Man stelle es vor, es gibt Fortschritt. Und dann will es keiner gewesen sein… Heute erlebte ich den Schlussstrich unter eine Geschichte, die 1977, also genau vor 45 Jahren, begonnen hatte. Es ging um Licht und zwar darum, wie man die Beleuchtung von Bildschirmarbeitsplätzen regeln sollte. Ich war damals der Verfasser des Normenentwurfs. Gestern weigerte sich ein Unternehmer, eine Genehmigung zur Wiedergabe eines Fotos zu erteilen, das eine Beleuchtung zeigt von ihm Ende der 1980er Jahre geplant und stolz veröffentlicht in einem edlen Buch. Dabei hatte er just die Norm, die ich begonnen hatte zu schreiben, nach ihrer Perfektionierung perfekt umgesetzt. War da was?
Üblicherweise wurden und werden solche Entwürfe, die Beleuchtung angehen, vom Normenausschuss Lichttechnik bearbeitet. Dieser wurde aber von einem anderen Ausschuss eingebracht und bearbeitet. Wir merkten sofort intuitiv, dass irgendwas nicht stimmte. Später sollte ich noch lernen, was dieses irgendwas war. Meine Entwürfe, die ich abgeschickt hatte, wurden wie von Geisterhand verändert, und zur nächsten Besprechung lag öfter ein mir ziemlich fremder Text vor. Eines schönen Tages erschien dann ein bekannter Professor für Lichttechnik und meinte, den Text würde er gerne redigieren. Ich gab den Job gerne ab, weil mir die Irregularitäten auf den Wecker gefallen waren. Ich hatte sechs weitere Normen zu bearbeiten. Die übrigens ungewöhnlich erfolgreich waren und bis heute ihre Wirkung sogar in der Arbeitsstättenverordnung spürbar zeigen. Nur mit dem Entwurf zur Beleuchtung hatte ich unerklärliche Schwierigkeiten. Warum sich der Professor gerade um die Bearbeitung dieser Norm riss, habe ich später gelernt.
Es dauerte nicht lange - jedenfalls gemessen an der Genesis des Lichts "Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde" - und schon war sie da, die Norm DIN 66234-7, anno domini 1984. Wie der Name sagt, regelte sie aber nicht die Beleuchtung allein, sondern hieß "Bildschirmarbeitsplätze - Ergonomische Gestaltung des Arbeitsraums - Beleuchtung und Anordnung". Und sie enthielt ein Leckerbissen: das erste neue Gütemerkmal seit 1935! Sie hieß "Vermeidung störender Spiegelungen" und ist bis heute nicht tot zu kriegen.
Der eigentliche Zweck dieser Normen war gewesen, dass man alle negativen Wirkungen des Arbeitsplatzes mit Bildschirm erfasst und, soweit möglich, deren Ursache beseitigt. So wurde z.B. festgestellt, dass die Leute schlecht saßen, weil ihre Tastaturen zu hoch waren und der Beinraum der Tische dem Glück überlassen. Die damalige Norm für Tische kannte nicht einmal Maße für den Beinraum. So hatte z.B. für die damalige Bundesbahn ein Computerhersteller einen Arbeitsplatz ohne Beinraum gebaut. Dort wo Beinräume geregelt waren, z.B. Schreibmaschinentische, konnten nur Gartenzwerge mit dünnen Oberschenkeln drunter sitzen. Denn Schreibmaschinen hatten bedingt durch ihre Funktion hohe Tastaturen. Ergo: Wir sagten der Computerindustrie, sie möge die Tastaturen flach halten. Und der Büromöbelindustrie, es wäre doch sinnvoll, wenn für Beine ein definierter Raum reserviert würde, der jetzt deswegen Beinraum heißt. Kein Problem. Wurde gemacht, bevor die entsprechenden Normen den Entwurfsstadium verließen. Es war ja nicht so, dass Arbeitstische nie Beinräume hätten. Das Problem war, dass dort mal eine Schublade für Bleistifte war und mal ein Drucker. Die Designgenies hatten auch mal dicke Vierkantrohre dort eingebaut, die den Tisch zusammen hielten. Da mussten die Benutzer ihre Beine spreizen.
Bei Licht müsste die Sache noch besser klappen, da ich alle relevanten Leute kannte und mein Professor in der gesamten Industrie wohlgelitten war. Heute weiß ich, warum Gott nach der Schöpfung einen Ruhetag einlegen musste. Zwar musste er nur sprechen "Gott sprach: es werde Licht, und es wurde Licht!" Danach ging es einfach nicht weiter. Die Anwender der Norm stellten fest, dass sie nur winzige Tische aufstellen durften und den größten Teil ihres Büros leer stehen lassen mussten, weil sonst die Beleuchtung nicht funktionieren sollte. Damit man das Entsetzen der Anwender versteht, habe ich aus dem Belegungsschema des Büros aus der Norm die Dinge entfernt, die man dort nicht sieht. Dafür sieht man, was sich Lichttechniker unter einem deutschen Arbeitgeber verstehen: der hat Geld wie Heu und gibt es sinnlos aus.
Zum Verständnis: Die Tastaturen im Bild sind ca 50 cm breit. Daher messen die Tische etwa 80 cm in der Breite. Solche Tische gab es damals für Schreibmaschinen. Die Bildschirmtische maßen eher 160 cm, häufig bis 2 m in der Breite. Kannten die Lichttechniker die nicht? Natürlich kannten sie die. Es passte nur nicht zusammen, das Entspiegeln von Bildschirmen über die Beleuchtung brauchte viel viel Platz. Ein Stückchen von dem Unsinn zeigt das untere Bild. Exakt dieses hatten zwei Professoren der Lichttechnik dem deutschen Computerpionier Wolfgang Giloi empfohlen, der dazu angesetzt hatte, den deutschen Supercomputer SUPRENUM zu bauen. Seine Leute konnten nicht verstehen, warum die erste Hälfte ihrer Räume leer stehen sollte und alle Arbeitsplätze hinter hohen Stellwänden stehen mussten. Hier die Erklärung:Nicht nur Prof. Giloi schüttelte seinen weises Haupt, sondern auch sein Betriebsrat. Der wollte von mir erklärt wissen, warum denn die erste Hälfte eines jeden Büroraums leer stehen sollte und hinter jedem Arbeitsplatz eine hohe Stellwand. Geht es nicht anders? Und ob das geht! War leider sehr teuer. Eine entspiegelte Bildröhre kostete damals volle 10,- DM mehr. Das sind, auf die damals übliche Abschreibungszeit von 8 Jahren bezogen, 10,41 Pf/Monat gewesen. Bei einem Mietzins von 5,-- DM (Dorflage) und 80,-- DM (Frankfurt, Bankengegend) für einen Quadratmeter Büroboden eine wahrlich ernst zu nehmende Größenordnung. Wie viel qm man zum Entspiegeln braucht, kann man sich ausrechnen aus den Maßen des Tisches (800 mm tief). (Den naheliegenden verdacht, dass die Norm aus dem Marketingetat der Immobilienwirtschaft finanziert wurde, weise ich entschieden zurück.)
Man müsste meinen, ein solcher Unfug flöge bereits bei der ersten Anwendung auf. Ist es so? Nö, man setzte mit einer zusätzlichen Norm zum gleichen Thema mit fast dem gleichen Inhalt der Sache die wahre Krone auf. Denn der eigentliche Grund für die Erstellung der ersten Norm, war etwas zu kurz gekommen. Der war damals nämlich in einer Anmerkung versteckt: "Sind hierzu - also zur Vermeidung der Reflexblendung - keine näheren Einzelheiten bekannt, so kommen beispielsweise Leuchte deren mittlere Leuchttdichte oberhalb eines Ausstrahlungswinkels von γ = 50º in den Ebenen C0, C180, C90 und C270 nicht größer als 200 cd/m2 in Betracht." Da man bei der Planung eines Gebäudes nie weiß, wann wo welcher Bildschirm steht, muss man also immer zu dem Beispiel greifen. Nun fehlte nur eine ausdrückliche Empfehlung der so umschriebenen Leuchte. Und diese wurde mit der Norm DIN 5035-7 in 1988 realisiert. Die Norm hat nichts mehr mit der Anordnung zu tun, sondern nur noch mit der Beleuchtung: "Innenraumbeleuchtung mit künstlichem Licht; Beleuchtung von Räumen mit Bildschirmarbeitsplätzen und mit Arbeitsplätzen mit Bildschirmunterstützung". (Dazu gibt es einen eigene Beiträge z.B. insbesondere hier oder hier oder da). Die Anordnung wird in der Norm einfach vorgegeben. Basta! Wo kämen wir denn hin, wenn jeder mit seinem Büro machen wollte, was er will!
Was ist, wenn man die empfohlene Anordnung der Arbeitsplätze nicht einhalten kann? Pech! Dann blendet die Beleuchtung, aber die Schuld trägt der Anwender. Ein Schelm, der behauptet, dass dies das eigentliche Ziel der Geschichte war. Also: Menschen am Bildschirm spüren Augenprobleme. Der Bildschirm soll es nicht gewesen sein. Da haben die Computerhersteller was dagegen. Was kann es sonst gewesen sein? Richtig! Beleuchtung. Also verschreibt man den Leuten eine gesunde Leuchte, mit der sich der Leuchtenhersteller gesund stößt. Und gibt dazu Bedingungen vor, die niemand einhalten kann. Pech gehabt. Also bleibt einem nur die Bildschirmbrille, wenn einem die Augen weh tun. Die Brille bezahlt der Arbeitgeber. Also eine Win-Win-Win-Situation für einen Leuchtenhersteller, der auch ein Computerhersteller war, und auch noch Büros mit Bildschirmen betrieb. Dieser Multi-Hersteller hatte 1977 seinen zwei Obleuten, die die besagten Normen bearbeiteten, die Aufgabe erteilt, den bestmöglichen Gewinn für das Unternehmen zu realisieren. Einer hat sich geweigert, mitzumachen. Der zweite, der Lichttechniker, machte vor, wie man eine nicht-spiegelnde Beleuchtung mit einem riesigen Aufwand in die Praxis bringt statt einfach die Röhren zu entspiegeln. Zudem half die Maßnahme nur gegen künstliches Licht. In den Bildschirmen spiegelten sich nunmehr nur noch die Fenster.
Und die Firma, die mir die Genehmigung der Wiedergabe eines Bildes verweigerte, hatte nichts anderes getan, als eine Beleuchtung nach deren Ideen zu planen. Ich wüßte schon, wozu ich ihr raten würde. Nur ist es zu spät, Wiedergutmachung zu fordern. Ich weiß auch nicht, was deren Kunde gesagt oder gedacht hat. Wer Normen so abfasst, dass der Planer kaum abweichen kann, müsste die Suppe auslöffeln. Auch dazu ist es zu spät (s. Epilog.)
EPILOG: Win-Win-Win ist ausgeträumt. Die Firma stellt keine Computer mehr her. Aus dem Leuchtengeschäft wurde ein Geschäft mit dem Verkauf des Leuchtenherstellers, der gleich drei Mal verkauft wurde. Mitarbeiter hat die Firma noch. Die beschäftigen sich aber mit anderen Geschäften. Nur die Konzepte und manche Zahlen, die sie in die Welt gesetzt haben, findet man noch irgendwo in der europäischen Beleuchtungsnorm EN 12464-1, die gerade veröffentlicht wurde. Ach ja, die war keine Einzelidee. Die Firma setzte noch eine globale Beleuchtungsnorm in die Welt, CIE S 008/ISO 8995-1 von 2001. Jetzt arbeiten interkontinental verteilte Lichtexperten daran, die beiden Normen zusammenzuflicken. Ganz schön nachhaltig die Idee.
Falsche Rechnung wird aus
Bagdad zurückgeschickt.
Türkische Volksweisheit
Bei dem Thema "Licht und Gesundheit" fällt mir fast immer eine Phrase ein "Grandios vergeigt!". Gestern war es wieder so weit. Ein Kollege schickte mir einen Normenentwurf, den ich gefühlt Jahrzehnte kenne. In echt ist er nur drei Jahre alt - und schon wieder veraltet. Denn die darin zu lesende Message hatte mir mein Professor mitgeteilt - so etwa 1968. Später habe ich sie meinen Studenten weiter gegeben. Ich hoffe, die haben sie auch weiter gegeben. Bei meinem Professor ist es allerdings nicht bei Worten geblieben. Heute beruft sich der ASTA, Ausschuss für Arbeitsstätten, auf eine gesetzliche Bestimmung, die er bewirkt hat, wenn es um nicht-visuelle Wirkungen von Licht geht. 63 Jahre frisch geblieben und immer noch besser als das, was man heute mit großem Aufwand als eine wissenschaftlich fundierte Erkenntnis von Weltrang etablieren will. Uffff!
Es geht um die Erkenntnis, dass Licht nicht nur zum Sehen da ist. Es soll psychologische und physiologische Wirkungen haben. Der Laie hat keine Probleme damit. Das kennt er. Das Problem sind die Fachleute. Die haben vor rund 100 Jahren bestimmt, dass Licht zum Sehen diene und beschlossen, alle seine diesbezüglich relevanten Eigenschaften zu beschrieben und zu normen. Protest gab es von Leuten, die behaupteten, das Licht diene auch der Gesundheit. Und Gesundheit sei auch eine psychologische Wirkung - man freue sich am Gesehenen. Ob man glaubt oder nicht - das Licht war ein hohes Politikum. Noch unglaublicher ist das: Der deutsche Staat gründete im Jahr 1934 das "Amt für die Schönheit der Arbeit" mit der größten Abteilung "Gutes Licht".
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Der Staat ließ es nicht dabei bewenden. Er ließ schöne Filme drehen, um gutes Licht zu fördern. Eine DIN-Norm musste her (DIN 5035 vom Jahre 1935). Dabei entstand ein klitzekleiner Fehler, den man heute mit Kräften versucht, rückgängig zu machen. Es wurden zwei Normen für Licht erstellt. Eine für die künstliche Beleuchtung (wie gesagt, DIN 5035) und eine für die natürliche, DIN 5034. Irgendwie musste sich das Licht in den Arbeitsräumen mischen. Da verließ man sich auf die Natur. Niemand kann verhindern, dass sich das elektrische Licht mit dem Sonnenlicht mischt. Leider verstand das mancher "Fachmann" als Zwielicht. Anfang der 1970er Jahre sollte es verschwinden. Die Lichttechnische Gesellschaft diskutierte auf einer Sondertagung 1971 "Auge - Licht - Arbeit" fensterlose Arbeitsräume. Und die erste Ausgabe von DIN 5035, die Abschied vom Tageslicht bedeutete, entstand 1972. Die Zukunft sollte dem Großraumbüro gehören, das den Tag nur aus der Ferne ahnen ließ wie die großen Fabrikhallen auch. Ansonsten hieß es nach den Worten des großen Vorsitzenden des Ausschusses Innenraumbeleuchtung "Bei seitlicher Befensterung können gehobene Ansprüche an die Beleuchtung, wie sie in der künstlichen Beleuchtung gestellt werden, nicht befriedigt werden." Will sagen, nur die künstliche Beleuchtung reicht qualitativ für den Menschen aus. Da Fenster definitionsgemäß seitlich angeordnet sind - sonst hießen sie Oberlichter - können sie gehobenen Ansprüchen nicht genügen. Wer die Ansprüche stellt, ist übrigens ein großes Geheimnis. Die Benutzer sind es nicht. Die lieben die Fenster.
Ungeachtet all des fachmännischen Rats erschien 1975 in der ersten Arbeitsstättenverordnung der Bundesrepublik Deutschland unter Beleuchtung eine Vorschrift, die kein Lichttechniker so gewollt hätte, außer zwei. Der eine war mein Chef, und der andere war ein Kollege. Die beiden haben es geschafft, diese Vorschrift in die Welt zu setzen.
Das war übrigens der Aufhänger, mit dem der Arbeitgeberpräsident im Jahr 2014 die vom Gesetzgeber verabschiedeten Fassung der ArbStättV hat vom Bundeskanzleramt kassieren lassen. Der meinte, Toiletten wären auch Sanitätsräume und die bräuchten keine Sichtverbindung nach außen. Sonst hätten die da Draußen eine Sichtverbindung nach drinnen. Und das ist wahrlich unerwünscht, wg. Datenschutz und so.
Auch mancher Arbeitgeber war nicht allzu glücklich damit und nutzte ein Schlupfloch. Arbeitsräume mit einer Grundfläche von mindestens 2000 m2 mit Oberlichtern waren ausgenommen. So hat z.B. Heinz Nixdorf seine Arbeitsstätten sehr "flexibel" gestaltet. Die hatten mindestens 2001 m2. Somit brauchten sie keine Sichtverbindung. Sie hätten allerdings eine lichte Höhe von mindestens 3,25 m aufweisen müssen. Kein Problem für den findigen Unternehmer. Wenn sich die Gewerbeaufsicht meldete, wurden die Räume schwuppdiwupp unterteilt. Die Aufsichtsbeamten hatten bei diesem Besuch nur die Raumhöhe betrachten dürfen. Die Sichtverbindung nicht.
Der größte Teil der Arbeitgeber war allerdings nicht so findig und hielt sich brav an die Vorschrift. Aber niemand konnte verstehen, was diese Vorschrift unter "Beleuchtung" zu suchen hatte. Musste auch nicht. Die Vorschrift war unter Mitwirkung einer Psychologin erarbeitet worden und betraf nur die Psychologie. Die Beleuchtungswirkung ist reine Konterbande. Worauf basierte die Forschung und warum haben zwei Lichttechniker eine Vorschrift zur Psychologie erarbeitet? Den Grund sieht man hier. Er stammt aus der Broschüre "Ein kleines Kapitel praktischer Lichttechnik" von 1970. Allerdings war dies schon die 18. Auflage.
Die erste Chance, in die Fußstapfen der anscheinend erfolgreichen Forscher aus den 1960er und 1970er Jahren zu treten, entstand als unser Institut den Forschungsbericht "Licht und Gesundheit" veröffentlichte. Das war 1990. Darin wurde abgeleitet, welche Art der Beleuchtung die beste Akzeptanz fand und vor allem warum. Wir haben in den folgenden Jahren dann diese Beleuchtung optimiert, an ca. 1500 Arbeitsplätzen installiert und die (positive) Wirkung dokumentiert. Nur die lichttechnische Industrie konnte damit nicht warm werden, denn die Hauptaussage des Forschungsberichts war, dass die Mehrzahl der Probanden die Beleuchtung als eine Störung ihrer Gesundheit erlebte. Dass es aber auch Beleuchtungen gab, die von fast allen akzeptiert wurden und sich positiv auf die Gesundheit wirkten und wirken? Man wollte halt Leuchten verkaufen, die man nicht auf den Bildschirmen reflektiert sehen würde. Dass diese Leuchten den Büros einen Höhlenlook verpassten? Ach, was, interessiert keinen.
Die zweite Chance kam etwa 10 Jahre später und war viel gewaltiger. Forscher hatten im Auge Sehzellen identifiziert, die die Tagesrhythmik der menschlichen Hormone steuern. Nur menschliche Hormone? Selbst Tiere der Tiefsee, die nie Tageslicht sehen, zeigen eine 24-Stunden-Rhythmik in ihrem Verhalten. Und ich dachte, jetzt werde man endlich sich den nicht-visuellen Wirkungen des Lichts annehmen. Das schien sich zu bewahrheiten, als die CIE im Jahr 2004 ein Symposium veranstaltete: "Light and Health: Non-visual effects". Vielleicht war der Tagungsort nicht allzu kreativ gewählt: Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien. Es folgten eher abstrakte Aktionen aber keine technischen Innovationen. Dass die CIE nicht vollends in einen Schnarchmodus verfallen war, erlebte die Welt als sie die Marschroute zu neuen Lichtwelten festlegte. In 2016 - also schlappe 12 Jahre später - erschien ein Technical Report "Research Roadmap for Healthful Interior Lighting Applications", vorbereitet unter der Leitung einer kanadischen Koryphäe, die Psychologin ist.
Wer allerdings dieses Werk studierte, konnte sich schnarchen legen, ohne befürchten zu müssen, etwas zu verpassen. Denn die zu klärenden Fragen wiesen gewaltige Ausmaße auf, während sich die geklärten Umstände in der CIE-Literatur ziemlich bescheiden ausnahmen. Doch die CIE war ungemein aktiv, für ihre Verhältnisse jedenfalls. Sie veröffentlichte eine offizielle Stellungnahme in 2015, in dem ein guter Slogan proklamiert wurde "Recommending proper light at the proper time", will sagen, "Das richtige Licht zur richtigen Zeit". Damit wollte man endlich damit aufhören, das falsche Licht zur falschen Zeit vorzuschreiben, was Beleuchtungsnormen weltweit tun und wohl auf absehbare Zeit tun werden. Unser Institut hatte in einem Gutachten für die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zusammen mit dem lichttechnischen Institut der Uni Ilmenau just dies und viel mehr empfohlen, aber Jahre zuvor in 2011.
Die Stellungnahme der CIE wurde im Jahre 2019 erneut ausgegeben. Diesmal gab man an, endlich Butter bei die Fische zu tun. Man wolle in Zusammenarbeit mit der ISO die Norm ISO 8995-1:2002 alias CIE S 008:2001 wieder aktivieren. Diese war nämlich 2001 erschienen und von allen guten Geistern in Ruhe gelassen worden. Niemand hat sie je angewendet. Immerhin - man tut sein Bestes. Wir werden im Laufe des Jahrzehnts sicherlich erleben, dass die gute alte Norm ISO 8995 in voller Schönheit wieder aufersteht, bevor es 30 wird. Volljährig ist sie bereits 2019 gewesen, als die Erklärung erschienen war.
Damit die Zeit einem nicht langweilig wird, gibt es ein Technical Report zum Thema. Darin finden sich viele Statements zu den Vorteilen einer sog. "integrativen" Beleuchtung. Die heißt so, weil sie nicht nur die Wirkungen vom Licht auf das Sehen berücksichtigt, sondern auch auf die Gesundheit und das Wohlbefinden (s. oben die Bemerkung zum Kenntnisstand von 1968). Allerdings sind die deutlichen Warnungen nicht zu übersehen.
Will sagen, die Beleuchtung muss von qualifizierten Spezialisten geplant und auch angewendet werden. Zudem kann man gute Ergebnisse nur dann erzielen, wenn der Lichtplaner mit einer muttidisziplinären Mannschaft kooperiert, wozu u.a. angehören Arbeitsmediziner, Psychologen und sonstige. Mir sind die ersten beiden Expertengruppen bekannt, allerdings nicht aus der Lichtplanung. Die sonstigen sind wirklich wichtig. Man wüsste gerne, wer damit gemeint ist. Ansonsten muss der Lichtplaner eben selber zusehen, mit wem der kooperiert.
Was diese Expertengruppe wissen muss, bevor das integrative Licht geplant wird? Ganz einfach, wirklich unglaublich einfach:
Man zeige mir auch nur einen einzigen Lichtplaner, der dieses Wissen hat. Nicht einmal der Arbeitgeber hat es. Was wenn er es denn hätte? Seit einigen Jahrzehnten werden Bürohäuser "spekulativ" gebaut. D.h., man erstellt das Gebäude und vermietet oder verleast es anschließend. Zwar ist der künftige Mieter oft bekannt, der wird aber den Deubel tun und dem Lichtplaner Daten zur Verfügung stellen, die die Sehfähigkeit der Belegschaft oder gar den Gesundheitszustand aufschlüsseln. Zudem steht manches Gebäude zwar fast ewig, 80 Jahre oder länger. Die Nutzer geben sich aber die Klinke. So geschehen mit Denkmal geschützten Gebäuden von AEG in Berlin. Als die AEG in die ewigen Jagdgründe wechselte, übernahm Nixdorf diese und machte ein Innovationszentrum. Als dann auch Nixdorf der AEG in den Industriehimmel folgte, zog die Berliner Sparkasse ein. Deren MItarbeiter arbeiteten wie einst alle Büromenschen - sitzend. Mit der Ergonomie zog die stehende Arbeitsweise ein. Trotzdem will oder muss ein Teil der Belegschaft sitzend arbeiten. Was macht eigentlich die Expertentruppe mit diesbezüglichem Wissen, wenn sie es denn bekäme? Sie muss sie beachten, um Folgendes zu bewerten:
Generalisierte Schlafrhythmen bewerten? Diese Aufgabe werden Lichtplaner einem mit Handkuss abnehmen. Von dem Lichtdesigner wird etwa eine ähnliche Fähigkeit erwartet wie von Clark Kent beim Heben von Lokomotiven samt Brücke, die einstürzen will. Z.B. muss dieser Folgendes können:
Lichtdesigner und Lichtqualität! Den Lichtplaner oder Lighting Designer gibt es leider nicht. Es gibt zwar Menschen und Firmen, die sich so nennen, sie unterscheiden sich voneinander gewaltig. Deren Fachverbände versuchen seit Ewigkeiten, eine anerkannte Berufsbezeichnung durchzusetzen. Bislang vergeblich. Und Lichtqualität wurde zum 1.1.2021 nach 100-jähriger Geschichte der CIE zum ersten Mal erwähnt (hier oder da) Was die sein soll, muss noch ausgearbeitet werden. Wir haben ja Zeit.
Nachdem ich das alles gelesen hatte, habe ich den zuständigen Ausschuss gefragt, um was für eine Beleuchtung es hierbei handelt, das derart aufwändig gestaltet werden soll. Die Antwort lautet, alles gilt für jede Beleuchtung. Bevor ich demnächst zum Baumarkt gehe, um mir paar Lampen zu besorgen, werde ich anrufen und fragen, ob ich mein Beraterteam mitbringen muss oder ob der Baumarkt mir Psychologen, Arbeitsmediziner und auch sonstige zur Verfügung stellt.
Verstehen Sie jetzt, warum ich denke "Grandios vergeigt"?
Heureka! Nachdem ich mir trotz überzeugender Darstellung eines Mediziners - sogar mit Diplom und Dr. Titel - nie Zugang zu den Heilberufen verschaffen konnte, ist es ab heute so weit: Ich kann zertifizierter Lichtplaner werden und soooogar ein Masterdiplom erwerben. In einer einzigen Woche, aber kompakt, kann ich Lichtplaner für Innenbeleuchtung werden. Und wie jeder weiß, ist Licht sehr gesund. Sogar der ZVEI wirbt damit. Wenn es denn bei ihm allein bliebe. Wissenschaftler rasen um die Welt, um die frohe Botschaft zu verkünden. Irgendwo auf dem Globus gibt es immer einen Kongress, einen Workshop oder irgend ein Get-Together, wo die gesundheitlichen Wirkungen von Licht gepriesen werden. So ein Zertifikat würde aus mir einen Heilpraktiker machen. (Pardon, geht nicht. Der Beruf ist geschützt. Die Ausbildung dauert elend lange. Vielleicht heilender Praktiker oder praktischer Heiler?)
Eigentlich sollte ich dem nicht böse sein, bin ich doch der Erfinder des Titels "Licht und Gesundheit" sowie dessen englischer Übersetzung "Light and health". Und die Absicht dahinter war, auch ohne Auftrag von der Lichtindustrie, die Wirkung der Beleuchtung auf die Gesundheit zu propagieren. Also müsste ich sehr glücklich darüber sein.
Gemach, gemach! Die Idee, dass Licht sehr gesund ist, ist älter als mein Urgroßvater. Und selbst der könnte sich nicht rühmen, der Ideengeber gewesen zu sein. Da saßen nicht nur die alten Germanen mit Bärenfell bedeckt auf dem Baum, als man mit Licht therapierte. Das waren aber Heiler, oder Heilpraktiker, wie man heute sagen würde, die das Licht und den Menschen zusammen brachten, auf dass er geheilt würde. Heute muss der Lichtplaner die Rolle übernehmen. Wer ist aber das? Weiß ich nicht. Leute, die es besser wissen, zertifizieren Lichtplaner. Und das geht so: Man fährt einfach drei Tage nach Hamburg und hat sein Basiszertifikat. Lichttechnik, Beleuchtung, Normen, Sanieren… vor Allem (O)LED. Voraussetzungen für die Teilnahme? 1.295 EUR + MwSt. Das ist aber nicht irgend ein Kurs, sondern ein Intensivkurs. Wer noch einmal 1.295 EUR + MwSt. übrig hat, kann seine Planungsbasis erweitern.
Wer eine ganz breite Basis haben will und neben Geduld auch noch 6.950,00 EUR + MwSt. aufbringen kann, wird in 16 Tagen zum diplomiert-zertifizierten Lichtplaner. Pardon, der muss noch 4 (in Worten: vier) Projekttage mitmachen. Und das alles in 6-24 Monaten:Für Leute, die wenig Denglish sprechen: Master heißt Meister. Und wer ein deutscher Meister werden will, muss zunächst drei Jahre Lehre erfolgreich hinter sich bringen. Danach muss er zwischen einem Jahr und dreieinhalb sich meisterhaft im Lernen üben. Danach eine Prüfung ablegen, die keine Kleinigkeit ist. Bereits die Gesellenprüfung ist zuweilen ein Meisterstück. Eine Quelle mit der Zahl 16 zum Meister habe ich gefunden. Dahinter steht aber Wochen. Allerdings muss man dazu allerhand Voraussetzungen erfüllen. Zu einem Diplom reicht es aber nicht.
Diplom kommt von griechisch δίπλωµα diploma, ‚zweifach gefaltetes (Schreiben)‘. Einfältig reicht also nicht. In Deutschland vergaben Universitäten Diplom als akademischen Grad, bis man sagte, bitte einfacher. Ergo gibt es jetzt (seit 2010) Bachelor (bachelorette hingegen gibt es nur bei RTL) und Master. Auch akademisch. Was ein Masterdiplom ist? Wenn man 6.950,00 EUR + MwSt. zahlt, wird man es ganz bestimmt lernen. (Mehr über Lichtplaner hier, warum es mit der Qualität lange dauert hier und da und über Licht und Diplome überhaupt hier)
Wann und wo unser Masterdiplomand seine Heilpraxis her bekommt, steht bei dem Angebot nicht. Da er nach den Angaben auf der Website in 9 Tagen Master wird, wird es wohl bei den weiteren 7 Tagen irgend wann erfolgen.
Kann aus einer, sagen wir mal, nicht so guten Planung etwas Gutes entstehen? ich denke mal, nein! Manchmal mag der Zufall helfen. Aber unter der Vorstellung von "Engineering" verstehe ich zielgerichtetes Handeln ohne den Meister Zufall. Im Sommer 2017 sind zwei wichtige Ereignisse eingetreten, die ich gerne im Lichte dieser Vorstellung beurteilen möchte. Das erste Ereignis ist die Veröffentlichung von 15 Thesen zu Licht und Lichtplanung. Das zweite ging ohne viel Aufhebens über die Bühne: Erscheinen einer LiTG Studie zu Lichtqualität. Diese besagt im Kern: "»Das Maß der Lichtqualität ergibt sich aus dem Abgleich zwischen den Anforderungen des Nutzers an eine Lichtlösung und der Bewertung der umgesetzten Lichtlösung.« Ergo: Lichtqualität – ein Prozess statt einer Kennzahl! Auch wenn das Papier nagelneu ist, ist die Vorstellung so alt wie die Qualitätswissenschaft: Quality is fit for purpose.
Wie gut mögen die bislang erstellten Beleuchtungsanlagen einem solchen Qualitätsanspruch genügen:
Licht ist für die menschliche Existenz fundamental. Viele biologische Wirkungen – visuell und nichtvisuell – lassen sich heute konkret benennen und müssen im Bauen Berücksichtigung finden. Das weitgehende Fehlen sowohl verbindlicher planerischer Gütekriterien, als auch einer normativen Verankerung der Planung für gesundes und attraktives Licht im bisher gängigen Planungsprozess, trägt der Bedeutung von Licht nicht Rechnung.
Der Planungsprozess für Beleuchtung (und für das Bauen) berücksichtigt die Wirkungen auf den Menschen nicht. Wenn die Bedürfnisse des Menschen unberücksichtigt bleiben, entspricht das ausgeführte Objekt diesen nicht. Die Qualität der Beleuchtung bleibt somit mangelhaft, bis die Ursache beseitigt ist.
Der Stand der Wissenschaft und Technik macht Lichtplanung heute zu einer neuen Grundlagenplanung mit besonderer Komplexität und Verantwortung für Wohlbefinden und Gesundheit der Nutzer.
Das Wohlbefinden und die Gesundheit der Nutzer stand bis heute nicht im Fokus der Lichtplanung. Oder: Der Auftrag an die Lichtplanung stellte bis heute das Wohlbefinden und die Gesundheit der Nutzer nicht in den Fokus. (Anm.: Dies gilt für Fälle, bei denen eine Lichtplanung überhaupt ausgeführt wurde. In den meisten Fällen handelte es sich nämlich eher um Elektroplanung, bei der am Ende der Leitung nicht ein Gerät, sondern eine Leuchte hängt.)
Tageslicht ist Ausgangspunkt und Maß einer integrativen Lichtplanung, welches
durch Kunstlicht ergänzt werden muss. »INTEGRATIVE LICHTQUALITÄT« umfasst daher
die kombinierte Tages- und Kunstlichtplanung.
Tageslicht ist nicht Ausgang und Maß der Lichtplanung. (Anm.: Die meisten Lichttechniker wenden die Gütekriterien, die für Kunstlicht entwickelt worden sind, auch auf das Tageslicht an und wollen dies sogar weiterhin beibehalten. Auch Tageslichttechniker nehmen die Festlegungen für Kunstlicht als Maßstab für das Tageslicht, s. z.B. DIN V 18599 Energetische Bewertung von Gebäuden, Betrachtungen zur Tageslichtautonomie etc. Die Festlegungen von Beleuchtungsstärken in Normen haben definitiv nichts mit der Sehleitung zu tun (s. Basis der Festlegung von Beleuchtungsstärkewerten in Beleuchtungsnormen, hier)
Qualifizierte Lichtplanung berücksichtigt die natürliche Variabilität der Rezeption
durch individuelle Nutzer. Eine Vereinheitlichung oder Normierung von Lichtwirkungen
ist daher nur eingeschränkt möglich.
Die übliche Praxis der lichttechnischen Normung ist falsch. Sie ist falsch, obwohl der individuell unterschiedliche Lichtbedarf schon vor über 50 Jahren experimentell festgestellt wurde und in der lichttechnischen Literatur veröffentlicht. (Anm.: Man kann trotzdem eine "Vereinheitlchung" von Beleuchtungseinrichtungen anstreben und realisieren, wenn man die Unterschiedlichkeit der Menschen angemessen berücksichtigt und ihnen die Kontrolle über ihre Umgebung teilweise überträgt.)
Eine qualifizierte Lichtplanung definiert aufgrund ihrer unmittelbaren gesundheitlichen
Relevanz gesetzliche und gesellschaftliche Schutzziele.
Die gesundheitliche Relevanz der Lichtplanung findet in dem realen Geschehen keinen Niederschlag. (Anm.: Das ERGONOMIC Institut hat im Jahre 1997 eine Studie veröffentlicht, wonach die übliche genormte (Direkt)Beleuchtung dem Arbeitsschutz widerspricht (s. Volltext hier). Zuvor war der Forschungsbericht "Licht und Gesundheit" im Jahre 1990 veröffentlicht worden, der die Beleuchtung von Arbeitsstätten als Gesundheitsgefahr nachgewiesen hatte (Volltext hier). Nach dem Jahr 2001 wuchs die Zahl der Veranstaltungen zum Thema "Licht und Gesundheit" lawinenartig an. Es gibt mittlerweile Professuren und Einrichtungen zum Thema. Nur die Planungspraxis hat sich wenig geändert, weil sich die Normen nur unmerklich geändert haben.)
Nicht-visuelle Lichtwirkungen können nur in wenigen Fällen als anerkannte
Regel der Technik bewertet werden.
Die Berücksichtigung nicht-visueller Wirkungen in der Lichtplanung wird in absehbarer Zeit nicht Realität werden. D.h., viele negative Wirkungen von künstlicher Beleuchtung werden uns treu bleiben, obwohl man künstliche Beleuchtung per se nicht für diese verantwortlich machen kann. Schon in einem der ersten Gutachten über die "Gefahren" der künstlichen Beleuchtung hatten die Gutachter sinngemäß geschrieben, dass die negativen Wirkungen mangelhafter Nutzung zuzuschreiben wären. Diese uralte Feststellung ist nicht alt geworden.