Wer guckt bei der Arbeit aus dem Fenster? Faule Säcke, die dem Arbeitgeber auf der Tasche liegen, und deren Arbeit - vielmehr Nicht-Arbeit - die Kollegen ausbaden müssen. Wer denn sonst? So oder ähnlich reagierten bei einer lange zurückliegenden Studie die Leute auf die Frage, ob an ihrem Arbeitsplatz ein Fenster sein müsste. Was würden aber die gleichen Leute sagen, wenn man ihnen ein vorhandenes Fenster zumauert?
Genaugenomen nix. Sie würden vor ein Arbeitsgericht ziehen, was in den letzten 40 Jahren seit dem Erscheinen der Arbeitsstättenverordnung sehr häufig geschehen ist. Und meistens gewinnen. Man braucht kein Fenster! Es muss aber sein. Etwa in den Jahren, als die besagte Studie durchgeführt wurde, hatte ich tatsächlich vorgehabt, in einem Großraumbüro im nördlichsten Bundesland die Eckfenster zuzumachen, weil die Sonne auf den Bildschirmen arg blendete. Der Raum hatte genug sonstige Fenster, es sollten nur die Eckfenster weg. Der Betrieb meldete gleich 8 (in Worten: acht) Leute an, die mich besuchen wollten, um darüber zu sprechen. Unter den acht waren auch der Architekt des Gebäudes, der Vorgesetzte und der Arbeitnehmervertreter, volles Programm also. In der Quintessenz sagten die Acht Folgendes: Bei uns fängt einer seine Karriere in der Mitte des Raums an und wandert langsam in Richtung Fenster. Dort versucht er, sich Richtung Eckfenster vorzuarbeiten. Steht der Schreibtisch am Eckfenster, hat man es geschafft. Und Sie wollen diese Fenster zurammeln?
Eine andere Geschichte, die allerdings aktenkundig ist, weil diesmal nicht ein fehlendes bzw. abzudichtendes Fenster die Gemüter erregte, sondern eine als zu hoch empfundene Fensterunterkante. In Stuttgart wurde ein entstehendes Bürohaus im Rohbau Maklern angeboten, die das Haus an Bürobetreiber vermieten sollten. Die sagten, dieses Haus mietet keiner, sie können es gleich abreißen. Niemand will im Bunker arbeiten. Dabei hatte der Architekt die Fensterunterkante nach seiner Meinung richtig bei 1.10 m Höhe angesetzt. Solche Gebäude gibt es zuhauf, allerdings seit langem nicht mehr neu. Der Bauherr verklagte daraufhin den Architekten. Zuvor hatte die Gewerbeaufsicht den Bau sogar stoppen lassen.
Da ich praktisch alle Protagonisten der Szene um die "Sichtverbindung" kannte, habe ich die Meinung vieler eingeholt, die beim Arbeitsschutz bzw. bei der Arbeitsmedizin etwas zu sagen hatten. Das Ergebnis: eine Blütensammlung. Man warnte mich eindringlich davor, mich als Gutachter zu betätigen, weil man damit seinen Ruf verliert. Nun, ja. Bei mir haben sie alle genau dies getan. So gesehen, hatten sie recht. Der erste Fachexperte, ein hochdekorierter Professor für Arbeitsmedizin sagte, es genüge, wenn die Leute den Himmel und die Wolken sähen. Der Leiter der für den Arbeitsschutz zuständigen Stelle, verbot den Mitarbeitern, zu dem Thema überhaupt etwas zu sagen. Mir riet er davon ab, etwas zu schreiben. Die Gewerbeaufsicht pfiff die Mitarbeiter zurück, die den Weiterbau untersagt hatten. Den Vogel schoss ein Gutachter für die Arbeitssicherheit ab: Er wies schlüssig (!) nach, dass Menschen im Büro immer auf den Tisch gucken und deswegen überhaupt nicht aus dem Fenster gucken könnten. Daher sei die Arbeitsstättenverordnung auf Büros nicht anwendbar.
Was war da falsch? Ich denke, dass woran die früheren Forscher gescheitert waren (s. Bild unten), nämlich mit der Vorstellung, dass die Sichtverbindung nach außen mit Sehen allein zu tun hätte:

Mit Scheinfenstern in einem Keller des OSRAM-Hauses in München wurden über Jahrzehnte Besucher gefoppt, die nicht gemerkt hatten, dass sich hinter dem Fenster nicht die Sonne, sondern Lampen aus dem gleichnamigen Haus verbargen. Hätten sich die Besucher viele Stunden in dem Modellraum mit den Scheinfenstern aufgehalten, hätten sie auch ohne einen einzigen Blick auf das Fenster gemerkt, dass es künstlich war.
Die Quelle des Irrtums ist der fehlende Zeitbegriff. Licht ist in der Physik zeitlos, wie man spätestens seit Einstein kennt. Für das Sehen und die Vorgänge drumherum ist es ziemlich egal, wie spät es ist, oder wie früh. Sofern sich die Augen infolge Schlaflosigkeit oder Alkoholkonsum nicht zu Schlitzen geformt haben, muss man die Zeit bezüglich der Wirkungen von Licht nicht zu berücksichtigen. Anders die psychischen Wirkungen sowie die (biologischen) nicht-visuellen: Sie werden nicht nur von einer zeit bestimmt, sondern sogar von zwei: wahre Ortszeit und die Körperzeit.
Bei der wahren Ortszeit handelt es sich um die Sonnenzeit, die unsere Körperrhythmen bestimmt - oder eben nicht, wenn die Sichtverbindung nach außen unterbleibt. Da helfen keine bunten Naturbilder an den Wänden.
Die Körperzeit ist ein erst seit neuem begriffenes Konstrukt. Sie wird auch nicht mit einer Uhr gemessen, sondern eher an physiologischen Größen wie die Körperkerntemperatur.
Die Körperzeit kann sich "frei entfalten", wenn wirksame äußere Impulse fehlen, die Zeitgeber. Das wurde in Höhlenexperimenten genauso gezeigt wie mit Alzheimerkranken, deren Zeit "frei" läuft. Die Zeitgeber, so sie vorhanden sind, erzählen dann dem Körper, wie spät oder früh es wirklich ist. Genau das macht die Sichtverbindung nach außen. Sehen muss man da nicht. Die meisten Menschen sitzen bei der Arbeit auch nicht vor dem Fenster mit direktem Blick nach außen, sondern am Fenster.
Bezüglich der Bedeutung der Fenster ist dies allerdings die halbe Miete. Die zweite Hälfte bietet die "Qualität" der Sichtverbindung. Damit ist gemeint, ob man sich eine graue Wand anschaut oder etwas Lebendigeres. Der Kollege, von dem die Idee der Bedeutung der Sichtverbindung stammt, Georg Roessler, hatte drei "Qualitäten" experimentell verglichen: Grau-schwarze Wand eines benachbarten Gebäudes, parkähnliche Ufer des Landwehrkanals in Berlin, an dem öfter Enten. seltener Menschen zu sehen waren, und der tosende Verkehr am Ernst-Reuter-Platz, seinerzeit der Unfallbrennpunkt der ganzen Stadt. Über sein Ergebnis mussten viele, auch der Autor schmunzeln: Der Mensch braucht eine mittlere temporale Verschiedenheit(!). Will heißen: Wenn nix los, schläft man ein. Ist Tohuwabohu, kann man nicht einmal einschlafen. Irgendwo dazwischen liegt die wohltuende Oase.
Wohltuende Oase? Tatsächlich hat man bei vielen Studien nachweisen können, dass die Qualität der Sichtverbindung für psychisches Wohlbefinden verantwortlich zeichnet, für schnellere Heilung von frisch operierten Patienten sorgt, und auch noch für die Gesundheit ihrer Schutzengel maßgeblich ist. Hier einige Beispiele:
Harb, et al. Lack of exposure to natural light in the workspace is associated with physiological, sleep and depressive symptom, Chronobiology International 2015 (Mangel an natürlichem Licht ist verbunden mit physiologischen Symptomen, verminderter Schlafqualität und depressiven Stimmungen)
Zadeh et al. The Impact of Windows and Daylight on Acute-Care Nurses' Physiological, Psychological, and Behavioral Health, HERD Journal, 2014 (Einfluss der Fenster auf die Gesundheit bei Krankenschwestern in der Akutmedizin)
Ulrich, R. S. View through a window may influence recovery from surgery, Science, 224, 1984. (Blick durch das Fenster kann die Genesung nach Operationen beeinflussen)
Bei der letzteren Untersuchung hat man die Krankenakten von jeweils 23 Patienten eines Krankenhauses ausgewertet, die in einem Fall in Zimmern lagen, deren Fenster zu einer natürlich aussehenden Umgebung gerichtet waren. Die Vergleichsgruppe lag in Räumen, deren Fenster nur eine Backsteinmauer zeigten. Die Patienten mit besserem Ausblick hatten eine kürzere Aufenthaltsdauer nach der Operation, nahmen weniger Schmerzmittel ein, und erlebten weniger Komplikationen in der post-operativen Phase.
Wer guckt aus dem Fenster bei der Arbeit? Eigentlich niemand. Warum hat man 1975 in der Bundesrepublik Deutschland einen Sichtkontakt nach außen vorgeschrieben? Weil alle ein bisschen, manche häufig, andere gar nicht gucken, aber allesamt wissen, wie spät es ist, so sie mit der Natur kommunizieren können. Sei es, mit der grauen Wand des Hauses nebenan. Es gibt nichts, was den Körper besser stabilisiert, als das - unbewusste - Wissen, wo man sich in der Zeit befindet. Das mögen Leute nicht verstehen, die Licht mit dem Zollstock, Pardon mit dem Luxmeter, messen. Wahr ist es trotzdem. Messen muss man allerdings auch. Damit man weiß, wovon man redet.
Am 9.9.2015 veranstalteten die DASA (Deutsches Arbeitsschutzmuseum), das Arbeitsministerium und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin eine Feier zum 40. Jahrestag der Arbeitsstättenverordnung. An und für sich etwas für Spezialisten, die sich um den Arbeitsschutz kümmern. Für den Lichttechniker aber ein Highlight! Das war der Tag, an dem die Träume begraben wurden, in Arbeitsstätten den Himmel nachzubilden. Damals vor 40 Jahren war nämlich die Idee gereift, Arbeitsräume völlig ohne Tageslicht künstlich zu beleuchten und zu klimatisieren. DIN 5035 machte es vor - Allgemeinbeleuchtung für alle. Gleiche Beleuchtung an allen Stellen …
Die genialen Ideen hinter dieser Vorstellung stehen in diesem schönen Buch von 1972 geschrieben:
Die Herren Sommer und Loef sind mir aus einem anderen Ereignis aus den gleichen Jahren bekannt, sie hatten das Psylux erfunden, definiert und skaliert (hier). Damit war der Nachweis erbracht, dass Menschen die Beleuchtungsstärke sehen können. Zwar können sie schlappe 50 Jahre danach immer noch nicht, aber glaubhaft beschrieben.
Auch das Thema fensterlose Industriebauten ist sehr glaubhaft beschrieben. Die beiden Autoren, Ingenieur und Psychologe, bildeten das idele Team für solche Aufgaben. Und so etwa lautete die Quintessenz:
Also langsam zum Mitschreiben: Die fensterlosen Räume sind nicht nur wegen der (angeblichen) Ausbeutung von Arbeitnehmern vorgesehen, sondern dienen der sozialen Hygiene. Wände, die den arbeitenden Menschen von seinen Kollegen trennen, sind (endgültig?) gefallen. Siehe Großraumbüro! Können die sozialen Beziehungen, die man so fördert nicht den Verzicht auf die Natur (nur in der Arbeitszeit) mehr als ersetzen?
Tolles Modell! Was würde, wenn die Großraumbüros endgültig ohne Fenster gebaut worden wären, heute mit den Herren Sommer und Loef passieren, wenn man sie in einer Betriebsversammlung Menschen aus einem Großraumbüro mit diesen prächtigen Ideen präsentieren würde? Ich denke, nicht nur in Saudi Arabien denkt man, die Prügelstrafe wäre ein adäquates Mittel dazu, die Menschen auf den wahren Weg bzw. zur Vernunft zu bringen.
Die Arbeitsstättenverordnung hat, wenn sie sonst nicht bewirkt hat, zwei Menschenleben gerettet. Sie hat lapidar und einfach das Richtige verschrieben:
Wie gesund darf Licht sein? Weiß man nicht! Dass Licht etwas mit Gesundheit zu tun hätte, glaubte man uns nicht, als wir vor genau 25 Jahren unseren Forschungsbericht "Licht und Gesundheit" veröffentlichten. Aber offensichtlich sehen manche Leute es so, dass unser genormtes Licht in Arbeitsstätten ungesund sein muss. Ansonsten hätten sie keinen Antrag gestellt, gesünderes Licht planen zu wollen. Der Antrag ging an CEN, die europäische Normungsorganisation, und sollte die Revision ihrer Norm EN 12464-1 bewirken. Die beschreibt, wie Arbeitsstätten und Arbeitsplätze in Europa beleuchtet werden sollen.
Einige feinsinnige Herrschaften haben aber einen triftigen Einwand gegen das beantragte Vorgehen: Wenn nämlich etwas die Gesundheit und Sicherheit des Menschen angeht, darf CEN keine Norm dazu machen. Logisch? Unlogisch? Legal? Illegal? Nur nicht sch...egal. Legal vorgehen heißt: Nur der Staat darf Grenzwerte festlegen, wenn eine Sache den Menschen betrifft. Wie viel Asbest darf ich schlucken? Das legt der Staat so fest: Die EU sagt, kein Bürger eines Mitgliedsstaates darf gesundheitsgefährdende Mengen an Asbest schlucken. Also lieb Deutschland, schreib bitte vor, wie viel Asbest in der Luft vorkommen darf. Deutschland sagt, danke liebe EU, und grübelt eine Weile. Und schreibt (meistens) eine Verordnung oder gar ein ausgewachsenes Gesetz darüber, wie viele Fasern Asbest man spalten darf, ohne dass die Luft gefährlich wird. Dann schreibt sie an die liebe EU, ihrem Willen sei genüge getan worden. Und die gibt vorerst Ruh´.
Ganz früher, lang ist´s her, hätte die Bundesrepublik eine Normenorganisation gefragt, dazu eine Norm zu erstellen. Die hätte dann nach eigenem Gusto die Norm produziert. Manchmal mit Hilfe von Freiwilligen, die die Industrie ganz selbstlos in die Normung geschickt hat. Manchmal hat man die betroffenen Behörden um Experten gebeten. So etwas darf man immer noch tun, aber nur wenn die Angelegenheit nicht die Sicherheit und Gesundheit betrifft. Deswegen steht in allen neuen Normen seit 1996, dass die Inhalte die Gesundheit und Sicherheit nicht … Auch in EN 12464-1 steht so etwas geschrieben.
Nun reicht es bei uns nicht, in eine Norm zu schreiben, dass man nichts über Gesundheit regelt. Die Leute sind so doof, dass sie es nicht verstehen. Darum muss es noch einmal bekräftigt werden. Notfalls mit Gewalt. Aber zunächst zu der Frage, warum die Leute so doof sind. Etwa angeboren? Nee, anerzogen. So etwa 80 Jahre erzählte man dem deutschen Publikum, wenn es gesundes Licht wolle, muss es genormtes Licht sein. Das waren im Übrigen die gleichen Leute, die uns den Titel unserer Forschungsarbeit "Licht und Gesundheit" nicht abnehmen wollten.
Früher, lang lang ist´s her, hatte der deutsche Staat sogar ein Amt dafür. Das Amt für Schönheit der Arbeit! Echt, ehrlich. Später, als der damalige Staat auch noch unschöne Sachen gemacht hatte, haben Freiwillige der Industrie die Idee übernommen, und den neuen deutschen Staat davon überzeugt, dass er seinen Arbeitsschutz mobilisieren möge, damit er gesundes Licht in deutsche Arbeitsstätten verteilt und überwacht. Man lieferte auch die Norm dazu. Fortan prüfte die Gewerbeaufsicht, ob auf jedem Arbeitsplatz genügend Licht von oben empfangen wurde. Es genügte nicht einmal, dass der gesamte Arbeitsplatz durch die Arbeitsmittel glänzend hell beleuchtet war (so geschehen an Regiearbeitsplätzen des Fernsehens mit Dutzenden von Monitoren). Und jedem, der mit seiner Beleuchtung unzufrieden war, oder dem die Augen weh taten, erzählte man, er möge sich um eine normgerechte Beleuchtung bemühen.
Mit dieser Selbstherrlichkeit war mit dem Arbeitsschutzgesetz von 1996 vorbei. Deswegen trug die "neue" Beleuchtungsnorm DIN EN 12464-1 von 2003 einen Vermerk, der dies besagte: "Diese Europäische Norm legt keine Anforderungen an die Beleuchtung von Arbeitsstätten im Hinblick auf den betrieblichen Arbeitsschutz fest und wurde nicht im Anwendungsbereich von Artikel 137 der Europäischen Verträge erarbeitet, obwohl die lichttechnischen Anforderungen, die in dieser Norm enthalten sind, üblicherweise auch die Anforderungen im Hinblick auf Sicherheit erfüllen. Anforderungen an die Beleuchtung von Arbeitsstätten im Hinblick auf den betrieblichen Arbeitsschutz können in nach Artikel 137 der Europäischen Verträge erlassenen Richtlinien enthalten sein, in der nationalen Rechtsetzung der Mitgliedsstaaten in Umsetzung dieser Direktiven oder in anderer nationaler Rechtsetzung der Mitgliedsstaaten." Wem die Sache so nicht gefällt, kann glücklicherweise auf eine internationale Norm der CIE zurückgreifen (CIE S 008), in der zwar die Anforderungen gleich sind, aber die Einschränkung fehlt, dass die Norm den Arbeitsschutz nicht regelt, obwohl sie doch schon ganz gut … Man merke: man nehme eine Reihe von Lampen und Leuchten, wähle sie so aus, wie die Norm verlangt, und plane die Beleuchtung ebenso. Mal dient sie der Sicherheit (Text von CIE), mal auch nicht (Text von DIN EN 12464-1). Klar wie Kloßbrühe. Oder hat etwa jemand was verstanden?
Als die Norm EN 12464-1 dann ihre letzte Form 2011 fand, sagte unser Arbeitsschutz, dass wenn man nur diese Norm berücksichtigte, ein gesundes Licht nicht erreicht werden könne. Die hatte nämlich mittlerweile ein schönes Papier erarbeitet, das nach eigenem Bekunden den Stand der Wissenschaft und Technik und Gott weiß noch was darstellt. Leider ist das nicht etwa in der Bildzeitung veröffentlicht sondern im "Gemeinsames Ministerialblatt" aller Ministerien. Dieses Papier ist eine Arbeitsstättenregel, passt aber nicht mit den Normen zusammen. Der Vermerk liest sich so:
"Grundsätzliche Anforderungen an die Beleuchtung hinsichtlich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit sind in Deutschland in der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) bzw. in der Unfallverhütungsvorschrift "Grundsätze der Prävention" (BGV A1) festgelegt. Diese Anforderungen werden in der Arbeitsstättenregel ASR A3.4 "Beleuchtung" und in berufsgenossenschaftlichen Regeln konkretisiert sowie in berufsge-nossenschaftlichen Informationen erläutert.
Planung und Betrieb von Beleuchtungsanlagen ausschließlich nach dieser Norm können zu Nichteinhaltung staatlicher oder berufs-genossenschaftlicher Mindestanforderungen führen. Abweichende Anforderungen zu dieser Norm betreffen insbesondere:
· durch Zusammenfassung der Bereiche der Sehaufgaben zu einem Arbeitsbereich,
· durch die Ausdehnung des unmittelbaren Umgebungsbereichs auf den restlichen Raum,
· hinsichtlich der geforderten Höhe der horizontalen Beleuchtungs-stärke für einige Arbeitsplätze,
· hinsichtlich der vertikalen und zylindrischen Beleuchtungsstärken,
· hinsichtlich der geforderten Gleichmäßigkeit der Beleuchtungs-stärken."
Ein Bisschen heftiger geht es im Gemeinsames Ministerialblatt zur Sache:
Die Anforderungen dieser ASR weichen in Einzelfällen von Normen, insbesondere von DIN EN 12464-1:2003 Beleuchtung von Arbeitsstätten – Teil 1: Arbeitsstätten in Innenräumen sowie DIN EN 12464-2:2007 – Teil 2: Beleuchtung im Freien ab. Die DIN EN 12464 Teil 1 und 2 legen Planungsgrundlagen
für Beleuchtungsanlagen fest, berücksichtigen aber nicht die Anforderungen, die an Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit zu stellen sind.
Will sagen: Die Beschäftigten der Bundesrepublik Deutschland haben in Sachen Licht Nachholbedarf, soll es nicht an deren Gesundheit gehen.
Als man sich daran machte, eine Norm zu entwickeln, die all die aufgezählten Probleme beseitigt und dem geneigten Lichtplaner endlich sagt, was er denn zu planen hat bzw. wofür, stellte man fest, das geht eigentlich nicht. Und dann kamen auch noch die, die meinen, gesundes Licht sehe anders aus. Bei dem rechnet man nicht mit Lux sondern mit mLux. Und Lumen wäre von Vorgestern und müsste mLm heißen. Und überhaupt … Sehwirkung war mal wichtig, jetzt muss Licht an seiner circadianen Wirkung gemessen werden. Da man die Sache, circadiane Wirkung, allerdings immer noch nicht versteht, genügt es vorerst, wenn man die melanopischen Wirkungen normt. Das ist die Wirkung des Lichts auf die Melatoninunterdrückung. Daher das "m"chen von Lux und Lumen. Allerdings bleiben die notwendigen Änderungen nicht auf das Ämmchen beschränkt, denn Licht von oben will und kann keine melanopischen Wirkungen auslösen, jedenfalls nicht ganz so effizient, es muss ins Auge gehen. Dummerweise ist Licht, das ins Auge geht, nicht sehr gesund, es blendet meistens. Und wenn es auch noch blau ist - blau ist die Lieblingslichtfarbe von Melatonin -, kann es auch noch zu Blaulichtschäden führen. Nicht gerade sehr gesund!
Böse Ketzer behaupten auch noch, dass die melanopischen Wirkungen meist nachts im Schlaflabor mit nicht gerade sehr aktiven Menschen ermittelt worden seien und wollen eine überzeugende Argumentation sehen, wie valide die Forschung für Menschen ist, denen man zuweilen hektische Aktivität am Tage abverlangt. Wenn diese bösen Leute wüssten, dass eine allseits verbreitete Studie die melanopischen Wirkungen mit Kleinkindern ermittelt hat und mit Erwachsenen validiert, weil dem Forscher der Ethikrat seiner Universität das Experimentieren mit Kindern verboten hat, wären sie noch böser.
Jetzt holen uns die Sünden der Vergangenheit ein. Man will die Norm so ändern, dass sie gesundes Licht propagiert. Man darf aber nicht, weil …… (steht oben). Tut man das nicht, ist das Licht wohl ungesund. Tut man es doch, muss man sich davor hüten, zu viel Blaulicht ins Auge zu strahlen. Das ist ungesund, garantiert! Egal. Die Lage ist ungesund an sich. Hätte man doch rechtzeitig allen gesagt, dass genormtes Licht zwar gesund ist, aber nur für die lichttechnische Industrie! Wir haben nachgewiesen, dass sie für die Erleuchteten eher nicht allzu gesund ist. Jetzt sagen das auch die von der Industrie, die eine neue Norm haben wollen. Frei nach Kaiser Ferdinand*: Ja, dürfen s' denn des?
Kaiser Ferdinand I. blickt im März 1848 genervt aus der Hofburg
auf eine lärmende Menge und erfährt von Metternich:
"Die machen eine Revolution, Majestät."
Er fragt fassungslos zurück: "Ja, dürfen s' denn des?"
Hier bitte nicht weiter lesen: Sie durften nicht und
wurden zusammengeschossen.
Lügen kommen aus Bagdad zurück.
Orientalische Weisheit
Hier sind zwei Geschichten, die wahr sein können, oder aber auch unwahr, allerdings eher unwahrscheinlich. Was hätten Sie geantwortet, wenn in einer Quizshow die Frage gestellt wird, ob die Geschichte wahr ist oder Unsinn?
Die erste: Die Anordnung der Tasten auf einer Computertastatur wurde auf der Basis der Häufigkeit der Buchstaben in der Sprache bestimmt. (… weswegen die Tastaturen in jedem Land anders sind …)
Die zweite: Die Beleuchtung von Arbeitsplätzen wird nach der Sehaufgabe bestimmt. (So hieß es in der Arbeitsstättenverordnung: "Die Beleuchtung muß sich nach der Art der Sehaufgabe richten." Und in DIN 5035-1: “In Arbeitsräumen muß die Beleuchtung ein müheloses Erkennen der Sehobjekte ermöglichen.” Und in DIN EN 12464-1: "Um es Menschen zu ermöglichen, Sehaufgaben effektiv und genau durchzuführen, muss eine geeignete und angemessene Beleuchtung vorgesehen werden. … Diese Europäische Norm legt die Anforderungen an die Beleuchtung von Arbeitsstätten in Innenräumen im Hinblick auf Sehleistung und Komfort fest. Alle üblichen Sehaufgaben, einschließlich der an Bildschirmarbeitsplätzen, sind berücksichtigt."
Bei welcher Aufgabe ist es wohl wahrscheinlich, dass alle Kandidaten durchfallen, weil sie die falsche Antwort geben?
Lösung: Bei beiden. Die erste Geschichte ist rein erfunden aufgrund der Plausibilität. Beim Anblick einer Tastatur denkt man unweigerlich, dass diese komische Verteilung einen Sinn haben müsse. Stimmt, die hatte einen Sinn, aber nicht bei Computern sondern bei Schreibmaschinen und das nur vor der Erfindung des Kugelkopfes in den 1940er Jahren. Und nur in Ländern mit englischer Sprache.
Die zweite Geschichte klingt noch viel glaubhafter, weil sie seit Jahrzehnten von Normenausschüssen verbreitet wird, und mehrfach in neuen Normen behauptet wurde. Zudem wird doch der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, der Ahnherr der Arbeitsstättenverordnung, sich nicht fundamental geirrt haben? Außerdem braucht kein Mensch eine Erklärung dafür, warum man Licht macht. Wozu auch? Man macht Licht, um was zu sehen! Und bei Arbeitsstätten will soll oder muss man das Arbeitsgut sehen, so gut wie möglich! Oder?
Auch wenn heute der 1. April ist, an dem man viele unwahre Stories unbestraft verbreiten darf, ist die Geschichte nicht nur unwahr, sondern sie wurde sogar in einer Veröffentlichung von dem Initiator der Norm DIN 5035-1 (Entwurf 1971) erläutert und begründet. Bis heute straffrei geblieben …
Langsam zum Mitschreiben: Die Verfasser der Norm wussten nicht, welcher Sehaufgabe sie denn dienen sollten. So haben sie diverse Versuche zusammen getragen, bei denen man ein optimales Niveau an Beleuchtung aus dem Erscheinungsbild eines Raums ableiten wollte. Dann haben sie versucht, diese mit anderen ähnlich fundierten Erkenntnissen (kennt jemand die physiologisch-optische oder arbeitsphysiologische Betrachtungsweise?) in Einklang zu bringen. Und so sieht das endgültige Ergebnis aus (Ableitung der Beleuchtungsstärken für Arbeitsstätten in DIN EN 12464-1:2011:
"Die Werte (Anm.: für Wartungswerte für Beleuchtungsstärken, die nie unterschritten werden dürfen) gelten für übliche Sehbedingungen und berücksichtigen die folgenden Faktoren: ⎯ psycho-physiologische Aspekte wie Sehkomfort und Wohlbefinden; ⎯ Anforderungen für Sehaufgaben; ⎯ visuelle Ergonomie; ⎯ praktische Erfahrung; ⎯ Betriebssicherheit; ⎯ Wirtschaftlichkeit."
Wieso dann genau 78 Mal 500 lx herauskommt, so z.B. für "Telex- (sic!) und Posträume" bis "Leder Sortieren" oder "Spinnen, Zwirnen, Spulen" wird uns der zuständige Ausschuss sicherlich schlüssig erklären.
Die Diskussionen der letzten Tage, wonach der Arbeitgeberpräsident Deutschland als Absurdistan bezeichnet hat, erinnerten mich an ein Gutachten, an dem ich mich "nur" als Student beteiligt hatte. Zunächst zum Vorwurf des BDA-Präsidenten: Eine Zeitung, die bestimmt nicht arbeitgeberfeindlich ist, die FAZ, findet den Tumult um die Arbeitsstättenverordnung scheinheilig (zu lesen hier). Nicht so scheinheilig handelten die, die unser Gutachten wohl so schlimm fanden, dass sie nicht einmal schrieben, was sie dachten. Es geht um die Lieblingsgröße der Lichttechnik, die Beleuchtungsstärke, und warum sie direktwegs ins Absurdistan führt.
In dem besagten Gutachten sollte eine neue tolle Idee umgesetzt werden, die ein Professor für Lichttechnik empirisch ermittelt hatte. Er wollte die Beleuchtung von Arbeitsstätten angenehmer machen, indem er ein wichtiges Problem beseitigen wollte: den Silhouetteneffekt. Dieser besteht darin, dass das Gesicht eines Menschen, der zwischen mir und einem Fenster vorbei geht, nicht gut erkennbar ist. So etwas nennt der Photograph Gegenlichtaufnahme und hellt das Gesicht vor dem Fenster auf, indem er mehr Licht darauf gibt. Genau das wollte unser Professor erreichen. Sein Experiment hatte gezeigt, dass man dazu so um 2.000 lx auf das Gesicht geben müsste. Ich denke, dass ein Fotograf auf eine ähnliche Größenordnung käme. Bei der Beleuchtung müsste man die 2.000 lx naturgemäß erhöhen, je näher man am Fenster ist. Macht der Fotograf auch.
Eine Behörde, die ihr neues Gebäude beleuchten wollte, hatte meinem Chef den Auftrag gegeben, eine Beleuchtung mit dieser Vorgabe zu planen. Ich strich alle Räume an, die 2.000 lx in Richtung Fenster bräuchten. Bei den Fluren müsste es natürlich mehr sein. Die Beamten der Behörde müssen sich echt in Absurdistan gefühlt haben, als einer ihnen erklärt hat, wie man vom Rauminnern 2.000 lx und mehr Richtung Fenster erzeugt. Heute würde man sagen, jede Menge Hardware. D.h., jede Menge Leuchten an die Wand gegenüber dem Fenster, damit man die Gesichter der Kollegen klar erkennen kann. Bis zum letzten Pickel.
Hätte ich damals an die Hardware gedacht, hätte ich den Griffel gleich fallen lassen. Doch unser Professor muss genau an die gedacht haben, denn er war Führungskraft bei einem Leuchtenhersteller. Die Konzentration auf die Beleuchtungsstärke hat mich vom Absurdistan abgelenkt. Das war 1972.
Da unsere Lehre nie veröffentlicht wurde, weil die Beamten der besagten Behörde feine Leute waren, mussten andere ihre Erfahrungen, so nennt man die Summe der Dummheiten, die man überlebt hat, selbst produzieren. So hat z.B. ein schwedischer Ergonome einem norwegischen Unternehmen empfohlen, die Mitarbeiter mit 4.000 lx auf dem Auge zu versorgen, damit sie sich gesund und wohl fühlen. Gesagt getan! An einigen Arbeitsplätzen wurden die 4.000 lx durch Stehleuchten erzeugt. Die mussten ca. 8.000 lx horizontal erzeugen, wie man leicht aus ihrer Position errechnen kann. Jede Menge Hardware, jede Menge Wärme. Arbeiten konnte man allerdings kaum noch. Das war 1995.
In Deutschland wollte ein Ausschuss gesundes Licht für alle Arbeitsplätze beschließen. Der Vorsitzende hatte vor, einen Zuschlag für Gesundheit auf die Beleuchtungsstärke am Arbeitsplatz als Kompensation für die Isolierung vom Tageslicht beschließen lassen. Ihm schwebten so 8.000 lx bis 10.000 lx vor, wie man im Jahre 1972 tatsächlich diskutiert hatte. Man wollte den lichten Tag nachahmen. Als ich dem hochverehrten Vorsitzenden vorrechnete, dass seine Werte im Winter in Hamburg nicht einmal auf der Alster erreicht würden, sagte er, darüber solle ich mir keinen Kopf machen. Das war im Jahr 2000.
Habe ich auch nicht. Die Hardware, mit der man 8.000 oder 10.000 lx fast blendfrei realisieren kann, und auch ohne große Wärmebelästigung, ist das Himmelsgewölbe, das viele Dutzend Kilometer hoch reicht und von einem Horizont zum anderen, ringsherum. Wenn ein Mensch in einer Bude mit einer Deckenhöhe von 2.30 m (in Bayern darf das eine Arbeitsstätte) oder 2.50 m sitzt, ist unschwer auszumalen, wie die Hardware für die 8.000 lx um ihn herum aussehen muss. Da wir neuerdings für gesundes Arbeiten auch Steh-/Sitztische einführen, sind ganze 65 cm zwischen seinem Schädel und der Decke als Platz für die Hardware vorhanden. Mal sehen, wer die installiert.
Alle, deren Ideen und Vorschläge, Taten ich angeführt habe, waren/sind im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte und in einer wohldotierten Position. Wie viele davon hätten ihre eigenen Vorstellungen ernst genommen, wenn sie anstelle von Beleuchtungsstärken die Anzahl der Leuchten im Sinn gehabt hätten? Absurdistan wurde nicht von einem Ministerium von oben herab verordnet. Es existiert schon sehr sehr lange. Und die Protagonisten sind keine Bürokraten oder Komiker. Auch wenn man zuweilen das Letztere anzunehmen geneigt wäre.