Posts Tagged: Sicherheit

Große Worte - Viel dahinter? Zu einem Buch zur Lichtergonomie

Ergonomie beschäftigt sich mit allem, was die menschliche Arbeit angeht. Leider haben sich die Ergonomen nicht vorgenommen, sich mit der Beleuchtung zu beschäftigen. Das, auch wenn es kaum eine menschliche Arbeit gibt, die man ohne Beleuchtung erledigen kann. Und selbst wenn man das könnte - Wer will die ganze Zeit im Dunkeln sitzen und werkeln? Daher gibt es mehr Arbeitsplätze mit Beleuchtung als solche, die unbedingt Beleuchtung zur Arbeitserledigung benötigen.

Ein Professor für Lichttechnik, der langjährige Chefredakteur der renommierten Zeitschrift Lighting Research and Technology, hat sich vorgenommen, die Lücke zu füllen. Sein Buch mit dem Titel "Human Factors in Lighting", Jahrgang 1981, ist vor einigen Jahren in der dritten Fassung erschienen. Human Factors ist der amerikanische Name für Ergonomie, und die Gesellschaften, die sich in den angelsächsischen Ländern mit Ergonomie beschäftigen, heißen Human Factors and Ergonomics Society. Ich habe mir das Buch für 184 € gekauft, weil ich mir tiefere Erkenntnisse davon versprochen hatte.

Das Ergebnis hat mich an den früheren Bundesminister für Wirtschaft Apel erinnert. Sein bekanntester Spruch : Ich denk', mich tritt ein Pferd.

Dass in einem Buch zur Lichttechnik der Begriff Beleuchtung 2616 Mal vorkommt, ist nicht unbedingt verwunderlich. Kann man hingegen verstehen, dass die "Gesundheit" nur 88 Mal erwähnt wird? Auch gut! Was ist mit "Sicherheit"? Ihretwegen gibt es in vielen Staaten Normen und sogar Gesetze zur Beleuchtung. Bei der Ergonomie der Beleuchtung spielt die Sicherheit aber nicht mal die dritte Geige. Aber besser noch die Behandlung von "Lesbarkeit". Beleuchtung zu Lesbarkeit steht 2616 zu 10. Wofür macht man eigentlich die Beleuchtung? Soweit ich weiß, hat sie mit Farben und hübschen Formen nicht viel zu tun, aber mit Sehleistung. Und für viele Menschen ist das eng mit der Lesbarkeit verknüpft.

Vielleicht der Architektur wegen? Sie kommt in einem Buch mit 331 800 Wörtern ganze 6 Mal vor. Und einer der drei Grundpfeiler der Architektur gemäß Vitruv, User Experience, ist gänzlich unter den Tisch gefallen. Diesem Schicksal ist Humans Factors (s. Titel des Buchs) knapp entgangen (3 x), Ergonomie auch. Sie wurde ein Mal erwähnt. Mit der Nützlichkeit hat der Autor nicht viel im Sinn. Wozu auch?

(Anm.: Wenn Sie Bücher aus dem Bereich Ergonomie lesen, werden Sie darin kaum das Wort Beleuchtung finden. Wozu auch? Man untersucht Arbeit, Computer, Stühle u.v.a.m. bis ins feinste Detail. Und lässt Beleuchtung Beleuchtung sein. Die gibt es, wenn man den Lichtschalter umdreht. Und der Strom kommt aus der Steckdose. Garantiert!)

Von Milchmädchen und Sehleistung …

Moderne (und zuweilen sehr alte) Märchen erzählen von wundersamen Dingen, die wir sehr gerne glauben. Ist der Märchenerzähler mit einem Turban verkleidet oder - wie in diesen Tagen - mit einem Aluhut, wissen wir, woran wir sind. Man kann zuhören, wenn man nichts Besseres zu tun hat. Anders hingegen, wenn immer wieder dasselbe Märchen von anständig gekleideten Ingenieuren mit ernsthafter Miene verbreitet wird. Eines dieser Märchen ist mittlerweile über 100 Jahre alt. Eigentlich Zeit, dass man es überdenkt.

Das Märchen handelt von Sehleistung, die wie alles, was Leistung hat, hoch geachtet wird. Ob man es glauben will oder nicht, das Dritte Reich betrachtete die als "systemrelevant" und wollte damit den Krieg gewinnen. Nicht nur damit, aber auch damit. Gutes Licht sollte die Leistung des deutschen Arbeiters steigern. Allerdings waren die Betreiber der Idee nicht dumm, sie hatten aus einem Debakel gelernt. Das Debakel wird dieser Tage exakt 100 Jahre alt und ist in Kreisen der Wissenschaft berühmt-berüchtigt. In einem Werk in der Stadt Hawthorne versuchte man damals, mit einer Steigerung der Beleuchtungsstärke die Leistung der Mitarbeiter:innen zu steigern. (mehr z.B. hier) Das ist so gewaltig in die Hosen gegangen, dass der Begriff Hawthorne Effekt die Sozialforschung fundamental beeinflusste. Und beeinflusst. Bis heute sucht man in der Lichttechnik den Nachweis dafür, dass eine höhere Beleuchtungsstärke auch eine bessere Leistung bedeute. Und in hundert Jahren werden sie dasselbe wie 100 Jahre davor singen: wenn sie noch nicht gestorben sind, suchen sie immer noch. Einer, der es wissen muss, Prof. Peter Boyce, hat es in einem Vortrag hervorragend charakterisiert. Der Titel lautet: Von der Festlegung von Beleuchtungsstärken nach der Sehleistung - Und andere Märchen.

Das hält aber die Auguren nicht davon ab, immer noch die Beleuchtung von Arbeitsstätten auf der Basis der Beleuchtungsstärke zu normen. Allerdings dürfen sie nicht mehr behaupten, die Basis der Gestaltung sei der Arbeitsschutz. Den darf nämlich nur der Staat regeln. Ergo? Man schreibt "Dieses Dokument legt Beleuchtungsanforderungen für Menschen an Arbeitsplätzen in Innenräumen fest, die den Anforderungen an den Sehkomfort und die Sehleistung von Personen mit normalen oder auf normal korrigiertem Sehvermögen entsprechen." Und was legt man fest? "Für eine gute Beleuchtung ist es notwendig, dass neben den erforderlichen Beleuchtungsstärken zusätzliche qualitative und quantitative Anforderungen erfüllt werden." … Und diese sind Sehkomfort, Sehleistung und Sicherheit.

Man vergesse zunächst Sehkomfort. Denn der ist nicht definiert. Wenn er denn definiert wäre, wüsste man nicht, wie man den gewährleisten soll, z.B. wenn man den ganzen Tag am Bildschirm sitzt. Noch besser ist es, auch Sicherheit schnell zu vergessen. Diese ist zwar sehr wichtig, macht aber nur Sinn, wenn man mit angibt, was für eine Sicherheit denn gemeint ist. Dieser Aspekt ist derart wichtig, dass es bei der Normung ein eigenständiges Regelwerk dafür gibt. Denn es beginnt schon bei dem Wort Sicherheit. Die gibt es nämlich im Prinzip nicht, sondern nur Schutz. Man kann einen Arbeitsschutz organisieren. der der Sicherheit bei der Arbeit dient. Aber die Arbeitssicherheit kann man nicht gewährleisten, sondern nur anstreben. Das steht sogar im Arbeitsschutzgesetz. Summa summarum: wer das Wort Sicherheit benutzen will, muss gleichzeitig angeben, was er damit erreichen will. Sonst steht der Verdacht nahe, dass es sich um Bla Bla handelt. Mit der Beleuchtung kann man z.B. Erkennungssicherheit anstreben, was plausibel klingt. Wenn man auch schafft, dass z.B. Treppenstufen erkannt werden, dient die Beleuchtung auch der Arbeitssicherheit. Wenn man dadurch Unfälle vermeiden kann, die die Beleuchtung auch der Betriebssicherheit. U.s.w… Lichttechnische Normen sind die einzigen, die das Wort Sicherheit ungestraft so benutzen dürfen. Dafür werden die Benutzer der so entstehenden Arbeitsplätze bestraft.

Bleibt Sehleistung. Die ist so fundamental wichtig, dass man sie gut definiert und perfekt festlegt. Oder? Was soll man sonst denken, wenn man eine Norm von 86 Seiten schreibt, hauptsächlich der Sehleistung halber? Weit gefehlt! Sehleistung ist nämlich auf zweierlei Art und Weise definiert, was man allein deswegen genial nennen muss. Sehleistung "ist die Leistung des visuellen Systems." So nach DIN EN 12665. Das internationale Wörterbuch der Lichttechnik geht da umfangreicher daran, aber kaum klarer: "Sehleistung - Leistung des visuellen Systems, wie sie beispielsweise durch die Geschwindigkeit und die Genauigkeit gemessen wird, mit welcher eine Sehaufgabe gelöst wird.” Einen Grundpfeiler einer Technik mit Beispielen zu definieren, zeugt von gründlicher Ingenieurs-Arbeit.

Lassen wir die handwerklichen Fehler beiseite. Wie steht es mit der technischen Ausführung, die jeder Ingenieur beherrschen müsste. So wurde vor über 50 Jahren diskutiert und festgelegt, wie man die Wirkung einer Lichtquelle gegen die Störungen, die sie erzeugt, verrechnet. Eine solche Störung ist die Blendung, die eine Lampe (unbeabsichtigt) verursacht. In der Straßenbeleuchtung kennt den Effekt jeder. Die Laterne, die den Bereich unter sich beleuchtet, blendet je nach Ausführung die Verkehrsteilnehmer mehr oder weniger stark. Man kann den Effekt gegen den Nutzeffekt berechnen. In der Innenraumbeleuchtung ist der Blendeffekt indes subtiler. Er wird durch den Kontrastverlust auf Sehobjekten, meist schlecht erkennbar, sichtbar. Der sog. Kontrastwiedergabefaktor berechnet, wie der Kontrast auf einem Sehobjekt reduziert wird.

Neu ist dies nicht, eher sehr alt. Der Faktor wurde vor über 50 Jahren schon definiert: "Der Kontrastwiedergabefaktor (für eine Beleuchtungseinrichtung) ist das Verhältnis des Kontrasts einer Sehaufgabe zu dem Kontrast unter vollkommen diffuser Beleuchtung." Da der Kontrast die wichtigste Größe für die Erkennbarkeit der Schrift ist, leidet z.B. die Lesbarkeit von Text dramatisch unter einem ungünstigen Kontrastwiedergabefaktor. So hat Hartmann (1970)  ermittelt, dass die Informationsaufnahme vom Papier bei glänzender Druckfarbe und glänzendem Papier gegenüber matter Farbe auf mattem Papier etwa um den Faktor 10 zurückgeht.

Die Berechnung einer Störung gegen die Nutzwirkung der Beleuchtung kann man wie hier berechnen.

Das Bild zeigt eigentlich, was Hartmann vor 51 Jahren publiziert hatte. Fällt das Licht ungünstig ein, wirkt es u.U. wie ein günstiger einfallendes Licht mit einem Zehntel der Beleuchtungsstärke. Und Hartmann war ein hoch geschätzter Sehphysiologe, der überall in der Lichttechnik und sogar in der Politik bekannt war. Warum wurde sein Rat nicht befolgt?

Es wäre unfair, zu behaupten, sein Rat wäre nicht befolgt worden. Man hat ihn auf eine sehr eigentümliche Weise befolgt. Alle Betriebe mögen alle Sehgegenstände matt gestalten. Sagen die Beleuchtungsnormen. Außerdem sollen die Betriebe keine Arbeitsplätze unter den Leuchten einrichten, sondern daneben. Wenn man allerdings überlegt, wie teuer Arbeitsraum ist - bei Büros ist die Miete der zweitgrößte Faktor nach dem Gehalt -, kann man eher was von zynisch reden. Denn kein Arbeitgeber schert sich um Vorgaben der Lichttechnik zur Aufstellung von Arbeitsplätzen. Wie sollte er das überhaupt können? Der Arbeitgeber kann meistens nicht einmal verstehen, warum er so etwas tun soll. Denn Designer erklären ihm, Licht gehört dahin, wo gesehen wird. Was auch stimmt. Dann kommt der Lichtplaner und erzählt, da wo Licht erzeugt wird, darf kein Arbeitsplatz stehen. Und der Marketing-Mann sagt, man kann Arbeitsplätze überall hinstellen, wo keine Blendung entstehen kann. Ja, eben!

Des Rätsels Lösung? Die Beleuchtung, die der diffusen am nächsten kommt, die Indirektbeleuchtung. Man kann über den Daumen gepeilt sagen, dass 1 lx Indirektbeleuchtung etwa so wirksam ist wie 2 lx Direktbeleuchtung. Das ist eher untertrieben. Dass man mit der Beleuchtungsstärke - ohne nähere Beschreibung - die Sehleistung erhöht, ist ein altes Märchen. Wird aber immer neu aufgetischt.

Geschwindigkeit ist (keine) Hexerei - Manchmal teuflisches Zeug

Man stelle sich vor: Man kommt in die Warte eines Kernkraftwerks und alle Anzeigen stehen auf Rot. Das sind nicht 5, nicht 50, sondern auch mal über 10.000. Wenn gefühlt alle aufleuchten, im Fachjargon Weihnachtsbaum, steht nicht ein gesegneter Tag bevor, sondern möglicherweise eine sich anbahnende Katastrophe. Und man durfte nicht handeln, ehe der Fehler von einem Drucker bestätigt wurde. Denn Computer galten als unzuverlässig, mit ihnen ihre Anzeigen auf dem Bildschirm.

Als ich den Alltag in so einem Raum betrachtete, fand ich die Zahl der Alarme einfach zu hoch. Der Betriebsleiter fragte mich schnippisch, ob ich seine Anlage kennen würde. Ich meinte, nein, aber ich würde die Leute kennen, die solche Anlagen konzipieren. Die würden keine Technik bauen, die minütlich Alarme spuckt. Das gab dem Mann zu denken, und er ließ die Sache untersuchen. Paar Wochen später hatte sich die Zahl der Alarme mehr als halbiert. Wie? Die Ursache war eine Sicherheitsvorkehrung: jeder wichtige Wert wird von drei unabhängigen Sensoren erfasst und gemessen. Wenn diese etwas Unterschiedliches anzeigen, gibt es einen Alarm. So weit, so gut. Aber wieso gab es mehr als doppelt so viele als nötig? Dafür sorgte eine Elektronik, die eine ältere abgelöst hatte. Sie war viel schneller, wie in der Elektronik üblich. Für die vorliegende Aufgabe war sie allerdings zu schnell. Wenn man in einem großen Kessel den Wasserstand misst, wird man nie den gleichen Wert an drei Stellen messen, wenn man in Nanosekunden und Millimeter genau misst. Das Wasser ist nie so ruhig. Anders, wenn man in Sekunden misst oder noch etwas langsamer. So konnte man die angeblichen Fehler halbieren. (Wie man den Rest noch weiter reduzieren konnte, erzähl ich ein andermal.)

In der Lichttechnik haben wir mit einem ähnlich gelagerten Fall zu kämpfen. Hier muss man aber etwas anderes tun, als die Elektronik langsamer stellen. Es handelt sich um die Fluktuation der Lichterzeugung von LED. Während sich Glühlampen nicht allzu schnell um die Wechselspannung scheren, und Leuchtstofflampen zwar viel schneller, aber immer noch langsam genug, reagieren, sind LED verdammt schnelle Elemente. Man kann sie bei Datenraten von bis zu 100 Mbit/s einsetzen. Ihr Licht steigt praktisch trägheitslos an und fällt leider ebenso schnell ab. Und geht dabei auch durch Null, was bei konventionellen Leuchtmitteln nicht möglich ist.

Die Sache ist problematisch in der KfZ-Beleuchtung (hier), aber insbesondere für Leute, die harte Arbeit am Bildschirm verrichten. Ihre Regelung vom Bildschirm (Helligkeit), gesetzlich vorgeschrieben (ArbStättV), funktioniert leider meist wie unten beschrieben. Übrigens, auch für die Beleuchtung ist die Qualität gesetzlich vorgeschrieben.

Die einfachste Helligkeitsregelung, deswegen sehr beliebt bei Herstellern, funktioniert mit An- und Ausschalten der Diode. Die Länge des eingeschalteten Signals zu der des ausgeschalteten ergibt dann die Helligkeit. Daher der Name Pulsweitenmodulation (PWM).

Steuerungen, die das Licht dimmen, müssen schnell genug sein, damit das Auge die dunkle Phase nicht merkt. Die Frage ist, wie schnell. Das hängt davon ab, was man vermeiden will. Flimmern, Flackern, oder … Üblicherweise ging man früher davon aus, dass eine Frequenz oberhalb der Flimmerverschmelzungsfrequenz (FVF) hinreiche. In der Literatur konnte man dafür Werte von 20 Hz bis etwa 50 Hz lesen. Das hängt von vielen Faktoren ab, insbesondere von der Helligkeit und Größe des Objekts. Das Bild rechts zeigt in etwa die Grenze für normale Bildschirme, die bei 71 Hz liegt. Gesunde Menschen mittleren Alters, die unbewegt auf den Bildschirm gucken, mögen damit zufrieden sein. Damit darf sich aber kein Arbeitgeber zufrieden geben. Denn nicht wenige Mitarbeiter setzt man der Gefahr aus, Kopfschmerzen oder Migräne zu bekommen.

(3) Die Helligkeit der Bildschirmanzeige und der Kontrast der Text- und Grafikdarstellungen auf dem Bildschirm müssen von den Beschäftigten einfach eingestellt werden können.

(6) Die Beleuchtungsanlagen sind so auszuwählen und anzuordnen, dass dadurch die Sicherheit und die Gesundheit der Beschäftigten nicht gefährdet werden.

Leider berücksichtigt das Bild zwei Dinge nicht: Alter des Beobachters und Sehaufgabe. Bei jüngeren Menschen kann der Wert bei über 100 Hz liegen.  Und diese sind empfindlicher Gegen Kopfschmerzen. Aber das Entscheidende ist die Sehaufgabe. Guckt ein Mensch stur auf eine Stelle auf dem Bildschirm, merkt er möglicherweise kein Problem. Bewegt sich sein Auge häufig, kommt es zu einem "Stroboskopeffekt". Den kennt man von alten Monumentalschinken mit römischen Kampfwagen, deren Räder sich erst langsam drehen, dann stehen bleiben, dann aber auch noch rückwärts drehen. Will man den Effekt vermeiden, muss sich das Licht sputen, bis zu 1.000 Hz können erforderlich sein. "Für eine wahrnehmungsgerechte Beleuchtung, die mittels PWM gedimmt wird, ist demnach eine PWM-Frequenz um 700 Hz erforderlich." heißt es in einer Arbeit, in der ein Doktorand der Sache auf den Grund gegangen ist.

Wer sich eingehend mit dem Problem befassen will, mag die gelinkte Doktorarbeit lesen (hier): Flimmereffekte von pulsweiten-modulierter LED-Beleuchtung von Dmitrij Polin.  Wer dazu keine Lust hat, sollte sich Monitore oder Beleuchtungen ohne PWM kaufen.

Wie aus ein paar nüchternen Zahlen ein Tabellenwerk wurde

Heute geht es um die erstaunliche Karriere von ein paar Zahlen, die man einst recht gut begründen konnte. Die Begründung steht z.T. sogar in der Tabelle selbst. So etwa "Hast Du mittlere Kontraste, sind 500 lx bis 750 lx gut. Sind die Kontraste in der Sehaufgabe mies, brauchst Du schon mehr. 1000 lx bis 1500 lx". Beleuchtungsniveau begründet mit der Schwierigkeit der Sehaufgabe. Was denn sonst? Die unten angezeigte Tabelle zeigt den Stand 1970, die Logik selbst gab es schon in den 1930ern.

Aus dieser kleinen Tabelle hat sich im Laufe der Jahre eine neue entwickelt, die sich sehen lassen kann. Sie hat erstens viele neue Spalten, an die früher niemand gedacht hatte. Zweitens - das kommt später - hat ihre Länge jegliche Phantasie des normalen Menschen gesprengt. Aber erst einmal die Spalten und ihre Bedeutung.

Bereich der Sehaufgabe/Tätigkeit

Hier steht der Zweck des Raums, für den die restlichen Anforderungen gelten. So etwa "Räume für ärztliche Behandlungen" oder "Gesichtsbeleuchtung vor Spiegeln" oder "Sortieren und Waschen von Produkten, Mahlen, Mischen, Verpacken"

gibt den minimalen Wartungswert der Beleuchtungsstärke Ēm,r auf der Bewertungsfläche für den Innenraum (Bereich) an, in dem die Aufgabe oder Tätigkeit aus Spalte 2 ausgeführt wird.

gibt den höheren Wartungswert der Beleuchtungsstärke Ēm,u auf der Bewertungsfläche für den Innenraum (Bereich) an, in dem die Aufgabe oder Tätigkeit aus Spalte 2 ausgeführt wird.

gibt die Mindestwerte der Gleichmäßigkeit der Beleuchtungsstärke Uo auf der Bewertungsfläche für den nach Anmerkung 1 gewählten Wartungswert der Beleuchtungsstärke Ēm an.

enthält die Mindestwerte der Farbwiedergabe-Indizes (Ra) (siehe 4.7.3) für die in Spalte 2 aufgelistete Situation.

gibt die maximalen UGR-Grenzwerte (Unified Glare Rating limit, RUGL) an, die für die in Spalte 2 aufgelistete Situation gelten

gibt die Mindestwerte der zylindrische Beleuchtungsstärke ĒZ für die Erkennung von Objekten und Personen an, wie in Abschnitt 5 beschrieben

zeigt die Mindestwerte der mittleren Beleuchtungsstärke an Wänden Ēm,Wand wie in Abschnitt 5 beschrieben

zeigt die Mindestwerte der mittleren Beleuchtungsstärke an Decken Ēm,Decke wie in Abschnitt 5 beschrieben

Spezifische Anforderungen

hier steht das Besondere, z.B. dass man die Beleuchtung in jeder einzelnen Toilette einzeln planen muss, wenn diese vollständig geschlossen sind. Oder "Die Beleuchtung sollte so gestaltet sein, dass sie die passende Atmosphäre schafft." (bei Restaurants)

Ich denke, dass jeder genug hat, wenn er es bis hierher geschafft hat. Deswegen will ich auf die weiteren spezifischen Bedingungen lieber nicht eingehen. Wer als Lichtplaner in einem weiten Bereich der Industrie tätig werden möchte, muss all diese Anforderungen in Listen ablesen, die insgesamt 40 Seiten umfassen. Ist das alles?

Leider nein! Da fängt die Arbeit erst richtig an. Denn es gibt kaum noch einen Bereich, in dem die so bestimmten Sehanforderungen für die Arbeit relevant sind. Die Leute arbeiten nämlich seit einiger Zeit mit Bildschirmen. Das ist der Lichttechnik anscheinend so neu wie das Internet unseren Politikern. So steht z.B. unter "Flugsicherungsturm" nach 8 verschiedenen Anforderungen als "Spezifische Anforderungen" das: "Bildschirmarbeit, siehe 4.9." Soweit ich weiß, wurde in der Flugsicherung die Bildschirmarbeit vor über 40 Jahren eingeführt. Warum man einen Haufen Anforderungen (s. oben) für die Beleuchtung formuliert und dann als "spezifische Bedingungen" auf die Bildschirmarbeit verweist, bleibt ein Geheimnis derer, die das große Werk vollbracht haben. Nichts ist spezifisch an der Bildschirmarbeit. Spezifisch ist eine Arbeit, wenn man sie ohne Bildschirm erledigen darf oder kann. Man könnte das ganze Vorgehen auch ungestraft Unsinn nennen, weil selbst die ach so gestrige Gesetzgebung (Arbeitsstättenverordnung) längst anerkannt hat, dass eine getrennte Betrachtung von Bildschirmarbeit von sonstiger Arbeit schon lange keinen Sinn mehr macht. Deswegen hat der Staat die Bildschirmarbeitsverordnung abgeschafft und 2014 eine einheitliche ArbStättV erarbeitet. Der Arbeitsschutz durch die Berufsgenossenschaften hatte aber schon 1980 Regeln geschaffen, die auf der Annahme beruhten, dass künftig alle neuen Arbeitsplätze mit Bildschirmen ausgestattet würden.

Der glückliche Lichtplaner erfährt durch die in 2021 erlassene Norm u.a. "EN ISO 9241-307 enthält Anforderungen an die visuellen Eigenschaften von Displays bezüglich unerwünschter Reflexionen." Diesen Hinweis muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Denn EN ISO 9241-307 enthält 201 Tabellen auf 209 Seiten. Doch damit nicht genug. Für diese Norm spielt der Lieferant eine sehr große Rolle. So heißt es z.B. "Der Lieferant muss den beabsichtigten Nutzungskontext sowie den Wert oder den Wertebereich eines Merkmales festlegen." In ähnlicher Weise wird der Lieferant 219 Mal angeführt! Sprich: Der Lichtplaner muss bei jedem fraglichen Bildschirm 219 verschiedene Werte prüfen, die der Lieferant frei nach Schnauze festlegen darf. Wenn er noch nicht gestorben ist, prüft er immer noch. Dass er in EN ISO 9241-307 irgendeine Anforderung finden könnte, ist aber ausgeschlossen. EN ISO 9241-307 ist eine Messnorm und darf keine Anforderungen enthalten. Sie sagt nur aus, dass ein bestimmter Bildschirm unter den Beleuchtungsbedingungen, die der Designer sich ausgesucht hat, einen hinreichend großen Kontrast aufweist. Was ist wenn der Designer die falschen ausgesucht hat? An keinem einzigen Bildschirm steht, für welche Bedingungen dieser gestaltet worden ist.

So groß kann keine Tonne sein, in die der Hinweis nach dieser Norm hingehört. EN ISO 9241-307 ist nämlich keine Norm, nach der man etwas tun kann. Sie beschreibt alle denkbaren Bildschirme, und der Anwender der Norm muss wissen, welche Anforderungen sich aus seiner Anwendung ergeben. Dann sucht er sich den Bildschirm aus, dessen beabsichtigter Nutzungskontext mit den Anforderungen der Anwendung übereinstimmt. Zu guter Letzt enthält die Norm noch einen Kardinalfehler: Die Beleuchtungsstärken in den lichttechnischen Normen, z.B. 500 lx, sind Mindestwerte, während diese in EN ISO 9241-307 als Maximalwert angenommen werden. Macht zwar keinen Sinn, ist aber so.

Während die Mitarbeiter der Flugsicherung mit Sicherheit keinen Schaden durch diese Norm erleiden werden, weil ihr Job so wichtig ist, dass man sich etwas mehr Gedanken macht (und was für welche), droht anderen Unheil. So wird für CAD-Arbeitsplätze 1000 lx als als höheren Wartungswert verlangt mit einer "zylindrischen" Beleuchtungsstärke von mindestens 150 lx und auch noch 100 lx an der Decke. Das sind wohlgemerkt die untersten Werte. Für die "Bildschirmarbeit" erfolgt wieder der Hinweis wie oben. Die Realität ist, dass CAD-Arbeit seit ihrer Erfindung vor 50 Jahren Bildschirmarbeit ist. Da das Licht praktisch nie nützt, aber fast immer stört, arbeiteten die Menschen seit Jahrzehnten in abgedunkelten Räumen. Das ist zwar bestimmt nicht gesund. Mit der nunmehr verschriebenen Beleuchtung werden sie überhaupt nicht mehr arbeiten können. Ob das gesund ist?

Worauf basieren eigentlich die detaillierten Anforderungen, die jeder Betrieb erfüllen müsste, wenn er keine bessere Lösung anbieten kann? Man soll bitte nicht darüber lachen, was Prof. Peter Boyce, einer der obersten Lichttechniker, festgestellt hat. Der Titel lautet übersetzt "Wahl der Beleuchtungsstärke nach Sehanforderungen und andere Märchen". Das gesamte Papier ist hier zu lesen. Die Norm (jetzt gerade Entwurf) kann man für 174,30 € kaufen.

Also, der Lichtplaner soll eine Sehleistung realisieren, die keiner braucht. Dazu schreiben lichttechnische Normen Mindestwerte für die Beleuchtungsstärke vor. Sogar für die an der Decke! Und sagen, wenn die Beleuchtung auf dem Bildschirm stört, guck in die Norm Sowieso. In der Norm Sowieso steht, die Mindestwerte seien Maximalwerte, weil deren Autoren nie in lichttechnische Normen geguckt haben. Und die Autoren von lichttechnischen Normen verweisen auf deren Werk, für den Fall, dass sich die Leute am Bildschirm geblendet fühlen. Auch ohne jemals es gelesen zu haben. so beißt sich die Katze in den Schwanz. Die Sache ist aber ernst zu nehmen, weil die Arbeitsstättenverordnung einen blendfreien Bildschirm vorschreibt. Wenn man keinen zu fassen bekommt, ist die Beleuchtung schuld, weil man glaubt, dass die Blendung immer von der Beleuchtung verursacht wird. (§§ 6  Maßnahmen zur Gestaltung von Bildschirmarbeitsplätzen, § Straftaten und Ordnungswidrigkeiten). 

Wenn sich Ihr Lichtplaner nach einer anderen Beschäftigung sucht, wissen Sie warum. Was die Leute bei der Arbeit tun, wenn sie vor lauter Sehleistung nicht mehr arbeiten können, sehen Sie auf den Bildern an der Seite. Die sind nicht aus dem letzten Jahrhundert.

Wie korrektes Licht und gute Akustik einen Raum töten

22.12.2020

Damals konnte ich kaum erwarten, dass die Elphi fertig wird. Ein Jahr vor der Eröffnung hatte ich das Gebäude vom Hafen aus gesehen. Ein Highlight! Ist  es immer noch. Aber bei der Übertragung der Eröffnungsfeier war ich aber eher entsetzt (hier), dachte aber, es läge daran, dass die Bundeskanzlerin zu spät anreisen konnte.

Nachdem ich den Saal in Natura erleben durfte, denke ich nicht viel anders. Beim Licht hat wohl der Sicherheitsaspekt zugeschlagen. Auch wenn der Saal hell erleuchtet ist, dominiert die Treppenmarkierung die Szene. Wenn die Lichter ausgehen, wird es einen Zahn schlimmer. Man stolpert zwar nicht dem Dirigenten entgegen. So ganz glücklich schaut man auch nicht aus der Wäsche.

Licht in Tateinheit mit Akustik sorgt für eine andere Katastrophe. Der große Saal wurde zum Optimieren der Akustik mit Tausenden fein ausgearbeiteten Elementen verkleidet. Eigentlich kann man nichts dagegen sagen. Leider sorgt das streifende Licht für eine Modellierung, die man lieber nicht sehen will. Das Bild zeigt deutlich, wie die Oberflächenstruktur, die die Akustik verbessern soll, die Raumästhetik, gelinde gesagt, abmurkst. Das Thema - Schattigkeit - hatte mein verstorbener Kollege Fred Häger in den 1970ern in seiner Dissertation bearbeitet. Wer liest aber Dissertationen, wenn einer eine architektonische Pretiose beleuchtet?

Geht es nicht anders? Mit sanftem Licht würde die Struktur der Wände praktisch unsichtbar. Sie bliebe akustisch dennoch wirksam. Ich benutze das Bild für Seminare, bei denen es um die Optimierung der Umwelt insgesamt geht. Optimiert man Licht und Akustik für sich, sieht man oben, was man hat.