Gibt es Tageslicht in Gebäuden?

2014

Was bleibt vom „Stoff des Lebens“, wenn es durch das Fenster geht?

Was erzählt man Leuten, die mit Stoffen umgehen, mit Stoffen, aus denen man Möbel macht, oder Kleider, mit Stoffen, mit denen man seine Räume wohnlich macht? Als ich ein Kind war, ging meine Mutter mit mir einkaufen. Häufig kaufte sie Stoffe, Knöpfe oder Nähseide ein, aus denen später Anzüge, Röcke oder Blusen wurden. Sie kaufte zunächst den Stoff ein, danach erst die "Zutaten". Diese legte sie im Laden auf den Stoff und beobachtete alle zusammen. Dann ging sie damit vor die Tür. Sie stellte sich mal in die Sonne mal in den Schatten. Warum sie so handelte, lernte ich nach vielen Jahren Studium. Es handelt sich um eine Geschichte der Lichtqualität.

Seit dem Ende der 1960er Jahre, einer Ära, in der man sich auf einen endgültigen Abschied vom Tageslicht in der Architektur geeinigt zu haben schien, vollzieht sich eine phänomenale Kehrtwende. Experten des Lichts erkennen, was der Laie schon immer wusste: Das Sonnenlicht ist der Stoff, aus dem Leben gemacht wird. So weit, so gut!

Die Techniker des künstlichen Lichts haben sich viele Jahrzehnte bemüht, das Tageslicht zu simulieren. Tageslichtersatz wurde aber nie mehr als nur Ersatz. Kein Wunder, man wusste ja nicht, was man da simulieren wollte. Genau genommen wissen wir auch heute nicht, welche Eigenschaften des Tageslichts es zum „Stoff des Lebens“ machen. Was macht die Qualität des Tageslichts aus?

Während man auf eine allgemeine Antwort auf diese Frage vermutlich noch lange warten wird, gibt es Antworten bezüglich spezifischer Qualitätsmerkmale des Lichts, die jeden interessieren, der mit Textilien umgeht, sei es als Macher, sei es als Verbraucher. Sie hängen eng zusammen mit Farbe, Farbwiedergabe, Farbkonstanz u.ä.; kurz gesagt mit dem Spektrum des Lichts.

Anders die Sichtweise der Lichttechnik, die sich vornehmlich mit Helligkeiten beschäftigt. Ihre Grundgrößen (z.B. Beleuchtungsstärke und Lichtstrom) sind vom Spektrum des Lichts „befreit“. In der Beleuchtungstechnik wird sogar häufig die Einfallsrichtung des Lichts ignoriert. „Lux“, die Einheit der Beleuchtungsstärke, enthält keine Auskunft über die Einfallsrichtung des Lichts. Sogar etwas weiter geht die Energieeffizienz, bei der nur die Menge der Energie eine Rolle spielt, die in dem Licht enthalten ist. Wo sie her kommt und wie sie beschaffen ist, spielt kaum eine Rolle.

Bereits bei der Definition des Begriffs „Licht“ sind zwei lebenswichtige Teile des Tageslichts außer Acht gelassen worden: Ultraviolett und Infrarot. Durch das Bemühen um Energieeffizienz der Gebäude wird auch der sichtbare Teil des Spektrums durch die modernen Fenstergläser beschnitten und zuweilen zusätzlich insgesamt um die Hälfte oder mehr herabgesetzt. Während ein einscheibiges Fensterglas ca. 90 % des einfallenden Lichts farbneutral durchlässt, weisen manche modernen Fassaden nur noch 30% Transmissionsgrad auf und verfälschen zudem das sichtbare Spektrum.

Das Tageslicht im Innenraum ist nicht nur in seiner Intensität um ca. 2 Zehnerpotenzen gegenüber dem im Freien geschwächt, sondern wichtigen Bestandteilen beraubt und häufig spektral verfälscht. Während der Intensitätsverlust nach unserer Lebenserfahrung noch erträglich scheint, weil wir uns auch mal draußen aufhalten, fallen die Veränderungen des Spektrums durch Verfälschen von Farben stärker ins Gewicht. Keine gut klingenden Erkenntnisse für eine Branche, die wie kaum eine andere von Farbe lebt.

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