Kurzsichtige Kinder wegen Sonnenmangel und iPhone
12.06.2025
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Als healthylight.de das Licht der Welt erblickte, wollte ich die Wirkungen von Licht auf den Menschen kommentieren. Dass Licht allein keine Probleme schafft, sondern häufig in Tateinheit mit einer technischen Errungenschaft, dem Smartphone, hätte ich nicht unbedingt thematisieren wollen. Ein Artikel einer internationalen Gruppe Forschender tut genau das. Der Titel "Myopia and Daylight: A Combination of Factors" (Kurzsichtigkeit und Tageslicht - Eine kombinierte Wirkung von Faktoren). Der Artikel erscheint demnächst in Frontiers in Medicine – Ophthalmology, geschrieben von 9 hochkarätigen AutorInnen aus 6 Ländern.
Im Abstract des Artikels liest sich das Ergebnis wie eine Horrormeldung: In urbanen Teilen von Süd- und Ostasien sind Heranwachsende derzeit zu 80% bis 90% kurzsichtig. Man spricht von einer Epidemie. Diese ist die die Corona-Jahre sogar beschleunigt worden. Der Effekt sei weltweit zu beobachten. Ursache: Ständige Beschäftigung mit dem Smartphone bei sehr kurzen Sehentfernungen + geringe Lichtmengen, weil die Kinder und Jugendlichen das Tageslicht meiden. (Hier kann man sich melden, um von der Veröffentlichung des Artikels zu erfahren.) Bis dahin kann man sich in der Berliner U-Bahn umsehen, wie viele Menschen etwa so gucken wie auf dem Foto. Es ist aus Sapporo, könnte aber auch aus Berlin sein.
Die Entstehung der Kurzsichtigkeit geht über eine "Pseudokurzsichtigkeit", die man immer erfährt, wenn man längere Zeit in dier Nähe schaut. Das gibt sich nach einer Weile, wenn man in die Ferne schaut. Wer aber in jungen Jahren ständig Nahseharbeit leistet, bei dem kann das Auge auf Dauer kurzsichtig werden.
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Bei mir hat die Kurzsichtigkeit junger Menschen als Thema eine sehr lange Historie. Als ich 1971 einen Laborversuch mit 200 Probanden veranstaltete, war 50% von ihnen kurzsichtig. Und zwar dauerhaft. Diese Probanden waren allesamt Studenten und unter 25 Jahre alt. Zu diesem Zeitraum betrug der Anteil Fehlsichtige in der gesamten deutschen Bevölkerung weit unter 50%. In meiner Studie mit 273 Profifußballern der ersten Bundesliga zur gleichen Zeit fand sich ein einziger Mann mit einer Fehlsichtigkeit. Er trug Kontaktlinsen. Diese Probanden waren etwa gleich alt wie die Studenten. Irgendwas muss da falsch gewesen sein, wenn deutsche Menschen einer Altersstufe einmal mehr Kurzsichitge aufweisen als die Gesamtbevöklerung Fehlsichtige überhaupt. Und ein andermal nur einen einzigen aus der Gruppe.
Im Jahr 1975 fing ich an, ähnliche Daten bei Büromenschen zu sammeln. Siehe da, es gab im Büro kaum Kurzsichtige, aber zu mehr als 50% Weitsichtige. Dabei habe ich festgestellt, dass etwa 30% der Büromenschen entweder die falsche Brille hatte oder gar keine, obwohl sie/er eine gebraucht hätte. Deswegen schlug ich vor, alle Beteiligten durch einen Sehtest durchzuschleusen. Meine eigenen mittlerweile etwa 2.000 Probanden mussten aus untersuchungstaktischen Gründen da durch. Die Ergebnisse überzeugten die Berufsgenossenschaften, und sie entwickelten den ersten medizinischen Test für Bildschirmarbeiter (G 37). Die Idee übernahm die EU-Bildschirmrichtlinie 90/270/EWG, und sie kam mit der Bildschirmarbeitsverordnung (BildscharbV) 1996 nach Deutschland zurück. Am Ende wurde daraus AMR 14.3 „Tätigkeiten an Bildschirmgeräten“, eine vorgeschriebene Angebotsvorsorge, die der Arbeitgeber anbieten muss.
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Die Hersteller von Computern, die gleichzeitig Hersteller von Bildschirmgeräten waren, haben sich vehement gegen solche Konzepte gewehrt. Nach deren Meinung könne es keine physiologischen Wirkungen geben, die von Bildschirmen ausgehen. Während die Normung der Arbeitsplätze die Sehentfernung möglichst groß machen wollte, sich aber aus praktischen Gründen aus 450 mm bis 600 mm einigte, wollten die Hersteller bei der üblichen "Leseentfernung" bleben, für die die Augenärzte Augenkorrekturen 330 mm vorsahen. Da konnte man die Bildschirme voller packen. Damals war die Größe der Bildschirme nämlich beschränkt. Und man konnte an einen Computer nur den Bildschirm anschließen, den der Hersteller vorgesehen hatte.
Sehphysiologen ermittelten zwar, dass die ideale Sehentfernung etwa 2 m sein müsste, damit man einen Bildschirm mit entspanntem Auge betrachten konnte. Dies war aus verschiedenen Gründen nicht sinnvoll. Und die Schrift sollte 20 Bogenminuten groß sein. Die Hersteller setzten sich in der Normung durch und so wurde mit ISO 9241-3 von 1992 eine kurze Sehentfernung von 330 zugelassen. Rund 20 Jahre später kam es schlimmer, ISO 9241-303, der Nachfolger von ISO 9241-3, empfahl sogar dies: "Anwendungen für ausgewählte Benutzergruppen wie Jugendliche sollten mit einer Schrifthöhe von 11 Bogenminuten für eine Sehentfernung von 250 mm versehen werden, damit man größere Mengen an Informationen auf handgehaltenen Geräten sichtbar machen kann."
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Das war nicht der einzige Grund für die Misere, die in dem kommenden Artikel beschrieben wird. Die Hersteller von Mobilgeräten ignorieren auch noch eine andere Erkenntnis, die vor fast 50 Jahren in die Normung eingeflossen war: Bildschirme müssen entspiegelt sein. Aber Tablets und Handys mit matten Displays sehen nicht so schick aus. Das ist mit ein Grund dafür, dass die Benutzer das Helle meiden.
Der überaus wichtigere Grund besteht aber darin, dass die Bedeutung der künstlichen Beleuchtung für funktionelles Sehen gesunken ist. Man braucht zum Lesen von Büchern oder Betrachten von Bildern kein Licht mehr. Das Licht stört bestenfalls. Hierzu habe ich eine längere Abhandlung geschrieben (s. "Selbst verdienter Niedergang der elektrischen Sonne" in Çakir, Ahmet E.. Genesis 2.0 - Schöpfung der elektrischen Sonne ). Dort wird beschrieben, warum der Triumpfzug der elektronischen Displays, die heute zwischen Millimetern bis zu einem Kilometer groß sein können, die Beleuchtung aus funktionellen Gründen ganz oder teilweise überflüssig gemacht hat. Durch diesen Vorgang entfällt auch das Umgebungslicht.
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Die Technik hat sich mächtig verändert. Die Sehentfernungen von heute bestimmt kein Hersteller, sondern der einzelne Mensch. Was der tut, wenn seine Sehbedingungen nicht stimmen, hatte ich 1976 mit einem schönen Foto dokumentiert. Dieses wurde in vielen Versionen interpretiert. Die am weitesten gehende Interpretation symbolisiert den Werdegang des Menschen vom Affen bis heute. Für den Werdegang vom homo diurnus zum Maulwurf brauche ich noch eine Abbildung.
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