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Licht und Ergonomie

15.07.2025
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Manche Dinge finden sich nicht zueinander, obwohl man sie fast immer im gleichen Kontext vermuten darf. Überraschenderweise gilt dies für Beleuchtung und Architektur, allerdings erst seit etwa 1925. Da half nicht einmal, dass der Staat im Dritten Reich Lichttechniker und Architekten zur Zusammenarbeit zwingen wollte. Er hatte nämlich vor, die Leistung des deutschen Arbeiters mit Hilfe der Beleuchtung zu steigern (s. hier). Dazu gründete der Staat eine Behörde, die auf den seltenen Namen “Schönheit der Arbeit” hörte. Deren Chef, der später Kriegsminister werden würde, Albert Speer, wusste als Architekt von der Bedeutung des Lichts. Er ließ sogar einen Spielfilm dazu drehen, das einfach “Licht” hieß. Mehr zu dem Thema hier)

Jahrzehnte später, Speer war schon 10 Jahre tot, saß ich zufällig  mit einem Architekturprofessor und dem Geschäftsführer des DIN-Normenausschusses Bauwesen (NABau) an einem Kindergeburtstag und erzählte ihnen, dass die Normen für Lichttechnik und für das Bauwesen unkoordiniert miteinander entstünden. Beide Herren erschraken und wollten dagegen sprechen, taten es aber lieber nicht. Dem war so.
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Dass es dem so war, hatte ich beim Studium im Fachbereichs Umwelttechnik der TU Berlin gelernt. Zur Zeit seiner Gründung gehörten Lichttechnik und Akustik, die ich studierte, neben den Instituten für Architektur dazu. Uns war es damals nicht gelungen, unsere Vorlesungen und Laborübungen Architekturstudenten schmackhaft zu machen. Deswegen war ich später zu Arbeitswissenschaft und Ergonomie migriert, weil mein Doktorvater glaubte, dort bessere Forschungsbedingungen zu Wirkungen des Licht auf die Arbeit vorzufinden. Klarer Fall von Denkste!

So freute ich mich 1981 wahnsinnig über das Buch Human Factors in Lighting von Peter Boyce. Human Factors ist das amerikanische Synonym für Ergonomie. Nach langer Suche fand ich in dem Buch aber nichts zur Ergonomie. Auch die dritte Ausgabe des Buches (2014) ließ Ergonomie missen. Unter dem Akronym IEA (eigentlich International Ergonomics Association) führt Boyce International Energy Agency an.
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Insbesondere bezüglich Tageslicht glänzten alle besagten “Wissenschaften” durch Nichtwissen. So hatte das Standardwerk IESNA LIGHTING HANDBOOK (2006) der US-amerikanischen Lighting Engineering Society für Tageslicht und Human Factors gerade mal eine halbe Seite (von 1002) übrig.

Ich habe versucht, die Lücke zu füllen, angefangen bei den Begriffen (hier). Im Rahmen eines Projektes Tageslicht (Tageslicht nutzen – Bedeutung von Dachlichtöffnungen für Ergonomie, Architektur und Technik), bei dem ein hervorragender Architekt und ein Institut für Bauwesen beteiligt waren, habe ich mit meiner Frau zusammen die Ergonomie des Lichts behandelt, dessen Bericht hier zum Download steht. Die beiden anderen Teilberichte sind in dem Buch enthalten (hier )

Irgendwie verwunderlich, dass man im Jahre 2025 diese Aspekte in Erinnerung rufen muss, wo doch die fundamentale Arbeit zu Tageslicht und Arbeitswelt schon Ende der 1960er-Jahre geschrieben worden war. Damals war ich noch Zuschauer. Die Arbeit war das Werk von Ellen Collingro und Georg Roessler, der Ideengeber und Betreuer Prof. Jürgen Krochmann. Das Ergebnis steht kurz und bündig seit 1975 in der Arbeitsstättenverordnung: Arbeitsräume müssen eine Sichtverbindung nach außen haben. Die Langfassung in ihrer letzten Form (Technische Regeln für Arbeitsstätten - Beleuchtung und Sichtverbindung - ASR A3.4, Ausgabe Mai 2023) ist hier abrufbar.

Kurzsichtige Kinder wegen Sonnenmangel und iPhone

12.06.2025
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Als healthylight.de das Licht der Welt erblickte, wollte ich die Wirkungen von Licht auf den Menschen kommentieren. Dass Licht allein keine Probleme schafft, sondern häufig in Tateinheit mit einer technischen Errungenschaft, dem Smartphone, hätte ich nicht unbedingt thematisieren wollen. Ein Artikel einer internationalen Gruppe Forschender tut genau das. Der Titel "Myopia and Daylight: A Combination of Factors" (Kurzsichtigkeit und Tageslicht - Eine kombinierte Wirkung von Faktoren). Der Artikel erscheint demnächst in Frontiers in Medicine – Ophthalmology, geschrieben von 9 hochkarätigen AutorInnen aus 6 Ländern. 

Im Abstract des Artikels liest sich das Ergebnis wie eine Horrormeldung: In urbanen Teilen von Süd- und Ostasien sind Heranwachsende derzeit zu  80% bis 90% kurzsichtig. Man spricht von einer Epidemie. Diese ist die die Corona-Jahre sogar beschleunigt worden. Der Effekt sei weltweit zu beobachten. Ursache: Ständige Beschäftigung mit dem Smartphone bei sehr kurzen Sehentfernungen + geringe Lichtmengen, weil die Kinder und Jugendlichen das Tageslicht meiden. (Hier kann man sich melden, um von der Veröffentlichung des Artikels zu erfahren.) Bis dahin kann man sich in der Berliner U-Bahn umsehen, wie viele Menschen etwa so gucken wie auf dem Foto. Es ist aus Sapporo, könnte aber auch aus Berlin sein.

Die Entstehung der Kurzsichtigkeit geht über eine "Pseudokurzsichtigkeit", die man immer erfährt, wenn man längere Zeit in dier Nähe schaut. Das gibt sich nach einer Weile, wenn man in die Ferne schaut. Wer aber in jungen Jahren ständig Nahseharbeit leistet, bei dem kann das Auge auf Dauer kurzsichtig werden. 
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Bei mir hat die Kurzsichtigkeit junger Menschen als Thema eine sehr lange Historie. Als ich 1971 einen Laborversuch mit 200 Probanden veranstaltete, war 50% von ihnen kurzsichtig. Und zwar dauerhaft. Diese Probanden waren allesamt Studenten und unter 25 Jahre alt. Zu diesem Zeitraum betrug der Anteil Fehlsichtige in der gesamten deutschen Bevölkerung weit unter 50%. In meiner Studie mit 273 Profifußballern der ersten Bundesliga zur gleichen Zeit fand sich ein einziger Mann mit einer Fehlsichtigkeit. Er trug Kontaktlinsen. Diese Probanden waren etwa gleich alt wie die Studenten. Irgendwas muss da falsch gewesen sein, wenn deutsche Menschen einer Altersstufe einmal mehr Kurzsichitge aufweisen als die Gesamtbevöklerung Fehlsichtige überhaupt. Und ein andermal nur einen einzigen aus der Gruppe. 

Im Jahr 1975 fing ich an, ähnliche Daten bei Büromenschen zu sammeln. Siehe da, es gab im Büro kaum Kurzsichtige, aber zu mehr als 50% Weitsichtige. Dabei habe ich festgestellt, dass etwa 30% der Büromenschen entweder die falsche Brille hatte oder gar keine, obwohl sie/er eine gebraucht hätte. Deswegen schlug ich vor, alle Beteiligten durch einen Sehtest durchzuschleusen. Meine eigenen mittlerweile etwa 2.000 Probanden mussten aus untersuchungstaktischen Gründen da durch. Die Ergebnisse überzeugten die Berufsgenossenschaften, und sie entwickelten den ersten medizinischen Test für Bildschirmarbeiter (G 37). Die Idee übernahm die EU-Bildschirmrichtlinie 90/270/EWG, und sie kam mit der Bildschirmarbeitsverordnung (BildscharbV) 1996 nach Deutschland zurück. Am Ende wurde daraus AMR 14.3 „Tätigkeiten an Bildschirmgeräten“, eine vorgeschriebene Angebotsvorsorge, die der Arbeitgeber anbieten muss. 
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Die Hersteller von Computern, die gleichzeitig Hersteller von Bildschirmgeräten waren, haben sich vehement gegen solche Konzepte gewehrt. Nach deren Meinung könne es keine physiologischen Wirkungen geben, die von Bildschirmen ausgehen. Während die Normung der Arbeitsplätze die Sehentfernung möglichst groß machen wollte, sich aber aus praktischen Gründen aus 450 mm bis 600 mm einigte, wollten die Hersteller bei der üblichen "Leseentfernung" bleben, für die die Augenärzte Augenkorrekturen 330 mm vorsahen. Da konnte man die Bildschirme voller packen. Damals war die Größe der Bildschirme nämlich beschränkt. Und man konnte an einen Computer nur den Bildschirm anschließen, den der Hersteller vorgesehen hatte. 

Sehphysiologen ermittelten zwar, dass die ideale Sehentfernung etwa 2 m sein müsste, damit man einen Bildschirm mit entspanntem Auge  betrachten konnte. Dies war aus verschiedenen Gründen nicht sinnvoll. Und die Schrift sollte 20 Bogenminuten groß sein. Die Hersteller setzten sich in der Normung durch und so wurde mit ISO 9241-3 von 1992 eine kurze Sehentfernung von 330 zugelassen. Rund 20 Jahre später kam es schlimmer, ISO 9241-303, der Nachfolger von ISO 9241-3, empfahl sogar dies: "Anwendungen für ausgewählte Benutzergruppen wie Jugendliche sollten mit einer Schrifthöhe von 11 Bogenminuten für eine Sehentfernung von 250 mm versehen werden, damit man größere Mengen an Informationen auf handgehaltenen Geräten sichtbar machen kann."
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Das war nicht der einzige Grund für die Misere, die in dem kommenden Artikel beschrieben wird. Die Hersteller von Mobilgeräten ignorieren auch noch eine andere Erkenntnis, die vor fast 50 Jahren in die Normung eingeflossen war: Bildschirme müssen entspiegelt sein. Aber Tablets und Handys mit matten Displays sehen nicht so schick aus. Das ist mit ein Grund dafür, dass die Benutzer das Helle meiden. 

Der überaus wichtigere Grund besteht aber darin, dass die Bedeutung der künstlichen Beleuchtung für funktionelles Sehen gesunken ist. Man braucht zum Lesen von Büchern oder Betrachten von Bildern kein Licht mehr. Das Licht stört bestenfalls. Hierzu habe ich eine längere Abhandlung geschrieben (s. "Selbst verdienter Niedergang der elektrischen Sonne" in Çakir, Ahmet E.. Genesis 2.0 - Schöpfung der elektrischen Sonne ). Dort wird beschrieben, warum der Triumpfzug der elektronischen Displays, die heute zwischen Millimetern bis zu einem Kilometer groß sein können, die Beleuchtung aus funktionellen Gründen ganz oder teilweise überflüssig gemacht hat. Durch diesen Vorgang entfällt auch das Umgebungslicht.
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Die Technik hat sich mächtig verändert. Die Sehentfernungen von heute bestimmt kein Hersteller, sondern der einzelne Mensch. Was der tut, wenn seine Sehbedingungen nicht stimmen, hatte ich 1976 mit einem schönen Foto dokumentiert. Dieses wurde in vielen Versionen interpretiert. Die am weitesten gehende Interpretation symbolisiert den Werdegang des Menschen vom Affen bis heute. Für den Werdegang vom homo diurnus zum Maulwurf brauche ich noch eine Abbildung.

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Ende der Träume vom gesunden Licht der elektrischen Sonne 

01.02.2025
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Ich hatte es noch für unsinnig gehalten, was ein berühmter Professor, immerhin der Leiter der LCR /Lighting Research Center) in New York, von mir verlangte. Ich wollte seinen Artikel "Mehr als Sehen" in Cyberlux veröffentlichen (mehr hier und dort). Er hatte nichts dagegen, aber verlangte, ich müsse den Artikel mit einem Verfallsdatum versehen. 

Artikel schreibt man manchmal für den Tag, und dann hat er am nächsten Tag schon ausgedient. Fast immer findet man so etwas in Tageszeitungen. Manche Artikel sollen hingegen so lange halten, bis man Neues erfindet. So etwas gehört in der Technik zum Geschäft. Niemand erwartet, dass eine als wunderbar beschriebene Maschine, auch so bleibt. Darüberhinaus gibt es Artikel, die für die Ewigkeit geschrieben sind- Wissenschaftliche Artikel gehören dazu. So ein Artikel bekommt ein DOI, eine Kennung, die ein Unikat ist. Keine zwei Artikel teilen eine Kennung. Und wenn derselbe Autor dieselbe Idee 100 Mal wiederholt veröffentlichen will, gibt es 100 DOI. Aber die gibt es i.d.R. nicht, denn eine Erkenntnis darf nur einmal veröffentlicht werden. Was wollte der Professor eigentlich von mir? 
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Jahre später habe ich begriffen. Er war sich der Sache nicht sicher. Als ich die Literatur fünf Jahre später absuchte, fand ich unter derselben Überschrift einen anderen Inhalt. Allerdings war der Tenor geblieben: Es braucht eine neue Lichttechnik, weil man eine neue Wirkung des Lichts entdeckt hatte, die Beeinflussung circadianer Rhythmen des menschlichen Körpers. Man müsse selbst die Messtechnik für das Licht neu erfinden. Denn man könne ja die Wirkung auf die Gesundheit doch nicht in Lux messen.

Dumm nur, dass ein Vierteljahrhundert danach das Licht immer noch in Lux gemessen wird, aber halt auch in melanopischen. Dadurch ist die frühere Größe Lux aber nicht obsolet geworden, weil die meisten Menschen das künstliche Licht doch zum Sehen brauchen. Und das vermutlich seit der Eiszeit. Die älteste Öllampe ist etwa 17.000 Jahre alt. Die neue Lichttechnik muss also zweierlei Wirkungen des Lichts auf einen Nenner bringen, das Sehen und die Gesundheit. 

Solange die Sache nur diskutiert wurde, ohne sie bei der Beleuchtungsplanung zu berücksichtigen, hörten sich die Probleme theoretisch an. Und das allergrößte davon wurde in wissenschaftlichenh Zirkeln nie diskutiert: das menscliche Verhalten. Dieses war in der Eiszeit bestimmt durch den Gang derJahres- und Tageszeiten bestimmt gewesen. Seit wann dem nicht mehr so ist, kann man etwa ahnen. Lassen wir es mit der Erfindung der Glühlampe beginnen. Sie machte die Nacht zum Tage. Allerdings nicht so perfekt. Aber spätestens die Leuchtstofflampe hat den 24/7 Arbeitstag möglich gemacht. Das ist etwa 75 Jahre her. 
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An einem verhängnisvollen Tag des Jahres 2021 haben sich die führenden Köpfe der Forschung der sog. "nichtvisuellen Wirkungen" beschlossen, Nägel mit Köpfen zu machen. Sie gaben an, wie viel Licht ein Mensch um welche Uhrzeit braucht (hier). Und welche Qualität (dort). Die Qualität wird in M-EDI angegeben, Melanopic Equivalent Daylight Illuminance. Sagen wir der Einfachheit halber, melanopische Lux mLux. 

Das hört sich erst einmal gut an. In Innenräumen soll es am Tage 250 melanopische Lux geben, also zwischen 06:00 Uhr und 19:00 Uhr. Danach kommt die Vorbereitung auf den Schlaf. Da darf es nicht mehr als 10 mLux geben. Ab 22:00 Uhr ist Licht taboo. Es darf nicht mit mehr als 1 mLux leuchten. 

Was machen wir mit den Leuten, deren Schicht um 22:00 beginnt? Was müssen Leute tun, die nachts ihren Computer benutzen? Denn ein Bildschirm macht den Forschern nach 70 M-EDI, also 70 x zu viel für die Nacht.
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Ist das alles irgendwie gesichert? Wer zu viele dumme Fragen stellt, steht dem Fortschritt der Wissenschaft im Wege. Diese Rolle hat nunmehr die CIE übernommen, die Weltorganisation der Lichttechnischen Gesellschaften. Sie hatte im Jahre 2015 proklamiert: "Richtiges Licht zum richtigen Zeitpunkt", gefolgt vom Versprechen baldiger Aktionen, damit die elektrische Sonne zur richtigen Zeit glänzt. Die Deklaration wurde 2019 und 2024 wiederholt (hier). 

Nunmehr findet die CIE fast nur Fragen statt Antworten. So z.B.
Die Empfehlung für den Abend, drei Stunden lang nicht mehr als 10 lx melanopisches EDI am Auge zu haben, lässt sich möglicherweise nur schwer mit den individuellen Anforderungen an die Sichtbarkeit bei der Arbeit vereinbaren, insbesondere bei Personen mit eingeschränkten Sehfähigkeiten.
Ich denke, nicht nur die Sehbehinderten hätten Probleme damit. Zudem kommt nach den drei Stunden die Nacht mit 1 lx M-EDI. 

Die einzige Antwort, die ich in der Deklaration der CIE von 2024 finde, könnte verheerender nicht sein. Sie erklärt: "Ein hoher melanopischer EDI (eine sehr hohe Lichtexposition) während des Tages ist förderlich für die Wachsamkeit, den zirkadianen Rhythmus und einen guten Nachtschlaf". Und die Konsequenz? "Die CIE erkennt an, dass der Aufenthalt im Freien während des Tages mit einer besseren Gesundheit und einem höheren Wohlbefinden in Verbindung gebracht wird und dass die Exposition gegenüber Tageslicht eine wichtige kausale Komponente für diese Effekte darstellt."

So kamen wir genau 100 Jahre nach der Geburt der elektrischen Sonne (hier), die die Natur mit Lampen in Wohnungen und Büros ersetzen wollte, wieder zurück zur Natur. Schönen Dank an den Weltverband der lichttechnischen Gesellschaften. 

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Das richtige circadiane Licht für sich herstellen

30.09.2024
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In der letzten Woche habe ich dargestellt, dass alle Hoffnung auf das "Richtige Licht zur rechten Zeit" wohl verloren ist. Jedenfalls wenn man darauf wartet, dass einem die lichttechnischen Normen oder die Gurus der Chronobiologie helfen. Doch ist es nicht angebracht, die Flinte ins Korn zu werfen. Man kann immer noch sich selbst helfen, wenn man weiß, wie man die Erkentnisse der Chronobiologie anwendet. Und das ist so kompliziert nicht. 

Warum können aber die Lichttechniker nicht helfen? Das ist eine lange Geschichte, die genau 100 Jahre alt ist. Man hat im Jahre 2024 die sog. V(λ)-Kurve aufgestellt und behauptet seitdem, dass Licht nur das ist, was diese Kurve umfasst. Alle physiologischen Wirkungen der Strahlung sind damit ausgeklammert, die nicht in den Bereich der Kurve passen. Das ist eindeutig fehlerhaft. Die Normer müssen von diesem Ross runter. Können aber wohl nicht. Man muss sich aber nicht an deren Probleme halten. 

Es gibt zudem ein Problem, das Normer nie lösen können, aber der Einzelne bzw. der einzelne Arbeitgeber. Das ist das Gedächtnis des Körpers für die vergangenen Lichtexpositionen. So wirkt sich die Beleuchtung am Tage in der Nacht aus, und die Beleuchtung im Privatbereich in der Nacht am nächsten Tag bei der Arbeit. Der Arbeitgeber darf keine Vorschriften für deine Mitarbeitenden machen, wie sie denn ihre Wohnung beleuchten. Er will auch nicht die Beleuchtung in seinem Betrieb so gestalten, dass man sich später zu Hause anders fühlt. Denn die behaupteten Wirkungen haben viel mit der Physiologie des Menschen zu tun, und kollektive Massnahmen, die sich darauf auswirken können, sind Tabu! Aber niemand verbietet es, vorhandenes Wissen sinnvoll anzuwenden.

Ich habe in einem ergonomischen Standard bestimmte Wirkungen des Lichts herausgearbeitet, über die es keine Diskussion gibt. Warum nicht diese umsetzen, so gut es geht? Das ist nur durch einen Trick gelungen, denn bestimmte Standards dürfen keine Empfehlungen enthalten. Aber man kann Dinge erklären, die empfehlenswert sind. 
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Circadiane Rhythmen werden durch den Hell-Dunkel-Wechsel des natürlichen Lichts gesteuert.

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  • Die Sonne suchen. Insbesondere am Vormittag entfaltet das natürliche Licht die größte die größte Wirkung auf die Körperrhythmen.
  • Am Tage das Helle suchen, abends das Dunkle

Licht in den frühen Stunden des Tages entfaltet die größte circadiane Wirkung.

  • Am frühen Vormittag die Räume möglichst hell halten.
  • Pausen am Vormittag möglichst in nicht verglasten Bereichen des Hauses verbringen.
  • Während des Tages die Stärke der Beleuchtung ändern (hell vormittags, dunkler nachmittags

Künstliches Licht in der Nacht kann eine Gesundheitsgefahr sein.-

  • Licht am Abend und in der Nacht möglichst vermeiden. Wenn man Licht braucht, soll es möglichst nicht direkt die Augen treffen.
  • Abends möglichst wärmeres Licht benutzen.
  • Abends Lichtquellen mit möglichst geringer sichtbarer Helligkeit benutzen (abgeschattet oder gedimmt).

Nur natürkiches Licht enthält alle Teile der Strahlung, die viele biologische Wirkungen entfalten.

  • Sich dem natürlichen Licht aussetzen, wenn immer es möglich ist.
  • Pausen oder Arbeitsunterbrechungen in nicht verglasten Bereichen von Gebäuden verbringen.

Circadiane Wirkungen hängen vom Lichtspektrum ab.

  • Je nach Tageszeit unterschiedliche Beleuchtungen benutzen (wahlweise circadiane Wirkungen verstärken bzw.vermeiden). Verstärken durch hellere Beleuchtung, höhere Lichtfarbe (kälteres Licht), Lichteinfall vorzugsweise von oben; vermeiden umgekehrt.  

Licht von Bildschirmen entfaltet circadiane Wirkungen.

  • Am Abend und in der Nacht mit möglichst geringer Helligkeit betreiben. (Nachtmodus bei Bildschirmen und Handys)
  • Am Abend und in der Nacht mit niedrigerer Farbtemperatur betreiben (wärmeres Bild).
  • Bei Bedarf Filter-Apps benutzen (z.B. flux)
  • Bildschirme einsetzen, bei denen man circadiane Wirkungen gezielt ändern kann, ohne die Farben oder die Helligkeit stark zu ändern. 

Circadiane Wirkungen hängen vom Lichtspektrum ab.

  • Je nach Tageszeit unterschiedliche Beleuchtungen benutzen (wahlweise circadiane Wirkungen verstärken bzw.vermeiden). Verstärken durch hellere Beleuchtung, höhere Lichtfarbe (kälteres Licht), Lichteinfall vorzugsweise von oben; vermeiden umgekehrt.  

Circadiane Wirkungen hängen vom Alter ab.

  • Beleuchtung dem Alter anpassen (unterschiedlich nach Kleinkinder, Jugendliche, Erwachsene und Ältere).

Das Lichtniveau während des Tages meist zu gering.

  • Nähe zu Tageslicht suchen (z.B. Arbeitsplatz näher an Fenster rücken, Pausenbereiche mit Tageslicht versehen, Pausen bei Tageslicht verbringen)
  • Bei künstlichem Licht die Richtung ändern (stärker horizontal strahlen)

Der Körper hat ein Gedächtnis für die Beleuchtung.

  • Licht mit circadianer Wirkung je nach Bedarf begrenzen oder erhöhen.
  • Tageslicht vormittags verstärkt benutzen, nachmittags begrenzen.

Die räumliche Verteilung der Lichtquellen spielt bei der circadianen Wirkung eine wichtige Rolle.

  • Wenn tagsüber eine starke circadiane Wirkung erwünscht ist, größere Lichtquellen benutzen.
  • Abends und in der Nacht räumlich kleinere Lichtquellen benutzen (z.B. Tischleuchten, Arbeitsplatzleuchten)

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Die obigen Empfehlungen stammen aus ISO/TR 9241-610 "Ergonomics of human-system interaction - Part 610: Impact of light and lighting on users of interactive systems". Sie sind aus 85 Quellen extrahiert. Wer die Details wissen möchte, muss leider den Standard mit 35 Seiten durcharbeiten. Noch mehr Details gibt es in dem Buch "Genesis 2.0 - Die Schöpfung der elektrischen Sonne". Dort kann man die gesamte Historie von Licht und Gesundheit lesen und verstehen lernen, warum man sich so schwer tut mit dem Licht. Genesis 2.0 ist ein Kindle Buch zum Durcharbeiten, wenn man Lust hat. 

Das richtige Licht zur richtigen Zeit - Zum Dritten!

24.09.2024
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Denkbar überbrachte heute unsere Glückwünsche an Dr. Lichtboss anlässlich der Stellungnahme der CIE zu „Richtiges Licht zur richtigen Zeit“, die die Breaking News beherrscht. Das Event hat Jubiläumscharakter und geht nach 2015 und 2019 in die dritte Runde. CIE beschreibt seit 10 Jahren, was sie denkt, wie den Menschen das richtige Licht zur richtigen Zeit zuteil werden kann. Vor drei Jahren hatten wir berichtet, wie sich 18 Pundits des gesunden Lichtes die Sache vorstellten (link). Jetzt hat die CIE, der Weltverbande der lichttechnischen Gesellschaften reagiert.

Das Interview führte unser Chefblogger Anton von Wegen.

Denkbar

Lichtboss

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Denkbar

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Lichtboss

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Denkbar

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Lichtboss

Herr Dr. Lichtboss, können Sie unseren Lesern kurz erklären, was dieser Tag Ihrem Unternehmen als ältestes Start-up der Lichtbranche bedeutet?

Ja, gerne doch. Aber ich muss mich kurz fassen, weil ich in eine Therapiesitzung muss.

Ach, hat Ihr Unternehmen Märlux jetzt eine Abteilung Lichttherapie? Ich dachte, Sie beschäftigen sich primär mit gesundem Licht.

Tun wir auch. Die Therapie ist eine gewöhnliche Psychotherapie für mich persönlich.

Oh, Persönliches ist nicht Gegenstand dieses Interviews. Unsere Leser interessieren sich in erster Linie für Ihre Produkte, die gesundes Licht für alle bieten.

Darum geht es ja. Deswegen ist meine Therapie nicht nur meine Sache. Alle die glaubten, dass unsere Beleuchtung endlich gesund wird, sind gelinde gesagt, deprimiert.

Denkbar

Interessant … Und ich dachte immer, Ihre Umsätze gehen durch die Decke?

Lichtboss

Das schon, aber durch die Decke der Etage unter uns.

Denkbar

Wie das? Als Sie Märlux gründeten, hieß es doch, man braucht eine völlig neue Lichttechnik, eine die sich am Menschen orientiert.

Lichtboss

Dann glauben Sie an Märchen, die die Branche erfolgreicher verbreitet als die Gebrüder Grimm. Wir wollten anders sein. Wir glaubten an HCL, was da hieß „human centric lighting“. Dabei glaubten wir an human centric design, mit dem die Autoindustrie seit Jahrzehnten erfolgreich arbeitet.

Denkbar

Das Konzept ist doch stimmig. Warum sollte es gerade in der Lichttechnik nicht klappen?

Lichtboss

Weil die anderen keine Märchen erzählten. Ich muss mich korrigieren, weil bei der Autobranche diejenigen, die Märchen erzählten, über Kurz oder Lang pleite waren. So hat sogar der Primus des Weltmarktes ins Gras gebissen. General Motors ging mit 101 Jahren 2009 in die Insolvenz. Kennen Sie so etwas aus der Lichtbranche?

Denkbar

Na, ja! General Electric macht nur noch negative Schlagzeilen. Philips macht kein Licht mehr. AEG ist schon lange vorbei. Und Osram hat Siemens verscherbelt. Licht kommt heute aus Elektronikbuden.

Lichtboss

Was lag da näher, als den Vorstellungen von einer völlig neuen Lichttechnik zu glauben? Nach 80 Jahren Glaube an das Licht zum Sehen stand plötzlich die Erkenntnis, dass Sehen nicht alles ist, was Licht bewirkt. Die CIE hat da 2004 in Wien einen Kongress abgehalten, der uns alle beflügelt hat. …

Denkbar

… vor Allem Märlux.

Lichtboss

Ja, vor Allem wir! Wir wollten das Licht an die Körperrhythmen des Menschen anpassen. Das ist eben das Problem!

Denkbar

Wieso Problem? Ich denke, es ist immer gut, wenn Technik an den Menschen angepasst wird.

Lichtboss

Sagen wir mal, häufig. Im Falle von Licht haben die Gurus um Prof. Brown (hier) viel Licht empfohlen, aber nur tagsüber zwischen 06:00 Uhr und 18:00 Uhr. Abends soll es nur ganz wenig Licht geben, nachts überhaupt keins

Denkbar

Klingt plausibel. Das Licht dem Verlauf der Sonne anpassen … Wo liegt das Problem?

Lichtboss

Problem? Die Menschen machen Licht, wenn sie es brauchen. Und das seit der Eiszeit. Jetzt sollen wir denen erzählen, dass sie unsere Produkte brauchen, wenn sie sie nicht brauchen? Zudem: Es müsste verboten werden, nachts mit dem Computer zu arbeiten. Deren Bildschirme erzeugen 7 mal so viel Licht wie zulässig.

Denkbar

Oh, so habe ich das nicht gesehen. Ich denke, dass die Empfehlung von 18 Spitzenforschenden kam. Wer sollte da besser denken können?

Lichtboss

Stimmt. Die haben nur nicht daran gedacht, dass wir nicht mehr in der Eiszeit leben. Die Lichttechnik hat die 24/7 Arbeitswelt möglich gemacht. Und den Forschenden fällt nichts Besseres ein als, dies für gesundheitsschädlich zu erklären.

Denkbar

Da wird die CIE ein klärendes Wort gesprochen haben. Ich lese: „Die Empfehlung für den Abend, drei Stunden lang nicht mehr als 10 lx melanopisches EDI am Auge zu haben, lässt sich möglicherweise nur schwer mit den individuellen Anforderungen an die Sichtbarkeit bei der Arbeit vereinbaren, insbesondere bei Personen mit eingeschränkten Sehfähigkeiten. Sowohl die Beratung durch Experten als auch die sorgfältige Auswahl der Lichtquellenspektren könnten dazu beitragen, eine integrative Lösung zu finden.“ (Übersetzt mit DeepL.com)

Lichtboss

Meinen Sie, das ist klar? Das einzig Klare ist, dass die Empfehlung der Experten Unsinn ist. Die haben wohl nicht an die Arbeitswelt gedacht. Das nenne ich Expertise. Die Herrschaften wissen wohl nicht, dass die Branche das große Geschäft mit der Beleuchtung von Arbeitsstätten macht.

Denkbar

Etwas seltsam. Leben die Forschenden auf einem anderen Planeten?

Lichtboss

Nö, wenn man so nimmt: „Wie die Teilnehmer des Manchester-II-Workshops [die Quelle der Expertise] feststellten, beziehen sich diese Empfehlungen auf die Bedürfnisse gesunder junger bis mittelalterlicher Erwachsener, aber ihre Anwendbarkeit auf jüngere und ältere Bevölkerungsgruppen sowie auf Menschen mit besonderen Bedürfnissen ist unbekannt. Fördereinrichtungen sollten Projekten Vorrang einräumen, die Informationen über vielfältigere Stichproben mit unterschiedlichem Alter und Gesundheitszustand liefern. (Übersetzt mit DeepL.com)

Denkbar

Gesunde junge bis mittelalte Menschen … kommt mir bekannt vor. Das war die Basis der Definition von Licht mit der V(λ)-Kurve vor genau 100 Jahren. Die CIE scheint aufgewacht zu sein? Wird nicht gerade das Jahrhundert dieser Kurve gefeiert?

Lichtboss

Ja. Die CIE wird aber den Deubel tun und von ihrer Definition abweichen. Selbst wenn ihr nachgewiesen wurde, dass man das Licht nicht so definieren darf. Das steht extra in dem Standard ISO/TR 9241-610. Allerdings wurde dieser Standard erst in 2022 geschrieben. Die Aussage, dass man Licht nicht so definieren darf, wenn es um physiologische Wirkungen geht, steht seit den 1940er Jahren in den Standards der US-amerikanischen Lichttechnik (IES). Und eine Kommission der IES hat dies ausdrücklich im Jahr 2008 bestätigt. Da die CIE trotzdem bei ihrer Meinung geblieben ist, wurde dasselbe in einem Standard in 2018 wörtlich wiederholt.

Denkbar

Da scheint es paar Probleme mit der Theorie zu geben. Hat es praktische Konsequenzen?

Lichtboss

Vor allem die! Wenn man den Experten folgt und Licht installiert, die am Tage mindestens 250 melanopisch EDI vertikal erzeugt, muss man je nach Berechnung die installierte Leistung mindestens verdreifachen, eher verfünffachen. Dazu sagt die CIE in ihrem Bericht: „Um für die Benutzer und die Baubehörden akzeptabel zu sein, muss die vertikale Beleuchtungsstärke von mindestens 250 lx melanopischer EDI erreicht werden, ohne dass dies zu Unbehagen oder eingeschränkter Sicht führt, und die Lichtexposition muss innerhalb der Grenzen der Energievorschriften liegen.“ Machen Sie das mal! Seit es künstliche Beleuchtung gibt, das ist über 100 Jahre her, plant man immer nach horizontaler Beleuchtungsstärke. Auf einmal 90º umdrehen und verdreifachen?

Denkbar

Müsste doch gehen? Dann verdreifachen Sie Ihren Umsatz pro Arbeitsplatz.

Lichtboss

Von wegen! Vertikale Beleuchtungsstärke bedeutet horizontal fliegendes Licht. Das gibt es nur durch Fenster. Unsere Beleuchtung kommt immer von der Decke, weil Arbeitsstätten so geplant werden. Dort ist die vertikale Beleuchtungsstärke nur ein Rechenkonstrukt. Real existiert die nicht. Und wenn … in einem Arbeitsraum stehen dem horizontal fliegenden Licht Bildschirme, Maschinen, Schallschirme u.v.a.m. im Wege.

Denkbar

Wenn dem so ist, wird es wohl nichts mit der gesunden Beleuchtung, oder wie sehen Sie das?

Lichtboss

Das ist ja der Grund für meine Therapie. Die CIE sieht aber schon einen Ausweg. Der schmeckt uns aber nicht.

Denkbar

Das habe ich wohl überlesen. Können Sie bitte für unsere Leser den entsprechenden Passus zitieren?

Lichtboss

Ungern. Aber wir sind ehrlich. Die Empfehlung, auf die sich die CIE bezieht, lautet „Ein hoher melanopischer EDI (eine sehr hohe Lichtexposition) während des Tages ist förderlich für die Wachsamkeit, den zirkadianen Rhythmus und einen guten Nachtschlaf.“ Die Empfehlung der CIE, die ich sehr ungerne zitiere, besagt: „ Die CIE erkennt an, dass der Aufenthalt im Freien während des Tages mit einer besseren Gesundheit und einem höheren Wohlbefinden in Verbindung gebracht wird und dass die Exposition gegenüber Tageslicht eine wichtige kausale Komponente für diese Effekte darstellt. Die CIE empfiehlt auch, das Tageslicht in Innenräumen nicht unnötig einzuschränken. Mehr Tageslicht in Gebäuden führt in der Regel auch zu einer Verringerung des Energieverbrauchs für die Beleuchtung."

Denkbar

Danke. Jetzt verstehe ich Sie voll und ganz.

Die Pressemitteilung der CIE (oben rechts in voller Länge verlinkt) bedeutet nichts anderes als, dass die Diskussion der letzten 25 Jahre kaum etwas bewirkt hat. Die Lichttechnik war in den 1920ern ausgezogen (Light and Health von Matthew Luckiesh) das Tageslicht vollständig zu ersetzen, und das nicht im Sinne eines einfachen Ersatzes, sondern einer Verbesserung. Kurz danach zog die Klimatechnik aus, um eine völlig künstliche Welt zu schaffen. Die Gebäude sollten nicht mehr nach oben wachsen, sondern nach unten und so an Energie sparen, von Lärm verschont werden.

Damit jeder die Entwicklung nachvollziehen kann, habe ich die Pressemitteilungen der CIE von 2015 und 2019 hier verlinkt.

(CIE 2004) (CIE 2015) (CIE 2019) (CIE 2024)