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Ende der Träume vom gesunden Licht der elektrischen Sonne 

01.02.2025
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Ich hatte es noch für unsinnig gehalten, was ein berühmter Professor, immerhin der Leiter der LCR /Lighting Research Center) in New York, von mir verlangte. Ich wollte seinen Artikel "Mehr als Sehen" in Cyberlux veröffentlichen (mehr hier und dort). Er hatte nichts dagegen, aber verlangte, ich müsse den Artikel mit einem Verfallsdatum versehen. 

Artikel schreibt man manchmal für den Tag, und dann hat er am nächsten Tag schon ausgedient. Fast immer findet man so etwas in Tageszeitungen. Manche Artikel sollen hingegen so lange halten, bis man Neues erfindet. So etwas gehört in der Technik zum Geschäft. Niemand erwartet, dass eine als wunderbar beschriebene Maschine, auch so bleibt. Darüberhinaus gibt es Artikel, die für die Ewigkeit geschrieben sind- Wissenschaftliche Artikel gehören dazu. So ein Artikel bekommt ein DOI, eine Kennung, die ein Unikat ist. Keine zwei Artikel teilen eine Kennung. Und wenn derselbe Autor dieselbe Idee 100 Mal wiederholt veröffentlichen will, gibt es 100 DOI. Aber die gibt es i.d.R. nicht, denn eine Erkenntnis darf nur einmal veröffentlicht werden. Was wollte der Professor eigentlich von mir? 
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Jahre später habe ich begriffen. Er war sich der Sache nicht sicher. Als ich die Literatur fünf Jahre später absuchte, fand ich unter derselben Überschrift einen anderen Inhalt. Allerdings war der Tenor geblieben: Es braucht eine neue Lichttechnik, weil man eine neue Wirkung des Lichts entdeckt hatte, die Beeinflussung circadianer Rhythmen des menschlichen Körpers. Man müsse selbst die Messtechnik für das Licht neu erfinden. Denn man könne ja die Wirkung auf die Gesundheit doch nicht in Lux messen.

Dumm nur, dass ein Vierteljahrhundert danach das Licht immer noch in Lux gemessen wird, aber halt auch in melanopischen. Dadurch ist die frühere Größe Lux aber nicht obsolet geworden, weil die meisten Menschen das künstliche Licht doch zum Sehen brauchen. Und das vermutlich seit der Eiszeit. Die älteste Öllampe ist etwa 17.000 Jahre alt. Die neue Lichttechnik muss also zweierlei Wirkungen des Lichts auf einen Nenner bringen, das Sehen und die Gesundheit. 

Solange die Sache nur diskutiert wurde, ohne sie bei der Beleuchtungsplanung zu berücksichtigen, hörten sich die Probleme theoretisch an. Und das allergrößte davon wurde in wissenschaftlichenh Zirkeln nie diskutiert: das menscliche Verhalten. Dieses war in der Eiszeit bestimmt durch den Gang derJahres- und Tageszeiten bestimmt gewesen. Seit wann dem nicht mehr so ist, kann man etwa ahnen. Lassen wir es mit der Erfindung der Glühlampe beginnen. Sie machte die Nacht zum Tage. Allerdings nicht so perfekt. Aber spätestens die Leuchtstofflampe hat den 24/7 Arbeitstag möglich gemacht. Das ist etwa 75 Jahre her. 
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An einem verhängnisvollen Tag des Jahres 2021 haben sich die führenden Köpfe der Forschung der sog. "nichtvisuellen Wirkungen" beschlossen, Nägel mit Köpfen zu machen. Sie gaben an, wie viel Licht ein Mensch um welche Uhrzeit braucht (hier). Und welche Qualität (dort). Die Qualität wird in M-EDI angegeben, Melanopic Equivalent Daylight Illuminance. Sagen wir der Einfachheit halber, melanopische Lux mLux. 

Das hört sich erst einmal gut an. In Innenräumen soll es am Tage 250 melanopische Lux geben, also zwischen 06:00 Uhr und 19:00 Uhr. Danach kommt die Vorbereitung auf den Schlaf. Da darf es nicht mehr als 10 mLux geben. Ab 22:00 Uhr ist Licht taboo. Es darf nicht mit mehr als 1 mLux leuchten. 

Was machen wir mit den Leuten, deren Schicht um 22:00 beginnt? Was müssen Leute tun, die nachts ihren Computer benutzen? Denn ein Bildschirm macht den Forschern nach 70 M-EDI, also 70 x zu viel für die Nacht.
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Ist das alles irgendwie gesichert? Wer zu viele dumme Fragen stellt, steht dem Fortschritt der Wissenschaft im Wege. Diese Rolle hat nunmehr die CIE übernommen, die Weltorganisation der Lichttechnischen Gesellschaften. Sie hatte im Jahre 2015 proklamiert: "Richtiges Licht zum richtigen Zeitpunkt", gefolgt vom Versprechen baldiger Aktionen, damit die elektrische Sonne zur richtigen Zeit glänzt. Die Deklaration wurde 2019 und 2024 wiederholt (hier). 

Nunmehr findet die CIE fast nur Fragen statt Antworten. So z.B.
Die Empfehlung für den Abend, drei Stunden lang nicht mehr als 10 lx melanopisches EDI am Auge zu haben, lässt sich möglicherweise nur schwer mit den individuellen Anforderungen an die Sichtbarkeit bei der Arbeit vereinbaren, insbesondere bei Personen mit eingeschränkten Sehfähigkeiten.
Ich denke, nicht nur die Sehbehinderten hätten Probleme damit. Zudem kommt nach den drei Stunden die Nacht mit 1 lx M-EDI. 

Die einzige Antwort, die ich in der Deklaration der CIE von 2024 finde, könnte verheerender nicht sein. Sie erklärt: "Ein hoher melanopischer EDI (eine sehr hohe Lichtexposition) während des Tages ist förderlich für die Wachsamkeit, den zirkadianen Rhythmus und einen guten Nachtschlaf". Und die Konsequenz? "Die CIE erkennt an, dass der Aufenthalt im Freien während des Tages mit einer besseren Gesundheit und einem höheren Wohlbefinden in Verbindung gebracht wird und dass die Exposition gegenüber Tageslicht eine wichtige kausale Komponente für diese Effekte darstellt."

So kamen wir genau 100 Jahre nach der Geburt der elektrischen Sonne (hier), die die Natur mit Lampen in Wohnungen und Büros ersetzen wollte, wieder zurück zur Natur. Schönen Dank an den Weltverband der lichttechnischen Gesellschaften. 

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