Von w.g. Gleichmäßigkeit
Es war einmal ein kleiner Lichttechniker … Klein war er allerdings nur im Wuchs, sein Intellekt war wohl so mächtig, dass man noch Jahrzehnte nach seinem Tod seinen Namen wissen muss. Er hatte das amerikanische System für die Blendungsbewertung in der Innenraumbeleuchtung aufgestellt. Als er hörte, dass ich mich auf eine Doktorarbeit zur Blendung vorbereite, sagte er, ich solle es lieber sein lassen. Er hätte so etwa 25 Jahre seines Lebens darauf vergeudet. Ich habe es trotzdem getan. So ganz vergeudet waren meine Jahre nicht. Ich sehe wenigstens klarer, was in unserem Metier falsch läuft. Und zwar bereits im Grundsatz.
Als der besagte Lichttechniker seine Arbeiten ausgeführt hatte, wurden Büroräume hauptsächlich mit Wannenleuchten beleuchtet. Ich meine, die besseren. Die anderen glänzten durch nackte Lampen an einer Fassung und brachten die Leute bereits damals aus derselben. Er sagte mir, dass die Vorstellungen von der Blendung, die er entwickelt hatte, würden nur dann gelten, wenn die sichtbare Leuchte eine sehr gleichmäßige Leuchtdichteverteilung aufweisen würde. Der hellste Teil dürfte niemals heller als das 5fache der dunkelsten Teile leuchten.
Dann wurde unser Metier richtig effizient. Licht wurde nicht einfach dadurch gewogen, dass eine bestimmte Wattzahl in den Raum installiert und irgendwie an die Decke, Wände und Arbeitstische verteilt wurde. Zählen tat nur noch das Licht, das in die Arbeitsebene fiel. Anstelle der gleichmäßigen Leuchtdichte alter Leuchten traten immer größer werdende Ungleichmäßigkeiten. Und das erhöht die Blendung, weil jedes sichtbare Stück heller Fläche blendet derart, dass in der Summe eine höhere Störung verursacht wird, als wenn man die gleiche Beleuchtungsstärke mit einem Objekt gleichmäßiger Leuchtdichte erzeugt. Dies war übrigens bekannt, bevor ich den kleinen Lichttechniker getroffen hatte.
Das tat lange nicht weh, weil die Leuchten immer noch machten, was sie wollten. Sie schickten ihr Licht irgendwohin, natürlich nur in dem Raum, in dem sie installiert waren. (Leuchten, die andere Räume beleuchten als ihren eigenen wurden später erfunden) Doch dann kamen die, die die Optiken haben schön berechnen können. Am Ende kam noch die BAP-Leuchte, die möglichst nur nach unten leuchten sollte, weil man sonst ihre Reflexe auf den Bildschirmen sehen würde. Damit war die Ausrichtung des Lichts (fast) perfekt beherrscht. Was dagegen?
Eigentlich nicht. Wenn man das erreicht, was man will, nennt man das Effizienz. Dumm nur, dass das, was man erreichen wollte, nicht das war, was man erreichen sollte. Zumindest für das Büro ist die Menge des Lichts in der Arbeitsebene ziemlich schnuppe. Das haben übrigens nicht Ahnungslose erklärt, sondern die Leute, die seinerzeit für die Normung von Beleuchtung in Arbeitsstätten maßgeblich waren.
Diese wussten ziemlich genau, was sie taten. Sie wussten z.B. auch, dass man Wände und Decken anstrahlen müsste, wenn man diese Leuchten mit direktem Licht in die Decke einbaut. Ansonsten blenden sie einmal direkt und nochmal indirekt über Reflexe. Nennt sich Reflexblendung. Was die einsame eingebaute Leuchte an der Decke produziert, nennt man Relativblendung.
Die Sache mit dem Anstrahlen unterblieb fast immer. Wer soll dem Kunden erklären, was der Unsinn sein soll? (In der neuesten Version der gültigen Beleuchtungsnorm, DIN EN 12464-1, steht so etwas geschrieben. Zum ersten Mal deutlich in einer Norm.) Nun waren die Erzeuger des visuellen Komforts, die schönen Leuchten, hauptsächlich als Störer unterwegs. Beleuchten taten sie auch, so die Mitarbeiter sie ließen. Sie wurden aber vornehmlich ausgeschaltet und erst ein-, wenn es wirklich nicht mehr ging. Auch heute - gesehen Vorgestern - gibt es Leute, die die Lampen über ihrem Arbeitsplatz ausbauen lassen, weil sie den Unsinn nicht ertragen können.
Seit einigen Jahren gibt es eine noch trübere Entwicklung: Akustikpaneele. Da die Menschen von heute nicht mehr ruhig ihre Akten kauen, sondern zwischen 30% bis 80% ihrer Zeit telefonieren oder Gespräche führen, werden sie durch Stellwände oder sonstige Paneele in meist grauer Farbe voneinander getrennt. Es entstehen Licht- und Luftfallen bis zu einer Höhe von 2,10 m. Da das Licht nicht um die Ecke gehen kann, dienen die Leuchten über der Nachbarschaft nur noch der Blendung, weil ihr Licht nicht mehr den Arbeitsplatz aufhellen kann.
Auch das Tageslicht findet nicht mehr freien Eingang je nach Fenstergröße. Man bekommt Licht nur noch von den Leuchten über dem eigenen Kopf. Und das, hatte mir der kleine Lichttechniker erklärt, darf nie sein, weil man Reflexblendung vermeiden muss. Auch ganz große Lichttechniker erzählen das.
Nun wollen neue Lichttechniker die Methode des ehemaligen Kollegen auf LED-Lampen anwenden, die noch viel ungleichmäßiger leuchten als frühere Leuchtmittel hätten je geschafft. Da die Industrie Interesse daran hat, die "moderne" Technik gesund zu beten, wird wieder mal die Helligkeit gemittelt. Dummerweise liegen die Spitzenleuchtdichten bei LEDs derart jenseits von Gut und Böse, dass sie so oder so blenden. Nur wird die angewendete Methode keine Blendung feststellen.
Die Sache hat Methode. Vor Jahrzehnten versuchte ein Computerhersteller das Flimmern seiner Geräte dadurch "erträglich " zu machen, indem er eine Truppe "flicker-looker" beschäftigte, die den Geräten bei 60 Hz Flimmerfreiheit bescheinigten, während sie auch bei 70 Hz flimmerten. Coca Cola beschäftigt Wissenschaftler, die nachweisen, dass die Jugend nicht durch den Zucker in deren Limonade fett wird, sondern durch eigene Schuld. Die bewegt sich zu wenig. Aber auch unsere alt-ehrwürdige Blendungsbewertung nach Söllner, die vor einiger Zeit in Rente geschickt wurde, diente lediglich dazu, Leuchten als blendfrei zu klassifizieren. Geblendet haben sie trotzdem. Denn Söllner hat nie Blendung durch Leute bewerten lassen, die unter den Leuchten saßen. Seine Kurven wurden mit Hilfe eines Modellversuchs ermittelt, bei dem Leute in einen Guckkasten schauten. Und seine Leuchten in dem Versuch leuchteten wie die des kleinen Lichttechnikers - äußerst gleichmäßig.
Die Zeiten … die sind anders. Statt des angestrebten Sehkomforts ernten wir immer mehr visuelle Störungen - umso stärker, je stärker die realen Leuchten von denen abweichen, die anno tobak für die Versuche zur Blendungsbewertung benutzt wurden. Und LED-Lampen sind jenseits von Gut und Böse. Wer es wissen will, möge Räume bemustern mit gleicher Beleuchtungsstärke aber mit unterschiedlichen Leuchten: (a) LED-Lampen in Rasterleuchten, tiefstrahlend, und (b) groß LED-Paneele gleichmäßig leuchtend. Das ist klüger als Methoden zu glauben, die ein Dreiviertel Jahrhundert alt sind - und ebenso alt aussehen.