Wasser tut’s freilich
höher jedoch steht die Luft,
am höchsten das Licht!
Arnold Rikli
03.10.2025
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Jeder Lichttechniker wird bei dieser Überschrift etwa dasselbe Gefühl haben wie ich einst auch: Das kann nie stimmen. Wir alle haben gelernt, dass man mit gutem Licht die Arbeit verbessere. Ich selbst habe sogar ein Buch geschrieben, dessen Schlussfolgerung besagt, dass das künstliche Licht einer der wichtigsten Autoren der Industriegeschichte ist (Licht formt Leben). Wieso will der Nachweis nicht gelingen, dass Menschen bei besserem Licht bessere Arbeit leisten?
Einen wichtigen Grund habe ich hier dargelegt: Hawthorne-Effekt und sonstige Narrative in der Lichtwelt. Kurz zusammengefasst: Menschen leisten mehr, wenn sie beobachtet werden. Die Erkenntnis wurde beim ersten großangelegten Versuch – unfreiwillig – gewonnen, die Wirkung des Lichts auf die Arbeit nachzuweisen (Hawthorne Studies in den 1920er Jahren).
Was nicht in dem Artikel steht, ist der Zusammenhang zwischen der Sehleistung, die man mit Licht beeinflussen kann, und der Arbeitsleistung. Ich stelle das mit einem Bild dar, das von Jennifer Veitch stammt, der derzeitigen Präsidentin der CIE. Dabei ist noch zu beachten, dass dieses Bild die später bekannt bzw. bewusst gewordenen nicht-visuellen Wirkungen des Lichts nicht genau berücksichtigt.
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Man möge mir einen Forschenden zeigen, der die dargestellten Zusammenhänge experimentell nachweisen will. Allein unter lichttechnisch bedingten Arbeitsbedingungen werden 10 Faktoren aufgezählt, die die Arbeitsleistung beeinflussen können. Davon reicht allein Flimmern aus, um einem das Leben zu vermiesen. Lärm, Streßfaktor Nummer 1 im Büro, und ebenso die Nummer 1 Ursache für Berufskrankheiten in der Produktion wird nicht einmal angedeutet. Die psychobiologischen Prozesse haben es in sich. Will man z.B. den Einfluss der Beleuchtungsstärke auf die Arbeitsleistung untersuchen, muss man all das, was in diesem Bild steht, kontrollieren und noch viel mehr. Jedes denkbare Studiendesign ist dazu verurteilt, verworfen zu werden.
Eigentlich reicht eine einzige Zahl aus, um die Erkenntnis, dass man zwischen der Qualität der Beleuchtung und der Arbeitsleistung keine Beziehung nachweisen kann, glaubhaft zu machen: Etwa 50% des menschlichen Gehirns dient der Bearbeitung visueller Signale. Sehen ist unsere wichtigste Informationsquelle. Und Licht bedeutet viel mehr als nur Sehen.
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31.08.2025
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Der Volksmund sagt: Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten. Das ist nicht physikalisch gemeint, sondern symbolisch. Er will sagen, dass jeder Mensch, so perfekt er auch scheinen möge, eben seine Schattenseiten hat. Ob die Aussage auch für die Physik gilt?
Licht, das uns das Sehen ermöglicht, kann man nicht sehen. Es fliegt so lange geradeaus, bis es in die Nähe einer großen Masse kommt, so nach Einstein, die seine Bahn biegt. Ansonsten lässt es sich nur durch undurchsichtige Objekte bremsen und erzeugt dann Schatten. Licht und Schatten sind somit untrennbar miteinander verbunden. Wenn ein Scheinwerfer, müsste eigentlich Lichtwerfer heißen, auf einen Menschen gerichtet wird, ist es hinter ihm voller Schatten. Der Theaterbeleuchter, vor Edison noch Komödien-Lichtputzer genannt, versteckt die Schatten unsichtbar vor dem Publikum hinten in den Tiefen der Bühne.
Leider hat nicht jeder Beleuchter so viel uneinsehbaren Raum wie auf der Theaterbühne, um den Schatten zu verstecken. Man muss andere Wege finden, wenn die Zuschauer alles sehen können, auch die Schatten. So etwa wie bei diesem Bild. Die angestrahlte Dame hat mehrere Jahrtausende voll im Dunkeln verbracht. So wie hier dargestellt, hätte sie noch weiter in der Pyramide bleiben dürfen. Aber sie sollte zum Star des Neuen Museums zu Berlin werden. So wurde ihre Beleuchtung zum künstlerischen Akt. Als die “Beleuchterin” der Büste, die Lichtplanerin Gabriele von Kardoff, diesen Akt auf dem Global Professional Lighting Design Convention in Oktober 2009 beschrieb, glich der Saal einem Volksauflauf. Fast alle über 1000 Teilnehmenden hatten ihn gestürmt und bis in die letzten Lücken gefüllt. (Mehr zu Frau Kardoff hier)
Weniger künstlerisch ging es indes bei der Beleuchtung von Sportarenen zu. Einst sah man auf dem Fußballfeld jeden Feldspieler mit vier Schatten als Krake übers Feld laufen. Nur die Tormänner warfen ihren Schatten nach vorn. Schuld waren die vier Masten, die an vier Ecken des Stadions herumstanden. Heute sind die Schatten weg bei den Erstligastadien, die ein Dach rundherum haben. Die vielen Scheinwerfer am Dach lassen dem Schatten keine Chance. Wenn Licht aus allen Richtungen kommt, verschwindet der Schatten.
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Leider kann man sich an der Schattenfreiheit im Büro nicht so erfreuen. Denn dort sitzt der Mensch mitten in der Beleuchtung. Daher bedeutet die Schattenfreiheit, besser gesagt, Schattenarmut, eine Orientierungslosigkeit. In den großen Büros hat die Beleuchtungstechnik dem Licht seine wichtigste Eigenschaft genommen, die Richtung. Dabei hatten die Macher der Büros bereits in den 1920ern Angst vor der Schattenlosigkeit und lehnten deswegen die Indirektbeleuchtung direkt ab. Lesbar in den Büchern von Leffingwell, dem großen Protagonisten des Office Management (Leffingwell, W.H.: Scientific Office Management, A.W. Shaw Company, 1917). Die Mär hat über ein Jahrhundert überlebt und sich bis heute hartnäckig gehalten. Man kann es hier lesen: "Der Vorteil von indirekter Beleuchtung liegt in der Erzeugung von gleichmäßigem, blendfreiem Licht, das als angenehm empfunden wird. Ein möglicher Nachteil liegt in der verminderten Schattenbildung, die zu einer verunklärten Raumwahrnehmung führen kann." Wenn man in dem rechts abgebildeten Raum sitzt, wüsste ich, was zu einer verunklärten Raumwahrnehmung führt.
Was sich Leffingwell hat so alles einfallen lassen, habe ich hier zusammengefasst (Erbschaft der 1920er Jahre – Wo Sie heutiges Wissen bestimmt). Er hatte u.a. herausgearbeitet, dass Indirektbeleuchtung ohne Blendung sei. Was stimmt. Was weniger stimmt, ist die Wirkung der Schattenlosigkeit. Unter einer solchen Beleuchtung wird der Mensch nicht geblendet, aber er wird blind. Wenn man einen Menschen in eine strukturlos helle Umgebung steckt, wird ihm zunächst unwohl. Nach einer Weile kann er ohnmächtig werden. Polarforscher, die in weiten Schneefeldern reisten, wurden schneeblind, während die Kollegen, die im Packeis unterwegs waren, wo auch unendlich weiße Felder waren, damit keine Probleme hatten.
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Das böse Spiel spielen die Gehirnwellen. In einem weißen Raum ohne Konturen, der visuell monoton ist, kommt es zu einem Zustand der sensorischen Deprivation, der die Gehirnwellen stark beeinflusst. Normalerweise passt sich das Gehirn ständig an neue Reize an, aber in einer solchen Umgebung fallen die externen Signale weg.
Wenn Sie in einen solchen Raum eintreten, dominieren anfangs die Beta-Wellen, die mit einem wachen, konzentrierten Zustand verbunden sind. Wenn das Gehirn jedoch keine neuen visuellen Reize erhält, schaltet es schnell auf einen entspannteren, nach innen gerichteten Zustand um. Dies führt zu einem Anstieg der Alpha-Wellen (8–13 Hz). Diese Wellen treten typischerweise auf, wenn die Augen geschlossen sind oder sich das Gehirn in einem entspannten, meditationsähnlichen Zustand befindet.
Der Mangel an externen Reizen kann paradoxerweise dazu führen, dass das Gehirn eigene, spontane neuronale Signale generiert, um die Stimulation aufrechtzuerhalten. Diese internen "Entladungen" können als visuelle, akustische oder taktile Halluzinationen wahrgenommen werden.
Kein Wunder, dass Maler, Fotografen oder Innenraumarchitekten versuchen, einen harmonischen Stand zwischen dem ruhigen und dem anregenden Zustand zu erreichen. Mein früherer Kollege Dr. Fred Häger forschte lange Jahre daran und schrieb 1975 eine Dissertation darüber. Leider ist davon nichts mehr übrig geblieben als eine Leerformel: “Die Beleuchtung sollte weder zu gerichtet sein, da dies zu harten Schatten führt, noch zu diffus, da sonst der Modellierungseffekt vollständig verloren geht und eine sehr langweilige Lichtumgebung entsteht. Mehrere Schatten, die durch gerichtete Beleuchtung aus mehr als einer Position entstehen, sollten vermieden werden, da dies zu einem verwirrenden visuellen Effekt führen kann.” (DIN EN 12464-1).
Das ist sehr dumm. Oder auch nicht. Denn die Regel erlaubt es dem Gestalter, mit Licht und Schatten zu spielen, bis er seine gute Lösung erreicht. In der guten alten Zeit hieß es noch, Lichtrichtung und Schattigkeit wären ein lichttechnisches Gütemerkmal, was sie tatsächlich sind. Es wurde aber nur gesagt, dass eine “mittlere” Schattigkeit gewünscht wäre, was man an dem Verhältnis der an einem Punkt herrschenden Beleuchtungsstärke zu der “zylindrischen” in 1,20 Höhe (Augenhöhe im Sitzen) misst. Leider gibt es kaum einen Menschen, der eine zylindrische Beleuchtungsstärke messen kann, weil ihm die Instrumente fehlen. Sollte einer diese kaufen, wird er an etwas scheitern, was er nicht kaufen kann, Zeit. Einen Arbeitsraum voll zu vermessen, dauert eine halbe Nacht.
Wer eine Beleuchtung den geltenden Normen entsprechend realisieren möchte, muss sich an die acht Anforderungen halten, die die Norm EN 12464-1 für jeden Arbeitsplatztyp stellt. Ob ihm dann noch Zeit und Muße verbleiben, Licht und Schatten zu optimieren, mag jeder selbst beurteilen.
Dieser Beitrag sollte die Bedeutung des Schattens herausstreichen, der angesichts der Diskussion um Licht vergessen wird. Dass ich nicht aufzeigen konnte, wie man richtig handelt, ist eigentlich ein gutes Zeichen. Das gibt den Kreativen Freiheiten wie z.B. beim Schneiden von Schriften. Es ist bislang niemandem gelungen, aufzuzeigen, wie man eine gute Schrift macht und wie man misst, dass sie gut geworden ist. Dennoch blüht und gedeiht die Typographie seit dem 15. Jahrhundert.
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16.07.2025
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Die Behauptung, dass das künstliche Licht Krebs verursache, ist etwa so alt wie die Chronobiologie selbst. Der Augenmediziner Prof. Hollwich, der bereits in den 1940ern gezeigt hatte, dass Licht wesentliche Funktionen der menschlichen Physiologie steuert, stellte diese Behauptung in den 1960ern auf. Er behauptete, das Licht der Leuchtstofflampe hätte ein anderes Spektrum und würde deswegen karzinogen, vulgo krebserregend, wirken. Ihn hatte ich bereits 2014 kommentiert (hier).
Die Lichttechnik reagierte mit diversen Gutachten dagegen, deren Tenor es war, dass das menschliche Auge nur drei Empfänger hätte und deswegen zwischen unterschiedlichen Spektren gar nicht unterscheiden könne. Zudem konnte sich kaum jemand vorstellen, wie sich die Beleuchtung auf menschliche Zellen einwirken könnte. Hollwichs These von einem getrennten Kanal im Auge zum Gehirn – die energetische Bahn – wurde ins Reich der Phantasie verwiesen.
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Das hat sich im Jahr 2001 geändert, als man einen vierten Lichtempfänger im Auge entdeckt hatte. Eigentlich wusste man seit 1984, dass man mit künstlichem Licht die circadiane Rhythmik des Körpers verstellen konnte. Ab 2001 war ein glaubhafter Wirkungspfad gezeichnet: Licht unterdrückt die Entstehung des Melatonins → ein niedrigerer Pegel an Melatonin bedeutet weniger Schutz gegen Krebserreger → Wahrscheinlichkeit der Krebsentstehung steigt. Diese Vorstellung führte unter anderem dazu, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO die Nachtschichtarbeit als „wahrscheinlich karzinogen“ einstufte. Sie benannte als wesentlich ursächlichen Teilaspekt die Unterdrückung von Melatonin durch Licht.
Somit war die Behauptung, dass das Leuchtstofflampenlicht Krebs erzeuge, nicht richtig, aber auch nicht falsch. Licht in der Nacht war das Problem. Aber nicht jedes Licht, sondern das Licht, das Melatonin unterdrückt. Falsch war die Behauptung der medizinischen Gutachter, das Auge könne nicht zwischen unterschiedlichen Spektren unterscheiden. Heute gibt es sogar eine international genormte Berechnungsweise der fraglichen Wirkung, die mittlerweile melanopisch heißt, die im Wesentlichen auf dem Spektrum beruht. Diese habe ich mehrfach kommentiert (z.B. hier und dort).
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Ein internationales Gremium aus Chronobiologen hat dementsprechend postuliert, dass in den Abendstunden nur wenig Licht herrschen darf, und in der Nacht praktisch keines (mehr hier). Diese wunderbare Lösung würde aber nur funktionieren, wenn man nachts bei der Arbeit kein Licht bräuchte. Oder man beleuchtet die Arbeitsstätten mit einem Licht, das die Entstehung von Melatonin nicht stört. Die Computer und die Handys muss man zudem ohne Bildschirm betreiben.
Diese brillante Idee sollte ein Forschungsprojekt umsetzen, an dem namhafte Unternehmen der Lichtindustrie nebst einem Leibnitz Institut für Plasmaforschung beteiligt waren. Der Name war Programm: PLACAR - Plasma LAmpen für CirCAdiane Rhythmen. Das Projekt wurde durch das BMBF gefördert (BMBF FKZ: 13N8968).
Mir gefiel die Idee sehr gut und ich versuchte über Jahre Informationen dazu zu finden. Obwohl ich viele Beteiligte persönlich kenne, blieben die Versuche, Infos zu bekommen, fruchtlos. Die gesamte Geschichte des Projekts und meiner Recherchen habe ich unter „PLACAR – Die letzte Plasmalampe“ zusammen gefasst (hier).
Kurz und bündig gesagt – PLACAR ist nahezu spurlos verschwunden, ebenso wie die Firma, die sie bauen sollte. Diese gibt es nicht mehr. Leider gilt die Aussage nicht für das Problem: Licht zur falschen Zeit steht immer noch im Verdacht, die Krebsentstehung zu begünstigen.
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Die internationale Vereinigung der lichttechnischen Gesellschaften CIE hatte diesbezüglich im Jahre 2015 mit einem Memorandum die Parole ausgegeben: "Richtiges Licht zum richtigen Zeitpunkt" (hier). Diese hat sie im Jahre 2019 fast gleichlautend wiederholt (hier). Die letzte Ausgabe des Memorandum vom Jahre 2024 klang allerdings sehr kleinlaut (hier).
Nunmehr findet die CIE fast nur Fragen statt Antworten. So z.B.
„Die Empfehlung für den Abend, drei Stunden lang nicht mehr als 10 lx melanopisches EDI am Auge zu haben, lässt sich möglicherweise nur schwer mit den individuellen Anforderungen an die Sichtbarkeit bei der Arbeit vereinbaren, insbesondere bei Personen mit eingeschränkten Sehfähigkeiten. (zu EDI und M-EDI hier)
In Klartext: Seit 10 Jahren proklamiert das höchste Gremium der Welt für Licht und Beleuchtung das Ziel, tagsüber und nachts andere Beleuchtungsverhältnisse herzustellen, weil ansonsten die Gesundheit des arbeitenden Menschen in Gefahr wäre. Was macht sie daraus? Sie erstellt eine global geltende Beleuchtungsnorm “ISO/CIE 8995-1:2025-01 - Licht und Beleuchtung - Beleuchtung von Arbeitsstätten - Teil 1: Innenräumen”, als hätte sie noch nie etwas von "Richtiges Licht zum richtigen Zeitpunkt" gehört. Es bleibt allerdings nicht beim Alten. Denn die für die Arbeitsplätze empfohlenen Lichtwerte werden u.U. um das Doppelte erhöht. (mehr dazu hier "Nicht nur unnütz – Gefährlich obendrein"). Über den Sinn von globalen Normen zur Beleuchtung hatte ich meine Meinung hier dargestellt.
Wenn etwas gefährlich sein soll, muss man davon mehr einsetzen?
Die Sache ist allerdings noch schlimmer. Denn die besagten Wirkungen werden in ISO/CIE 8995-1 behandelt – eine halbe Seite (aus 113) im informativen Anhang. Das richtige Licht zum richtigen Zeitpunkt …, der nie kommen wird? (mehr hier)
15.07.2025
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Manche Dinge finden sich nicht zueinander, obwohl man sie fast immer im gleichen Kontext vermuten darf. Überraschenderweise gilt dies für Beleuchtung und Architektur, allerdings erst seit etwa 1925. Da half nicht einmal, dass der Staat im Dritten Reich Lichttechniker und Architekten zur Zusammenarbeit zwingen wollte. Er hatte nämlich vor, die Leistung des deutschen Arbeiters mit Hilfe der Beleuchtung zu steigern (s. hier). Dazu gründete der Staat eine Behörde, die auf den seltenen Namen “Schönheit der Arbeit” hörte. Deren Chef, der später Kriegsminister werden würde, Albert Speer, wusste als Architekt von der Bedeutung des Lichts. Er ließ sogar einen Spielfilm dazu drehen, das einfach “Licht” hieß. Mehr zu dem Thema hier)
Jahrzehnte später, Speer war schon 10 Jahre tot, saß ich zufällig mit einem Architekturprofessor und dem Geschäftsführer des DIN-Normenausschusses Bauwesen (NABau) an einem Kindergeburtstag und erzählte ihnen, dass die Normen für Lichttechnik und für das Bauwesen unkoordiniert miteinander entstünden. Beide Herren erschraken und wollten dagegen sprechen, taten es aber lieber nicht. Dem war so.
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Dass es dem so war, hatte ich beim Studium im Fachbereichs Umwelttechnik der TU Berlin gelernt. Zur Zeit seiner Gründung gehörten Lichttechnik und Akustik, die ich studierte, neben den Instituten für Architektur dazu. Uns war es damals nicht gelungen, unsere Vorlesungen und Laborübungen Architekturstudenten schmackhaft zu machen. Deswegen war ich später zu Arbeitswissenschaft und Ergonomie migriert, weil mein Doktorvater glaubte, dort bessere Forschungsbedingungen zu Wirkungen des Licht auf die Arbeit vorzufinden. Klarer Fall von Denkste!
So freute ich mich 1981 wahnsinnig über das Buch Human Factors in Lighting von Peter Boyce. Human Factors ist das amerikanische Synonym für Ergonomie. Nach langer Suche fand ich in dem Buch aber nichts zur Ergonomie. Auch die dritte Ausgabe des Buches (2014) ließ Ergonomie missen. Unter dem Akronym IEA (eigentlich International Ergonomics Association) führt Boyce International Energy Agency an.
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Insbesondere bezüglich Tageslicht glänzten alle besagten “Wissenschaften” durch Nichtwissen. So hatte das Standardwerk IESNA LIGHTING HANDBOOK (2006) der US-amerikanischen Lighting Engineering Society für Tageslicht und Human Factors gerade mal eine halbe Seite (von 1002) übrig.
Ich habe versucht, die Lücke zu füllen, angefangen bei den Begriffen (hier). Im Rahmen eines Projektes Tageslicht (Tageslicht nutzen – Bedeutung von Dachlichtöffnungen für Ergonomie, Architektur und Technik), bei dem ein hervorragender Architekt und ein Institut für Bauwesen beteiligt waren, habe ich mit meiner Frau zusammen die Ergonomie des Lichts behandelt, dessen Bericht hier zum Download steht. Die beiden anderen Teilberichte sind in dem Buch enthalten (hier )
Irgendwie verwunderlich, dass man im Jahre 2025 diese Aspekte in Erinnerung rufen muss, wo doch die fundamentale Arbeit zu Tageslicht und Arbeitswelt schon Ende der 1960er-Jahre geschrieben worden war. Damals war ich noch Zuschauer. Die Arbeit war das Werk von Ellen Collingro und Georg Roessler, der Ideengeber und Betreuer Prof. Jürgen Krochmann. Das Ergebnis steht kurz und bündig seit 1975 in der Arbeitsstättenverordnung: Arbeitsräume müssen eine Sichtverbindung nach außen haben. Die Langfassung in ihrer letzten Form (Technische Regeln für Arbeitsstätten - Beleuchtung und Sichtverbindung - ASR A3.4, Ausgabe Mai 2023) ist hier abrufbar.
04.02.2025
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Es war einmal … So fangen orientalische Märchen an. Es wird einmal … kann man zu Beginn der Reise jeder Technologie lesen. Man fängt klein an und steigert sich mit zunehmender Geschwindigkeit. Es endet in Infinity. Marketingleute hören es nicht gerne, aber die Erfolgskurve ist der Drachenschnur abgeguckt.
Nach etwa 80 Jahren V(λ)-Kurve war es so weit. Man hörte auf zu behaupten, man könne die Lichtwirkungen alle irgendwie auf die Beleuchtungsstärke zurück führen und diese mit einem Messgerät präzise bestimmen. Diesen Unsinn glaubt nur noch der Arbeitsschutz. Andere die schlauer sein wollten, haben eben die integrative Beleuchtung erfunden. Sie soll neben der Wirkung auf das Sehen auch die auf die Gesundheit berücksichtigen. Vor allem soll sie nur positive Wirkungen auf den Körper und die Psyche ausüben.
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Eine Meldung, die ich gerade auf den Tisch bekam, sagt nunmehr, dass es eine solche Beleuchtung sobald nicht geben wird. Sie besagt, dass
ISO/CIE 8995-1, Light and lighting - Lighting of work places - Part 1: Indoor
am 31, Januar 2025 erschienen ist.
ISO/CIE 8995-1 war zuletzt im Jahr 2001 aus der einstigen Norm zur Ergonomie der Beleuchtung ISO 8995-1 entstanden. Sie hatte mit der Vorgängernorm nur die Nummer gemein. Immerhin! Ergonomisch wurde sie nie. Angewendet auch nie. Die CIE hatte in ihren über 100 Jahren seit ihrer Gründung auch nie eine Beleuchtungsnorm gemacht. Warum, erkläre ich ein andermal. Aber warum man eine solche Norm überhaupt schreiben musste, wo es doch eine europäische dazu gibt (EN 12464-1), die in allen EU-Ländern gilt, werde ich nie wissen. In welchem Land sie angewendet werden soll, ist unbekannt. Die mir bekannte Zahl geht gegen Null. Das entspricht vermutlich der Wahrheit.
Wie dem auch sei, die Norm wurde vor vier Tagen veröffentlicht. Bei dem Tempo, in dem sie entstanden ist, ist ein Nachfolger in ca. einem Vierteljahrhundert zu erwarten. Daher ist wichtig zu wissen, dass die Norm zur Planung einer integrative Beleuchtung keine Vorgaben enthält. Aber viel BlaBlaBla zum Thema. Aber der Rest der Norm lässt unschwer erkennen, worum es sich dreht: Um Beleuchtungsstärken in allen Lebenslagen. Die müssen mittlerweile auch für die Helligkeit herhalten. So wird eine neue "Beleuchtungsstärke" eingeführt, mean ambient illuminance, auf Deutsch mittlere Umgebungsbeleuchtungsstärke (oder ähnlich, Übersetzung steht noch aus). Sie errechnet sich aus
Ēamb = (Ēv wall1 + Ēv wall2 + Ēv wall3 + Ēv wall4 + Ēceiling) / 5
den mittleren Vertikalbeleuchtungsstärken auf den vier Wänden eines Raum zuzüglich der in Richtung Decke, geteilt durch 5. Die Beleuchtungsstärke, die den meisten Planungen zugrunde gelegen hat, die Horizontalbeleuchtungsstärke wird ausgeklammert, weil der Fussboden meistens dunkel sei und somit wenig zur Helligkeit beitägt. Sehr interessant, weil alles was die Beleuchtung so angeht, z.B. Blendung oder eben die integrative Wirkung auf die Gesundheit, davon ausgehend bestimmt wird, dass ein Mensch bei der Arbeit etwa 40º nach unten guckt. Nach der Meinung der neuen Norm sieht er dort nur dunkel. Ebenso interessant die Frage, wo sich die Wände in einem Großraumbüro befinden.
Ich denke, die neue Norm wird eine heilsame wikrung haben. Da kaum jemand in der Lage ist, die zu lesen, werden die Bauherren hoffentlich in Fragen zur Beleuchtung einen Lichtplaner engagieren. Der wird zwar die Norm auch nicht lesen. Aber das ist gut so.
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