Altersweisheit oder späte Einsicht?
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27.02.2024
Es hat nur 111 Jahre gedauert. Aber es ist so weit! Die LiTG hat im November 2023 beschlossen, ihren Namen zu ändern. Auf Wikipedia heißt sie am 27. Februar 2024 noch Deutsche Lichttechnische Gesellschaft e. V. Aber das kann sich ja noch ändern. Offiziell heißt sie aber Deutsche Gesellschaft für LichtTechnik + LichtGestaltung.
Damit soll das Ende einer Ära eingeläutet werden, in der die Sicht auf die Welt, die bekanntlich nur Licht vermitteln kann, nicht mehr parzelliert beackert wird. Mit dem Parzellieren meine ich die arbeitsteilige Behandlung von Wissen und Techniken, die uns das Erkennen unserer Umwelt ermöglichen sollen. So erkennen wir Dinge um uns herum durch ihre Gestalt, Helligkeit, Farbe und ihren Glanz. Zum Erfassen gehören noch mehr dazu, aber die haben mit Sehen nichts zu tun. Was ist der Beitrag von Lichttechnik zum Erleben der Umgebung?
Fangen wir von hinten an. Glanz… Was ist das eigentlich? Physikalisch gesehen ist Glanz "eine optische Eigenschaft einer Oberfläche, Licht ganz oder teilweise spiegelnd zu reflektieren." Damit ist eigentlich alles gesagt, was die Behandlung von Glanz in der Technik angeht. Man könnte nur dazu addieren, dass Glanz der Feind von Farbe ist. Denn glänzende Stellen sehen weiß aus. Glanz verhindert auch das Erkennen der Gestalt. Was sich hinter einer glänzenden Fassade verbirgt, erkennt man schlecht. Und eine glänzende Nase sieht weder beim Opernball noch in einer Frittenranch anziehend aus.
Indes das alles sagt nichts über die gesamte Wirkung von Glanz aus. Sie ist janusköpfig. Ein Portrait ohne Glanz auf den Augen zeigt meistens einen Toten. Würde jemand eine sechsstellige Summe für ein Auto hinlegen, das einem matt daher kommt? Kann die Lackindustrie existieren ohne Töpfe voller Farben, die Oberflächen funkeln lassen? Könnte ein Juwelier auch nur einen einzigen Diamanten verkaufen, der eine Oberfläche hätte wie ein Ziegelstein? Was wäre Weihnachten ohne Lametta?
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Wenn man sich die Bedeutungen des Glanzes anguckt, die u.a. mit den besagten Wirkungen verbunden sind, erkennt man den Begriff Glanz noch deutlicher. Glänzende Aussichten …, eine glanzvolle Gala …, Hochglanzprospekte … Wer einer solch bedeutsamen Erscheinung nur eine Nebenrolle einräumt, dazu noch eine negative, kann nicht auf eine glänzende Zukunft hoffen. Die Lichttechnik beschäftigt sich vornehmlich mit der Physik des Ganzen und mit dem Vermeiden störender Wirkungen. Das Geschäft mit Glanz machen andere.
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Gehen wir weiter nach hinten. Farbe! Es gibt nur wenige Menschen, die keine Farbe sehen. Vermutlich noch weniger Menschen wollen in einer farblosen Welt leben. Dennoch gehört die Farbenlehre in der Lichttechnik ins Nebenfach. Das hat einen sachlich wichtigen Grund. Denn die Beleuchtungstechnik für allgemeine Umgebungen will "farbneutral" sein. D.h. Farben sollen durch die beschienenen Objekte entstehen und nicht durch das Licht vorgezeichnet. Daher ist in der Beleuchtungstechnik das bevorzugte Licht weiß, was das immer heißen mag. Farbiges Licht benutzt man für beabsichtigte Effekte.
Der Umgang mit Farbe erfolgt noch arbeitsteiliger als der mit dem Glanz. Die Farbenlehre, also die Lehre von der Ordnung und Beschreibung von Farben, sowie deren Wirkung und Anwendung, ist nicht Thema einer Disziplin. Die Farbtheorie und Farbforschung beschäftigt sich mit der wissenschaftlichen Untersuchung von Farben, z. B. mit der Entstehung von Farbempfindungen im Auge oder der physikalischen Beschaffenheit von Licht. Wenn man sich aber anguckt, was für Menschen sich damit beschäftigen und wie viele Farbsysteme es gibt, kann einem schwindlig werden. Den berühmtesten davon, einen J.W.v. Goethe, kennt man eigentlich als begnadeten Literaten. Er selbst hielt aber seine Farbenlehre als sein wichtigstes Werk. Bei einer weit weniger bekannten, aber nicht minder bedeutsamen Person, Manfred Richter, maßgeblicher Entwickler des DIN-Farbsystems, habe ich studiert. Im Gegensatz zu den beiden stand eine Frau, die ich gerne kennengelernt hätte, Eva Heller. Sie hat die Bedeutung von Farben im Alltag hervorgehoben und ein größeres Bewusstsein für ihre subtilen psychologischen Effekte geschaffen. Sie war vom Beruf Sozialwissenschaftlerin. Ansonsten war ihre Hauptbeschäftigung dieselbe wie bei Goethe, Literatin ("Beim nächsten Mann wird es anders")
Bei den Farbsystemen und Farbmodellen mischen Technik, Wissenschaft und vielleicht auch Kultur mit. So ist es garantiert nicht die Physik, die Newton dazu bewegt hatte, im Regenbogen genau 7 Farben zu erkennen. Es sind unendlich viele. Farbsysteme, abstrakte Konzepte zur Organisation von Farben, bilden die Grundlage für Farbmodelle, also konkrete Anwendungen dieser Systeme in bestimmten Medien. Kein Wunder, dass es mehrere davon gibt.
Der Umgang in der Technik mit dieser Komplexität fällt indes ernüchternd aus. Die Beleuchtung soll Farben sichtbar machen. Der einstige Traum vor 100 Jahren, den ein gewisser Luckiesh geträumt hatte, ein künstliches Tageslicht zu schaffen, weil Menschen ein Recht darauf hätten, natürliche Farben zu sehen, ist ausgeträumt. Die Lichttechnik schlägt sich mit einem Konzept des Farbwiedergabeindex aus den 1960ern herum. Etwas Neueres lässt sich leider nicht in die Praxis bringen. An einem Mangel an Ideen liegt es nicht.
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Bevor wir uns zum Hauptbetätigungsfeld der Lichttechnik begeben, der Helligkeit, noch ein Wort zu Gestalt. Das ist die Form der Dinge, die wir z.B. mit den Händen erfassen könnten. Man kann diese auch messen, weil sie physikalisch existiert. Ob diese Messung etwas bringt, sei dahingestellt. Wer anders denkt, kann sich z.B. daran machen, den David von Michelangelo mit dem Zollstock zu vermessen.
Wie nimmt einer den David wahr? Sehr unterschiedlich! Denn es gibt drei davon. Sie stehen in Florenz in drei Umgebungen. Der echte David muss wetterbedingt in ein Museum (Galleria dell’Accademia). Eine Kopie steht vor dem Palazzo Vecchio, die andere auf einem Sockel auf der Piazzale Michelangelo. Der letztere David ist aus Bronze, hat aber dieselbe Gestalt. Das Licht in der Galleria wechselt über den ganzen Tag. Zu später Zeit ist es auch elektrisch. Auf dem Palazzo Vecchio kann man von morgens bis abends einen David unter Tageslicht bewundern, zu später Zeit naturgemäß im Lichterschein der Cafes drumherum. Den David in Bronze sieht man vor dem Panorama der Stadt Florenz, aber gegen den Himmel. Wie David einst, vor einer Ziegelmauer lieblos aufgestellt, ausgesehen hat, will man besser nicht wissen. Ich zeige das Bild dennoch, damit es deutlich wird, was eines der wichtigsten Kunstwerke der Geschichte mit seiner Umgebung gewinnt oder verliert.
Welchen Anteil an den Eindrücken, die die Menschen erleben, bestimmt der Beitrag der Lichttechnik? Erleben sie nur das, was sie sehen? Die Bibelschüler, die Taliban, die Touristen auf dem Platz, die Kunstschüler?
Die Lichttechnik liefert zum einen die Technik, also die Lampen und Leuchten, und zum anderen die Sehleistung, das ist was man braucht, um etwas zu erkennen. Um David zu erleben, braucht man nur wenig davon. Wer hingegen Oberflächenfehler auf dem Blech suchen will, bevor es zum Auto wird, kann es ohne den Beitrag der Lichttechnik nicht. Wir verbringen aber unser Leben nicht in solchen Umgebungen und trennen nicht scharf zwischen einem Privatleben, wo uns wohlgeformte Produkte unter die Nase gehalten werden, wenn wir als Käufer auftreten, und einem Berufsleben, wo sich alles einer Leistung unterordnet. Schon gar nicht einer Sehleistung, von der niemand weiß, was sie ist, bis man den Faden durch die Öse ziehen muss.
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Die Lichttechnik hat sich auf die Helligkeit konzentriert, die das Erkennen der Dinge ermöglicht bzw. erleichtert. Diese Aufgabe ist keine Kleinigkeit. Vielmehr hat sie mit dem Beitrag dazu Industriegeschichte geschrieben. Allerdings musste man zu diesem Zweck erstens von den Umgebungen für das Privatleben verabschieden. So gehört der Bereich "Wohnraumleuchten" nicht zum harten Bereich von Lichttechnik. Die Unternehmen, die auf dem Gebiet tätig sind, dürfen sich Leuchtmittel kaufen und diese in ihre Produkte einbauen, die man verächtlich als Lichttöter bezeichnet. Die Normen der Lichttechnik sparen diesen Bereich aus: „Die Gestaltung der Beleuchtung lässt sich nicht in Richtlinien festlegen.“, sagte DIN 5035-1 von 1979.
Von dem Rest der Nichtwohngebäude will man auch nicht alles wissen. Die dort angesiedelten Räume werden in zwei Gruppen geteilt: sog. stimmungsbetonte Räume und … (Ich lästere oft, das seien stimmungstötende Räume). Dementsprechend unterschiedlich fällt der normative Rat aus, an dem die LiTG seit etwa 1935 beteiligt war: „In den stimmungsbetonten Räumen spielen gestalterische Gesichtspunkte und solche der Behaglichkeit eine Rolle.“, hieß es in der Norm. Wie man bei solchen Räumen gestalterische Gesichtspunkte behandelt, umschreibt, regelt…? Fehlanzeige. Das überließ man an ungenannte andere. Gestalterische Aspekte und Behaglichkeit spielen in Arbeitsräumen keine Rolle.
Und man sah die Hauptaufgabe darin, die Arbeitsräume zu beglücken: "In Arbeitsräumen muß die Beleuchtung eines müheloses Erkennen der Sehobjekte ermöglichen." Man konnte übrigens mühelos erkennen, was für Künstler da am Werk waren.
Just darum geht es im 112. Lebensjahr der LiTG. Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer arbeitet am Computer und pfeift auf die Sehleistung. Für viele von ihnen bietet die Beleuchtung das Gegenteil von Sehleistung - Störungen des Sehens. Zudem ist die einst wohlbegründete Trennung zwischen dem Arbeitsraum und dem Wohnraum unwiderbringlich entfallen. Viele Arbeitgeber kämpfen darum, ihre Angestellten in die Büros zu locken.
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Sollen die Leute doch mit ihren geliebten Wohnraumleuchten glücklich werden! Leider war es dem nie so, dass Menschen in ihrer Wohnumgebung auf eine hohe Sehleistung verzichten konnten, während sie in ihrer Arbeitsumgebung diese unbedingt gebraucht hätten. Die Trennung war nur durch den Marktsegment bedingt, den bestimmte Firmen bedienen wollten. Auch in Wohnbereichen braucht man funktionelle Leuchten. Sie dürfen nur nicht nach lieblos gebogenem Blech ausschauen. In diesem Zusammenhang sagte einst ein bekannter Leuchtenentwickler seufzend: "Loch an der Decke braucht kein Design."
Die Namensänderung der LiTG bedeutet nichts anderes als die Anerkennung der Sachlage: Wir brauchen Lichtprodukte von 100% dekorativ bis 100% funktional. Dass man so etwas nicht normativ regeln kann, ist nur der Phantasiearmut der einstigen Protagonisten zu verdanken. Es geht. Nur nicht so, wie es gemacht wurde.
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