Arbeitsstättenverordnung vs. Architekt 1:0

Für normale, glückliche Menschen im Alltag sagt das folgende Bild nichts Besonderes. Es zeigt halt ein modernes Bürohaus. Für die Insassen schon. Denn bevor das Gebäude entstand, durften wir die Pläne ansehen, weil der Betriebsrat der Menschen, die darin arbeiten sollten, sich keinen Reim auf die Fassadengestaltung machen konnte. Die sollte nämlich mit relativ kleinen künstlerisch wertvollen schwarzen Streifen überzogen werden, und zwar so, dass die Fassade aus der Ferne dunkel wirkt aber vom Innenraum noch etwa die Hälfte des Lichts durchlässt. Es waren so eine Art Kuhstreifen, aber künstlerisch wertvoll. Arbeitende Menschen haben aber ein Recht auf eine Sichtverbindung nach außen. Jedenfalls in Deutschland …

Die Besprechung fand glücklicherweise in einem Raum statt, dessen Fenster mit den besagten Kuhstreifen ausgestattet waren. Der machte gefühlt den Eindruck, als säße man in einem großen Zebra und gucke sich die Umgebung durch die weißen Stellen an. So etwas kann man eigentlich nicht beanstanden, weil das Gesetz eine Sichtverbindung  vorschreibt, aber nicht sagt, wie die beschaffen sein muss; "(1) Der Arbeitgeber darf als Arbeitsräume nur solche Räume betreiben, die möglichst ausreichend Tageslicht erhalten und die eine Sichtverbindung nach außen haben."

Wie die Beschaffenheit festgelegt werden soll, sollte in der ASR A3.4 stehen. Intelligenterweise haben die deutschen Arbeitgeberverbände dieses Papier bis zur Veröffentlichungsreife mitgetragen. Danach sagten sie "Ätschi, bätschi!", womit sie den Nachweis erbrachten, dass sie genauso intelligent argumentieren können wie eine ehemalige Ministerin. Deren Vertreter waren wortlos. Also blieb die Frage offen, ob einer, der mal links, mal rechts vom einem Kuhfleck nach außen gucken muss, volle Sichtverbindung hat.

So unerheblich ist die Frage nicht, denn kein Arbeitnehmer hat das Recht, etwa vor einem Panoramafenster zu liegen und die Landschaft zu genießen. Also darf die Aussicht eingeschränkt werden. Aber wie? Zum Glück blieb bei diesem Projekt die Beantwortung der Frage allen erspart. Denn während der besagten Besprechung schien plötzlich die Sonne und warf künstlerisch wertvolle Schatten auf die Tische und die Gesichter der Teilnehmer. Kolleginnen mit Kuhflecken auf dem Gesicht? Offenbar hat diese Erfahrung ausgereicht, um die wertvolle Idee des Architekten wegzuwischen.

Wenn man den Fotos nach beurteilen darf, die hier veröffentlicht wurden, hat der Architekt aber tolle Arbeit geleistet. Wer mir nicht glauben will, kann woanders anderes lesen, was vielleicht besser passt (hier)

Einen ähnlich tollen Vorschlag zur künstlerischen Gestaltung von zwei benachbarten Gebäuden eines Unternehmens hatte ein Architekt unterbreitet, der als Künstler unterwegs war. Das Unternehmen griff zu, wollte aber ein Plazet vom Arbeitsschutz bekommen: Darf man Fenster großflächig mit einer roten Folie bekleben? Nicht alle. Warum nicht? Wer eine Sichtverbindung braucht, kann doch ins Nachbarzimmer gehen. Die bestechende Idee bestand darin, dass man eine fiktive Spirale aus einem roten transparenten Stoff über die beiden Gebäude klebt, so dass Passanten vom Süden aus eine harmonische Zusammenkunft beider Gebäude sehen. Und vom Norden aus? Keine Spirale, aber das macht nichts. Die Leute sollen nur vom Süden aus gucken. Was wir davon hielten?

Die Sache sollte etwa zwei Millionen Euro kosten, weil man auch bewegliche Jalousien, Fenster oder Beton bekleben wollte. Der Stoff musste überall blasenfrei aufgebracht werden. Und im Sommer auch blasenfrei bleiben. So etwas kostet! Der Künstler musste sich einen anderen Mäzen für den Geniestreich suchen. Kunst am Bau ist zuweilen schwer aufzutragen. Diesmal half aber die Vorschrift. Die Leiterin der CI-Abteilung war traurig und fragte uns: "Haben Sie schonmal Kunst begutachtet?" Wäre das Kunst, hätte ich eine Antwort gegeben.

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