Lichtqualität tut not - Was uns die Vergangenheit lehrt
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Soeben fand ich auf Google Scholar ein monumentales Dokument zu Lichtqualität. Es wurde immerhin in 276 wissenschaftlichen Artikeln zitiert. Und die Autorin kämpft heute sogar um noch mehr Ehren. Sie ist in den USA und in Kanada ziemlich hoch dekoriert. Der Artikel heißt "Determinants of lighting quality II : research and recommendations", und die Autoren Veitch, J.A. und Newsham, G.R. Er stellt das Wissen über die Lichtqualität gegen Ende des Millenniums dar (Jahrgang 1996).

Mir fiel zunächst auf, dass unter den 170 Artikeln kein einziger deutscher war. Kann es sein, dass wir in ca 50 Jahren Gemeinschaftstagung "deutsprachiger" Länder (Deutschland, Österreich, Schweiz, Niederlande) nichts zur Lichtqualität haben verlauten lassen, das zitierfähig wäre? Kann sein. Dafür hat die Autorin 11 Papiere aufgelistet, auf denen sie als erste Autorin steht. Bei weiteren 5 ist sie Mitautorin. 28 Artikel stammen aus Lighting Research and Technology. Dessen Chefredakteur Peter Boyce wird 29 Mal zitiert, die Autorin selbst steht - naturgemäß erst einmal als Autorin - und weitere 49 Mal in dem Werk. Ach, ja, Rea steht auch 30 Mal in dem Papier. Also wird die Lichtqualität wohl wesentlich durch die genannten bestimmt. Oder?

Zunächst eine gerade in diesen Tagen diskutierte Erkenntnis: Biologische Wirkungen erfordern hohe Beleuchtungsstärken. Wenn man von einer minimalen Dosis für gesundes Licht ausgeht, wäre das Tageslicht der effizienteste Lieferant. Außer in Winter an manchen Orten. Exakt 25 Jahre nach diesem Bericht verlangten führende Chronobiologen just eine Minimaldosis am Tage (hier). 1:0 für die Autorin.

Eine dem deutschen Leser etwas komisch vorkommende Feststellung: Feldstudien unter Büromitarbeitern besagen, das Menschen ein Fenster haben wollen. (Dazu 1 Literaturstelle) In Deutschland hat seit 1975 jeder Arbeitnehmer laut Arbeitsstättenverordnung ein Recht auf eine Sichtverbindung über eine klar verglaste vertikale Fensteröffnung. Wurde in den 1960ern von meinem Kollegen Georg Roessler ermittelt. Und von unserem Chef Prof. Krochmann an den Mann gebracht, sprich in die Politik. Damals sprach sich die gesamte Lichtforschung dagegen aus. 1:1 - die nicht berücksichtigte deutsche Literatur war wohl früher und gründlicher. Unsere Arbeit "Licht und Gesundheit" mit 4.500 untersuchten Arbeitsplätzen hatte sogar 1990 den Grund dafür nachgewiesen: Je weiter ein Arbeitsplatz vom nächsten Fenster entfernt ist, desto häufiger gibt es gesundheitliche Beschwerden. An der Sprache kann es nicht gelegen haben, denn die Studie gibt es seit 1991 auch in Englisch.

Diese Erkenntnis wird einem bekannt vorkommen: Der Zugang zu einem Fenster scheint wichtiger zu sein als Information über die Zeit als die Versorgung mit einer Beleuchtungsstärke. Dazu gibt es viele Gerichtsurteile in Deutschland zu dem Thema Sichtverbindung. 1:2 Wir brauchen keine neue Literatur. Die Sache war 1975 erledigt.

Das hier kommt nicht nur Lichttechnikern bekannt vor: Die erforderliche Fenstergröße hängt von einem akzeptablen Minimalwert für die Tagesbeleuchtung ab sowie von der Größe und Form des Raums.  (2 Literaturstellen). In jeder deutschen Landesbauordnung steht nicht nur diese Erkenntnis, sondern auch die Werte dazu, die der Architekt berücksichtigen muss. Ich denke, damit haben die deutschen Behörden vor dem Krieg schon angefangen. Nicht vor dem II. Weltkrieg, sondern etwa 1910. Kein Wunder, dass die Expertin keine deutsche Literatur dazu gefunden hat. 1:3 Wenn man was wissen will, können wir die Erkenntnisse aus dem Museum holen.

Zu Lichtqualität lautet das Ergebnis wie folgt: Bislang (also bis 1996) konnten wir nur herausfinden, dass bestenfalls allgemeine Aussagen zu Lichtqualität möglich sind. 2018 schrieb sie in ihrem Bio, dass sie dafür sorgen werde, dass die CIE die Lichtqualität in ihrem Wörterbuch definiert. Sie, die CIE, hat im Januar 2021 (hier und da). Ein Jahrhundert und paar Zerquetschte nach ihrer Gründung. Wie sieht es bei uns aus? Es gibt eine umfangreiche LiTG Broschüre dazu (hier). DIe ist älter als die CIE-Definition. Zudem besteht die CIE-Definition aus einer bloßen Kopie des Qualitätsbegriffs aus der Qualitätswissenschaft und ISO 9000. Das Wichtigste ist aber dies: DIN 5035 hat den Qualitätsbegriff in die Lichtdomäne schon 1935 eingeführt (hier). Sie hießen allerdings Gütemerkmale. Und die Qualitätsziele hießen: Schönheit, Gesundheit bei akzeptabler Wirtschaftlichkeit. Ich würde sagen, 1:4 mindestens.

Dies hier würde die Expertin nie mehr schreiben: Es wird allgemein geglaubt, dass das Lichtspektrum für die Leistung, Wohlbefinden und Gesundheit wichtig sei. Die Literatur unterstützt den Glauben nicht. Sie hatte einige Jahre davor eine Studie geschrieben, dass die positive Wirkung von Vollspektrum mehr oder weniger Einbildung sei. Jetzt sitzt sie in einem Expertengremium, das die Abhängigkeit der melanopischen Beleuchtungsstärke vom Spektrum genormt hat (hier). Dann lag halt die gesamte LIteratur halt daneben. Reicht 1:5?

Dies würde ihr heute gewaltig um die Ohren gehauen werden: Bestimmte wichtig scheinende Aspekte werden in der Praxis kaum erwähnt. So gibt es eine einzige Quelle (NUTEK, 1994), die elektronische Vorschaltgeräte empfiehlt, um die Störungen durch Flimmern zu beseitigen. Dabei hat sie in diesem Bericht den Autor Wilkins, der den Effekt eindrucksvoll nachgewiesen hat, sieben Mal zitiert. Dummerweise nicht die relevante Publikation. Wilkins hatte in einem Hochhaus festgestellt, dass in höheren Etagen (= größerer Tageslichtanteil) Menschen weniger Kopfschmerzen erlebten als in unteren. Die Differenz verschwand, als die Vorschaltgeräte durch elektronische ersetzt wurden. 1:6

Die folgende Aussage würde in einem üblichen Büro vom Fluchen bis Flaschenwürfen diverse Reaktionen hervorrufen. Allerdings keine positiven: Individuelle Regelung der Beleuchtung wurde als eine generelle Verbesserung empfohlen. Die wissenschaftliche Literatur zeigt, dass eine persönliche Kontrolle nicht immer vorteilhaft ist. Man besuche nur Arbeitsräume, deren Beleuchtung vom Computer gesteuert wird und erzähle, dass fände man toll. Falls man da heil rauskommt, kann man sich weiteren Abenteuern widmen. Als Experte ist man aber verbrannt. 1:7

Last not least: Die Lichtqualität wurde unter Beleuchtungsexpeerten seit mehr als zwei Jahrzehnten oder mehr diskutiert, allerdings ohne Erfolg. Nur wenn die Empfehlungen für eine gute Beleuchtungspraxis nicht nur auf Energiesparen beruhen, sondern eine gute Qualität i.S. menschlicher Bedürfnisse bedeuten, kann man von einem Erfolg sprechen. (Amen). Das war 1996. Im Jahre 2021 veröffentlichte die CIE den folgenden Begriff: 17-29-029: degree of excellence to which the totality of lighting characteristics fulfils user needs and expectations or other applicable requirements. 2:7

Der Laie mag fragen, was denn andere anzuwendende Anforderungen seien. Kaufen Sie einfach die Norm DIN EN 12464-1, wenn der Preis feststeht (dürfte so um 140 € werden). Dort werden Sie in über 50 Tabellen Tausende Anforderungen finden bis zur Gleichmäßigkeit der Beleuchtungsstärke an den Decken von Ankunftshallen (hier). Danach kommen Ihre Bedürfnisse. Pardon, danach kommen erst einmal die Überlegungen zu melanopischen Beleuchtung. Aber dann kommen wirklich Ihre Bedürfnisse.

One Comment

  1. Antworten

    […] der "Lichtqualität" zurücknehmen, die man allerdings vergessen hatte zu definieren. (hier oder da) So etwa 90 Jahre lang. Und dem waagrecht fliegenden Licht – aka Vertikalbeleuchtungsstärke – […]

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