute daraus machen, die sich mit der Wirkung von Pharmaka auf den Menschen beschäftigen, und zwar in Bezug auf die circadiane Rhythmik. Ihre Kunst nennt sich Chronopharmakologie. Ihre wichtigste Aufgabe: Bestimmen, wann ein Wirkstoff die günstigste Wirkung entfaltet.
Na, ja. So revolutionär scheint die Sache doch nicht zu sein. Letztlich hat der Onkel Doktor schon immer gesagt, diese Pille bitte morgens nehmen … Wo ist die Neuigkeit? Die liegt auf einem anderen Gebiet. Es sind drei Aspekte, die zwar nicht so revolutionär sind wie die Theorie von Einstein, die vorgestern 100 wurde, ohne alt zu werden. Verstecken müssen sie sich aber nicht:
Das wiederum sind wirklich revolutionäre Erkenntnisse, die wir noch verdauen müssen. Wenn man fragt, wie spät es ist, gucken die meisten auf die Uhr. Die Zeit, die man sieht, ist die politische und von Mazedonien bis Galizien gleich. Die Sonne braucht aber etwa 2,5 Stunden, um von Mazedonien bis Spanien zu gelangen. Deswegen wird es in Spanien später spät und in Mazedonien früher morgen. Dass man dazu auch noch lernen muss, dass in seinem Körper eine andere Zeit herrscht als beim Nachbarn am selben Tisch, ist reichlich ungewöhnlich. Einstein hatte was von der Krümmung des Universums erzählt und fand Zugang zu den Gehirnen auch relativ einfacher Leute, die sich um Physik keinen Kopf machen, erst recht nicht um das gekrümmte Universum. Vielleicht schaffen es Chronopharmakologen auch mal. Dann fressen wir tonnenweise weniger Chemie. Licht lohnt sich !
Soeben erreichte mich die Nachricht
Da KAN (= Kommission Arbeitsschutz und Normung) mit den Stimmen der Sozialpartner die Meinung über Sachverhalte sagen darf, die genormt werden sollen, hat deren Wort Gewicht, vor allem, wenn es um Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit geht. Da die Beleuchtung von Arbeitsstätten schon immer die Sicherheit und Gesundheit von Arbeitnehmern berühren soll, so etwa seit 1935, fällt das Thema eindeutig in deren Ressort. Die Festellung ist recht schlicht gefasst:
Normung im Bereich „Anforderungen oder Empfehlungen für die Planung und den Betrieb künstlicher, biologisch wirksamer Beleuchtung an Arbeitsplätzen“ ist allerdings aus Sicht der Kommission Arbeitsschutz und Normung (KAN) aktuell nicht sinnvoll.
Anschließend werden die Gründe für diese Feststellung genannt:
KAN meint auch: Das Licht hat für den Menschen zwei Funktionen. Einerseits ermöglicht Licht das Sehen. Auf der anderen Seite hat es nicht-visuelle Wirkungen auf den Menschen. Diese biologische Wirkung erzielt Tageslicht, kann aber ebenso durch spezielle künstliche Beleuchtung erreicht werden. Künstliche Beleuchtung kann dabei dem Tageslicht ähneln, es aber in seiner Gesamtheit nicht ersetzen. Die künstliche, biologisch wirksame Beleuchtung wird mit dem Ziel eingesetzt, eine biologische Wirkung über das Sehen hinaus im Menschen hervorzurufen.
Das vollständige Positionspapier kann man hier herunterladen (KAN-Position_kuenstliche_biologisch_wirksame_Beleuchtung_2015). Dort steht übrigens nicht nur, dass die KAN eine solche Normung nicht für sinnvoll erachtet, sondern nicht zulässig (mehr dazu hier):
Leider, leider hat die Sache einen Haken: Auch die heute installierte Beleuchtung ist biologisch wirksam. Leider nicht immer zum Wohle des Menschen. Was machen wir damit? Merkeln? Wäre zu einfach. Das Problem ist, dass biologisch wirksames Licht individuell wirkt und individuell unterschiedlich. In der Arbeitswelt gehören individuell beeinflussbare Umgebungen eher zu Raritäten, und auch im Privatbereich sind wir nicht immer frei zu tun und lassen, was und wie wir es wollen.
Gestern tickerten Meldungen über die neueste Strategie von Coca Cola, das ist ein Unternehmen, das klare Gewinne aus einer trüben Brühe zieht, die Wissenschaft vor den eigenen Karren zu spannen. Diverse Wissenschaftler sollen sich dafür stark machen, zuckerhaltige Limonaden aus dem Verdacht zu befreien, für die barocken Formen amerikanischer Mittel- und Unterschicht verantwortlich zu sein. Wobei barock etwas oder gar hoch untertrieben sein dürfte. Die Menschen verließen die Proportionen a la Leonardo da Vinci und gingen zu einer Birnenform über. Zwar thront oben immer noch der Kopf. Dieser verlor massiv an relativer Größe je stärker wabernde Fettmassen die Region oberhalb der Beine eroberten. Lösung: Nicht die Kalorien in den Limonaden sind schuld, sondern die Bewegungsarmut. Warum sind wir seit 60 Jahren bloß nicht darauf gekommen?
Allerdings entlastet diese geniale Idee nicht die amerikanische Industrie insgesamt, sondern nur die Limonadenwirtschaft. Denn an der Bewegungsarmut ist eine andere Industrie schuld, wie wissenschaftliche Studien über das Verhalten von mobilen Menschen nachweisen. Das sind Leute, die mit einem Mobilgerät unterwegs sind, in Amerika meistens mit einem iPhone oder iPad einer Firma, die einst mit einem bunten angebissenen Apfel firmierte. Jetzt ist der Apfel edelgrau, aber immer noch abgebissen. Eine mir vorliegende Studie besagt, dass Studenten im Schnitt 9 Stunden mit einem Smartphone unterwegs wären - am Tag. Unterwegs ist schön gesagt - sie verbringen laut Studie 3 Stunden am Tag im Bett mit einem Smartphone in der Hand. Von dem verbleibenden Rest des Tages hacken sie 4,5 Stunden auf einem Laptop oder Tablett herum. Muss dafür Coca Cola herhalten, dass solche Figuren keine Figur mehr haben? Man merke: Mobil ist man, wenn man sich kaum noch bewegt.
Was lernt man daraus? Man muss bei Wissenschaft immer auf die Quellen achten, auf die Geldquellen. So auch bei den Studien, aus denen eine eindeutige Message sprudelt: Blau macht schlau oder so ähnlich. Ich hatte spaßeshalber die Vergleichsobjekte von Studien zusammengezeichnet, mit deren Hilfe man die märchenhafte Wirkung von blauem Licht nachgewiesen haben will. Links das Original, rechts - nein, nicht die Fälschung, das ist doch keine Quizfrage - die blau-optimierte Beleuchtung.
Links: Eine Warte, wie man sie kennt, so man Warten nicht mit Warten verwechselt. Hier wird gearbeitet. Rechts die für den Versuch hergerichtete Warte. Ungelogen hat das Licht mehr Blauanteile. Was denn sonst anders ist? Man suche und finde den Unterschied!
Was sehen wir da? Man hat die gesamte visuelle Umwelt verändert. Die ehemals dunkle Decke ist jetzt hell, die Leuchten großflächig und die Lampen mit geringer Leuchtdichte (= weniger Blendung bei gleichem Lux auf dem Tisch) und die grüne Frontseite mit den Monitoren ist jetzt blau angestrichen worden und wird blau angeleuchtet. Ich denke mal das Blaue aus dem Farbtopf wäre, so blaues Licht die fantastischen Wirkungen ausübt, die man ihm andichtet, viel nachhaltiger, weil man es nur einmal bezahlt. Kleiner Tipp: Wenn man die Monitore richtig einstellt, bringen sie mehr Blau ins Auge. Das aber ist eine andere Story, die Verkäufer von Bildschirmen mit circadianer Wirkung erzählen.
Guter Rat: Fragen Sie bei jedem Vortrag, bei dem blaues Licht über den grünen Klee gelobt wird, wer die Studie bezahlt hat, wo der Redner angestellt war und warum er ausgerechnet dieses Thema für so interessant hält, dass er damit über die Weltgeschichte tourt. Ich hatte mich einmal in die Nesseln gesetzt und in einem Seminar die Lichtquellen für die Farben verantwortlich gemacht. Ein Teilnehmer wetterte laut dagegen und redete von Farben - von denen, die aus dem Topf kommen. Er war Schüler des seligen Dr. Frieling aus Marquartstein, Gründer des Instituts für Farbenpsychologie. Dieses hatte es mit denen, die Farbeimer füllen und verkaufen. Die modernen Blaulichtverkäufer sind eher mit Vermarktern von LED verbandelt. Die haben aus technischen Gründen mehr Blau im Spektrum als nötig. Es müsste mit dem Deibel zugehen, wenn man nicht die wissenschaftlichen Erkenntnisse nutzen würde, um das Blaue schön zu reden. Ich denke mal, die Sache ebbt mächtig ab, wenn die Mehrzahl der LEDs ein vernünftiges Spektrum aufweisen.
Heute veröffentlichte die BAuA eine Studie (und eine Presseerklärung) zur Wirkung blau-angereichtem Licht am Arbeitsplatz.
Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin forscht für Arbeit und Gesundheit (mehr über ihren Auftrag unten). Da sich der Arbeitsschutz seit etwa 1935 mit Licht als einen wichtigen Faktor beschäftigt, ist es konsequent, dass man auch die Wirkung von "Blaulicht" bei der Arbeit unter die Lupe nimmt. Ansonsten müsste man sich mit Ergebnissen von Schlafforschung begnügen. Diese kommen zuweilen auf eine sehr seltsame Weise zustande, z.B. indem man die Probanden nicht ausschlafen lässt, damit sich die Wirkung verstärkt. Ansonsten würde man kein Ergebnis bekommen. Was das heißt wurde z.B. einst dokumentiert mit dem Verbot von Süßstoffen, weil sie kanzerogen wirken sollten. Das Verbot wurde später aufgehoben, weil man, um zu erkranken, täglich 200 Liter von dem köstlichen Gesöff hätte zu sich nehmen müssen.
Die Presseerklärung findet sich (unverändert) unten (link). Die Studie lässt sich FB F2302 hier herunterladen.
Mir scheint dieser Satz wichtig: "Insgesamt verdeutlichen die Ergebnisse, dass es zum jetzigen Zeitpunkt unrealistisch erscheint, konkrete Gestaltungsempfehlungen für eine biologisch wirksame Beleuchtung an Arbeitsplätzen abzuleiten.". Wenn man die angeführten Erkenntnisse der Studie liest, komme ich zu dem Schluss, dass unbedingt etwas getan werden muss - oder das Licht ausschalten, weil es jeden irgendwie unkontrolliert steuern darf. Das Dumme ist, das Ausschalten hilft auch nicht, weil mein Körper dann durch das fehlende Licht desynchronisiert wird.
s. auch hier
BAuA-Studie erforscht die Basismechanismen der biologischen Uhr
Dresden - Die innere Uhr bestimmt die Tagesrhythmik des Menschen. Neuere Erkenntnisse zeigen, dass Licht dabei eine bedeutende Rolle für Physiologie und Verhalten spielt. Eine Studie im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) untersuchte akute und mittelfristige Effekte von blau-angereicherter Beleuchtung in den Morgen- und Abendstunden. Die Forscher fanden heraus, dass gezielte Lichtveränderungen am Morgen das Potenzial besitzen, Störungen der inneren Uhr zu kompensieren. Der Bericht "Circadiane Wirksamkeit AmI-basierter Beleuchtungssysteme: Wirkungsfragen circadianer Desynchronisation" ist jetzt erschienen.
Ziel der Untersuchung war es, die physiologischen Basismechanismen für Gestaltungsempfehlungen biologisch wirksamer Beleuchtung zu untersuchen. Im Mittelpunkt standen dabei die aktivierende Wirkung von blauem Licht und die Verschiebung der circadianen Rhythmik.
Für die innere Uhr spielen Intensität, Zeitpunkt und Zusammensetzung des Lichtes, dem wir ausgesetzt sind, eine große Rolle. Durch gezielte Auswertung und Analyse verschiedener Lichtsituationen sollten mögliche Risiken ermittelt werden. In der Studie wurden 18 junge, gesunde Probanden insgesamt acht Tage lang untersucht. Sie verbrachten die Abende, Nächte und Morgen im Schlaflabor. Sie wurden abends jeweils für 30 Minuten drei verschiedenen Beleuchtungsbedingungen ausgesetzt. Am darauffolgenden Morgen erfolgte für drei Stunden entweder eine effektive Bürobeleuchtung mit blau-angereichertem Licht oder eine Kontrollbeleuchtung durch eine warm-weiße Glühlampe. Dabei beobachteten die Forscher akute Lichtwirkungen wie Reaktionszeit, Wachheitsgrad sowie mittelfristige Effekte auf den Schlaf und die Verschiebung der inneren Uhr. Beispielsweise wurde mit Hilfe von Speichelproben, in denen die Konzentration des Hormons Melatonin bestimmt wurde, die individuelle innere Uhrzeit gemessen.
Im Ergebnis zeigte sich unter anderem, dass die gegenwärtige Aufmerksamkeit von den Beleuchtungsbedingungen der vorangegangenen Stunden beeinflusst wird. Beispielsweise wirkte die Beleuchtung der Morgenstunden auf die Aufmerksamkeit am darauffolgenden Abend nach. Insgesamt verdeutlichen die Ergebnisse, dass es zum jetzigen Zeitpunkt unrealistisch erscheint, konkrete Gestaltungsempfehlungen für eine biologisch wirksame Beleuchtung an Arbeitsplätzen abzuleiten.
Die Studie "Circadiane Wirksamkeit AmI-basierter Beleuchtungssysteme: Wirkungsfragen circadianer Desynchronisation" gibt es im PDF-Format unter www.baua.de/publikationen.
"Circadiane Wirksamkeit AmI-basierter Beleuchtungssysteme: Wirkungsfragen circadianer Desynchronisation"; Dieter Kunz; 1. Auflage; Dortmund; Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2015; ISBN 978-3-88261-148-9; 20 Seiten.
Sichere und gesunde Arbeitsbedingungen stehen für sozialen Fortschritt und eine wettbewerbsfähige Wirtschaft. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) forscht und entwickelt im Themenfeld Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit, fördert den Wissenstransfer in die Praxis, berät die Politik und erfüllt hoheitliche Aufgaben - im Gefahrstoffrecht, bei der Produktsicherheit und mit dem Gesundheitsdatenarchiv. Die BAuA ist eine Ressortforschungseinrichtung im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Über 700 Beschäftigte arbeiten an den Standorten in Dortmund, Berlin und Dresden sowie in der Außenstelle Chemnitz.
Wie gesund darf Licht sein? Weiß man nicht! Dass Licht etwas mit Gesundheit zu tun hätte, glaubte man uns nicht, als wir vor genau 25 Jahren unseren Forschungsbericht "Licht und Gesundheit" veröffentlichten. Aber offensichtlich sehen manche Leute es so, dass unser genormtes Licht in Arbeitsstätten ungesund sein muss. Ansonsten hätten sie keinen Antrag gestellt, gesünderes Licht planen zu wollen. Der Antrag ging an CEN, die europäische Normungsorganisation, und sollte die Revision ihrer Norm EN 12464-1 bewirken. Die beschreibt, wie Arbeitsstätten und Arbeitsplätze in Europa beleuchtet werden sollen.
Einige feinsinnige Herrschaften haben aber einen triftigen Einwand gegen das beantragte Vorgehen: Wenn nämlich etwas die Gesundheit und Sicherheit des Menschen angeht, darf CEN keine Norm dazu machen. Logisch? Unlogisch? Legal? Illegal? Nur nicht sch...egal. Legal vorgehen heißt: Nur der Staat darf Grenzwerte festlegen, wenn eine Sache den Menschen betrifft. Wie viel Asbest darf ich schlucken? Das legt der Staat so fest: Die EU sagt, kein Bürger eines Mitgliedsstaates darf gesundheitsgefährdende Mengen an Asbest schlucken. Also lieb Deutschland, schreib bitte vor, wie viel Asbest in der Luft vorkommen darf. Deutschland sagt, danke liebe EU, und grübelt eine Weile. Und schreibt (meistens) eine Verordnung oder gar ein ausgewachsenes Gesetz darüber, wie viele Fasern Asbest man spalten darf, ohne dass die Luft gefährlich wird. Dann schreibt sie an die liebe EU, ihrem Willen sei genüge getan worden. Und die gibt vorerst Ruh´.
Ganz früher, lang ist´s her, hätte die Bundesrepublik eine Normenorganisation gefragt, dazu eine Norm zu erstellen. Die hätte dann nach eigenem Gusto die Norm produziert. Manchmal mit Hilfe von Freiwilligen, die die Industrie ganz selbstlos in die Normung geschickt hat. Manchmal hat man die betroffenen Behörden um Experten gebeten. So etwas darf man immer noch tun, aber nur wenn die Angelegenheit nicht die Sicherheit und Gesundheit betrifft. Deswegen steht in allen neuen Normen seit 1996, dass die Inhalte die Gesundheit und Sicherheit nicht … Auch in EN 12464-1 steht so etwas geschrieben.
Nun reicht es bei uns nicht, in eine Norm zu schreiben, dass man nichts über Gesundheit regelt. Die Leute sind so doof, dass sie es nicht verstehen. Darum muss es noch einmal bekräftigt werden. Notfalls mit Gewalt. Aber zunächst zu der Frage, warum die Leute so doof sind. Etwa angeboren? Nee, anerzogen. So etwa 80 Jahre erzählte man dem deutschen Publikum, wenn es gesundes Licht wolle, muss es genormtes Licht sein. Das waren im Übrigen die gleichen Leute, die uns den Titel unserer Forschungsarbeit "Licht und Gesundheit" nicht abnehmen wollten.
Früher, lang lang ist´s her, hatte der deutsche Staat sogar ein Amt dafür. Das Amt für Schönheit der Arbeit! Echt, ehrlich. Später, als der damalige Staat auch noch unschöne Sachen gemacht hatte, haben Freiwillige der Industrie die Idee übernommen, und den neuen deutschen Staat davon überzeugt, dass er seinen Arbeitsschutz mobilisieren möge, damit er gesundes Licht in deutsche Arbeitsstätten verteilt und überwacht. Man lieferte auch die Norm dazu. Fortan prüfte die Gewerbeaufsicht, ob auf jedem Arbeitsplatz genügend Licht von oben empfangen wurde. Es genügte nicht einmal, dass der gesamte Arbeitsplatz durch die Arbeitsmittel glänzend hell beleuchtet war (so geschehen an Regiearbeitsplätzen des Fernsehens mit Dutzenden von Monitoren). Und jedem, der mit seiner Beleuchtung unzufrieden war, oder dem die Augen weh taten, erzählte man, er möge sich um eine normgerechte Beleuchtung bemühen.
Mit dieser Selbstherrlichkeit war mit dem Arbeitsschutzgesetz von 1996 vorbei. Deswegen trug die "neue" Beleuchtungsnorm DIN EN 12464-1 von 2003 einen Vermerk, der dies besagte: "Diese Europäische Norm legt keine Anforderungen an die Beleuchtung von Arbeitsstätten im Hinblick auf den betrieblichen Arbeitsschutz fest und wurde nicht im Anwendungsbereich von Artikel 137 der Europäischen Verträge erarbeitet, obwohl die lichttechnischen Anforderungen, die in dieser Norm enthalten sind, üblicherweise auch die Anforderungen im Hinblick auf Sicherheit erfüllen. Anforderungen an die Beleuchtung von Arbeitsstätten im Hinblick auf den betrieblichen Arbeitsschutz können in nach Artikel 137 der Europäischen Verträge erlassenen Richtlinien enthalten sein, in der nationalen Rechtsetzung der Mitgliedsstaaten in Umsetzung dieser Direktiven oder in anderer nationaler Rechtsetzung der Mitgliedsstaaten." Wem die Sache so nicht gefällt, kann glücklicherweise auf eine internationale Norm der CIE zurückgreifen (CIE S 008), in der zwar die Anforderungen gleich sind, aber die Einschränkung fehlt, dass die Norm den Arbeitsschutz nicht regelt, obwohl sie doch schon ganz gut … Man merke: man nehme eine Reihe von Lampen und Leuchten, wähle sie so aus, wie die Norm verlangt, und plane die Beleuchtung ebenso. Mal dient sie der Sicherheit (Text von CIE), mal auch nicht (Text von DIN EN 12464-1). Klar wie Kloßbrühe. Oder hat etwa jemand was verstanden?
Als die Norm EN 12464-1 dann ihre letzte Form 2011 fand, sagte unser Arbeitsschutz, dass wenn man nur diese Norm berücksichtigte, ein gesundes Licht nicht erreicht werden könne. Die hatte nämlich mittlerweile ein schönes Papier erarbeitet, das nach eigenem Bekunden den Stand der Wissenschaft und Technik und Gott weiß noch was darstellt. Leider ist das nicht etwa in der Bildzeitung veröffentlicht sondern im "Gemeinsames Ministerialblatt" aller Ministerien. Dieses Papier ist eine Arbeitsstättenregel, passt aber nicht mit den Normen zusammen. Der Vermerk liest sich so:
"Grundsätzliche Anforderungen an die Beleuchtung hinsichtlich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit sind in Deutschland in der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) bzw. in der Unfallverhütungsvorschrift "Grundsätze der Prävention" (BGV A1) festgelegt. Diese Anforderungen werden in der Arbeitsstättenregel ASR A3.4 "Beleuchtung" und in berufsgenossenschaftlichen Regeln konkretisiert sowie in berufsge-nossenschaftlichen Informationen erläutert.
Planung und Betrieb von Beleuchtungsanlagen ausschließlich nach dieser Norm können zu Nichteinhaltung staatlicher oder berufs-genossenschaftlicher Mindestanforderungen führen. Abweichende Anforderungen zu dieser Norm betreffen insbesondere:
· durch Zusammenfassung der Bereiche der Sehaufgaben zu einem Arbeitsbereich,
· durch die Ausdehnung des unmittelbaren Umgebungsbereichs auf den restlichen Raum,
· hinsichtlich der geforderten Höhe der horizontalen Beleuchtungs-stärke für einige Arbeitsplätze,
· hinsichtlich der vertikalen und zylindrischen Beleuchtungsstärken,
· hinsichtlich der geforderten Gleichmäßigkeit der Beleuchtungs-stärken."
Ein Bisschen heftiger geht es im Gemeinsames Ministerialblatt zur Sache:
Die Anforderungen dieser ASR weichen in Einzelfällen von Normen, insbesondere von DIN EN 12464-1:2003 Beleuchtung von Arbeitsstätten – Teil 1: Arbeitsstätten in Innenräumen sowie DIN EN 12464-2:2007 – Teil 2: Beleuchtung im Freien ab. Die DIN EN 12464 Teil 1 und 2 legen Planungsgrundlagen
für Beleuchtungsanlagen fest, berücksichtigen aber nicht die Anforderungen, die an Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit zu stellen sind.
Will sagen: Die Beschäftigten der Bundesrepublik Deutschland haben in Sachen Licht Nachholbedarf, soll es nicht an deren Gesundheit gehen.
Als man sich daran machte, eine Norm zu entwickeln, die all die aufgezählten Probleme beseitigt und dem geneigten Lichtplaner endlich sagt, was er denn zu planen hat bzw. wofür, stellte man fest, das geht eigentlich nicht. Und dann kamen auch noch die, die meinen, gesundes Licht sehe anders aus. Bei dem rechnet man nicht mit Lux sondern mit mLux. Und Lumen wäre von Vorgestern und müsste mLm heißen. Und überhaupt … Sehwirkung war mal wichtig, jetzt muss Licht an seiner circadianen Wirkung gemessen werden. Da man die Sache, circadiane Wirkung, allerdings immer noch nicht versteht, genügt es vorerst, wenn man die melanopischen Wirkungen normt. Das ist die Wirkung des Lichts auf die Melatoninunterdrückung. Daher das "m"chen von Lux und Lumen. Allerdings bleiben die notwendigen Änderungen nicht auf das Ämmchen beschränkt, denn Licht von oben will und kann keine melanopischen Wirkungen auslösen, jedenfalls nicht ganz so effizient, es muss ins Auge gehen. Dummerweise ist Licht, das ins Auge geht, nicht sehr gesund, es blendet meistens. Und wenn es auch noch blau ist - blau ist die Lieblingslichtfarbe von Melatonin -, kann es auch noch zu Blaulichtschäden führen. Nicht gerade sehr gesund!
Böse Ketzer behaupten auch noch, dass die melanopischen Wirkungen meist nachts im Schlaflabor mit nicht gerade sehr aktiven Menschen ermittelt worden seien und wollen eine überzeugende Argumentation sehen, wie valide die Forschung für Menschen ist, denen man zuweilen hektische Aktivität am Tage abverlangt. Wenn diese bösen Leute wüssten, dass eine allseits verbreitete Studie die melanopischen Wirkungen mit Kleinkindern ermittelt hat und mit Erwachsenen validiert, weil dem Forscher der Ethikrat seiner Universität das Experimentieren mit Kindern verboten hat, wären sie noch böser.
Jetzt holen uns die Sünden der Vergangenheit ein. Man will die Norm so ändern, dass sie gesundes Licht propagiert. Man darf aber nicht, weil …… (steht oben). Tut man das nicht, ist das Licht wohl ungesund. Tut man es doch, muss man sich davor hüten, zu viel Blaulicht ins Auge zu strahlen. Das ist ungesund, garantiert! Egal. Die Lage ist ungesund an sich. Hätte man doch rechtzeitig allen gesagt, dass genormtes Licht zwar gesund ist, aber nur für die lichttechnische Industrie! Wir haben nachgewiesen, dass sie für die Erleuchteten eher nicht allzu gesund ist. Jetzt sagen das auch die von der Industrie, die eine neue Norm haben wollen. Frei nach Kaiser Ferdinand*: Ja, dürfen s' denn des?
Kaiser Ferdinand I. blickt im März 1848 genervt aus der Hofburg
auf eine lärmende Menge und erfährt von Metternich:
"Die machen eine Revolution, Majestät."
Er fragt fassungslos zurück: "Ja, dürfen s' denn des?"
Hier bitte nicht weiter lesen: Sie durften nicht und
wurden zusammengeschossen.