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Es isch over
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Heute sprach der Berliner Tagesspiegel von schmutzigen Lichtern der Großstadt und meinte Berlin. Zwar hat die Geschichte der Straßenbeleuchtung nicht hier angefangen. Kaum eine Stadt der Welt hat den Titel "City of Lights" aber besser verdient als Berlin. So beschreibt der Artikel denn auch, wie sich die öffentliche Beleuchtung von Berlin entwickelt hat. Im Anfang stand die Verordnung des Großen Kurfürsten von 1679 jedes dritte Haus mit einer Laterne zu versehen, egal womit. Die Armen konnten mit ranzigem Fett beleuchten, die Reichen mit Wachskerzen. Davon soll die Lindenoper bei einer Veranstaltung 3000 Pfund verbraucht haben. Innen wie außen. Es isch over, würde heute Wolfgang S. sagen, wäre er noch an der Macht. Von Festival of Lights zu "schmutzigen Lichtern der Großstadt"!
Vorgestern sprach der deutsche Wirtschaftsminister an das Volk, es möge kürzer duschen. Bis auf die FDP, die bekanntlich die Freiheit liebt, hört man nirgendwo eine Widerrede. Deren Haudegen Kubicki soll gesagt haben, er gucke unter der Dusche nicht auf die Uhr. Ich denke aber, das war so ein Reflex. Was das Volk derzeit von solchen Figuren hält, hat dessen Reaktion auf die Glamour-Hochzeit des Spitzenpolitikers dieser Partei gezeigt. Sämtliche deutsche Politiker wurden abgestraft. Nur die ewige Sozialistin Sahra W. wurde aufgewertet, auch wenn es zur Beliebheit der Mutti von einst nicht reichte. (Quelle: ZDF-Politbarometer)
Was das Volk dem Finanzminister als Wertschätzung entgegen gebracht hat, könnte bald alle treffen, die in Krisenzeiten weiter machen wie schon immer. So diskutiert der Tagesspiegel schon, ob man in Berlin nicht um Mitternacht die Straßenbeleuchtung abschaltet wie in Posemuckel bereits geschehen. Was gestern noch wie eine Stadt aussah, die nie schläft, könnte morgen schon früh ins Bett beordert werden wie in der Jugendherberge. (hier zum Artikel vom Tagesspiegel)
Wie wahrscheinlich ist das, wenn nicht nur die normgerechte Beleuchtung etwa verdoppelt werden soll, wie die jüngst in Kraft getretene Beleuchtungsnorm so elegant mit Kontextmodifikatoren eingeführt hat. Was das ist? Also: Der Kasten, in dem menschliche Aktivitäten stattfinden, heißt nicht mehr Bürohaus oder Fabrik, sondern Nutzungskontext. Wie dieser Kontext im Normalfall beleuchtet werden soll, wird schon immer in Normen haargenau festgelegt. Zwar weiß keiner, was der Normalfall ist. Aber man soll so tolle Konzepte nicht mit Detailfragen madig machen. Es gibt also einen Normalkontext. Was immer das auch sein mag.
Damit dieser Normalkontext immer eine Mindestbeleuchtungsstärke hat, wurde 2003 der Wartungswert eingeführt. Der darf nie unterschritten werden. Es ist eine Art Grundrecht. Neuerdings muss der Wartungswert erhöht werden, wenn bestimmte Kontextmodifikatoren vorliegen. Die liegen vor z.B. wenn „die Sehaufgabe kritisch für den Arbeitsablauf ist“. So gesehen also immer. Noch ein Kontextmodifikator ist eine erhöhte Konzentration: „Genauigkeit, höhere Produktivität oder erhöhte Konzentration sind von großer Bedeutung“. Also auch immer. Oder „die Sehfähigkeit des Arbeitnehmers liegt unter dem üblichen Sehvermögen“. Dann weiß der Chef, wen er zuerst entlässt. Den Leuten, die lange an einer Aufgabe sitzen, muss auch geholfen werden: „die Aufgabe wird ungewöhnlich lange ausgeführt“ gehört auch zu den 7 Kontextmodifikatoren. Wenn einer also ungewöhnlich lange an einer Aufgabe frimelt, wird er mit einem erhöhten Wartungswert belohnt. Das ist also ein erhöhtes Grundrecht.
Wenn es im nächsten WInter darum geht, ob man lieber etwas frieren, dafür aber mehr essen will oder umgekehrt, werden viele gewohnte Vorstellungen unter die Lupe genommen werden. Man wird sehen, welche Ressourcen weiterhin verbraucht werden dürfen, weil gut begründet. Und welche Dinge entbehrlich sind. Wenn die deutsche Hauptstadt gezwungen werden soll, Windmühlen dort aufzustellen, wo einst der Kaiser zum Spaß und seine Kavallerie für den Ernstfall ritten, im Grunewald, damit mehr Ökostrom produziert wird, werden manche Augen genau hinsehen, ob es denn nötig ist CAD-Arbeitsplätze mit 1000 lx statt mit 500 lx zu beleuchten. Vor 2003 war es 200 lx. Wobei man nicht vergessen darf, dass die dort Arbeitenden zum Arbeiten gar kein Lux brauchen. Wozu denn sonst?
Diese Frage hat der langjährige Chefredakteur von der wichtigsten Publikation der Lichtforschung, Lighting Research and Technology, Peter Boyce überdeutlich beantwortet. Sein Artikel von 1993 trägt den Titel "Von der Festlegung von Beleuchtungsstärken nach der Sehleistung - Und andere Märchen". Wer das Märchen dennoch hat drei weitere Jahrzehnte länger erzählen wollen, muss jetzt anderen erklären, wie denn 50 Tabellen mit Tausenden Anforderungen bis hin zur Gleichmäßigkeit der Beleuchtungsstärke an den Decken von Ankunftshallen von Flughäfen entstanden sind. Boyce hatte für die Zeit vor 1993 recherchiert und eine eindeutige Antwort gefunden: Die festgelegten Beleuchtungsstärkewerte folgen der allgemeinen Wirtschaftslage. (hier) Unser Institut hat noch tiefer recherchiert und herausgefunden, wie die überhaupt entstanden sind (hier). Mit der Sehleistung haben sie jedenfalls nichts zu tun.
Mal sehen, wie man das Ganze im kommenden Winter sieht.
Vom Festival of Lights zum schmutzigen Licht in nur 5 Monaten Krieg. Eine atemberaubende Entwicklung, wenn man bedenkt, dass der Tagesspiegel sonst die Lichter der Großstadt lobt. Sie sagen, die Techniker hätten jetzt Probleme, ihre Angaben zu begründen. Wie kommt das eigentlich? Ich dachte schon immer, wenn man Schwierigkeiten beim Sehen hat, muss man mehr Licht machen. Ist das etwa falsch?
Falsch ist es nicht. Wenn man anfängt, die Augen zuzukneifen, um den Faden durch die Öse zu ziehen, hilft mehr Licht. Bei vielen Arbeiten braucht man mehr Licht, als man mit üblichen Mitteln erzeugen kann. Dafür gibt es Maschinenleuchten, Lupenbeleuchtung u.ä. Die Hälfte der arbeitenden Menschen in Deutschland ist im Büro beschäftigt. Der größte Teil von Ihnen arbeitet an einem Bildschirm. Für solche Arbeiten ist externe Beleuchtung meistens eine Störung. D.h., man müsste sie ganz abschalten. Dann sieht man aber nur noch den Bildschirm. Deswegen muss es eine Beleuchtung geben. Wie viel Lux man dafür braucht, kann man abends ausprobieren. Es sind nur wenige Lux.
Wenn man in solch einer Umgebung arbeiten muss, fühlt man sich selten wohl. Man weiß mittlerweile etwa warum. Der Mensch braucht eine helle Umgebung, um gesund zu bleiben. Die Frage ist, wie hell ein Arbeitsraum sein muss. Dafür gibt es aber keine Obergrenzen, sondern nur bestimmte Mindestwerte. Und diese Werte wurden nie richtig ermittelt und begründet.
Zudem stört eine solche Beleuchtung mehr oder weniger das Sehen. Während man bei üblichen Büroarbeiten und guten Bildschirmen die Störungen kaum merken wird, werden visuell anspruchsvolle Arbeiten so weit gestört, dass die Mitarbeiter das Licht abschalten. Wenn das nicht möglich ist, drehen sie die Lampen raus. CAD-Arbeitsplätze mit 1.000 lx zu beleuchten, ist das Letzte, was die Mitarbeiter brauchen. Bei den OPs hat man die einst superhelle Beleuchtung auf wenige Lux reduziert. Bei den Grafikern wird man auch selten jemanden finden, der viel Licht braucht. Allgemein gilt, überall wo das Erkennen von Farben von Bedeutung ist, muss man bei der Beleuchtung sparsam sein.
Übrigens, die Beleuchtungsindustrie hatte bereits in den 1960ern ermittelt, dass das Lesen auf dem Papier schon bei 3 lx gut geht und eine Verbesserung höchstens bis 50 lx erfolgt. Was darüber hinaus geht, kann man nicht mit Sehleistung begründen.