Posts Tagged: Tageslicht

Absurdistan war schon immer …

2015

 

Die Diskussionen der letzten Tage, wonach der Arbeitgeberpräsident Deutschland als Absurdistan bezeichnet hat, erinnerten mich an ein Gutachten, an dem ich mich "nur" als Student beteiligt hatte. Zunächst zum Vorwurf des BDA-Präsidenten: Eine Zeitung, die bestimmt nicht arbeitgeberfeindlich ist, die FAZ, findet den Tumult um die Arbeitsstättenverordnung scheinheilig (zu lesen hier). Nicht so scheinheilig handelten die, die unser Gutachten wohl so schlimm fanden, dass sie nicht einmal schrieben, was sie dachten. Es geht um die Lieblingsgröße der Lichttechnik, die Beleuchtungsstärke, und warum sie direktwegs ins Absurdistan führt.

In dem besagten Gutachten sollte eine neue tolle Idee umgesetzt werden, die ein Professor für Lichttechnik empirisch ermittelt hatte. Er wollte die Beleuchtung von Arbeitsstätten angenehmer machen, indem er ein wichtiges Problem beseitigen wollte: den Silhouetteneffekt. Dieser besteht darin, dass das Gesicht eines Menschen, der zwischen mir und einem Fenster vorbei geht, nicht gut erkennbar ist. So etwas nennt der Photograph Gegenlichtaufnahme und hellt das Gesicht vor dem Fenster auf, indem er mehr Licht darauf gibt. Genau das wollte unser Professor erreichen. Sein Experiment hatte gezeigt, dass man dazu so um 2.000 lx auf das Gesicht geben müsste. Ich denke, dass ein Fotograf auf eine ähnliche Größenordnung käme. Bei der Beleuchtung müsste man die 2.000 lx naturgemäß erhöhen, je näher man am Fenster ist. Macht der Fotograf auch.

Eine Behörde, die ihr neues Gebäude beleuchten wollte, hatte meinem Chef den Auftrag gegeben, eine Beleuchtung mit dieser Vorgabe zu planen. Ich strich alle Räume an, die 2.000 lx in Richtung Fenster bräuchten. Bei den Fluren müsste es natürlich mehr sein. Die Beamten der Behörde müssen sich echt in Absurdistan gefühlt haben, als einer ihnen erklärt hat, wie man vom Rauminnern 2.000 lx und mehr Richtung Fenster erzeugt. Heute würde man sagen, jede Menge Hardware. D.h., jede Menge Leuchten an die Wand gegenüber dem Fenster, damit man die Gesichter der Kollegen klar erkennen kann. Bis zum letzten Pickel.

Hätte ich damals an die Hardware gedacht, hätte ich den Griffel gleich fallen lassen. Doch unser Professor muss genau an die gedacht haben, denn er war Führungskraft bei einem Leuchtenhersteller. Die Konzentration auf die Beleuchtungsstärke hat mich vom Absurdistan abgelenkt. Das war 1972.

Da unsere Lehre nie veröffentlicht wurde, weil die Beamten der besagten Behörde feine Leute waren, mussten andere ihre Erfahrungen, so nennt man die Summe der Dummheiten, die man überlebt hat, selbst produzieren. So hat z.B. ein schwedischer Ergonome einem norwegischen Unternehmen empfohlen, die Mitarbeiter mit 4.000 lx auf dem Auge zu versorgen, damit sie sich gesund und wohl fühlen. Gesagt getan! An einigen Arbeitsplätzen wurden die 4.000 lx durch Stehleuchten erzeugt. Die mussten ca. 8.000 lx horizontal erzeugen, wie man leicht aus ihrer Position errechnen kann. Jede Menge Hardware, jede Menge Wärme. Arbeiten konnte man allerdings kaum noch. Das war 1995.

In Deutschland wollte ein Ausschuss gesundes Licht für alle Arbeitsplätze beschließen. Der Vorsitzende hatte vor, einen Zuschlag für Gesundheit auf die Beleuchtungsstärke am Arbeitsplatz als Kompensation für die Isolierung vom Tageslicht beschließen lassen. Ihm schwebten so 8.000 lx bis 10.000 lx vor, wie man im Jahre 1972 tatsächlich diskutiert hatte. Man wollte den lichten Tag nachahmen. Als ich dem hochverehrten Vorsitzenden vorrechnete, dass seine Werte im Winter in Hamburg nicht einmal auf der Alster erreicht würden, sagte er, darüber solle ich mir keinen Kopf machen. Das war im Jahr 2000.

Habe ich auch nicht. Die Hardware, mit der man 8.000 oder 10.000 lx fast blendfrei realisieren kann, und auch ohne große Wärmebelästigung, ist das Himmelsgewölbe, das viele Dutzend Kilometer hoch reicht und von einem Horizont zum anderen, ringsherum. Wenn ein Mensch in einer Bude mit einer Deckenhöhe von 2.30 m (in Bayern darf das eine Arbeitsstätte) oder 2.50 m sitzt, ist unschwer auszumalen, wie die Hardware für die 8.000 lx um ihn herum aussehen muss. Da wir neuerdings für gesundes Arbeiten auch Steh-/Sitztische einführen, sind ganze 65 cm zwischen seinem Schädel und der Decke als Platz für die Hardware vorhanden. Mal sehen, wer die installiert.

Alle, deren Ideen und Vorschläge, Taten ich angeführt habe, waren/sind im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte und in einer wohldotierten Position. Wie viele davon hätten ihre eigenen Vorstellungen ernst genommen, wenn sie anstelle von Beleuchtungsstärken die Anzahl der Leuchten im Sinn gehabt hätten? Absurdistan wurde nicht von einem Ministerium von oben herab verordnet. Es existiert schon sehr sehr lange. Und die Protagonisten sind keine Bürokraten oder Komiker. Auch wenn man zuweilen das Letztere anzunehmen geneigt wäre.

Tageslicht am Örtchen

2015

Die Presse hat sich auf das Thema Tageslicht auf dem Topf eingeschossen. (s. auch hier) Unglaublich, was sich aus einem Unsinn alles machen lässt. Am schönsten finde ich die Bemerkung der Barbara Ettinger-Brinckmann, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, die sich besorgt geäußert haben soll „Die Begründung zum Verordnungsentwurf, dass sich Tageslicht und Sichtbeziehungen auch in Toiletten positiv auf die psychische Gesundheit auswirken sollen, kann ich beim besten Willen nicht nachvollziehen.“ Ich kann schon. Vor einigen Wochen suchte ich den besagten Ort in einem Flugzeug auf. Die Toiletten auf Flugzeugen sind, gelinde gesagt, etwas beengt. Die, die ich betrat, sah mindestens doppelt so groß aus wie sonstige. Grund: Die Toilette hatte ein Fenster, durch das die Sonne einströmte. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich wohl in einer Flugzeugtoilette.

Aber zurück zu Frau Ettinger-Brinckmann. Sie hat vollkommen Recht. Sichtverbindung nach außen ist gerade bei Toiletten kritisch. Daher sind solche Örtchen eher auf Intimität bedacht zu gestalten. Wehe, wenn nicht! So hatten bei einer Pferdesafari, die ich mitritt, zwei Damen auf Licht in dem besagten Ort bestanden und einem Sitz, mit Erfolg. Der Veranstalter schleppte daher ein Zelt mit entsprechenden Utensilien mit. Und die Damen wunderten sich, warum das alberne Volk abends draußen lauter wieherte als die Pferde.

Spaß beiseite. Die Presse hat sich auf ein längst gelöstes Problem gestürzt, denn was die Präsidentin der Bundesarchitektenkammer nicht verstehen kann, war durch einen Editierfehler entstanden und längst beseitigt worden. Warum man sich lieber mit beseitigten Kleinigkeiten beschäftigt und nicht die immensen Änderungen vornimmt, die die neue Arbeitsstättenverordnung bringt?

Bundesregierung streitet über Tageslicht in Firmentoiletten

2015

 

Wir haben es geschafft, das Tageslicht steht im Fokus der politischen Auseinandersetzungen. Den Vogel hat soeben RP Online geschafft abzuschießen: "Bundesregierung streitet über Tageslicht in Firmentoiletten" lautet die Meldung von 10:20. Es geht um die Novelle der Arbeitsstättenverordnung.

Die Reaktionen aus der Politik beweisen, dass der Entzug von Tageslicht akut zu den befürchteten Folgen führt und nicht erst als Spätfolge (Krebs, Alzheimer u.ä.) in Erscheinung tritt. So muss ein gewisser Ingo Kramer seit seiner Wahl ins Amt des Präsidenten der BDA in November 2013 seine Zeit im Dunkeln verbracht haben. Denn Herrn Kramer soll am 22. Januar 2015 plötzlich aufgefallen sein, dass die Arbeitsstättenverordnung der Bundesrepublik Deutschland novelliert werden soll. Doch die Vorarbeiten zu der Novelle waren da längst angelaufen, als er sein Amt antrat. Auch die Meldungen, dass das Bundeskabinett den Entwurf verabschiedet hätte, haben ihn nicht wecken können. Aber jetzt! (Bitte: zu den tatsächlichen Umständen unten den vorletzten Absatz lesen)

Er soll sich letzten Donnerstag über manche Bestimmungen der neuen Arbeitsstättenverordnung mokiert haben (zu lesen in der Stuttgarter Zeitung hier): "Wirtschaft schüttelt über Arbeitsschutzregeln den Kopf". Die Zeitung fragt sich "Blendet daheim die Sonne?" Gemeint ist, dass der Arbeitgeber für die häuslichen Arbeitsplätze seiner Telearbeiter (natürlich auch für die der Telearbeiterinnen) verantwortlich sein soll. Es müsse beispielsweise geklärt werden, ob dort die Sonne blende … Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände fühle sich an Schilda erinnert und in Absurdistan. Stimmt! Ich fühle mich auch so. Denn wer auch immer als Person der BDA vorsteht, wird über wichtige Vorhaben der Politik, die Einfluss auf Arbeitsbedingungen haben könnten, zeitig offiziell informiert, sofern ihm seine Helferlein nicht bereits im Vorfeld die Warnzeichen übermittelt haben sollten. Oder er selbst hat die Änderungen angeregt. Was im vorliegenden Fall eigentlich nicht von der Hand zu weisen ist, weil die deutschen Arbeitgeber seit mindestens zwei Jahrzehnten fleißig an der Bildschirmarbeitsverordnung sägen. Genau dies soll mit der Novelle der Arbeitsstättenverordnung aber geschehen. Entweder hat der Präsident der BDA dazu nichts gesagt oder der Presse ist's lieber, seine Empörung über Vorschriften zu Kleiderhaken zu Papier zu bringen. Die Sache mit dem Tageslicht in Firmentoiletten war ein längst ausgemerzter Fehler im Text gewesen, den die Presse hätte bereits letztes Jahr merken können. Hat aber nicht. 

Die Echos in der Medienwelt ließen nicht lange auf sich warten. Bereits am Sonntag meldete sich Michael Fuchs, der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag. "DEUTSCHLAND Unionsfraktionsvize Fuchs empört über neue Arbeitsstättenverordnung" steht es in Zeitonline (hier), als Replik der in der Märkischen Allgemeinen Zeitung bereits am Sonntag gemeldeten Empörung (hier "CDU wirft Nahles Regulierungswut vor"). Mit einiger Verspätung folgten die üblichen Verdächtigen, FocusNOZYahoo.com u.ä. Auch der Donaukurier hat sich nicht lumpen lassen. Man kann die diversen Variationen des Unfugs hier und dort und da und da lesen. Man merke: getretener Quark wird breit aber nicht stark. 

Auffällig ist, dass die meisten Medien die Nachricht von Ingo Kramer auf Freitag datieren, obwohl sie bereits am Donnerstag in der WELT zu lesen war (hier). Von Freitag hatte später ein Nachrichtenportal gesprochen. Viele scheinen zu kopieren, ohne zu zitieren. Kramer wird auch nicht mehr so häufig zitiert, sondern ein angeblicher Koalitionskrach, der interessanter zu sein scheint als die Meinung des Präsidenten der BDA zu gesetzlichen Regelungen über Arbeitsstätten. Die heißeste Nummer hat Focus Online geschafft: "Unions-Fraktionsvize: "Irrsinn stoppen" Neue Verordnung: Nahes will Handflächen-Freiraum vor PC-Tastatur vorschreiben" Nahles will überhaupt nichts! Die Vorschrift gibt es seit 1990 in der EU-Bildschirmrichtlinie. Als deutsche gesetzliche Bestimmung in der Bildschirmarbeitsverordnung seit 1996. Was das Ministerium von Frau Nahles will, ist die Abschaffung dieser Verordnung und deren Eingliederung in die Arbeitsstättenverordnung. Dabei darf die deutsche Gesetzgebung eine Bestimmung der EU-Richtlinie nicht außer Kraft setzen. So einfach ist es. Mehr Cakir CuA_15_01.

Während die erste Meldung in der WELT mit Zitaten und Anmerkungen des BDA Präsidenten noch ganz nüchtern klangen, ist vier Tage später ein Skandal, aber zumindest ein Skandälchen geworden. Ich denke, ein Skandal. Denn ein hoher Funktionär (Präsident der BDA) kommt in den Verdacht, seine Aufgaben verschlafen zu haben. Ebenso die Politik, weil sie ihn hätte rechtzeitig informieren müssen. Und die Täter? Entweder der Politiker, der den Sturm im Fingerhut verursacht hat, oder die Presse (online, offline, Gott-weiß-was-line), die schneller kopiert als Nachrichten entstehen. Wenn ich alle Beiträge mir Revue passieren lasse, wundert mich das Wissen von Journalisten über politische Usancen in dieser Republik. Ob, das Unwissen wollte ich schreiben.

Wie dem auch sei. Die Öffentlichkeit wird aus allen Richtungen mit Meldungen versorgt, die sich mit Tageslicht und Sichtverbindung nach außen beschäftigen. Wer als Politiker oder Journalist an der Sichtverbindung rührt, den trifft zwar nicht der Blitz. Aber viel besser geht es ihm bestimmt nicht, wenn die Leute merken, woran diese herumkritteln. Als Strafe muss man nicht die Peitsche herausholen. Es genügt, die Herrschaften einige Tage ohne Tageslicht zu lassen.
(Anm.: Diese Strafe gab es tatsächlich in Alcatraz als ultimative Strafe für die schlimmsten Verbrecher der USA, die man dort konzentrierte. Der prominenteste Häftling, den man durch Lichtentzug läutern wollte, hieß Al Capone. Später wurde sie insbesondere wegen dessen Bestrafung abgeschafft, weil sie sehr inhuman gewesen sein soll. Inhuman zu Al Capone! Das will was heißen …)  

Ministerin hat Kopfschmerzen

Fulminanter Start für die neue ArbStättV

2014

Als hätte man sie bewusst in Auftrag gegeben: Die Studie „Lack of exposure to natural light in the workspace is associated with physiological, sleep and depressive symptoms.“, veröffentlicht online in Chronobiology Int. in November 2014, wird mit der neuen ArbStättV2015 in Druck gehen. Message:

Fenster dienen der Gesundheit!

Was die beiden miteinander zu tun haben? Mit der ArbStättV2015 kehrt die Lieblingsvorschrift von Deutschen zurück: Alle Arbeitsplätze müssen wieder Sichtkontakt nach außen haben - wie vor 2004. Damals hatten zwei Politiker, die man aus dem Amt hat tragen müssen, Ede Stoiber alias Ministerpräsident des Freistaates Bayern, und Wolfgang Clement, der erste und vorerst einzige Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit, immer in dieser Reihenfolge, die Sichtverbindung aus der Arbeitsstättenverordnung von 1975 gestrichen.

Mit dieser Vorschrift stand die BRD allein in der Welt da. Nicht einmal die Skandinavier, die vorgeben, die höchste Humanität am Arbeitsplatz erzielt zu haben, hatten es je geschafft, den Menschen am Arbeitsplatz einen Hauch von Freiheit zu geben. Nur in Dänemark musste jeder Arbeitsplatz Tageslicht haben. Wo es aber herkam und wie stark, war Gott oder dem Architekten überlassen. Im Lande der unbegrenzten Möglichkeiten - will heißen, dort ist alles möglich - dürfen Menschen nicht einmal vom Tageslicht am Arbeitsplatz träumen. Noch schlimmer: Früher - man denke nur an Filme wie "Das Appartement" - gab es in den Büros Fensterplätze für die Auserwählten und (Mini)Kabuffs im Großraum für das gemeine Volk. Seit etwa 40 Jahren herrscht Gerechtigkeit: Alle sitzen in der Innenraumzone, die Fensterzone ist Gang.

Im Jahr 2015 kommt die Vorschrift zurück. Warum diese Freude? Da muss man lange in der Geschichte der Lichttechnik blättern, um sie zu verstehen. Ein Wissenschaftler, dem man dies nicht abnehmen wollte, weil seine Studien fehlerhaft sein sollten, behauptete, dass das Tageslicht alle lebenswichtigen Funktionen des menschlichen Körpers steuere. Dies glaubte er, experimentell nachgewiesen zu haben.

Damit störte er die Kreise gewisser Kreise, denen es darum ging, alle Arbeitsstätten künstlich zu beleuchten und zu klimatisieren. Und daran zu verdienen. Den Segen dazu hatte die deutsche Arbeitsmedizin gegeben: „Menschen in fensterlosen Fabrikationsräumen haben - sofern diese in arbeitshygienischer Sicht optimal gestaltet sind - keine gesundheitsschädigenden Einflüsse zu befürchten“ - in vorauseilendem Gehorsam. Denn man wollte dem Traum von der unterbrechungslosen Produktion dienen: „ Erst die Einführung der Leuchtstofflampen hat es ermöglicht, zwei alte Wünsche der Technik zu erfüllen, nämlich die Arbeit in fensterlosen und genau klimatisierten Räumen auf der einen Seite und die von der Tageszeit unabhängige kontinuierliche Maschinenarbeit auf der anderen Seite.” (Schober, 1961).

Die Kreise der gewissen Kreise waren derart gestört, dass die Deutsche Lichttechnische Gesellschaft, alias LiTG, hochkarätige Experten mehrfach bemühte, mit Expertisen seine Vorstellungen zunichte zu machen. Mal war der Rechtsunterzeichnete des Auftrags eine Führungskraft der Firma O. und der Linksunterzeichnete eine der Firme Ph. - und mal auch andersherum -. das Ziel war aber dasselbe: Was nicht sein darf, darf eben nicht sein.  Alle deutschen Arbeitsplätze sollten künstlich beleuchtet sein, denn: “Bei seitlicher Befensterung können gehobene Ansprüche an die Beleuchtung, wie sie in der künstlichen Beleuchtung gestellt werden, nicht befriedigt werden.” hieß es in einem Beitrag, der auf der LiTG-Sondertagung: “Auge-Licht-Arbeit” im Jahre 1971 präsentiert wurde. Dass derjenige, der diese hehren Worte sprach, das lichttechnische Labor der Firma S. leitete, die die Mutter der Firma O. war, und dazu ihr Geld mit Leuchten verdiente ...? Ach, was soll´s! Gehobene Ansprüche an die Beleuchtung - darum geht es. Und wer diese bestimmt?

Die erste Expertise durfte der Herr schreiben, der die Verbindung zwischen der Leuchtstofflampe und dem Traum der Technik hergestellt hatte. Die zweite schrieb dann sein Adlatus und Nachfolger im Institut. Stück für Stück wurden dem unangepassten Herrn seine unpassenden Thesen widerlegt. Vor allem die Vorstellung, dass ein gesunder Arbeitsplatz Tageslicht benötige, das den Verlauf seiner Körperfunktionen mit dem der Natur synchronisiere.

Auch als ich 1990 empirisch nachwies, dass alle gesundheitlichen Beschwerden, die Menschen in Büros erleben, mit zunehmendem Abstand ihres Arbeitsplatzes vom nächsten Fenster zunehmen, scherte sich keiner darum. Was nicht sein darf, darf nicht einmal diskutiert werden. Meine Erklärung für die auch von mir unerwartet klare Aussage beruhte auf den Vorstellungen, die der (mittlerweile) alte Herr entwickelt hatte.

FensterentfernungSehbe

Und nun das:  Im Jahr 2014 wird wieder, diesmal von den Forschern Harb, Hidalgo und Martau, experimentell nachgewiesen, dass der Entzug von Tageslicht mit physiologischen und depressiven Symptomen einhergeht. Menschen, an deren Arbeitsplatz ein Fenster vorhanden ist, schlafen besser, haben weniger depressive Symptome und „gesunden“ circadianen Melatoninrhythmus als diejenigen ohne Fenster.

Für alle, die es schwarz auf weiß sehen wollen, hier die Zusammenfassung:
The diurnal light cycle has a crucial influence on all life on earth. Unfortunately, modern society has modified this life-governing cycle by stressing maximum production and by giving insufficient attention to the ecological balance and homeostasis of the human metabolism. The aim of this study is to evaluate the effects of exposure or lack of exposure to natural light in a rest/activity rhythm on cortisol and melatonin levels, as well as on psychological variables in humans under natural conditions. This is a cross-sectional study. The subjects were allocated split into two groups according to their workspace (10 employees in the "with window" group and 10 in the "without window" group). All participants were women and wore anactigraph (Actiwatch 2, Philips Respironics), which measures activity and ambient light exposure, for seven days. Concentrations of melatonin and cortisol were measured from the saliva samples. Participants were instructed to collect saliva during the last day of use of the actigraph at 08:00 am, 4:00 pm and 10:00 pm. The subjects answered the Self-Reporting Questionnaire-20 (SRQ-20) to measure the presence of minor psychiatric disorders; the Montgomery-Asberg (MA) scale was used to measure depression symptoms, and the Pittsburgh Sleep Quality Index questionnaire (PSQI) was used to evaluate the quality of sleep. The Rayleigh analysis indicates that the two groups, "with window" an d "without window", exhibited similar activities and light acrophases. In relation to light exposure, the mesor was significantly higher (t = -2.651, p = 0.023) in t he "with window" group (191.04 ± 133.36) than in the "without window" group (73.8 ± 42.05). Additionally, the "with window" group presented the highest amplitude of light exposure (298.07 ± 222.97). Cortisol levels were significantly different between the groups at 10:00 pm (t = 3.009, p = 0.008; "without window" (4.01 ± 0.91) "with window" (3.10 ± 0.30)). In terms of the melatonin levels, the groups differed at two different times of day: 08:00 am (t = 2.593, p = 0.018) and 10:00 pm (t = -2.939, p = 0.009). The "with window" group had a lower melatonin level at 08:00 am (3.54 ± 0.60) but a higher level at 10:00 pm (24.74 ± 4.22) than the "without window" group. Higher cortisol levels were positively correlated with minor psychiatric disorders and depressive symptoms (MA) at 10:00 pm. Lower melatonin levels at 10:00 pm were correlated with depressive symptoms and poor quality of sleep (PSQI). Our study demonstrated that not only may light pollution affect human physiology but also lack of exposure to natural light is related to high levels of cortisol and lower levels of melatonin at night, and these, in turn, are related to depressive symptoms and poor quality of sleep.

Eigentlich eine vollkommen überflüssige Studie. Denn die deutsche Arbeitsstättenverordnung hatte bereits 1975 seitliche Öffnungen mit durchsichtigen Material an Arbeitsräumen, aka Fenster, vorgeschrieben.

Mein AMpelmann

Darf ein Arbeitnehmer sein Licht beeinflussen?

2014

O tempora o mores!

Ich musste dieser Tage bei einer Diskussion Argumente wahrnehmen, auf die ich seit mindestens 30 Jahren warte: "… dass Arbeitnehmer bereits jetzt einer Beleuchtung ausgesetzt werden, die sie weder beeinflussen können, noch wissen, welche Auswirkungen diese Beleuchtung auf sie hat …" Hätte von mir sein können.. Ist aber nicht! Wer sagt denn sowas?

Bekanntlich haben Arbeitnehmer nie das Recht gehabt, eine bestimmte Beleuchtung ihres Arbeitsplatzes abzulehnen. Auch wenn sie es gehabt hätten, hätte der Arbeitgeber spätestens dann, wenn ein Nachbar Licht haben will, halt diese bestimmte Beleuchtung realisieren müssen. Der Chef einer Firma, die lange Zeit in der Beleuchtungsbranche führend war, war sogar der Meinung, dass wenn ein Arbeitsplatz in einer großen Halle besondere Anforderungen an die Beleuchtung stellte, alle Arbeitsplätze gleich beleuchtet werden müssten. Nennt sich Allgemeinbeleuchtung, und ist seit etwa 1933 Liebling der deutschen Lichttechniker. Damals soll eine Studie nachgewiesen haben, dass die Produktivität des Menschen steigt, wenn er unter Allgemeinbeleuchtung arbeitet. Seit 1972 war dies in Deutschland Norm. Zwar gab es auch andere Konzepte, aber diese wurden von den Arbeitsschützern abgelehnt. Wenn einer gar mit einer eigenen Tischlampe arbeiten wollte, rieb man ihm eine Art Verbot unter die Nase. Wer es nicht glaubt, kann viele Nachweise finden.

Die Sache ging so weit, dass man Leuten, die an Arbeitsplätzen Arbeitsplatzleuchten installieren wollten, vorschrieb, diese dürften nur in Verbindung mit einer Allgemeinbeleuchtung eingeschaltet werden. Und das auch bei Tage. Sonst würde die Arbeitsplatzleuchte die (schönen?) Leuchtdichteverhältnisse am Arbeitsplatz ungünstig beeinflussen. Und die armen Arbeitnehmer vorzeitig ermüden. Gott verhüt´s! Wie diese geniale Idee geboren wurde, wird niemand verstehen, der nicht die Geschichte der Arbeitsstättenverordnung von 1975 liest. Dort steht geschrieben, dass sich der Bund und die Länder haben nicht einigen können, wie man Tageslicht am Arbeitsplatz behandeln sollte. So hat der Bund die Sichtverbindung nach außen geregelt, und die Länder die Größe der Fenster in ihren Bauordnungen. Tageslicht war somit keine Beleuchtung! So würde eine einsame Leuchte auch tagsüber blenden.

Auch heute gibt es Leute, die darauf bestehen, dass am Arbeitsplatz immer mindestens 500 lx vorzuherrschen hätten. Eventuell vorhandene Regelungen dürfen die Leuchten nicht weiter herab regeln. Genau ein Arbeitskreis mit solchen Experten soll das oben angegebene Argument gebracht haben. Erleben wir eine Wende? Oder eine Wende rückwärts?

Egal! Recht haben sie. Arbeitnehmer dürfen nicht einer Beleuchtung ausgesetzt werden, die sie weder beeinflussen können, noch wissen, welche Auswirkungen diese Beleuchtung auf sie hat.