Eine Planungsnorm, nach der man nicht planen kann

 

Lang, lang ist es her. In 2011 hatte ich die neu ankommende ASR A3.4 Beleuchtung, die im Auftrag des Staates erstellt worden war, kommentiert und darauf hingewiesen, dass die zuständige Beleuchtungsnorm EN 12464-1 von damals leider leider nicht anwendbar war. Die Normer mussten daher in ihr Dokument den folgenden Passus aufnehmen:

Wird die Planung und/oder der Betrieb von Beleuchtungsanlagen ausschließlich nach dieser Norm vorgenommen, kann das dazu führen, dass die staatlichen Mindestanforderungen oder die Anforderungen der Unfallversicherungsträger an die Beleuchtung nicht eingehalten sind. Konkretisierende, zusätzliche oder abweichende Anforderungen zu dieser Norm betreffen insbesondere:

  • die Zusammenfassung der Bereiche der Sehaufgaben zu einem Arbeitsbereich;
  • die Ausdehnung des unmittelbaren Umgebungsbereichs auf den restlichen Raum;
  • die Höhe der horizontalen Beleuchtungsstärke für einige Arbeitsplätze;
  • die Mindestwerte der vertikalen und zylindrischen Beleuchtungsstärken;
  • die Gleichmäßigkeit der Beleuchtungsstärken.“

Jetzt haben wir 2019! Und CEN schickt sich an die Norm erheblich zu revidieren. Und was wird dort stehen?  "Werden die Planung und/oder der Betrieb …" Ansonsten, nichts Neues im Westen. Oder doch? Mittlerweile sagt der Ausschuss, der hinter ASR A3.4. steht offiziell das aus: "Hingegen besteht bei Nachtarbeit nach gegenwärtigem Wissensstand bereits im Rahmen bestehender Beleuchtungskonzepte die Möglichkeit des Eintretens unerwünschter biologischer Wirkungen, wobei langfristige negative Folgen für die Gesundheit nicht ausgeschlossen werden können. Kritisch sind hohe Beleuchtungsstärken am Auge …" (hier) Und die neue Norm will die Empfehlungen für Beleuchtungsstärken erhöhen. So z.B. bei CAD von 500 lx auf 1000 lx.

Dass man bei Schreiben, Tippen und Datenverarbeitung - echt innovative Arbeitsplätze - 1000 statt 500 lx empfiehlt, wird man schon überleben. Da gibt es Licht-Aus-Schalter. Was aber an CAD-Arbeitsplätzen eine Verdoppelung der Beleuchtungsstärke bringen würde? Das Licht bleibt gleich aus. Solche Arbeitsplätze waren bislang bekannt dafür, dass die Leute sich lieber ein Zelt über den Bildschirm bauten, wenn sie das Licht nicht haben ausschalten dürfen bzw. können (hier zwei Beispiele, BER1 BER2)

Wie würde wohl die Gefährdungsanalyse eines Lichtplaners aussehen, wenn er solche Empfehlungen umsetzen will? Ich kann mir eher die Diagnose des Psychiaters einer Unternehmers vorstellen, der solche Dinge bezahlt. Ob da ein Leinenzwang hilft (hier)? Oder müssen wir ein neues Gremium erfinden, das die Arbeit vor Licht schützt?

3 Comments

  1. Antworten
    Beat Koller 21. Mai 2019

    Sehr geehrter Herr Dr. A. E. Çakır

    Haben sie schon einmal in Erwägung gezogen, aktiv in ein Normengremium einzusitzen? Ich würde es ihnen sehr empfehlen. Erstens sind Fachleute mit Praxiswissen in diesen Gremien äusserst willkommen und zweitens hätten sie so mehr Hintergrundswissen, warum was, so, in welcher Norm steht. Die Zeiten sind längst vorbei, als Firmen noch Politik in den Normengremien machten. Die Themen sind so komplex geworden, dass immer mehr, interdisziplinäre Expertenteams mögliche Normanforderungen zuerst richtiggehend erforschen, bevor sie als Normentwurf zur Stellungnahme publiziert werden.

    Was die EN 12464-1 betrifft, so sind die von Ihnen gemachten Einwände bereits in der Norm so beschrieben. So sind zum Beispiel die in den Tabellen angegebenen Beleuchtungsstärken nicht sakrosankt, sondern es gibt im Kapitel 4.3 eine ganze Liste von Gründen, welche eine Anpassung der Beleuchtungsstärken erforderlich macht. Was die Bildschirmarbeitsplätze betrifft, so sind im Kapitel 4.12 genau die Punkte beschrieben, die Sie auch bemängeln. Das ist doch gut so.

    Das Problem der Anwendungsnormen ist, dass sie lediglich Durschnittswerte für Standardsituationen als „good practice“ wiedergeben können. Wenn ein Gesetz verlangt, dass die Beleuchtung „gut“ sein soll, dann stellt sich die Frage: „Was ist gut und was ist nicht gut?“. Darauf sollen die Anwendungsnormen Antwort geben. Ich finde die EN 12464-1 in diesem Sinne eine brauchbare Norm. Manchmal ist es wichtiger, dass alle mit gleichm Masstab messen, als dass es akkademisch zu 100% passt. Das gibt auch Rechtssicherheit. Im Übrigen hat auch da das Normenwesen einen Änderungsprozess, der eine laufende Anpassung an den Stand der Wissenschaft möglich macht.

    • Antworten
      ahmetpro 3. Juni 2019

      „Haben sie schon einmal in Erwägung gezogen, aktiv in ein Normengremium einzusitzen?“
      Wäre keine schlechte Idee. Fragt sich, in welchem. Hier können Sie sehen, seit wann ich in welchen Ausschüssen sitze: http://ergonomic.de/institut/normungsgremien/
      Da sind aber nur die wichtigsten genannt. Bereits der Professor meines Professors war in dem Ausschuss, der die Norm DIN 5035 im Jahre 1935 schrieb. Er selbst hat in vielen Normenausschüssen beim FNL gesessen. Viele Normen der Reihe DIN 5034 waren sein Werk. Ich selbst habe diverse deutsche Normen geschrieben, z.B. welche der Reihe DIN 66234, sie waren die ersten Normen für Bildschirmarbeitsplätze. Später habe ich bei der ISO die gesamte Reihe ISO 9241-4XX geschrieben, davor ISO 9241-5, -6 und -9. Ich sitze auch in lichttechnischen Ausschüssen, darf aber weder die Diskussionen noch die Entwürfe öffentlich machen. Nur das, was die Öffentlichkeit direkt ohne mich erfährt, kann ich benutzen. Aus meinen Ausschüssen kann ich nicht berichten. Vielleicht denken Sie deswegen, ich müsste dringend in einen Normenausschuss. In einem deutschen und einem internationalen Ausschuss bin ich Obmann/Convener.

      Die Sache mit EN 12464 kenne ich seit der Geburtsstunde des Projekts. Es sollte die ISO 9241-6 abwehren helfen, die in meinem ISO-Ausschuss erstellt wurde. Die von mir bearbeitete Norm enthielt keine Werte für Beleuchtungsstärken, weil ich solche Angaben für unsinning halte. Es gibt schlicht und einfach keine wissenschaftliche Basis hierfür. Warum es die nicht gibt, habe ich in einer Expertise beschrieben, weil ich nicht nur die Historie solcher Werte kenne, sondern auch die Personen, die diese schrieben. Hier können Sie mehr lesen und die Gesamtstudie herunterladen: http://www.lichtundgesundheit.de/cyberlux/?p=225

      Da man sich nicht sicher war, ob es mit EN 12464 klappt, hat man gleich drei Projekte begonnen, eines bei CEN, eines bei ISO uns eines bei der CIE. Alle auf der Basis von DIN 5035-2. Und natürlich eine DIN-Norm, DIN 5035-7. Dummerweise hat alles geklappt, zum Leidwesen der Initiatoren vom FNL. Die Endprodukte waren aber nicht verträglich. Daher habe ich die Abschaffung von DIN 5035-7 betrieben und auch geschafft. EN 12464-1 sollte möglichst das einzige Papier sein, wonach man plant. Das geht leider nicht. Genau das wollte ich kommentieren.

      Was die Anpassung von Normen an den Wissensstand angeht, gibt es seit 1975 klare Vorgaben. Jede Norm muss regelmäßig überprüft werden. Wir haben sogar welche abgeschafft, weil sie sich überlebt hatten. Ich habe auch welche verhindert, weil wir nicht die Kompetenz hatten, so z.B. bei der farblichen Gestaltung von Arbeitsbereichen. So erwarte ich, dass alle Normenausschüsse ihr Wirken überprüfen. Wenn ich in dem neuen Entwurf von EN 12464-1 lese, dass an CAD-Arbeitsplätzen die Beleuchtungsstärke erhöht werden soll, denke ich, die haben’s nicht geschnallt. Die CAD-Konstrukteure haben Jahrzehnte fast unter Lichtabschluss gearbeitet. Bei bestimmten Warten, die sicherheitstechnisch relevant sind, muss das Licht streng kontrolliert werden, weil sonst Gefahr für die öffentliche Sicherheit droht. Das Alles ist an dem Ausschuss wohl vorbei gelaufen.

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      ahmetpro 19. November 2019

      „So sind zum Beispiel die in den Tabellen angegebenen Beleuchtungsstärken nicht sakrosankt, sondern es gibt im Kapitel 4.3 eine ganze Liste von Gründen, welche eine Anpassung der Beleuchtungsstärken erforderlich macht.“
      Ich stelle gerade fest, dass ich diesen Punkt ausgelassen hatte. Die gründe, die Sie nennen, sollen dazu führen, dass man noch höhere Beleuchtungsstärken realisiert. Dabei hat ein Bericht der LiTG, den einer der Initiatoren von EN 12464-1 mitgeschrieben hat, festgestellt, dass Lichtqualität kaum etwas mit Beleuchtungsstärken zu tun hat. Und der ZVEI behauptet seit Jahren, dass man „das richtige Licht zur richtigen Zeit“ brauche. Diese Norm widerspricht dem. Auf wessen Seite steht eigentlich der ZVEI?

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